Entscheidungsstichwort (Thema)
Postulationsfähigkeit eines Verbandsvertreters. Satzung und Vollmacht als Grundlage der Vertretungsbefugnis. Auswahlfreiheit des Verbandes. Rückforderung überzahlter Vergütung. tariflicher Verfall des Rückzahlungsanspruchs und Treu und Glauben. Kenntnis der Überzahlung bei Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
§ 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sieht die Vollmacht als selbständige Grundlage neben der Satzung vor, um eine Vertretungsbefugnis zu begründen. Die Bevollmächtigung muss keine ausdrückliche Grundlage in der Satzung des Verbands haben. Es genügt, dass die vorgesehene Prozessvertretung im Rahmen des Verbandszwecks liegt.
Orientierungssatz
- § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sieht die Vollmacht als selbständige Grundlage neben der Satzung vor, um eine Vertretungsbefugnis zu begründen. Die Bevollmächtigung muss keine ausdrückliche Grundlage in der Satzung des Verbands haben. Es genügt, dass die vorgesehene Prozessvertretung im Rahmen des Verbandszwecks liegt (= Leitsätze).
- Die Auswahl des Vertreters liegt, von einem Rechtsmissbrauch abgesehen, allein in der Verantwortlichkeit des Verbandes.
- § 11 ArbGG schließt nicht aus, dass ein Arbeitgeberverband den Bediensteten eines seiner Mitglieder als Vertreter bestellt. Das gilt unabhängig davon, ob der Bedienstete das Mitglied auch anderweitig vor Gericht vertritt.
- Dem tariflichen Verfall des Anspruchs auf die Rückzahlung zuviel gezahlter Vergütung steht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen, wenn der Arbeitnehmer die Überzahlung erkannt und dem Arbeitgeber pflichtwidrig nicht angezeigt hat.
- Das pflichtwidrige Unterlassen muss für das Untätigbleiben des Arbeitgebers ursächlich sein. Eine Ursächlichkeit besteht nur so lange, wie der Arbeitgeber nicht anderweitig vom Tatbestand der Überzahlung Kenntnis erlangt. Dabei kommt es wie bei § 814 BGB auf die positive Kenntnis der Nichtschuld an.
Normenkette
ArbGG § 11; BGB § 26 Abs. 2 S. 2, §§ 242, 812, 814, 818-819; BAT § 70
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin fordert die Rückzahlung von Vergütung.
Die Beklagte arbeitete seit dem 1. Mai 2002 als ärztliche Gutachterin beim personalärztlichen Dienst der Klägerin. Sie war mit der Hälfte der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit beschäftigt und in VergGr. Ia BAT eingruppiert. Nach dem Arbeitsvertrag vom 8. Mai 2002 bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils geltenden Fassung.
Auf Grund einer fehlerhaften Eingabe in das Abrechnungssystem zahlte die Klägerin von Beginn des Arbeitsverhältnisses an Vollzeitvergütung statt der geschuldeten Teilzeitvergütung. Die der Beklagten erteilten Gehaltsabrechnungen enthielten keinen Hinweis auf den Umfang der Arbeitszeit.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2002 teilte die Klägerin der Beklagten mit, diese werde 2003 die Jahresverdienstgrenze überschreiten und nicht mehr der Krankenversicherungspflicht unterliegen. Nachdem die Klägerin den Eingabefehler in das Abrechnungssystem bemerkt hatte, forderte sie mit Schreiben vom 4. April 2003 die Überzahlungen für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis zum 31. März 2003 in Höhe von insgesamt 17.707,65 Euro zurück. Die Beklagte lehnte eine Rückzahlung ab und kündigte ihrerseits das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2003.
