Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeits- und steuerrechtliche Folgen einer Schwarzgeldabrede; Nettolohnvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Die in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV geregelte Fiktion einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung dient ausschließlich der Berechnung der nachzufordernden Gesamtsozialversicherungsbeiträge und hat keine arbeitsrechtliche Wirkung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist vom steuerlichen Arbeitslohn zu unterscheiden.
2. Das steuerpflichtige Arbeitseinkommen bemisst sich bei der Vereinbarung sog. Schwarzlöhne zunächst nach dem tatsächlich zugeflossenen Barlohn. Bei Nachentrichtung entzogener Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung führt (erst) die Nachzahlung zum Zufluss eines zusätzlichen geldwerten Vorteils.
3. Auch im Falle einer Schwarzgeldabrede ist der Arbeitnehmer der Steuerschuldner. Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist jedoch grundsätzlich allein der Arbeitnehmer der Schuldner der Steuerforderung. Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise der klar erkennbare Parteiwille dahin geht, die Steuerlast solle den Arbeitgeber treffen.
Orientierungssatz
1. Mit einer Schwarzgeldabrede bezwecken die Arbeitsvertragsparteien, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu hinterziehen, nicht jedoch deren Übernahme durch den Arbeitgeber.
2. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV gilt bei einem illegal beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen der Berechnung der nachzufordernden Gesamtsozialversicherungsbeiträge ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Diese Fiktion betrifft nur das Sozialversicherungsrecht und führt arbeitsrechtlich zu keiner Nettolohnabrede.
Normenkette
SGB IV § 14 Abs. 2 S. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 148, 559 Abs. 2; EStG §§ 19, 42d Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 27. Februar 2009 – 9 Sa 807/08 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 26. Juni 2008 – 13 Ca 6947/06 – wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs und Urlaubsabgeltung.
Rz. 2
Die Klägerin war seit August 2003 bei der Beklagten, die eine Spielothek betreibt, beschäftigt. Die Beklagte behandelte die Klägerin steuer- und sozialversicherungsrechtlich als geringfügig Beschäftigte mit einer monatlichen Vergütung von 400,00 Euro und führte die Pauschalabgaben ab. Die Klägerin arbeitete regelmäßig 165 Stunden monatlich. Tatsächlich leistete die Beklagte ihr jeden Monat weitere 900,00 Euro zuzüglich Umsatzprovisionen. Auf die 400,00 Euro übersteigenden Teile der monatlichen Gesamtvergütung führte die Beklagte weder Lohnsteuern noch Sozialversicherungsbeiträge ab.
Rz. 3
Nach ihrem letzten Arbeitseinsatz im April 2006 nahm die Klägerin die Geschäftskasse mit einem Kassenbestand von 2.154,00 Euro an sich. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Mai 2006. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage. Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung wurde rechtskräftig festgestellt. Die Beklagte zahlte zunächst für April und Mai 2006 keine Vergütung und leistete keine Urlaubsabgeltung. Später entrichtete die Beklagte für diese Monate auf der Grundlage eines Bruttomonatslohns von 1.300,00 Euro Sozialversicherungsbeiträge.
Rz. 4
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung und Urlaubsabgeltung auf der Grundlage einer Nettolohnvereinbarung. Diese ergebe sich aus dem tatsächlichen Verhalten der Parteien, zumindest aus der in § 14 Abs. 2 SGB IV geregelten Fiktion.
Rz. 5
Die Klägerin hat erstinstanzlich Zahlung bezifferter Nettobeträge gefordert. Die Beklagte hat diese Beträge als Bruttolohn anerkannt und im Übrigen Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte entsprechend ihrem Anerkenntnis zur Zahlung der Bruttovergütung verurteilt.
Rz. 6
Mit der Berufung hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Nettozahlungen abzüglich der anerkannten Bruttobeträge zu leisten. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte verurteilt,
1. an die Klägerin 2.486,10 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.647,00 Euro seit 2. Juni 2006 und aus weiteren 789,10 Euro seit dem 6. Oktober 2006 zu zahlen, Zug um Zug gegen die Herausgabe der Firmenkasse mit einem Kassenbestand von 2.154,00 Euro, unter Anrechnung der Vergütung aus 2.486,10 Euro brutto gemäß dem Anerkenntnisurteil vom 26. Juni 2008,
2. an die Klägerin 1.796,10 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. Juni 2006 zu zahlen, unter Anrechnung von 1.796,10 Euro brutto gemäß Anerkenntnisurteil vom 26. Juni 2008.
Rz. 7
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung.
Rz. 8
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird,
1. an die Klägerin 1.396,24 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2. Juni 2006 zu zahlen, Zug um Zug gegen die Herausgabe der Firmenkasse mit einem Kassenbestand von 2.154,00 Euro,
2. an die Klägerin 929,90 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Juni 2006 zu zahlen.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Rz. 10
I. Der Rechtsstreit war nicht gem. § 148 ZPO auszusetzen. Das im Antrag des zweiten Prozessbevollmächtigten der Beklagten angesprochene sozialgerichtliche Verfahren ist nicht vorgreiflich. Im Kündigungsschutzprozess der Parteien ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien für die Zeit bis zum 31. Mai 2006 rechtskräftig festgestellt worden.
Rz. 11
II. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zu Nettozahlungen abzüglich der anerkannten Bruttobeträge verurteilt. Die in der Revision wiederum auf Nettozahlbeträge umgestellten Klageanträge sind zwar einer Zwangsvollstreckung zugänglich und damit hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), also zulässig, in der Sache aber unbegründet. Die Beklagte schuldet der Klägerin keine weitere Nettovergütung wegen Annahmeverzugs und Urlaubsabgeltung.
