Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgeltung. Urlaubsübertragung. betriebliche Übung
Orientierungssatz
- Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist Masseforderung, wenn das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet wird.
- Die Arbeitsvertragsparteien können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer Urlaub ohne Rücksicht auf das Bestehen gesetzlicher/tariflicher Übertragungsgründe während des gesamten folgenden Kalenderjahres beanspruchen kann. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG; sie ist günstiger als die auf den 31. März des Folgejahres befristete Übertragung (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Eine solche Übertragungsregelung kann Gegenstand einer betrieblichen Übung sein.
- Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich eine betriebliche Übung ergeben soll, trägt der Arbeitnehmer. Eine betriebliche Übung ist nicht bereits dann schlüssig vorgetragen, wenn ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer behauptet, Resturlaub sei stets im gesamten Folgejahr gewährt worden. Es ist zumindest darzulegen, wann und wem in welchem Jahr nach dem 31. März des Folgejahres Urlaub gewährt worden ist.
- Hat der Arbeitnehmer Tatsachen vorgetragen, die den Schluss auf das Bestehen der betrieblichen Übertragungsregelung zulassen, so besteht kein Erfahrungssatz dahin, dass sie dann nicht mehr gelten soll, wenn der Betrieb vor Ablauf des Übertragungszeitraumes (insolvenzbedingt) geschlossen wird.
- Bestimmt eine tarifliche Ausschlussklausel, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Fälligkeit und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb von acht Wochen nach Beendigung schriftlich und im Fall der Ablehnung anschließend innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend zu machen sind, so beginnt der Fristenlauf für alle Ansprüche, die erst mit oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen, mit ihrer Fälligkeit.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; BUrlG §§ 7, 13
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. März 2004 – 2 Sa 2163/03 – aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub in der Insolvenz.
Der Kläger war seit 1975 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt, zuletzt als Kfz-Mechanikermeister zu einem Bruttomonatsentgelt von 3.374,00 Euro. Auf das Arbeitsverhältnis waren auf Grund arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für das Kfz-Gewerbe anzuwenden. Nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den Kraftfahrzeughandwerks- und -handelsbetrieben der Pfalz (MTV) vom 6. Juli 1993 in der Fassung vom 18. März 1997 hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) bei 12-monatigem Arbeitsverhältnis Anspruch auf Gewährung des vollen tariflichen Erholungsurlaubs (Jahresurlaub) unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes (§ 15 MTV). Der Jahresurlaub beträgt 30 Arbeitstage; Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle Urlaubstage aufzurunden (§ 16 MTV). In § 17 Abs. 8 heißt es:
“Eine Abgeltung des Urlaubs ist grundsätzlich zu vermeiden. Ein beim Ausscheiden aus dem Betrieb fälliger Urlaubsanspruch ist möglichst während der Kündigungsfrist zu erfüllen. Lassen die betrieblichen Verhältnisse dies nicht zu, so kann eine Abgeltung des Urlaubs in Geld erfolgen.”
§ 19 MTV bestimmt unter der Überschrift “Erlöschen von Ansprüchen”:
“Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit, spätestens innerhalb von acht Wochen nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb, schriftlich geltend gemacht werden. Wird der Anspruch abgelehnt, so verfällt er, wenn er nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht wird.”
Am 20. Dezember 2001 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser kündigte am selben Tag das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. März 2002 und stellte den Kläger zugleich ab 20. Dezember 2001 “unter Anrechnung” des Resturlaubs und der Überstunden von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Zu dieser Zeit war der Kläger bereits seit dem 16. Dezember 2001 arbeitsunfähig krank. Die Erkrankung dauerte ohne Unterbrechung bis zum 18. Mai 2003. Eine von der Insolvenzschuldnerin bereits am 16. Dezember 2001 erklärte außerordentliche Kündigung nahm der Beklagte später im Einverständnis mit dem Kläger zurück.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2002 verlangte der Kläger von dem Beklagten vergeblich die Abgeltung von 7,5 Urlaubstagen des Urlaubs 2002 in Höhe von 1.168,13 Euro. Mit seiner am 10. Juni 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am 12. Juni 2003 zugestellten Klage verfolgt er diesen Anspruch weiter.
Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, der Urlaub des Jahres 2002 sei ungeachtet seiner über den 31. März 2003 hinaus andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht erloschen. Es habe die betriebliche Übung bestanden, Urlaub des Vorjahres ohne Rücksicht auf mögliche Übertragungsgründe stets auf das gesamte Folgejahr zu übertragen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.168,13 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB per annum hieraus seit dem 8. November 2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Auf Grund der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger vom Beklagten zu Recht nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung Abgeltung von Urlaub des Jahres 2002 verlangt.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von der Zulässigkeit der erhobenen Leistungsklage ausgegangen. Der mögliche Abgeltungsanspruch des Klägers ist keine Insolvenzforderung nach § 108 Abs. 2 InsO, die nur nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung geltend gemacht werden könnte, sondern eine Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen sind Masseverbindlichkeiten, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Dazu gehört der Urlaubsabgeltungsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet wird (Senat 25. März 2003 – 9 AZR 174/02 – BAGE 105, 345).
Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat infolge der Kündigung des Beklagten vom 20. Dezember 2001 mit Wirkung zum 31. März 2002 sein Ende gefunden. Zu dieser Zeit war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin bereits eröffnet.
II. Ob die Klage begründet ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
1. Aus dem gesetzlichen Urlaubsrecht lässt sich kein Abgeltungsanspruch herleiten. Der gesetzliche Urlaubsanspruch des Klägers des Jahres 2002 ist spätestens am 31. März 2003 erloschen. Die tariflichen Vorschriften enthalten keine für den Kläger günstigere Regelung.
a) Der Urlaubsanspruch entsteht nach erfüllter Wartezeit jeweils mit Beginn des Urlaubsjahres. Dieser Urlaub ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr genommen werden kann. Durch diese Bestimmung wird der noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch, ohne dass es dafür weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bedarf, in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt. Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht als Ersatz für die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr mögliche Befreiung von der Arbeitspflicht und ist deshalb – abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat 19. August 2003 – 9 AZR 619/02 – AP BUrlG § 7 Nr. 29 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 11 mwN). Der Urlaubsanspruch muss daher erfüllbar sein. Daran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und deshalb im fortbestehenden Arbeitsverhältnis nicht von seiner Arbeitspflicht befreit werden könnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat 27. Mai 1997 – 9 AZR 337/95 – BAGE 86, 30). Wird der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder im Fall der Übertragung bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht wieder arbeitsfähig, erlischt der Urlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG spätestens am 31. März des Folgejahres (vgl. Senat 7. September 2004 – 9 AZR 587/03 – EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 12).
Das ist hier der Fall. Der für das Jahr 2002 entstandene Anspruch des Klägers auf Teilurlaub war wegen der bis in den Mai 2003 hinein andauernden Erkrankung des Klägers nicht erfüllbar. Er ist deshalb spätestens am 31. März 2003 erloschen.
b) Für den tariflichen Urlaubsanspruch gilt nichts anderes. Die Urlaubsbestimmungen der §§ 15 ff. MTV enthalten keine vom gesetzlichen Urlaubsrecht abweichende Regelung.
2. Auf eine einzelvertraglich vereinbarte Abgeltung stützt der Kläger den erhobenen Anspruch nicht. Er behauptet nicht, er habe mit der Insolvenzschuldnerin einzelvertraglich das Fortbestehen von Urlaubsansprüchen über den 31. März des Folgejahres hinaus vereinbart.
3. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers aus betrieblicher Übung verneint.
a) Es hat die Klage abgewiesen, weil sich die nach dem Vorbringen des Klägers zu unterstellende ständig praktizierte Handhabung der Urlaubsgewährung im gesamten Folgejahr nicht auf den Fall bezogen habe, dass der Betrieb insolvenzbedingt stillgelegt werde. Eine Regelung zur Urlaubsübertragung könne sich nur auf ein praktiziertes Arbeitsverhältnis beziehen, setze deshalb das Bestehen eines aktiven Betriebs und aktiver Arbeitsverhältnisse voraus und damit die Möglichkeit, den Arbeitnehmer urlaubsbedingt von seiner Arbeitspflicht freizustellen. Denknotwendig führe eine Betriebsschließung zu einer Beendigung sämtlicher betrieblicher Übungen. Grundlage der aus der betrieblichen Übung fließenden Absprache sei die gemeinsame Vorstellung der Parteien, dass das Vertragsverhältnis fortbestehe. Mit der Betriebsstillegung änderten sich die der Einigung zugrunde liegenden Umstände derart wesentlich, dass der betrieblichen Übung die Grundlage entzogen sei. Werde der Betrieb bereits zu Beginn des Urlaubsjahres, insbesondere im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, stillgelegt, verfalle der Urlaub spätestens am 31. März des Folgejahres, wenn der Arbeitnehmer bis dahin ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt sei.
b) Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
aa) Ein Anspruch aus betrieblicher Übung wird durch rechtsgeschäftliche Übereinkunft begründet. Auf Grund einer regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers können die Arbeitnehmer schließen, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden (Senat 24. Juni 2003 – 9 AZR 302/02 – BAGE 106, 345). Aus diesem als Vertragsangebot zu beurteilenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird und das keines Zugangs beim Arbeitgeber bedarf (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen (Senat 20. Januar 2004 – 9 AZR 43/03 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 65 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 5). Für die Entstehung eines solchen Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers bestimmend. Maßgeblich ist, wie der Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen musste und durfte (BAG 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 56 = EzA TVG § 4 Tariferhöhung Nr. 37).
bb) Gegenstand einer betrieblichen Übung kann jede Leistung oder Vergünstigung sein, die arbeitsvertraglich in einer allgemeinen Form geregelt werden kann (vgl. BAG 21. Januar 1997 – 1 AZR 572/96 – AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 64 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 36). Sie kommt auch für das hier behauptete Recht in Betracht, Urlaub des Vorjahres bis zum Ende des Folgejahres beanspruchen zu können. Eine derartige Vereinbarung, nach welcher der Arbeitgeber Urlaub, der aus persönlichen oder betrieblichen Gründen nicht im Verlauf des Urlaubsjahres genommen oder gewährt wird, im gesamten Folgejahr zu gewähren hat, ist zulässig. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG steht nicht entgegen. Die Regelung ist für den Arbeitnehmer günstiger als eine auf den 31. März des Folgejahres befristete Übertragung. Damit wird auch nicht das in §§ 1, 7 Abs. 3 BUrlG festgelegte Gebot zeitnaher Erfüllung des Urlaubsanspruchs verletzt. Wie § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG zeigt, wird die gebotene zeitliche Nähe auch noch bei einer Übertragung des Urlaubs auf das gesamte folgende Kalenderjahr gewahrt.
cc) Das Bundesarbeitsgericht beurteilt die Frage, inwieweit Feststellungen der Tatsachengerichte zum Bestehen oder Nichtbestehen einer betrieblichen Übung revisionsgerichtlich zu überprüfen sind, uneinheitlich. Überwiegend wird der für sog. nichttypische Willenserklärungen geltende eingeschränkte Prüfmaßstab herangezogen. Dabei wird davon ausgegangen, es sei in erster Linie Aufgabe der Tatsachengerichte, zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt Ansprüche von Arbeitnehmern auf Gewährung von Leistungen aus betrieblicher Übung erwachsen. Das Revisionsgericht könne nur überprüfen, ob die Ermittlung des Erklärungswertes des tatsächlichen Verhaltens anhand der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB erfolgt sei, mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar sei und alle vom Berufungsgericht festgestellten wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt worden sind. Dagegen befürworten der Dritte und der Neunte Senat wegen der alle Arbeitnehmer des Betriebs oder alle Arbeitnehmer einer bestimmten Gruppe erfassenden vertraglichen Bindung des Arbeitgebers eine uneingeschränkte Überprüfung, haben die Frage letztlich aber offen gelassen (vgl. Senat 20. Januar 2004 – 9 AZR 43/03 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 65 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 5; BAG 25. Juni 2002 – 3 AZR 360/01 – AP BetrAVG § 16 Nr. 50 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 3; 19. Mai 2005 – 3 AZR 660/03 – EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 6).
dd) Die Frage bedarf auch hier keiner abschließenden Entscheidung. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält auch dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand.