Die Klägerin hat mit der am 7. April 2004 erhobenen Klage beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 17.707,65 Euro netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf einen Wegfall der Bereicherung und auf die Ausschlussfrist des § 70 BAT berufen und hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen aufgerechnet. Das Vorliegen von Überzahlungen habe sie nicht erkannt.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 9.108,93 Euro (Zuvielzahlungen für die Monate Oktober 2002 bis März 2003) nebst Zinsen iHv. von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. April 2004 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Rückzahlungsansprüche für die Vormonate seien verfallen.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung der Klägerin ist jeweils mit Schriftsatz der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. eingelegt und begründet und von dem Prozessbevollmächtigten J… W… unterzeichnet worden. Die Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg e.V. hatte Herrn W… am 19. Februar 2003 schriftlich eine allgemeine Vollmacht erteilt, die Arbeitsrechtliche Vereinigung vor den Arbeitsgerichten, Landesarbeitsgerichten und dem Bundesverwaltungsgericht zu vertreten und Prozesse für die Vereinigung, ihre Mitglieder und deren Dienststellen zu führen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht für die Klägerin zugelassenen Revision begehrt die Klägerin weiterhin Zahlung des vom Arbeitsgericht abgewiesenen Betrags iHv. 8.598,72 Euro nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache, soweit das Landesarbeitsgericht über die Berufung der Klägerin entschieden hat.
I. Die Berufung der Klägerin ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat die Postulationsfähigkeit des Prozessbevollmächtigten J… W… der Klägerin zu Unrecht verneint.
1. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG können sich die Parteien vor den Landesarbeitsgerichten durch Vertreter von Vereinigungen von Arbeitgebern als Prozessbevollmächtigte vertreten lassen, wenn diese kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der Verband oder dessen Mitglieder Partei sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle erfüllt.
a) Die Klägerin ist Mitglied der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. Bei dieser Vereinigung handelt es sich um einen tariffähigen Arbeitgeberverband, der nach § 4 Abs. 2 seiner Satzung den Abschluss von Tarifverträgen bezweckt. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG Tariffähigkeit und Tarifwilligkeit des Verbands voraussetzt (vgl. hierzu BAG 16. November 1989 – 8 AZR 368/88 – BAGE 63, 255, 258 f.; 20. Februar 1986 – 6 AZR 236/84 – BAGE 51, 163, 165 f.).
b) Der Prozessbevollmächtigte J… W… der Klägerin war nicht kraft Satzung der Arbeitsrechtlichen Vereinigung zur Vertretung befugt. Die Satzung gewährt keine Befugnisse zur Vertretung in Rechtsstreitigkeiten zu Gunsten einzelner Personen oder bestimmter Personengruppen. Sie umschreibt nur allgemein die Aufgaben des Verbands (§§ 4, 8) und regelt die gerichtliche Vertretung der Vereinigung selbst (§ 16 Abs. 2). Das steht auch zwischen den Parteien außer Streit.
c) § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sieht die Vollmacht als selbständige Grundlage neben der Satzung vor, um eine Vertretungsbefugnis zu begründen. Der Verbandsvertreter muss kraft Satzung oder kraft Vollmacht des Verbands zur Vertretung befugt sein (BAG 28. April 2004 – 10 AZR 469/03 – BAGE 110, 248, 250). Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes. Die Verbände können die Bedeutung, die der Rechtsschutzgewährung zukommen soll, autonom festlegen. Ihnen bleibt es überlassen, ob sie eine regelmäßig mehr allgemein und abstrakt gefasste Vertretungsbefugnis durch Satzung einräumen oder konkrete, unter Umständen auf Einzelfälle bezogene Bevollmächtigungen vornehmen. Entscheidend ist, dass eine ausdrückliche und eindeutige Willensentschließung des Organverbandes vorliegt (vgl. Schwab/Weth ArbGG § 11 Rn. 15; GMPM-G/Germelmann ArbGG 5. Aufl. § 11 Rn. 78, 79 ff.; Hauck/Helml ArbGG 3. Aufl. § 11 Rn. 20; BCF/Bader ArbGG 4. Aufl. § 11 Rn. 12; GK-ArbGG/Bader Stand Juli 2006 § 11 Rn. 79 ff.; Grunsky ArbGG 7. Aufl. § 11 Rn. 10; ErfK/Koch 6. Aufl. § 11 ArbGG Rn. 9; Düwell/Lipke/Wolmerath ArbGG 2. Aufl. § 11 Rn. 6). Die Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg e.V. hatte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine derartige Vollmacht zur Vertretung und Prozessführung ua. vor den Landesarbeitsgerichten am 19. Februar 2003 erteilt.
