Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Vergabe einer Steueridentifikationsnummer
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch die Zuteilung der Steueridentifikationsnummer und die Speicherung von Daten hierunter ist der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung der Stpfl. betroffen. Hierdurch ist ihre Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen, tangiert.
2. Trotz bestehender Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der §§ 139a und § 139b AO gelangt der Senat bei Abwägung zwischen dem Gewicht des in der Datenspeicherung und -verwendung liegenden Eingriffs und der Bedeutung einer effektiven und gerechten Besteuerung nicht zu der vollen Überzeugung, dass der Eingriff unverhältnismäßig im engen Sinne und damit auch insgesamt unverhältnismäßig wäre. Denn der Staat ist zur Gewährleistung der rechtlichen und faktischen Besteuerungsgleichheit verfassungsrechtlich verpflichtet.
Normenkette
AO § 118 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1; AO § 139a
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Vergabe der Steueridentifikationsnummer verfassungsgemäß ist.
Der Klägerin wurde vom Beklagten unter der Bezeichnung „Persönliche Identifikationsnummer” die steuerliche Identifikationsnummer … zugeteilt. Diese Nummer wurde ihr mit Schreiben vom 31. Juli 2008 mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es u.a. wörtlich: „ Sie ≪Anm.: die Steueridentifikationsnummer≫ wird für steuerliche Zwecke verwendet und ist lebenslang gültig. Sie werden daher gebeten, dieses Schreiben aufzubewahren, auch wenn Sie derzeit steuerlich nicht geführt werden. Bitte geben Sie Ihre Identifikationsnummer bei Anträgen, Erklärungen und Mitteilungen zur Einkommen-/Lohnsteuer gegenüber Finanzbehörden immer an. … Beim Bundeszentralamt sind unter Ihrer Identifikationsnummer – nach den Angaben der für Sie im Regelfall zuständigen Meldebehörde – folgende Daten gespeichert: Familienname: A; Vornamen: B; Geschlecht: …; vollständige Adresse: C Str., D; Geburtstag und -ort: 00.00.0000 D”.
Insgesamt sieht die Mitteilung – je nach Gegebenheiten – folgende Eintragungen vor: 1) Titel, Familienname; 2) Ehename; 3) Lebenspartnerschaft; 4) Geburtsname; 5) Vornamen; 6) Geschlecht; 7) vollständige Adresse; 8) Geburtstag und -ort; 9) Geburtsstaat (bei Geburt im Ausland).
Eine Rechtsmittelbelehrung ist dem Schreiben nicht beigefügt.
Daraufhin erhob die Klägerin Klage.
Die Klägerin trägt vor, dass die Vergabe der Steueridentifikationsnummer aufgrund von § 139b AO rechtswidrig sei und sie, die Klägerin, in ihrem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletze.
Informationelle Selbstbestimmung sei das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Jedem Bürger werde damit grundsätzlich das Recht garantiert, über die Preisgabe und die Verwendung seiner persönlichen Daten selbst entscheiden zu können.
§ 139b AO greife in diese grundrechtlich geschützte Rechtsposition ein, da er die Erhebung, Speicherung, Weitergabe und Verwendung von persönlichen Daten ermögliche. Gespeichert würden vom Bundeszentralamt für Steuern die in § 139b Abs. 3 AO vorgesehenen Daten. Ferner würden die Finanzbehörden und andere (nicht-) öffentliche Stellen zur Erhebung, Verwendung und Weitergabe der Identifikationsnummer ermächtigt.
Dieser Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung sei aus mehreren Gründen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Soweit es um die Ermächtigung zur Erhebung, Verwendung und Weitergabe der Identifikationsnummer durch andere öffentliche oder nicht öffentliche Stellen nach § 139b Abs. 2 AO gehe, mangele es an der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage.
Das Bestimmtheitsgebot verlange, dass der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden müssten.
Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssten in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden.
Insbesondere eine wirksame Zweckbindung für die Verwendung der Steueridentifikationsnummer fehle in der Ermächtigungsgrundlage. Der unbestimmte Begriff der „andere(n) öffentliche(n) oder nicht öffentliche(n) Stellen” aus § 139b Abs. 2 Satz 2 AO werde nicht näher definiert und sei auch einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich. In Anbetracht der Vielzahl von Steuergesetzen und den darüber hinaus bestehenden Möglichkeiten zum Datenaustausch zwischen Finanz- und Sozialbehörden sowie Dritten sei für den Bürger nicht überschaubar, welchen Stellen der Zugriff auf die Steueridentifikationsnummer gestattet sei.
Nicht hinreichend bestimmt sei auch § 139b Abs. 4 Nr. 4 AO. Danach erfolge die Speicherung, um Daten, die aufgrund eines Gesetzes oder nach über- oder zwischenstaatlichem Recht entgegenzunehmen seien, an die zuständigen Stellen weiterleiten zu können. Dies...