Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfeleistungen bei Teilzeitarbeit
Orientierungssatz
1. Art 1 § 6 Abs 1 BeschFG 1985 gestattet es den Tarifvertragsparteien nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art 1 § 2 Abs 1 BeschFG 1985 konkretisiert und niedergelegt ist, abzuweichen.
2. Der Verstoß gegen Art 1 § 2 Abs 1 BeschFG 1985 führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der die Arbeitnehmerin als Teilzeitbeschäftigte diskriminierenden Maßnahme. Dies hat zur Folge, daß die Arbeitnehmerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes eines Anspruchs auf die Leistungen hat, die das beklagte Land den Vollzeitbeschäftigten gewährt.
Normenkette
BAT § 40; BGB §§ 242, 134, 611; EWGVtr Art. 119; BhV NW § 1 Abs. 1; BeschFG 1985 Art. 1 § 6 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 6 Abs. 2 S. 1; BhV NW 1975 § 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 05.06.1992; Aktenzeichen 12/8 Sa 182/92) |
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 22.01.1992; Aktenzeichen 4 Ca 2318/90) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Land eine ihrer verkürzten Arbeitszeit entsprechende anteilige Beihilfe für Aufwendungen, die ihr aus Anlaß zahnmedizinischer Behandlung entstanden sind.
Die Klägerin ist als teilzeitbeschäftigte Lehrerin im Angestelltenverhältnis am städtischen Gymnasium in W bei dem beklagten Land beschäftigt. Sie unterrichtet wöchentlich acht Stunden.
Das beklagte Land gewährt den bei ihm beschäftigten Angestellten Beihilfe im Krankheitsfall nach den Grundsätzen des Tarifrechts der Angestellten des öffentlichen Dienstes.
Die Klägerin verlangte die Zahlung von Beihilfe zu Aufwendungen für zahnmedizinische Behandlungen. Die beklagte Land lehnte dies ab, weil die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin weniger als die Hälfte der Arbeitszeit einer Vollbeschäftigten betrage (§ 40 BAT, § 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b BVO NW).
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe der Beihilfeanspruch zu, obwohl sie unterhälftig teilzeitbeschäftigt sei. Die entgegenstehenden Vorschriften verstießen gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 und Art. 119 EWG-Vertrag.
Die Klägerin hat - soweit in der Revisionsinstanz erheblich - beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet
ist, ihr anteilige Beihilfe für alle nicht von
der Pflichtversicherung gedeckten beihilfefähigen
Aufwendungen zu gewähren.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Ausschluß der unterhälftig teilzeitbeschäftigten Angestellten von Beihilfeleistungen sei sachlich gerechtfertigt. Dadurch werde das Beihilferecht der Angestellten an das der Beamten angeglichen. Auch Beamte mit einer Arbeitszeit, die weniger als die Hälfte der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Beamten betrage, könnten keine Beihilfe beanspruchen.
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes, mit der dieses weiterhin um Klageabweisung gebeten hat, hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts dahingehend abgeändert, daß das beklagte Land die Beihilfeleistung nur mit dem Anteil zu erbringen habe, der dem Verhältnis der vereinbarten Teilzeit- zur Vollzeitarbeit entspricht. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land den Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe Beihilfe in Krankheitsfällen anteilig - im Verhältnis ihrer Arbeitszeit zu der einer Vollzeitbeschäftigten - zu. Soweit § 40 BAT und § 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b BVO NW Beihilfen im Krankheitsfall nur für Angestellte mit mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit vorsähen, verstießen sie gegen Art. 1 §2 Abs. 1 BeschFG 1985, da sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung nicht vorlägen.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts hält, soweit es auf das Rechtsmittel des beklagten Landes nachzuprüfen ist, der revisionsgerichtlichen Kontrolle stand.
II. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beihilfeleistungen nach den Grundsätzen, die das beklagte Land auf vollzeitbeschäftigte und mindestens hälftig teilzeitbeschäftigte Angestellte anwendet (vgl. heutiges Senatsurteil - 6 AZR 620/92 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
1. Aus den Bestimmungen, die das beklagte Land auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwendet, läßt sich der Anspruch nicht herleiten. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wendet das beklagte Land den BAT auf alle Arbeitsverhältnisse mit Lehrern an, unabhängig davon, ob diese tarifgebunden sind oder nicht. Nach § 40 BAT sind Angestellte, deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollzeitbeschäftigten Angestellten beträgt, von der Beihilfegewährung ausgeschlossen.
Auch § 1 Abs. 1 BVOAng NW begründet den Anspruch der Klägerin nicht. Diese Bestimmung stellt keine selbständige Anspruchsgrundlage dar, sondern wirkt nur in Verb. mit § 40 BAT (vgl. Senatsurteil vom 4. August 1988 - 6 AZR 10/86 - BAGE 59, 188 = AP Nr. 3 zu § 40 BAT).
2. Der Anspruch der Klägerin folgt jedoch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
a) Das beklagte Land darf die Klägerin nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln (Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985). Durch diese Bestimmung wird für den Bereich der Teilzeitarbeit der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz konkretisiert. Das Gesetz verbietet die unterschiedliche Behandlung "wegen der Teilzeitarbeit". Es verbietet nicht Differenzierungen aus anderen Gründen. Es gestattet ferner eine unterschiedliche Behandlung, wenn sachliche Gründe vorliegen (ständige Rechtsprechung vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991 - 6 AZR 392/88 - AP Nr. 14 zu § 62 BAT).
b) Die Klägerin wird gegenüber vollzeitbeschäftigten Angestellten und Angestellten mit mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Angestellten unterschiedlich behandelt. Diese erhalten volle Beihilfe im Krankheitsfall. Die Klägerin als Angestellte, deren Arbeitszeit weniger als die Hälfte der Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Angestellten beträgt, erhält keine - auch keine anteilige - Beihilfe.
c) Die Ungleichbehandlung erfolgt wegen der Teilzeitarbeit. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen, auf die das beklagte Land sich beruft (§ 40 BAT, § 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b BVO NW).
d) Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der unterhälftig teilzeitbeschäftigten Angestellten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen, bestehen nicht.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das unterschiedliche Arbeitspensum der Teilzeitbeschäftigten und der Vollzeitbeschäftigten kein ausreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 1990 - 6 AZR 159/89 - BAGE 66, 314 = AP Nr. 12 zu § 2 BeschFG 1985; Senatsurteil vom 7. November 1991 - 6 AZR 392/88 - AP Nr. 14 zu § 62 BAT; Senatsurteil vom 5. November 1992 - 6 AZR 420/91 - EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 24).
bb) Der Senat vermag nicht der Ansicht der Revision zu folgen, ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung liege
darin, daß § 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b BVO NW Beamte mit weniger als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Beamten von der Gewährung von Beihilfe ausschließt.
Die von § 1 Abs. 1 BVOAng NW vorgeschriebene entsprechende Anwendung der für Beamte geltenden Bestimmungen findet ihre Grenze in der zwingenden Vorschrift des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985. Ein Vergleich der Beamten mit Arbeitnehmern, auch der des öffentlichen Dienstes, ist ungeeignet, um daraus Rechtsfolgen für die Behandlung von Teilleistungen abzuleiten (BAG Urteil vom 28. Juli 1992 - 3 AZR 173/92 - AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Arbeits- und Beamtenverhältnisse unterscheiden sich so wesentlich voneinander, daß sie miteinander nicht verglichen werden können (BAG Urteil vom 17. Dezember 1992 - 10 AZR 306/91 - AP Nr. 105 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Dienstherr ist dem Beamten gegenüber verfassungsrechtlich verpflichtet, Beihilfe oder eine der Beihilfe entsprechende Leistung zu gewähren. Eine solche verfassungsrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers besteht gegenüber dem Angestellten nicht (BAG Urteil vom 18. Januar 1983 - 3 AZR 520/80 - AP Nr. 2 zu § 40 BAT). Wenn der Arbeitgeber dem Angestellten aber Beihilfeleistungen zusagt, muß er dabei die Bestimmungen beachten, durch die eine Diskriminierung von Arbeitnehmern verhindert werden soll.