d) Die Erteilung der Vollmacht an den Prozessbevollmächtigten verstieß nicht gegen die Satzung der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. Nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB kann der Umfang der Vertretungsmacht des Vorstands durch die Satzung mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. Die Satzung hat dann, aber auch nur dann, Außenwirkung. Die Beschränkung der Vertretungsmacht muss sich nach Art und Umfang eindeutig aus der Satzungsbestimmung ergeben und hinreichend bestimmt sein. Anderenfalls kommt ihr nur vereinsinterne Bedeutung zu (BGH 28. April 1980 – II ZR 193/79 – NJW 1980, 2799, 2800; Staudinger/Weick (2005) § 26 Rn. 11 mwN). Der Satzung der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. ist nicht zu entnehmen, dass die Vertretungsmacht des Vorstands hinsichtlich der Bevollmächtigung nach § 11 ArbGG beschränkt sei. Im Übrigen kommt es auf satzungsmäßige Beschränkungen des Verbands zur Gewährung von Rechtsschutz für seine Mitglieder nicht an (BAG 28. April 2004 – 10 AZR 469/03 – BAGE 110, 248, 251). Die Bevollmächtigung muss keinesfalls eine ausdrückliche Grundlage in der Satzung des Verbands haben. Es genügt, dass die vorgesehene Prozessvertretung im Rahmen des Verbandszwecks liegt (vgl. BAG 20. November 1997 – 2 AZR 52/97 – AP ArbGG 1979 § 11 Prozessvertreter Nr. 15 = EzA ArbGG 1979 § 11 Nr. 14, zu II 1 der Gründe; 20. Februar 1986 – 6 AZR 236/84 – BAGE 51, 163, 166; GK-ArbGG/Bader § 11 Rn. 85; GMPM-G/Germelmann ArbGG 5. Aufl. § 11 Rn. 82; ErfK/Koch 6. Aufl. § 11 ArbGG Rn. 9). Das ist hier der Fall. Der Zweck der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. als Arbeitgeberverband, nämlich die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der Mitglieder als Arbeitgeber gegenüber deren Arbeitnehmern (§ 4 Abs. 1 der Satzung vom 19. Dezember 1991), steht einer Rechtsschutzgewährung nicht entgegen.
e) Der Prozessbevollmächtigte J… W… konnte als Beamter der Klägerin Vertreter der Arbeitgebervereinigung iSv. § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sein.
aa) Vertreter von Vereinigungen sind die Personen, denen die Vertretungsbefugnis kraft Satzung oder kraft Vollmacht der Vereinigung eingeräumt worden ist. Es ist Sache des Verbands, die geeigneten Personen zu beauftragen. Durch die Beauftragung bringt der Verband zum Ausdruck, dass der Vertreter zu einer interessen- und sachgerechten Vertretung der Verbandsmitglieder in der Lage ist (BAG 16. November 1989 – 8 AZR 368/88 – BAGE 63, 255, 258; 13. Oktober 1982 – 5 AZR 65/81 – BAGE 40, 228, 232). Der Verbandsvertreter muss weder Mitglied des Verbands sein noch in einem Arbeitsverhältnis zu diesem stehen oder die Befugnis zu rechtsgeschäftlichen Erklärungen für ihn besitzen (GK-ArbGG/Bader § 11 Rn. 71; GMPM-G/Germelmann § 11 Rn. 77; Grunsky § 11 Rn. 10; Schwab/Weth § 11 Rn. 14). Auch Rechtsanwälte, Verbandssyndici oder Referendare können hierunter fallen (GK-ArbGG/Bader § 11 Rn. 82; GMPM-G/Germelmann § 11 Rn. 81; Grunsky § 11 Rn. 12; Hauck/Helml § 11 Rn. 20). Gesetzliche Regelungen über besondere persönliche Voraussetzungen oder über den Ausschluss bestimmter Personen oder Personengruppen bestehen nicht.
