Entscheidungsstichwort (Thema)
Entzug der Aufgaben einer vorläufig bestellten stellvertretenden Schulleiterin
Leitsatz (amtlich)
1. Es widerspricht billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB, wenn der Arbeitgeber den Entzug der Aufgaben einer vorläufig bestellten stellvertretenden Schulleiterin auf mehr als zwei Jahre zurückliegende Vorfälle stützt, die er seinerzeit abgemahnt hat.
2. Für eine weiterhin nur vorübergehende Übertragung höherwertiger Tätigkeiten nach § 24 BAT-O besteht nach mehr als vier Jahren regelmäßig kein sachlicher Grund mehr.
Normenkette
BGB § 315 Abs. 3; ZPO § 256; BAT-O § 24
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 12.02.1997; Aktenzeichen 9 Sa 902/96) |
ArbG Leipzig (Urteil vom 22.07.1996; Aktenzeichen 15 Ca 13248/95) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 12. Februar 1997 – 9 Sa 902/96 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 22. Juli 1996 – 15 Ca 13248/95 – abgeändert:
Es wird festgestellt, daß die Klägerin durch das Schreiben des beklagten Landes vom 20. Oktober 1995 von ihrer Funktion als stellvertretende Schulleiterin der Mittelschule L nicht wirksam entbunden worden ist.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin wirksam von den Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin entbunden worden ist.
Die 37-jährige Klägerin ist seit dem 1. August 1983 als Lehrerin tätig. Mit „Ernennungsurkunde” vom 1. September 1990 wurde sie vom damaligen Schulamt L zur stellvertretenden Direktorin der Oberschule der Stadt L ernannt. Am 28. September 1990 schlossen die Klägerin und die Stadt L einen Vertrag zur Ergänzung des bestehenden Arbeitsvertrages. Danach wurde die Klägerin „vom 01.09.1990 bis 31.08.1992 zum stellv. Direktor der Oberschule” ernannt.
Mit „Änderungsvertrag” vom 29. August 1991 stellten die Parteien ihre rechtlichen Beziehungen auf eine neue vertragliche Grundlage und erklärten den BAT-O für anwendbar.
Durch Rechtsverordnung des Kultusministeriums des beklagten Landes vom 30. Juni 1992 wurden landesweit alle Polytechnischen Oberschulen und Erweiterten Oberschulen zum 31. Juli 1992 aufgelöst. An ihre Stelle traten die im Schulgesetz des beklagten Landes aufgeführten Schulen. Die Klägerin hatte sich im Hinblick darauf um eine Stelle als stellvertretende Schulleiterin der nunmehr Mittelschule L beworben. Mit Schreiben vom 22. Juni 1992 teilte ihr das Oberschulamt mit, es sei nicht möglich gewesen, das Stellenbesetzungsverfahren rechtzeitig zu Beginn des neuen Schuljahres abzuschließen. In dem Schreiben heißt es weiter:
„Nach Abschluß des Überprüfungsverfahrens wurde dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus berichtet und darum gebeten, Ihnen diese Funktionsstelle zu übertragen. Hierzu ist u.a. das personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren unter Einbeziehung des Hauptpersonalrates erforderlich.
Da zur Sicherstellung eines geordneten Schuljahresanfangs Ihre Dienstaufnahme in der o.a. Funktion jedoch unverzichtbar ist, beauftrage ich Sie im Einvernehmen mit dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus mit der Wahrnehmung dieser Dienstgeschäfte. Die endgültige Berufung erfolgt mit Beginn des neuen Schuljahres durch das SMK.”
Auf der Grundlage einer „Anlage zum Änderungsvertrag vom 29. 08.1991” erhielt die Klägerin mit Wirkung vom 1. August 1992 „für die Dauer der Tätigkeit als stellvertretende Schulleiterin einer Mittelschule mit 477 Schülern” eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen ihrer Vergütung und der Vergütung nach VergGr. I b BAT-O.