Rz. 12
1. Eine Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die Vergütung über die von ihr anerkannten Bruttobeträge hinaus als Nettobeträge auszuzahlen, ergibt sich nicht aus den Vereinbarungen der Parteien. Das Landesarbeitsgericht hat den Sachvortrag der Parteien über die monatliche Zahlung weiterer 900,00 Euro zuzüglich Umsatzprovisionen ohne Abzug von Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen zutreffend als Schwarzgeldabrede gewertet. Mit einer Schwarzgeldabrede bezwecken die Arbeitsvertragsparteien, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu hinterziehen, nicht jedoch deren Übernahme durch den Arbeitgeber (vgl. Senat 26. Februar 2003 – 5 AZR 690/01 – zu III 2 der Gründe mwN, BAGE 105, 187). In einem solchen Fall ist nur die Schwarzgeldabrede und nicht der Arbeitsvertrag insgesamt nichtig (Senat 24. März 2004 – 5 AZR 233/03 – zu II 2b cc (2) der Gründe, EzA BGB 2002 § 134 Nr. 2; 26. Februar 2003 – 5 AZR 690/01 – zu II 4, 5 der Gründe, aaO). Die Parteien des Rechtsstreits behandelten das Arbeitsverhältnis nach außen als geringfügige Beschäftigung iSv. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV und hatten die Absicht, keine weiteren Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde weder eine ausdrückliche Nettolohnvereinbarung getroffen, noch hat die Beklagte durch ihr gesetzwidriges Verhalten eine auf Begründung einer Nettolohnabrede gerichtete Willenserklärung abgegeben, die die Klägerin hätte annehmen können. Diese tatsächlichen Feststellungen sind für den Senat bindend, § 559 Abs. 2 ZPO.
Rz. 13
2. Eine Nettolohnabrede folgt auch nicht aus § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Danach gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt worden sind. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift beschränkt sich auf das Sozialversicherungsrecht und erstreckt sich nicht auf das bürgerlichrechtliche Rechtsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien.
Rz. 14
a) Die Fiktion des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist auf das Sozialversicherungsrecht beschränkt. Das folgt bereits aus dem Gesetzeszusammenhang, der die Bedeutung des isoliert nicht aussagekräftigen Wortlauts erkennen lässt. § 14 SGB IV definiert den Begriff des Arbeitsentgelts als Beurteilungsgrundlage für die Sozialversicherungspflicht der Beschäftigten, die Bemessungsgrundlage für die Höhe der Beiträge und Umlagen, die Berechnungsgrundlage für die Höhe der Leistungsansprüche der Versicherten im Versicherungsfall sowie die Anrechnungsgrundlage beim Zusammentreffen mit Einkommen. Speziell regelt § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV die sozialversicherungsrechtliche Berechnungsgrundlage des Arbeitsentgelts in einem illegalen Beschäftigungsverhältnis (BGH 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08 – Rn. 17, BGHSt 53, 71; LSG Rheinland-Pfalz 29. Juli 2009 – L 6 R 105/09 – DB 2009, 2443). Da § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV eine Nettoarbeitsentgeltvereinbarung fingiert, ist das sozialversicherungsrechtliche Arbeitsentgelt des Beschäftigten zu ermitteln, indem das Nettoarbeitsentgelt um die darauf entfallenden Steuern und den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu einem Bruttolohn hochgerechnet wird (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV).
Rz. 15
b) § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet außerhalb des Sozialversicherungsrechts keine Anwendung. Dies gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht.
Rz. 16
aa) Das Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist vom steuerlichen Arbeitslohn zu unterscheiden. § 19 EStG definiert, welche der Einkommensarten des § 2 Abs. 1 EStG zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören. Von der Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen (BT-Drucks. 15/2948 S. 7, 20; BGH 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08 – Rn. 16, BGHSt 53, 71). Dementsprechend bemisst sich das steuerpflichtige Arbeitseinkommen bei der Vereinbarung sog. Schwarzlöhne zunächst nach dem tatsächlich zugeflossenen Barlohn. Bei Nachentrichtung entzogener Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung führt (erst) die Nachzahlung zum Zufluss eines zusätzlichen geldwerten Vorteils (vgl. BFH 13. September 2007 – VI R 54/03 – zu II 1a bb der Gründe, BFHE 219, 49).
Rz. 17
bb) Auch im Falle einer Schwarzgeldabrede ist der Arbeitnehmer der Steuerschuldner. Der Arbeitgeber haftet zwar gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist jedoch grundsätzlich allein der Arbeitnehmer der Schuldner der Steuerforderung. Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise der klar erkennbare Parteiwille dahin geht, die Steuerlast solle den Arbeitgeber treffen (Senat 16. Juni 2004 – 5 AZR 521/03 – zu II 1 der Gründe, BAGE 111, 131; BAG 18. Januar 1974 – 3 AZR 183/73 – zu I 2 der Gründe, AP BGB § 670 Nr. 19 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2).
Rz. 18
c) Die systematische Auslegung wird durch den Zweck der Norm bestätigt. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2787) mit Wirkung zum 1. August 2002 eingeführt worden. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 14/8221 S. 14) wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge beseitigen solle. Für den Fall, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt würden, sei es für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge gerechtfertigt, von einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung der Parteien auszugehen. Die auf das Sozialversicherungsrecht beschränkte Bedeutung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist danach im Gesetzgebungsverfahren deutlich geworden (Fuchs JR 2003, 439, 440).
Rz. 19
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Laux, Biebl, Reinders, Dombrowsky
Fundstellen
Haufe-Index 2338148 |
BFH/NV 2010, 1775 |
BAGE 2011, 332 |
BB 2010, 1992 |
DB 2010, 1241 |
DB 2010, 8 |