bb) Danach bestehen gegen die Beauftragung von Herrn W…, der Bediensteter im Justitiariat des Personalamts der Klägerin ist und in dieser Eigenschaft die Klägerin bereits erstinstanzlich vertreten hatte, keine durchgreifenden Bedenken. Es handelt sich nicht um eine unzulässige Umgehung des § 11 Abs. 2 ArbGG. Diese Norm verlangt weder einen Wechsel des Prozessvertreters noch eine “besondere Vertretungskompetenz”. Der Prozessbevollmächtigte wurde in zweiter Instanz als Verbandsvertreter und nicht als Beamter der Klägerin tätig. Maßgebend sind allein die gesetzlich normierten formalen Voraussetzungen der Postulationsfähigkeit. Diese liegen vor. Eine Einschränkung der Postulationsfähigkeit vor dem Hintergrund eines nicht näher fassbaren Gesetzeszwecks kommt nicht in Betracht; denn § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG stellt bewusst auf leicht feststellbare und nachweisbare formale Voraussetzungen ab, damit die Postulationsfähigkeit des Verbandsvertreters ähnlich der des Rechtsanwalts im Interesse der Rechtssicherheit und einer geordneten Rechtspflege klar und eindeutig bestimmbar ist und nicht von schwierigen Auslegungsfragen abhängt. Die Auswahl des Vertreters liegt, von einem Rechtsmissbrauch abgesehen, allein in der Verantwortlichkeit des Verbands.
2. Die weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin nach den §§ 64, 66 ArbGG liegen ebenfalls vor.
II. Ob die Berufung der Klägerin begründet ist, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen.
1. Die Klägerin hat der Beklagten für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis zum 30. September 2002 8.598,72 Euro zuviel Gehalt gezahlt. In dieser Höhe sind Rückzahlungsansprüche der Klägerin gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB entstanden.
2. Nach § 818 Abs. 3 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist (vgl. hierzu Senat 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – BAGE 97, 326, 330 ff.; BAG 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – BAGE 80, 144, 147 f.). Das Arbeitsgericht hat einen Wegfall der Bereicherung mangels eines substantiierten Vortrags der Beklagten verneint. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, einem Wegfall der Bereicherung stünden § 819, § 818 Abs. 4 BGB entgegen, die Beklagte habe die Überzahlung gekannt. Das Landesarbeitsgericht hat dies aber nur im Rahmen der Berufung der Beklagten, also für die nachfolgenden Monate Oktober 2002 bis März 2003 entschieden. Im Übrigen hat es keine Feststellungen getroffen. Das wird ggf. nachzuholen sein.
3. Ob noch bestehende Rückzahlungsansprüche gem. § 70 BAT verfallen sind, lässt sich nicht abschließend entscheiden.
a) Die Rückforderung ist jeweils mit der Überzahlung fällig geworden, da der Klägerin die maßgeblichen Berechnungsgrundlagen bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. BAG 10. März 2005 – 6 AZR 217/04 – AP BAT § 70 Nr. 38 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 176, zu I 1a der Gründe; 19. Februar 2004 – 6 AZR 664/02 – AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 174, zu I 4b aa der Gründe; 23. Mai 2001 – 5 AZR 374/99 – BAGE 98, 25, 32; 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – BAGE 80, 144, 148 f.). Ab der Fälligkeit lief die sechsmonatige Ausschlussfrist des § 70 BAT (vgl. nur BAG 10. März 2005 – 6 AZR 217/04 – aaO, zu I 1 der Gründe mwN). Bei Zugang der schriftlichen Geltendmachung vom 4. April 2003 waren seit den bis einschließlich September 2002 erfolgten Überzahlungen mehr als sechs Monate vergangen.
