Entscheidungsstichwort (Thema)
Reisekosten: Polizeirevier als erste Tätigkeitsstätte i. S. von § 9 Abs. 4 EStG?
Leitsatz (redaktionell)
- Die unbefristete Zuordnung eines Polizeibeamten im Streifendienst zu seiner Dienststelle (Revier) und die dortige Vornahme von Hilfs und/oder Nebentätigkeiten begründet eine „erste Tätigkeitsstätte” i. S. des Reisekostenrechts.
- Sucht der Polizeibeamte das Polizeirevier, dem er dienstrechtlich zugeordnet ist, arbeitstäglich auf und verrichtet er dort auf den Streifendienst vorbereitende bzw. ergänzende Tätigkeiten, so sind diese Neben bzw. Ersttätigkeiten für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichend.
- Für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (hier: Polizeirevier) steht dem Stpfl. daher nur die Entfernungspauschale zu.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist der Werbungskostenabzug von Fahrtkosten und von Verpflegungsmehraufwendungen im Jahr 2015.
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger ist als Polizeivollzugsbeamter bei der Polizei des Landes X beschäftigt. Laut einer von der Polizeidirektion Y ausgestellten Bescheinigung war der Kläger im Zeitraum 1995 bis 2004 Angehöriger der Verkehrspolizeiinspektion Y mit Dienstsitz in A. Seit Ende 2004 ist der Kläger laut o.g. Bescheinigung Angehöriger der Polizeiinspektion P und versieht seinen Dienst als Sachbearbeiter Einsatz- und Streifendienst am Sitz der Polizeiinspektion P in A.
In ihrer Einkommensteuererklärung 2015 begehrten die Kläger den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen des Klägers bei Auswärtstätigkeit mit einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden in Höhe von 1.380 € (115 x 12 €). Neben anderen Aufwendungen machten die Kläger auch Fahrtkosten des Klägers zu seiner Dienststelle an 180 Tagen mit der Entfernungspauschale in Höhe von 648 € geltend (180 x 12 km x 0,30 €).
Im Rahmen der Veranlagung erkannte der Beklagte die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht an. Die Fahrtkosten des Klägers zur Dienststelle berücksichtigte der Beklagte in Höhe der beantragten Entfernungspauschale (648 €).
Am 29. Mai 2016 legte der Kläger in seinem eigenen Namen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 25. Mai 2016 ein. Der Kläger verfasste das Einspruchsschreiben unter seinem Briefkopf, verwendete die Ich-Form, und der Kläger allein unterschrieb das Einspruchsschreiben. Der Kläger machte geltend, dass er als Polizeibeamter im Streifendienst Anspruch auf Verpflegungsmehraufwendungen habe, und zwar für alle Dienste, während derer er sich mehr als acht Stunden auf Streife befände. Dies sei bei allen Spät-, Nacht- und Wochenenddiensten des Klägers der Fall. Der Kläger verwies auf den - zu den Streitjahren 2011 und 2012 ergangenen - Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 9. November 2015; VI R 8/15, BFH/NV 2016, 196, mit dem der BFH entschieden hatte, dass ein Polizeibeamter im Streifendienst keine „regelmäßige Arbeitsstätte” innehabe und deshalb von einer Auswärtstätigkeit auszugehen sei, die zum Abzug von Mehraufwendungen für Verpflegung berechtige. Der Kläger fügte dem Einspruchsschreiben eine Übersicht bei, aus der für das Jahr 2015 die monatlich von dem Kläger geleisteten Schichten sowie die Art der jeweiligen Schicht hervorgehen. In dem Einspruchsschreiben machte der Kläger Angaben zur Dauer der in der Übersicht aufgeführten Schichtarten.
Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 21. Juni 2016 auf, eine Bescheinigung des Dienstherrn vorzulegen, aus der hervorgehe, dass der Kläger während der 115 Tage, für die Verpflegungsmehraufwand geltend gemacht werde, ununterbrochen von der Dienststelle abwesend war. Die ununterbrochene Abwesenheit sei anhand der eingereichten Unterlagen nicht nachgewiesen. Ergänzend führte der Beklagte mit Schreiben vom 29. Juni 2016 aus, dass der vom Kläger zitierte Beschluss des BFH zu der bis einschließlich 2013 geltenden Rechtslage ergangen sei und ab dem Veranlagungszeitraum 2014 die durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 (BGBl I, 285, BStBl I, 188) geltenden Vorschriften zu beachten seien. Aufgrund der neu in das Gesetz aufgenommenen Definition der „ersten Tätigkeitsstätte” (§ 9 Abs. 4 Einkommensteuergesetz -EStG-) sei davon auszugehen, dass der Kläger trotz seiner Tätigkeit im Streifendienst einer Dienststelle dauerhaft zugeordnet sei und somit ab 2014 über eine erste Tätigkeitstätte verfüge. Die Änderungen des Reisekostenrechts statuierten einen Vorrang des Dienst- bzw. Arbeitsrechts, nach dem die Zuordnung durch den Dienstherrn bzw. Arbeitgeber eine erste Tätigkeitsstätte begründe, auch wenn der Arbeitnehmer - wie vorliegend der Kläger - dort nur in geringem Umfang tätig werde und z.B. lediglich Hilfs- und Nebentätigkeiten erledige. Der Kläger sei einer bestimmten Dienststelle, der Polizeiinspektion P in A, zugeordnet und nehme...