(1) Der Inhalt einer betrieblichen Übung bestimmt sich nach dem Erklärungswert des festgestellten oder – wie hier – vom Landesarbeitsgericht unterstellten Verhaltens des Arbeitgebers. Lässt dieses den Schluss zu, dass sich der Arbeitgeber vertraglich verpflichtet hat, Urlaub des Vorjahres ohne die Beschränkung auf den gesetzlichen Übertragungszeitraum des 31. März während des gesamten Folgejahres zu gewähren, so hat es damit sein Bewenden. Das rechtliche Schicksal des so übertragenen Urlaubs richtet sich dann nach dem Inhalt dieser betriebsüblich gewordenen Regelung.
(2) Kann der Arbeitnehmer die Freistellung von seiner Arbeitspflicht bis zum 31. Dezember des Folgejahres beanspruchen, so schließt eine solche Regelung regelmäßig die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, den Urlaub dann abzugelten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des vertraglichen Übertragungszeitraumes endet. Andernfalls hätten die Parteien nur eine Teilregelung vereinbart, die im Hinblick auf das Verbot des § 13 Abs. 1 BUrlG rechtlichen Bedenken unterliegt. Das ist hier nicht näher zu erörtern. Soll der Abgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht an die Stelle eines noch offenen Urlaubs des Vorjahres treten, bedarf es hierfür jedenfalls eines ausdrücklichen Vorbehalts. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, dass die Insolvenzschuldnerin einen solchen erklärt hat.
(3) Ein solcher Vorbehalt lässt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus dem Regelungsgegenstand “Urlaubsübertragung” herleiten. Der von ihm wohl angenommene Erfahrungssatz, eine solche Regelung beziehe sich regelmäßig nur auf den “aktiven” Betrieb und “aktive” Arbeitsverhältnisse, besteht nicht. Richtig ist zunächst, dass Ansprüche aus betrieblicher Übung mit der Stillegung eines Betriebs denknotwendig nicht mehr entstehen können. Insoweit endet mit der Betriebsstillegung auch eine betriebliche Übung. Daraus ergibt sich aber kein Wegfall bereits entstandener Ansprüche. Hierfür ist unerheblich, ob der entstandene Anspruch auf dem Einzelarbeitsvertrag oder einer vertraglichen Gesamtregelung wie der betrieblichen Übung beruht. Eine Betriebsstillegung lässt solche Ansprüche der Arbeitnehmer grundsätzlich unberührt. Im Insolvenzfall gilt nichts anderes. Das betrifft auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub (vgl. Senat 25. März 2003 – 9 AZR 174/02 – BAGE 105, 345). Wird das Arbeitsverhältnis wegen der Betriebsstillegung aus betriebsbedingten Gründen beendet, so verkürzt sich lediglich der zeitliche Rahmen, in dem der Arbeitnehmer urlaubsbedingt von der Arbeitspflicht freigestellt werden kann. Daraus lässt sich aber im Wege der Auslegung nicht herleiten, der zeitliche Rahmen, in dem der bei Beendigung offene Urlaub abzugelten ist, verkürze sich auf den gesetzlichen Übertragungszeitraum, dh. Urlaub werde nur dann abgegolten, wenn der Anspruch bis zum 31. März des Folgejahres erfüllbar geworden ist.
(4) Die den Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage und seinen Begrifflichkeiten entnommenen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts führen zu keinem anderen Ergebnis. Auch wenn Urlaubsübertragungsregelungen nur Sinn machen, wenn der Arbeitnehmer im fortbestehenden Arbeitsverhältnis urlaubsbedingt von der Arbeitspflicht freigestellt werden kann, folgt daraus nichts für das rechtliche Schicksal des erworbenen Urlaubsanspruchs und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – seines Surrogats “Abgeltung”.