Im November 1992 stimmte der Hauptpersonalrat der Ernennung der Klägerin zur stellvertretenden Schulleiterin zu.
Ende Oktober 1992 erklärte das beklagte Land gegenüber einer Kollegin der Klägerin die Kündigung. Der Schulleiter und die Klägerin nahmen dazu in einem Schreiben an den Prozeßbevollmächtigten der Lehrerin Stellung. Die Klägerin war überdies bei der öffentlichen Sitzung des Arbeitsgerichts anwesend, als dieses am 29. April 1993 über die Kündigungsschutzklage der Lehrerin verhandelte. Mit Schreiben vom 19. Mai 1993 wurde die Klägerin wegen ihres Verhaltens abgemahnt. Das beklagte Land warf ihr vor, die angeblichen Mängel des Kündigungsverfahrens nicht dem Oberschulamt vorgetragen zu haben. Damit habe sie gegen ihre Treuepflichten verstoßen und müsse im Wiederholungsfall mit der „Einleitung eines ggf. fristlosen Abberufungs- oder Kündigungsverfahrens rechnen”.
Am 1. November 1994 wurden der Klägerin wegen der fristlosen Entlassung des bisherigen Stelleninhabers kommissarisch die Aufgaben einer Schulleiterin übertragen.
Am 20. Oktober 1995 richtete das Oberschulamt an die Klägerin ein Schreiben folgenden Wortlauts:
„Sie wurden bislang nicht zur stellvertretenden Schulleiterin der Schule, Mittelschule, L bestellt. Das Sächsische Staatsministerium für Kultus prüfte nochmals die Gründe für Ihre bisher unterbliebene Bestellung zur stellvertretenden Schulleiterin.
Diese Überprüfung ergab, daß Sie als Arbeitnehmerin gegen die Ihnen obliegende Treuepflicht gegenüber Ihrem Arbeitgeber, dem Freistaat Sachsen, verstoßen haben und es berechtigte Zweifel an Ihrer Loyalität gibt. Sie haben in einem Kündigungsverfahren unter Umgehung des Dienstweges und Nichteinhaltung dienstlicher Weisungen dem Prozeßbevollmächtigten der Klagepartei ein unterstützendes Schreiben mit Datum vom 24.11.1992 überreicht. Weiterhin haben Sie in der Kammerverhandlung am 29.04.1993 als stellvertretende Schulleiterin der Klägerin gegen den Freistaat Sachsen schon vor der Verhandlung viel Erfolg gewünscht und ihr während der Verhandlung, offenbar während der Unterrichtszeit, Solidaritätsbekundungen zukommen lassen, die das übliche Maß bei weitem sprengten. …
Wegen mangelnder Treuepflicht gegenüber Ihrem Arbeitgeber, dem Freistaat Sachsen, muß eine persönliche Nichteignung für eine leitende Funktion im öffentlichen Dienst festgestellt werden.
Das Oberschulamt L teilt Ihnen mit, daß Sie mit Wirkung vom 01.11.1995 von der Wahrnehmung Ihrer Aufgaben als stellvertretende Schulleiterin der Schule, Mittelschule, L entbunden werden.”
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, auf diese Weise hätten ihr die Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin nicht entzogen werden können. Zum einen habe das beklagte Land – unstreitig – die zuständige Personalvertretung nicht beteiligt. Zum anderen habe sich ihr Arbeitsverhältnis durch die zeitliche Dauer ihrer entsprechenden Tätigkeit auf das einer stellvertretenden Schulleiterin konkretisiert, zumindest sei die zunächst vorläufige Bestellung zur stellvertretenden Schulleiterin dadurch zu einer – nur noch durch Änderungskündigung zu beseitigenden – endgültigen geworden. Selbst wenn ein Entzug ihrer Aufgaben noch im Wege des Direktionsrechts möglich gewesen sein sollte, habe das beklagte Land mit dessen Ausübung rechtsmißbräuchlich gehandelt.