Gründe, die ausschließlich in dem Bereich des Beamtenrechts liegen, können einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung der Angestellten untereinander nicht darstellen. Die unterschiedliche Behandlung der Angestellten untereinander läßt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, eine beamtenähnliche Versorgung sei nur bei einem entsprechenden quantitativen Umfang der Arbeitszeit möglich (BAG Urteil vom 28. Juli 1992 - 3 AZR 173/92 - AP, aaO). Dies gilt für Beihilfeleistungen entsprechend.
3. Der Ausschluß der Klägerin von der Beihilfegewährung ist nicht deshalb wirksam, weil die unterschiedliche Behandlung tariflich geregelt und die Anwendung dieser Regelung arbeitsvertraglich vereinbart ist (Art. 1 § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BeschFG 1985).
Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG 1985 gestattet es den Tarifvertragsparteien nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 konkretisiert und niedergelegt ist, abzuweichen. Der erkennende Senat verweist insoweit auf die Entscheidung des Dritten Senats vom 29. August 1989 (BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985), der er sich in ständiger Rechtsprechung im Ergebnis angeschlossen hat (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991 - 6 AZR 392/88 - AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 3 d der Gründe, und Senatsurteile vom 5. November 1992 - 6 AZR 420/91 -, aaO, und - 6 AZR 421/91 und 550/91 - n.v.).
4. Der Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte diskriminierenden Maßnahme. Dies hat zur Folge, daß die Klägerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen Anspruch auf die Leistungen hat, die das beklagte Land den Vollzeitbeschäftigten gewährt (BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 - 8 AZR 5/89 - BAGE 63, 181, 187 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 4 der Gründe, und Senatsurteil vom 7. November 1991 - 6 AZR 392/88 - AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 4 der Gründe).
Die Klägerin hat somit Anspruch auf die dem Umfang ihrer Arbeitszeit entsprechende anteilige Beihilfe, die das Landesarbeitsgericht ihr zugesprochen hat. Ob ihr darüberhinaus die volle Beihilfe zustünde, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
5. Die Klage ist nicht deshalb abzuweisen, weil es sich bei Beihilfeleistungen um unteilbare Leistungen handelt, die ihren Zweck nur erfüllen können, wenn sie in vollem Umfang gewährt werden. Die Unteilbarkeit der Beihilfe der Beamten mag aus ihrem Zweck folgen, den Beamten einen amtsangemessenen Lebensunterhalt zu gewährleisten (BVerfGE 83, 89, 100 = AP Nr. 11 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BVerwGE 89, 207, 210). Bei den Beihilfeleistungen der Angestellten fehlt es an dieser durch die Alimentationspflicht des Dienstherren bestimmten Zwecksetzung. Damit ist eine Bemessung der Beihilfe für teilzeitbeschäftigte Angestellte nach Maßgabe ihrer Arbeitsleistung nicht ausgeschlossen. Von der Möglichkeit differenzierter Beihilferegelungen für Voll- und Teilzeitbeschäftigte gehen auch die Tarifvertragsparteien in ihrer Niederschriftserklärung vom 24. April 1991 zu § 40 BAT aus.
III. Da die Revision des beklagten Landes bereits aus den vorstehenden Gründen in der Sache keinen Erfolg hat, kommt es nicht darauf an, ob die Benachteiligung der Klägerin auch gegen Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag verstößt.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Armbrüster
Ramdohr Kamm
Fundstellen