Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert, dass die zur Beurteilung der unverschuldeten Verhinderung erheblichen Tatsachen innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses substantiiert, vollständig und in ausreichender Form dargetan werden
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein fristgebundener Schriftsatz, der dem Gericht per Telefax übermittelt wird, geht nur dann fristgerecht bei Gericht ein, wenn er innerhalb der Frist vollständig, das heißt einschließlich der Seite, welche die Unterschrift trägt, aufgezeichnet worden ist.
2. Ein Rechtsanwalt darf einfache Tätigkeiten, die keine juristischen Schulungen verlangen, seinem hinreichend geschulten und zuverlässigen Büropersonal zur selbstständigen Erledigung übertragen. Hierzu gehört auch die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax.
3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss innerhalb der Zwei-Wochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO gestellt und begründet werden. Bei Geltendmachen eines sog. Büroversehen muss dargelegt werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt; dazu gehört auch der Vortrag darüber, wie die Kontrolle nach Absenden des Telefaxes durchgeführt wird und dass der Prozessbevollmächtigte seine Bürokräfte belehrt hat, für eine ordnungsgemäße Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax Sorge zu tragen.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1-2, § 64 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die alleinstehende Klägerin […] bezieht Versorgungsbezüge und eine Rente sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung. Daneben betätigt sie sich als selbständige Kirchenmusikerin und erzielt daraus Einkünfte aus selbständiger Arbeit. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machte die Klägerin den Abzug der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer geltend und zwar von 3.190,22 EUR für 2003, von 3.197,09 EUR für 2004, von 3.197,09 EUR für 2005, von 3.483,32 EUR für 2006 und von 3.483,91 EUR für 2007. Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – folgte den Angaben in den Einkommensteuererklärungen insoweit nicht und berücksichtigte in den Jahren von 2003 bis 2006 Aufwendungen in Höhe von 1.250 EUR und im Jahr 2007 keine Aufwendungen (Einkommensteuerbescheide vom 29. August 2008). Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2008).
Mit Schriftsatz vom 22. Januar 2009, der dem Finanzgericht am selben Tag um 12:13 Uhr per Telefax übermittelt wurde, erhob die Klägerin, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Klage. Das Telefax umfasst 10 Seiten und die übermittelte Klageschrift nebst Anlagen enthält keine Unterschrift. Auf Seite 2 des Telefax wurde die Seite 2 der Klageschrift und ein Teil der Seite 3 der Klageschrift, jedoch ohne die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten, übermittelt. Die restlichen Seiten des Telefax sind eine Vollmacht der Klägerin vom 2. Dezember 2008 sowie die angefochtene siebenseitige Einspruchsentscheidung des FA. Am 23. Januar 2009 um 11:43 Uhr verständigte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des erkennenden Senats den Prozessbevollmächtigten davon, dass die Klageschrift per Telefax unvollständig übertragen wurde und die Unterschrift auf der Klageschrift nicht vorliegt. Der Prozessbevollmächtigte teilte der Geschäftsstelle mit, dass für ihn nichts veranlasst sei, da die Klageschrift im Original bereits auf dem Postweg sei. Am 23. Januar 2009 ging im Finanzgericht das Original der dreiseitigen unterschriebenen Klageschrift zusammen mit den Anlagen (einseitige Vollmacht und siebenseitige Einspruchsentscheidung) ein.
Mit Schreiben vom 4. Februar 2009 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, dass der Wiedereinsetzungsantrag vorsorglich gestellt sei. Das Absenden der Klageschrift sei der Bürokraft, welche ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte sei, übertragen worden. Diese habe am 21. Januar 2009 um 12:11 Uhr die Klage inklusive Anlagen (10 von 10 Seiten) unter der richtigen Faxnummer an das Finanzgericht gefaxt. Die Klägerin habe sich auf einen störungsfreien Betrieb des Faxgeräts beim Empfänger verlassen können. Die Frist zur Klageeinreichung sei nicht ausgeschöpft worden. Nach dem in Kopie beiliegenden Faxprotokoll sei die Klage am 21. Januar 2009 vollständig (10 von 10 Seiten) an das Finanzgericht gefaxt worden (hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf das Schreiben vom 4. Februar 2009 verwiesen; FG-Akte Bl. 26, 27). Dem Antrag auf Wiedereinsetzung ist als Anlage eine Kopie des Faxprotokolls des Prozessbevollmächtigten vom 22. Januar, 12:11 Uhr beigefügt und dies weist aus, dass 10 von 10 Seiten übertragen wurden (FG-Akte Bl. 28).
Die Klägerin beantragt,
unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Klagefrist die Einkommensteuerbescheide für 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007 vom 29. A...