Die Klägerin hat – soweit noch von Interesse – beantragt
festzustellen, daß sie nicht durch das Schreiben des Beklagten vom 20. Oktober 1995 wirksam zum 1. November 1995 von der Funktion als stellvertretende Schulleiterin der Mittelschule in L entbunden wurde;
hilfsweise
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis mit ihrer Beschäftigung als stellvertretende Schulleiterin der Mittelschule in L – höchst hilfsweise: einer Mittelschule – besteht.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Im Wege des Direktionsrechts habe es – mitbestimmungsfrei – die der Klägerin vorübergehend übertragene höherwertige Tätigkeit auf die vertraglich vereinbarte Tätigkeit zurückführen dürfen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Stellen eines Schulleiters und stellvertretenden Schulleiters hat das beklagte Land mittlerweile neu ausgeschrieben. Die Klägerin hat sich auf beide Funktionen beworben. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat waren die Besetzungsverfahren noch nicht abgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat die Stellung einer stellvertretenden Schulleiterin der Mittelschule in L inne. Daran vermochte das Schreiben des beklagten Landes vom 20. Oktober 1995 nichts zu ändern.
I. Der Hauptantrag der Klage bedarf der Auslegung. Er ist auf die Feststellung gerichtet, daß die Klägerin durch das Schreiben vom 20. Oktober 1995 nicht wirksam „von der Funktion als stellvertretende Schulleiterin” der Mittelschule L entbunden wurde. Aus dem Antrag geht nicht eindeutig hervor, ob die Klägerin als ihre bisherige Funktion die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als – nur kommissarische – stellvertretende Schulleiterin oder die Tätigkeit einer endgültig bestellten stellvertretenden Schulleiterin ansieht. In der zum Verständnis ihres Klageantrags heranzuziehenden Klagebegründung trägt sie vor, ihr Arbeitsverhältnis habe sich auf das einer stellvertretenden Schulleiterin konkretisiert. Den in der Berufungsinstanz erstmals gestellten Hilfsantrag begründet sie zudem damit, falls das Gericht „dem Hauptantrag eine zu starke verwaltungsrechtliche Komponente beimessen” sollte, solle dieser klarstellen, daß es im vorliegenden Verfahren „ausschließlich um die Feststellung der arbeitsgerichtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, also die Konkretisierung (ihrer) Tätigkeit als stellvertretende Schulleiterin” gehe. Die Klägerin will mit Haupt- und Hilfsantrag erkennbar keine inhaltliche Abstufung verbunden wissen. Der Hauptantrag ist deshalb dahin auszulegen, daß die Klägerin festgestellt wissen möchte, ihr sei die Funktion einer endgültig bestellten stellvertretenden Schulleiterin nicht wirksam entzogen worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien im übrigen übereinstimmend erklärt, daß sie das Begehren der Klägerin in diesem Sinne verstanden haben. Aus dem Inhalt des Hilfsantrags wird zugleich deutlich, daß es der Klägerin nicht auf die Feststellung eines bestimmten Zeitpunkts ankommt, ab welchem sie als endgültig bestellte stellvertretende Schulleiterin anzusehen sei. Sie möchte festgestellt wissen, daß das Schreiben des beklagten Landes vom 20. Oktober 1995 ihre damalige rechtliche Stellung nicht geändert hat und diese jedenfalls mittlerweile, d. h. bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht als letzter Tatsacheninstanz die einer endgültig bestellten stellvertretenden Schulleiterin sei.
