Rz. 23
Das Erfordernis der Fortentwicklung/Fortbildung des Rechts galt schon nach der bisherigen Rspr. des BFH zu Abs. 2 a. F. (bis 2000) als Element der Klärungsbedürftigkeit. Es handelt sich um einen Spezialfall (Unterfall) des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gem. Abs. 2 Nr. 1.
Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung konkretisiert den Zulassungsgrund der Nr. 1. Insofern ist durch die Neufassung durch das 2. FGOÄndG ab 2001 (Rz. 1) keine Änderung eingetreten. Daher ist, wenn die Kriterien der Zulassung zur Rechtsfortbildung nicht vorliegen, die Zulassung zusätzlich unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung zu prüfen. Umgekehrt braucht die Zulassung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung nicht noch geprüft werden, wenn zuvor bereits die grundsätzliche Bedeutung abgelehnt wurde. Der Gedanke der Rechtsfortbildung ist lediglich ein Hauptanwendungsfall (Beispielsfall) einer Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Es muss sich somit auch hier um eine klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche und klärbare Rechtsfrage handeln, deren Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren zu erwarten ist.
Die zu der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung entwickelten Anforderungen gelten auch hier.
Rz. 24
Die Revisionszulassung zur Rechtsfortbildung setzt voraus, dass im Streitfall über bisher ungeklärte und klärbare, von den Umständen des Einzelfalls losgelöste abstrakte Rechtsfragen zu entscheiden ist und der Fall Veranlassung gibt, Grundsätze und Leitlinien (Leitsätze) für die Auslegung materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen oder wenn gegen eine bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung Argumente vorgetragen werden, die der BFH noch nicht erwogen hat bzw. wenn neue Gesichtspunkte zu Unsicherheiten in der Beantwortung der Rechtsfrage führen und eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen. Die Rechtsfrage muss im Streitfall klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die Rechtsfortbildung muss über den Streitfall hinaus im allgemeinen Interesse liegen. Diese Voraussetzungen decken sich mit denen der Grundsatzrevision.
Die zu entscheidende Rechtsfrage muss entscheidungserheblich (klärungsfähig) sein. Das setzt voraus, dass die Revisionsentscheidung von der Rechtsfrage und deren Klärung abhängt. Daran fehlt es z. B., wenn es nach Auffassung des FG auf die Frage nach dem Umfang der Wahrunterstellung des vom Kläger erwarteten Ergebnisses einer Beweisaufnahme nicht ankommen kann oder wenn sich die Frage selbst bei Anerkennung der vom Kläger vorgelegten Nachweise nicht stellen kann.
Eine Rechtsfortbildung durch die Entwicklung von Grundsätzen (Leitsätzen) für die Rechtsauslegung und Lückenfüllung setzt ferner voraus, dass die Rechtsfrage auch für die Entscheidung einer Vielzahl anderer Fälle bedeutsam ist – Klärungsbedürftigkeit. Auch insoweit ist ein allgemeines, über den Streitfall hinausgehendes Interesse erforderlich. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen. Dass die bisherige Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage noch keine Antwort geliefert hat, genügt dazu nicht. Denn von der Entscheidung über eine nur für den konkreten Einzelfall (Streitfall) bedeutsame Rechtsfrage können keine Impulse für die weitere Rechtsentwicklung ausgehen. Im Zweifel kann allerdings davon ausgegangen werden, dass im Steuerrecht auch eine Einzelfallentscheidung über den konkreten Streitfall hinausgehende Auswirkungen haben kann.
Rz. 25
Das Erfordernis einer Entscheidung des BFH ist nur dann zu bejahen, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "Ob" und ggf. nach dem "Wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist bzw. wenn es für die Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt oder wenn gegen eine bestehende höchstrichterliche Rspr. gewichtige Argumente vorgebracht worden sind, die der BFH noch nicht erwogen hat.
Diese Voraussetzungen entsprechen bereits den Anforderungen nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a. F. bzw. der Klärungsbedürftigkeit im Rahmen der grundsätzlichen Bedeutung (Rz. 19).