Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinsermittlung nach § 233a AO 1977 bei Einkommensteuernachforderung wegen der auf den Veranlagungszeitraum der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung rückwirkenden Erhöhung eines Veräußerungsgewinns. Verfahren der Aussetzung der Vollziehung. Aussetzung der Vollziehung in Sachen Einkommensteuer 1989
Leitsatz (amtlich)
Die nachträgliche Änderung des Veräußerungspreises einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 Abs. 1 EStG wirkt als rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück (Anschluss an den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.7.1993 GrS 2/92, BStBl 1993 II, 897). Ernstlich zweifelhaft ist jedoch, ob die bei einer Erhöhung des Veräußerungspreises nachzuentrichtende Einkommensteuer bereits mit Ablauf des Veräußerungsjahres i.S. von § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 entstanden ist.
Normenkette
AO 1977 § 233a Abs. 2 S. 1; EStG § 17; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; AO 1977 § 38
Nachgehend
Tenor
1. Die Vollziehung des mit dem Einkommensteuerbescheid vom 10.12.1992 für das Jahr 1989 verbundenen Zinsbescheides wird in Höhe von 62.748 DM ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung des Finanzamts ausgesetzt.
2. im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller 9/10 und der Antragsgegner 1/10.
4. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Aussetzungsverfahren die steuerliche Auswirkung der nachträglichen Erhöhung eines Veräußerungsgewinns und der Ansatz entsprechender Zinsen nach § 233 a Abgabenordnung (AO).
Der Antragsteller (ASt) hatte mit notariellem Kaufvertrag vom 29.12.1989 zusammen mit anderen Gesellschaftern seinen im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Gesellschaftsanteil an der … GmbH, … mit wirtschaftlicher Wirkung zum 3l.12.1988 24.00 Uhr/0l.01.1989 0.00 Uhr an die … AG in … veräußert. Als Kaufpreis für seinen Nominalanteil von 144.000 DM wurde zunächst ein Betrag von 3.222.000 DM festgesetzt. Außerdem wurde vereinbart, daß den Veräußerern, soweit die Jahresüberschüsse für die Jahre 1989 bis 1991 insgesamt 3 Mio. DM übersteigen, ein Zusatzkaufpreis in Höhe des fünffachen eines Drittels des übersteigenden Betrages zusteht. Dieser eventuell zu entrichtende Zusatzkaufpreis sollte fällig und zahlbar innerhalb von vier Wochen nach Feststellung des testierten Jahresabschlusses für das Jahr 1991 sein (umgekehrt war bei einem geringeren Jahresüberschuß für 1989 eine nachträgliche Kaufpreisminderung vorgesehen). Auf den Inhalt des Vertrages in den Finanzamtsakten wird Bezug genommen.
Nach Feststellung des Jahresabschlusses 1991 zahlte der Käufer aufgrund dieser Vereinbarung an den ASt im Oktober 1992 einen zusätzlichen Kaufpreisanteil von 2.134.963,63 DM.
Daraufhin erließ der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) nach Aufhebung des bisherigen Vorbehalts der Nachprüfung einen geänderten Einkommensteuer(ESt-Bescheid für das Jahr 1989 und erhöhte die ESt aufgrund dieses zusätzlichen Veräußerungsgewinns um einen Betrag von 597.692 DM. Damit verbunden setzte das FA für die Steuernachforderung vom 1.4.1991 bis zum Fälligkeitstag am 13.1.1993 Zinsen nach § 233 a AO in Höhe von 62.748 DM fest.
Der Einspruch des ASt ist beim FA anhängig. Das FA lehnte einen dort gestellten Aussetzungsantrag ab (ebenso wie einen Antrag auf Billigkeitserlaß der Zinsen).
Daraufhin beantragte der ASt beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung des ESt- und Zinsbescheides in Höhe von insgesamt 660.440 DM.
Zur Begründung trägt er vor, nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (z.B. BFH-Urteil vom 26.4.1966 I 216/63, BStBl III 1966, 465) sowie nach der herrschenden Meinung im Schrifttum (z.B. Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Anm. 180) seien solche nachträglichen Kaufpreiserhöhungen wie bei Veräußerungen nach § 16 EStG nicht im Verkaufsjahr, sondern bei späterer Realisierung steuerlich zu erfassen. Vorher habe nicht einmal festgestanden, ob der vereinbarte Kaufpreis nicht sogar zu mindern sei; eine tatsächliche Bezifferung sei unmöglich gewesen. Die Inkonsequenz der Versteuerung im Jahre 1989 werde auch durch die Verzinsung durch das FA für die Zelt ab 1.4.1991 deutlich. Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag ist teilweise unbegründet (ESt), teilweise begründet (Vollverzinsung).
1. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FG0-). Ernstliche Zweifel sind im allgemeinen gegeben, wenn nach dem vorliegenden Streitstoff in rechtlicher...