II. Der Hauptantrag ist zulässig. Die Klägerin hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse i.S. des § 256 ZPO. Dies haben die Vorinstanzen zu Recht angenommen. Zwar muß ein Feststellungsantrag i.S. des § 256 ZPO auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein. Damit soll jedoch nur ausgeschlossen werden, daß einzelne Vorfragen oder Elemente eines Rechtsverhältnisses und abstrakte Rechtsfragen zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden (BAG, AP Nr. 19, 24 zu § 256 ZPO; BGHZ 22, 43, 48; 68, 331). Als Rechtsverhältnis i.S. des § 256 ZPO wird deshalb auch der einzelne aus ihm entspringende Anspruch angesehen (BAGE 47, 314, 318; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 7, m.w.N.). Mit ihrem Hauptantrag begehrt die Klägerin eine gerichtliche Entscheidung darüber, ob sie beanspruchen kann, weiterhin als stellvertretende Schulleiterin eingesetzt zu werden. Die Parteien streiten deshalb über das Bestehen einer konkreten Anspruchs- und Pflichtenbeziehung.
III. Der Hauptantrag ist begründet. Zwar spricht vieles dafür, daß die Klägerin bei Zugang des Schreibens vom 20. Oktober 1995 rechtlich noch nicht als endgültig bestellte, sondern weiterhin nur als vorläufig eingesetzte stellvertretende Schulleiterin anzusehen war. Um ihr diesen Status wieder zu entziehen, hätte es einer Änderungskündigung dann nicht bedurft. Die entsprechende Ausübung des Direktionsrechts des beklagten Landes hält jedoch einer Billigkeitskontrolle nicht stand. Das Schreiben vom 20. Oktober 1995 hat deshalb die arbeitsrechtliche Stellung der Klägerin nicht verändert. Zumindest bis zum Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung am 17. Dezember 1996 hat sie die Rechtsposition einer endgültig bestellten stellvertretenden Schulleiterin erlangt.
1. Daß die Klägerin materiell-rechtlich schon bei Zugang des Schreibens vom 20. Oktober 1995 endgültig bestellte stellvertretende Schulleiterin war, ist zumindest zweifelhaft.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß ein Status der Klägerin als endgültig bestellte stellvertretende Schulleiterin nicht mehr aus der Ernennung vom 1. September 1990 herzuleiten ist. Diesen Status hat die Klägerin zwar nicht durch die Bestimmungen der Verordnung über die Aufhebung der Polytechnischen Oberschulen und Erweiterten Oberschulen vom 30. Juni 1992 verloren. Die öffentlich-rechtliche Umwandlung der bisherigen Schultypen in diejenigen des geltenden Sächsischen Schulgesetzes entfaltet arbeitsvertraglich keine unmittelbare Wirkung (BAG Urteil vom 25. Februar 1998 – 7 AZR 523/96 – unter B I 2 der Gründe). Die Ernennung zur stellvertretenden Schulleiterin war jedoch gemäß Vertrag vom 28. September 1990 befristet für die Zeit bis zum 31. August 1992. Die Wirksamkeit der Befristungsabrede hat die Klägerin nicht in Frage gestellt hat.
b) Für eine endgültige Ernennung zur stellvertretenden Schulleiterin vermag sich die Klägerin auch nicht auf das Schreiben des Oberschulamts vom 22. Juni 1992 zu berufen. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Schreiben dahin ausgelegt, daß es nicht schon selbst eine solche Ernennung enthält, sondern daß die Klägerin darüber unterrichtet worden ist, eine „endgültige Berufung” werde noch erfolgen. Die Ernennung sei darin auch nicht aufschiebend bedingt durch die Zustimmung des Personalrats erklärt worden. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie wird im übrigen von der Klägerin nicht gerügt.
c) Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat sich ebensowenig auf eine Tätigkeit der Klägerin als stellvertretende Schulleiterin konkretisiert. Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, macht die Klägerin nicht geltend, sie schulde nur noch einen Ausschnitt der regulären Aufgaben einer Lehrerin. Sie bringt statt dessen vor, sie schulde (höherwertige) Aufgaben außerhalb des Pflichtenkreises einer Lehrerin. Dies ist kein Fall der „Konkretisierung” von Arbeitspflichten.
d) Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, die nur vorläufige und vorübergehende Übertragung der Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin auf die Klägerin habe auch noch im Oktober 1995 nicht gegen § 24 BAT-O verstoßen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen folgende Gesichtspunkte:
aa) Die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit zum Zwecke der Durchführung eines Bewerbungsverfahrens und der endgültigen Entscheidungsfindung der Einstellungsbehörde fällt unter § 24 BAT-O. Die vorläufige Betrauung der Klägerin mit den Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin diente diesem Zweck. Sie war deshalb anfänglich zulässig.
bb) Mit zunehmender Dauer der vorläufigen Übertragung bedarf es aber für ihre Beibehaltung entsprechender sachlicher Gründe. Anderenfalls kann diese sich als rechtsmißbräuchlich erweisen. Im Streitfall steht die Dauer der vorläufigen Bestellung der Klägerin der Annahme, daß für sie auch im Oktober 1995 noch ein sachlicher Grund bestand, jedenfalls nicht zwingend entgegen. Infolge der Wiedervereinigung war im Gebiet der ehemaligen DDR und den dort neu entstandenen Ländern das Schulwesen neu zu ordnen und sämtliche Lehrkräfte waren der Prüfung ihrer persönlichen und fachlichen Eignung zu unterziehen. Angesichts dessen erscheint ein Zeitraum von zwei oder sogar drei Schuljahren nicht von vornherein geeignet, den sachlichen Grund für eine bloß vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit im Sinne des § 24 BAT-O in Frage zu stellen. Gerade im Schuldienst ist erst durch eine Beobachtung über einen hinreichend langen Zeitraum feststellbar, wer für eine Leitungsfunktion in Betracht kommt (BAG Urteil vom 17. Dezember 1997 – 5 AZR 332/96 – unter III 2 der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt). Auch wenn das Oberschulamt und der zuständige Personalrat die Einstellung der Klägerin befürwortet haben, war das zur Letztentscheidung befugte Kultusministerium des beklagten Landes nicht gehindert, die Eignung der Klägerin weitergehend zu überprüfen. Die nur vorläufige Übertragung der Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin auf die Klägerin war deshalb bei Zugang des Schreibens vom 20. Oktober 1995 möglicherweise sachlich noch gerechtfertigt. Ob dies im Streitfall wegen besonderer Umstände, etwa der im November 1994 erfolgten kommissarischen Übertragung der Schulleitung, anders zu sehen ist, kann aber dahinstehen.
2. Denn auch wenn zugunsten des beklagten Landes unterstellt wird, daß die Klägerin im Oktober 1995 weiterhin nur kommissarisch bestellte stellvertretende Schulleiterin war, erweist sich ihre Abberufung aus dieser Funktion als rechtswidrig. Das beklagte Land hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sein Weisungsrecht nicht entsprechend billigem Ermessen ausgeübt.
a) Das Weisungsrecht ermöglicht dem Arbeitgeber, eine im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers im einzelnen näher zu bestimmen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist wesentlicher Inhalt eines jeden Arbeitsverhältnisses. Es findet seine Grundlagen und Grenzen im Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Einzelarbeitsvertrag. Es darf nur nach billigem Ermessen i.S. des § 315 Abs. 1, Abs. 3 BGB ausgeübt werden (BAG Urteil vom 11. Oktober 1995 – 5 AZR 1009/94 – AP Nr. 45 zu § 611 BGB Direktionsrecht). Billigem Ermessen entspricht eine Leistungsbestimmung, wenn die wesentlichen Umstände des Falles unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht hat ein unbeschränktes Überprüfungsrecht. Allerdings ist die Billigkeitskontrolle in erster Linie Aufgabe der Tatsacheninstanzen, weil es ihnen obliegt, die tatsächlichen Gegebenheiten eines Falles festzustellen und zu würdigen. Stehen die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen jedoch fest, so ist das Revisionsgericht in der Lage, die Beurteilung selbst vorzunehmen. Dabei hat die Partei, der das Recht zur Leistungsbestimmung zusteht, darzulegen und zu beweisen, daß ihre Bestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit entspricht (BAG Urteil vom 11. Oktober 1995, aaO, m.w.N.; BAG Urteil vom 17. Dezember 1997 – 5 AZR 332/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Mit der Bestellung der Klägerin zur kommissarischen stellvertretenden Schulleiterin hat das beklagte Land sein Weisungsrecht ausgeübt. Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß auch die Abberufung der Klägerin aus dieser Funktion durch das Schreiben vom 20. Oktober 1995 eine Ausübung des Weisungs- und Leistungsbestimmungsrechts i.S. des § 315 Abs. 1, Abs. 3 BGB darstellt.
c) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Entbindung der Klägerin von den Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin willkürlich und rechtsmißbräuchlich gewesen sei. Soweit sich das beklagte Land auf die mangelnde Loyalität der Klägerin berufen habe, habe es sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums gehalten. An den Entzug der vorübergehenden Übertragung einer Tätigkeit nach § 24 BAT-O seien nicht so hohe Anforderungen wie etwa an die Wirksamkeit einer Kündigung zu stellen.
Dieser Würdigung des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat im Ergebnis nicht. Das Landesarbeitsgericht hat nicht beachtet, daß das beklagte Land die Entbindung der Klägerin von ihren bisherigen Aufgaben auf Gründe gestützt hat, die es zu diesem Zwecke nicht mehr hätte berücksichtigen dürfen. In seinem Schreiben vom 20. Oktober 1995 hat es der Klägerin erneut zum Vorwurf gemacht, daß diese im November 1992 und im April 1993 zugunsten einer Lehrerin an ihrer Schule zu deren Kündigung Stellung genommen habe. Es mag dahinstehen, ob ein solches Verhalten überhaupt ein billigem Ermessen genügender Anlaß sein kann, die vorübergehende Übertragung höherwertiger Aufgaben rückgängig zu machen. Im Streitfall zumindest kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der der Klägerin zur Last gelegte Vorfall etwa zweieinhalb Jahre zurücklag, daß das beklagte Land die von ihm gerügten Vorgänge mit Schreiben vom 19. Mai 1993 bereits abgemahnt hatte und daß es die Klägerin ab November 1994 sogar mit der vorläufigen Stellung einer Schulleiterin betraute. Schon jeder einzelne dieser drei Umstände ist geeignet, im Vorgehen des beklagten Landes ein widersprüchliches Verhalten zu sehen. Durch die Erteilung einer Abmahnung gibt der Arbeitgeber regelmäßig zu verstehen, daß er wegen des gerügten Verhaltens zu weiteren arbeitsrechtlichen Maßnahmen noch keinen Grund sieht. Dadurch, daß er eine bislang nur als stellvertretende Schulleiterin tätige Lehrerin mit den Aufgaben einer Schulleiterin betraut, bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, daß er sie sogar für höherwertige Aufgaben für geeignet hält und diese Eignung nicht durch zurückliegende Vorfälle in Frage gestellt sieht. Ein Arbeitgeber, der ohne neuerlichen Anlaß auf zweieinhalb Jahre und länger zurückliegende Vorfälle mit dem Entzug der seitdem wahrgenommenen und sogar erweiterten Aufgaben reagiert, kann dies nicht allein mit den früheren Vorfällen selbst begründen. Im Streitfall kommen alle drei Einzelumstände zusammen. Sie lassen die Reaktion des beklagten Landes als ein in mehrfacher Hinsicht widersprüchliches Verhalten erscheinen. Die Abberufung der Klägerin als vorläufig bestellte stellvertretende Schulleiterin hält, soweit sie auf die im Schreiben vom 20. Oktober 1995 genannten Gründe gestützt ist, einer Billigkeitskontrolle i.S. des § 315 Abs. 3 BGB nicht stand.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 26. April 1996 gab die Vertreterin des beklagten Landes zu Protokoll, die im Schreiben vom 20. Oktober 1995 aufgeführten Vorfälle seien „nicht hauptursächlich” für die Entpflichtung der Klägerin gewesen. Auf welche anderen Gründe es die Abberufung der Klägerin gestützt hat, hat das beklagte Land indessen nicht vorgetragen. Sein Vorbringen, es habe sich auch deshalb gegen eine endgültige Bestellung der Klägerin zur Schulleiterin bzw. stellvertretenden Schulleiterin entschieden, weil es sie für diese Position aufgrund der ihm vorgelegten Bewerbungsunterlagen, der Ergebnisse des Auswahlverfahrens und der von ihr als stellvertretende Schulleiterin und Schulleiterin gezeigten Leistungen für nicht ausreichend qualifiziert halte, entspricht nicht den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung, die ihm im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB obliegt. Das Vorbringen erklärt im übrigen nicht, weshalb die Klägerin auch von den Aufgaben als vorläufig bestellte Schulleiterin entbunden wurde, obwohl das beklagte Land das Bewerbungsverfahren bis dahin nicht abgeschlossen und eine geeignetere Bewerberin deshalb nicht gefunden hatte.