b) Dem Verfall der Ansprüche steht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber aktiv von der Einhaltung der Ausschlussfrist abhält. Dasselbe gilt, wenn er pflichtwidrig die Mitteilung von Umständen unterlässt, die den Arbeitgeber zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlassen würden. Eine pflichtwidrige Unterlassung ist in der Regel anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer eine erhebliche Überzahlung nicht anzeigt, obwohl er erkennt, dass dem Arbeitgeber bei der Berechnung der Vergütung ein Irrtum unterlaufen ist (BAG 10. März 2005 – 6 AZR 217/04 – AP BAT § 70 Nr. 38 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 176, zu II 1 der Gründe; 23. Mai 2001 – 5 AZR 374/99 – BAGE 98, 25, 32; 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – BAGE 80, 144, 150 f., jeweils mwN). Ob die subjektiven Voraussetzungen eines treuwidrigen Unterlassens in den Monaten Mai 2002 bis September 2002 bei der Beklagten vorlagen, hat das Landesarbeitsgericht noch festzustellen. Nur wenn es sich nach den festgestellten Umständen nicht davon überzeugen kann, dass die Beklagte das Vorliegen einer irrtümlichen Überzahlung erkannt hat, geht das zu Lasten der Klägerin.
c) Die Anwendung von Treu und Glauben gegenüber der Ausschlusswirkung der Verfallklausel setzt voraus, dass das pflichtwidrige Unterlassen des Arbeitnehmers für das Untätigbleiben des Arbeitgebers ursächlich wird. Das ist nur so lange der Fall, wie der Arbeitgeber nicht etwa anderweitig vom Tatbestand der Überzahlung Kenntnis erlangt. Ab Kenntniserlangung muss der Arbeitgeber den Anspruch kurzfristig geltend machen (vgl. BAG 10. März 2005 – 6 AZR 217/04 – AP BAT § 70 Nr. 38 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 176, zu II 2b aa der Gründe mwN). Das entspricht dem Rechtsgedanken des § 814 BGB, wonach das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Kenntnis der Nichtschuld ist hier wie dort in einem gleichen Sinne zu verstehen. Der Leistende muss, ggf. auf Grund einer “Parallelwertung in der Laiensphäre”, wissen, dass er das Geleistete nach der Rechtslage nicht schuldet (Senat 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04 – AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1, zu III 2a der Gründe; 1. Februar 2006 – 5 AZR 395/05 – ZTR 2006, 319; BGH 28. November 1990 – XII ZR 130/89 – BGHZ 113, 62, 70; 7. Mai 1997 – IV ZR 35/96 – NJW 1997, 2381, 2382, zu I 4a der Gründe). Abzustellen ist auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters der Klägerin, eines Mitarbeiters mit Personalverantwortung oder einer sonstigen Person, die nach der Arbeitsorganisation der Klägerin dazu berufen ist, die Vergütungsangelegenheiten der Beklagten in eigener Verantwortung zu erledigen (vgl. BGH 24. Januar 1992 – V ZR 262/90 – BGHZ 117, 104, zu II 3a der Gründe; 25. März 1982 – VII ZR 60/81 – BGHZ 83, 293, zu III 3a der Gründe).
Wann die Klägerin von den Überzahlungen Kenntnis erlangt hat, steht nicht fest. Entgegen der Darstellung der Beklagten in der Revisionserwiderung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, die Klägerin habe die Überzahlung bereits am 5. Dezember 2002 erkannt. Der Zusammenhang zwischen dem Schreiben vom 5. Dezember 2002 und der Entdeckung des Eingabefehlers ist nicht geklärt. Vielmehr hat die Klägerin bis einschließlich März 2003 Vollzeitvergütung geleistet, am 2. April 2003 geänderte Verdienstabrechnungen erstellt und die Überzahlungen am 3. April 2003 telefonisch bzw. am 4. April 2003 schriftlich geltend gemacht. Die Beklagte trägt die Beweislast hinsichtlich einer Kenntnis der Klägerin. Allerdings hat die Klägerin im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast zur Aufdeckung des Eingabefehlers vorzutragen, wenn die Beklagte sich auf eine Kenntnis der Klägerin beruft.
4. Die Ausführungen der Vorinstanzen zur Aufrechnung der Beklagten mit Schadensersatzansprüchen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Ein Schadensersatzanspruch setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung der Klägerin voraus (§ 280 Abs. 1 BGB). Bereits hierfür bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte. Jedenfalls wäre ein überwiegendes Mitverschulden der Beklagten (§ 254 BGB) anzunehmen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Hinrichs, Sappa
Fundstellen
Haufe-Index 1624882 |
BAGE 2008, 225 |
BB 2006, 2760 |
DB 2006, 2640 |