Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
Rz. 20
Sämtliche Vergünstigungen des § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG stehen unter dem Vorbehalt der Sperrklausel des § 6 Abs. 4 GrEStG. Danach sind die genannten Vergünstigungen insoweit ausgeschlossen, als der erwerbende Gesamthänder innerhalb von 5 Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat (§ 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG). Entsprechendes gilt auch insoweit, als die vom Beteiligungsverhältnis abweichende Auseinandersetzungsquote innerhalb der letzten 5 Jahre vor Auflösung der Gesamthand vereinbart worden ist (§ 6 Abs. 4 S. 2 GrEStG). Die letzte BFH-Entscheidung hierzu datiert vom 20.2.2019 (II R 28/15, BFH PR 2019, S. 264). Der BFH lehnte zu Recht eine Steuerbefreiung ab, weil die Frist des § 6 Abs. 4 GrEStG nicht eingehalten worden sei.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 1.7.2021 ist § 6 Abs. 4 GrEStG neu gefasst und verschärft worden. Danach ist die Begünstigung ausgeschlossen, wenn
1. ein Gesamthänder – im Fall der Erbfolge sein Rechtsvorgänger – innerhalb von 10 Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat,
2. die vom Beteiligungsverhältnis abweichende Auseinandersetzungsquote innerhalb der letzten 10 Jahre vor der Auflösung der Gesamthand vereinbart worden ist oder
3. bei einem Erwerbsvorgang i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Abs. 3a der Erwerber bzw. im Fall der Erbfolge sein Rechtsvorgänger innerhalb von 15 Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil am Vemögen der Personengesellschaft erstmals durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat, es sei denn, einer der Erwerbe der Anteile am Gesellschaftsvermögen durch diesen Erwerber – im Falle der Erbfolge durch seinen Rechtsvorgänger hat zu einem steurpflichtigen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2a geführt.
§ 6 Abs. 4 GrEStG dient der Verhinderung von Steuerumgehungen. Die Anwendung der Vorschrift ist jedoch nicht von der Absicht zur Steuerumgehung abhängig; daran hat auch die Neufassung nichts geändert. Die Voraussetzungen für ihre Anwendung sind schon dann erfüllt, wenn die in der Vorschrift bezeichneten äußeren Umstände tatsächlich vorliegen (vgl. BFH v. 14.12.2002, II R 31/01, BStBl II 2003, 319). Steuerumgehungen können sich daraus ergeben, dass ein – nicht der Grunderwerbsteuer unterliegender – Wechsel im Personenstand einer Gesamthand oder sonstige Beteiligungsveränderungen und eine anschließende Übernahme von Grundstücken aus dem Vermögen der Gesamthand durch einen der Gesellschafter nach § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG grunderwerbsteuerfrei erfolgen könnten. § 6 Abs. 4 GrEStG verhindert dies insoweit, als Veränderungen in den Beteiligungsverhältnissen oder bei der Auseinandersetzungsquote einer übertragenden Gesamthand, die sich in den letzten 5 Jahren vor dem Übergang eines Grundstücks vollzogen haben, bei der Frage der Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG unberücksichtigt bleiben. Ausschlaggebend für den Umfang der Steuerbefreiung ist dann das zuletzt mehr als 5 Jahre vor der Grundstücksübertragung bestehende Beteiligungsverhältnis bzw. die mehr als 5 Jahre vor der Auflösung der Gesamthand vereinbarte Auseinandersetzungsquote (vgl. BFH v. 18.5.1994, II R 119/90, BFH/NV 1995, 267). Kommt im Einzelfall § 6 Abs. 4 GrEStG zum Tragen, zieht dies damit keinen vollständigen Wegfall der bisherigen Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG nach sich. Vielmehr hat dies lediglich zur Folge, dass die konkrete Vereinbarung oder Änderung, die zur weitergehenden Vergünstigung nach § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG führt, als nicht existent betrachtet und damit neutralisiert wird (vgl. BFH v. 10.11.1965, II 53/62 U, BStBl III 1966, 41).
A, B und C und D sind an einer OHG zu je 25 % beteiligt. C und D treten 2010 aus der Gesellschaft aus, sodass sich die Beteiligung der beiden verbleibenden Gesamthänder A und B auf jeweils 50 % erhöht. 2012 erwirbt A von der OHG ein Grundstück. Die Grunderwerbsteuer bleibt nicht i. H. d. aktuellen Beteiligung des A an der OHG, sondern nur zu 25 % unerhoben.
Wird die Sperrfrist des § 6 Abs. 4 GrEStG nicht eingehalten, kann die Frage, ob die Steuervergünstigung des § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG zu versagen oder zu verringern ist, hinsichtlich des Grundstücks und eines darauf errichteten Gebäudes, die grunderwerbsteuerrechtlich eine Einheit i. S. d. § 2 GrEStG bilden, nur einheitlich beantwortet werden. Dies gilt für das miterworbene Gebäude auch dann, wenn dieses erst errichtet worden ist, nachdem der grundstückserwerbende Gesamthänder seine Beteiligung an der Gesellschaft erworben oder aufgestockt hat (vgl. BFH v.16.7.1997, II R 27/95, BStBl II 1997, 663).
Sind die Beteiligungsverhältnisse an der veräußernden Gesamthand seit dem Erwerb des Grundstücks durch diese unverändert geblieben, so ist die Steuervergünstigung zu gewähren, auch wenn die veräußernde Gesamthand noch keine 10 Jahre vor dem Erwerbsvorgang bestanden hat bzw. die veräußernde Gesamthand das Grundstück innerhalb ...