Carsten Schmitt, Andrea Debus
Rz. 80
Wegen der Behinderung muss das Kind außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Diese Voraussetzung ist grds. gegeben, wenn das behinderte Kind nicht in der Lage ist, durch eine eigene Erwerbstätigkeit seinen gesamten notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten und wenn es über keine ausreichenden anderen Einkünfte und Bezüge verfügt.
Allein aus dem Umstand, dass der Sozialleistungsträger den dem Grunde nach Kindergeldberechtigten aus Zahlung eines Unterhaltsbeitrags für das Kind in Anspruch nimmt, ist nicht abzuleiten, dass dieses zum Selbstunterhalt außerstande ist.
Eine erhebliche Mitursächlichkeit der Behinderung des Kindes für seine mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt genügt für den Kindergeldanspruch auch dann, wenn es nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist.
Ist das Kind aufgrund entsprechend hoher Einkünfte und Bezüge in der Lage, trotz seiner Behinderung für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, kommt der Behinderung wegen eigener Leistungsfähigkeit keine Bedeutung zu.
Ob das Kind zum Selbstunterhalt fähig ist, ist durch einen Vergleich zweier Rechengrößen zu ermitteln: Zunächst wird der gesamte existenzielle Lebensbedarf (Grundbedarf eines Nichtbehinderten zuzüglich individueller behinderungsbedingter Mehrbedarf, den gesunde Kinder nicht haben) festgestellt und diesem die dem Kind zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gegenübergestellt. Decken die finanziellen Mittel den Grundbedarf nicht voll mit ab, ist das Kind zum Selbstunterhalt außerstande und somit zu berücksichtigen. Übersteigen die kindeseigenen Mittel den behinderungsbedingten Mehrbedarf zuzüglich Grundfreibetrag, ist das Kind imstande, sich selbst zu unterhalten. Nach einer zweiten Methode, die zum selben Ergebnis führt, wird geprüft, ob die Einkünfte und Bezüge den Grundbedarf abdecken, vorher werden aber die gesamten behinderungsbedingten Bezüge eliminiert.
Der allgemeine Lebensbedarf (Grundbedarf) entspricht dem jeweils maßgebenden Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG i. H. v. 11.604 EUR ab Vz 2024 (Vz 2023: 10.908 EUR)
Der individuelle behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst die Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben (Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung, Erschwernisaufwendungen usw.). Er wird wie folgt angesetzt:
- Bei nicht vollstationär untergebrachten Kindern (z. B. in der Familie lebende und zu Hause gepflegte Kinder) kann, wenn die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen werden, der jeweils maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 EStG (§ 33b EStG Rz. 8ff.) angesetzt werden. Daneben können Fahrtkosten in angemessener Höhe geltend gemacht werden. Erhält das Kind bes. Leistungen Dritter, die einen behinderungsbedingten Mehrbedarf abdecken, z. B. Eingliederungshilfe oder Pflegegeld, kann der Pauschbetrag nicht zusätzlich als Mehrbedarf angesetzt werden, da mit dem Pauschbetrag abgegoltene Aufwendungen nicht nochmals durch Einzelnachweis geltend gemacht werden können.
- Statt des Behinderten-Pauschbetrags ist auch der Ansatz des Mehrbedarfs in nachgewiesener Höhe (Einzelnachweis) möglich. Bei häuslicher Pflege ist zu vermuten, dass zumindest ein Mehrbedarf in Höhe des gezahlten Pflegegelds entsteht. Zusätzlich können berücksichtigt werden persönliche Betreuungsleistungen der Eltern (Stundensatz von 10 EUR), soweit sie über die Grundversorgung eines gesunden Kindes bzw. die durch das Pflegegeld abgedeckte Grundpflege hinausgehen und amtsärztlich unbedingt erforderlich sind. Die Grundsätze zur Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs bei Zahlung von Pflegegeld gelten entsprechend, wenn Blindengeld gezahlt wird. Anstelle des Behinderten-Pauschbetrags kann als behinderungsbedingter Mehrbedarf das Blindengeld angesetzt werden, wenn es den Pauschbetrag übersteigt.
- Für Kinder, die teilstationär untergebracht sind, die z. B. tagsüber in einer Werkstatt für betreute Kinder arbeiten, besteht eine tatsächliche Vermutung, dass während der Zeit der häuslichen Pflege ein notwendiger Mehrbedarf zumindest in Höhe des gezahlten Pflegegelds besteht.
- Bei vollstationärer Unterbringung (z. B. in einem Heim) ist grds. der Einzelnachweis des behinderungsbedingten Mehraufwands erforderlich. Dieser erfolgt i. d. R. durch den Ansatz der Heimunterbringungskosten. Der Behinderten-Pauschbetrag kann nicht angesetzt werden, da die Heimkosten einen Teil der im Pauschbetrag berücksichtigten Kosten abdecken und der Ansatz der Heimkosten einem Einzelnachweis entspricht. Die Kosten der Heimunterbringung mindern nicht den Grundbedarf, sondern sind abzüglich des Taschengelds und des nach der SachBezV zu ermittelnden Werts der Verpflegung als behinderungsbedingter Mehrbedarf anzusetzen.
Rz. 81
Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge. Einkünfte sind solche i. S. v. § 2 Abs. 2 EStG. Zu den Bezügen gehören alle Einnahmen in Geld oder Naturalleistungen,...