Die Abberufung der Klägerin als kommissarisch bestellte Schulleiterin widerspricht billigem Ermessen. Ob mit ihr zudem Rechte des Personalrats verletzt worden sind, kann dahinstehen.
3. Da das Schreiben des beklagten Landes vom 20. Oktober 1995 die arbeitsrechtliche Stellung der Klägerin unberührt ließ, ist diese Position mittlerweile die einer endgültig bestellten stellvertretenden Schulleiterin. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 17. Dezember 1996 waren weitere 14 Monate vergangen und war die Klägerin bereits viereinhalb Jahre kommissarisch zur stellvertretenden Schulleiterin bestellt. Die nur vorläufige Übertragung höherwertiger Tätigkeiten für einen solchen Zeitraum ist auch unter den erwähnten Bedingungen in den neuen Bundesländern durch § 24 BAT-O nicht mehr gedeckt. Das beklagte Land hat nichts dafür vorgetragen, weshalb der Abschluß des im Jahre 1992 begonnenen Bewerbungsverfahrens selbst bis zum Dezember 1996 noch nicht möglich war. Insbesondere hat es keinerlei Gründe in der Person oder im Verhalten der Klägerin aus der Zeit nach dem 20. Oktober 1995 vorgetragen, die diese als ungeeignet für eine dauerhafte Aufgabenübertragung erscheinen ließen. Ist die Fortdauer einer nur vorübergehenden Übertragung höherwertiger Tätigkeiten sachlich nicht mehr gerechtfertigt, wird – wie beim Fehlen eines Sachgrundes für die Befristung – die nur vorübergehende Aufgabenübertragung durch eine endgültige Übertragung ersetzt (BAG Urteil vom 16. Januar 1991 – 4 AZR 301/90 – AP Nr. 3 zu § 24 MTA). Spätestens im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung hatte die Klägerin darum materiell-rechtlich die Stellung einer endgültig bestellten stellvertretenden Leiterin in der Mittelschule in L erworben. Kollektivrechtliche Hinderungsgründe stehen dem nicht entgegen. Der Personalrat hatte schon 1992 der endgültigen Aufgabenübertragung zugestimmt.
Unbeschadet des neuen und noch nicht abgeschlossenen Bewerbungsverfahrens ist die Klägerin bereits jetzt Inhaberin der erneut ausgeschriebenen Stelle.
Unterschriften
Vorsitzender Richter am BAG Griebeling ist krank und kann daher nicht unterschreiben Reinecke, Reinecke, Kreft, Müller, Buschmann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.09.1998 durch Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1999, 324 |
NWB 1999, 772 |
ARST 1999, 113 |
JR 1999, 484 |
NZA 1999, 384 |
RdA 1999, 292 |
AP, 0 |
PersR 1999, 89 |