4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
a) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Urlaubsanspruch des Klägers mit Beginn des Jahres 2002 ungeachtet seiner Arbeitsunfähigkeit entstanden.
b) Der mögliche Abgeltungsanspruch ist nicht auf Grund der im Dezember 2001 vom Beklagten erklärten Freistellung von der Arbeitspflicht “unter Anrechnung” von Urlaub durch Erfüllung erloschen (§ 362 BGB). Der Kläger unterlag bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit keiner Arbeitspflicht. Dass der Kläger tatsächlich nicht krankheitsbedingt an seiner Arbeitsleistung verhindert war, wie der Beklagte wegen des taggleichen Beginns der Krankschreibung mit der (zurückgenommenen) außerordentlichen Kündigung geltend macht, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.
c) Die Geschäftsgrundlage der hier zu unterstellenden betrieblichen Übung ist nicht mit der Betriebsstillegung weggefallen, wie der Beklagte meint. Entfallen ist lediglich die Möglichkeit einer tatsächlichen Befreiung von der Arbeitspflicht. Die vermeintliche Einstellung einer betrieblichen Übung vermag bereits begründete Ansprüche nicht zu beseitigen.
d) Der mögliche Abgeltungsanspruch ist nicht wegen Versäumung der in § 19 MTV geregelten Ausschlussfrist erloschen.
aa) Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich das allerdings nicht aus der Rechtsprechung des Senats, nach der tarifliche Ausschlussfristen auf den gesetzlichen und tariflichen Urlaub wegen deren eigenständigen Zeitregimes nicht anzuwenden sind (Senat 24. November 1992 – 9 AZR 549/91 – AP BUrlG § 1 Nr. 23 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 102). Er übersieht, dass er seinen Abgeltungsanspruch nicht auf das Bundesurlaubsgesetz oder auf den Tarifvertrag stützt, sondern ausschließlich ein Anspruch aus betrieblicher Übung in Betracht kommt. Dieser unterliegt als Anspruch “aus dem Arbeitsverhältnis” der Ausschlussfrist, der innerhalb der in § 19 MTV bestimmten Fristen geltend zu machen war.
bb) Die Tarifvertragsparteien unterscheiden in § 19 MTV zwischen Ansprüchen im bestehenden und im beendeten Arbeitsverhältnis. Im bestehenden Arbeitsverhältnis läuft eine Frist von sechs Monaten ab Fälligkeit, im beendeten Arbeitsverhältnis verkürzt sich die Frist auf acht Wochen ab Beendigung. Auf den ersten Blick könnte daher angenommen werden, der Fristenlauf beginne stets mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das würde auch für solche Ansprüche gelten, die erst mit oder nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden. So ist die Tarifvorschrift jedoch nicht zu verstehen. Vom Arbeitnehmer wird nicht verlangt, ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb von acht Wochen alle offenen Ansprüche geltend zu machen, und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber den Anspruch noch nicht zu erfüllen hat. Der Arbeitnehmer müsste gleichsam “ins Blaue hinein” tätig werden. Das ist ersichtlich nicht gemeint. Die Tarifvertragsparteien haben selbst formuliert, die Ansprüche seien “geltend” zu machen. Das besagt nichts anderes, als dass die Gegenseite aufzufordern ist, den nach Grund und Höhe zu kennzeichnenden Anspruch zu erfüllen. Eine solche Zahlungsaufforderung macht keinen Sinn, wenn der Arbeitgeber mangels Erfüllbarkeit nicht zur Zahlung verpflichtet ist, zumal dann, wenn – wie hier – der streitige Anspruch zusätzlich durch Klage zu verfolgen ist (vgl. BAG 18. Januar 1969 – 3 AZR 451/67 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 41 = EzA TVG § 4 Nr. 24; 17. Oktober 1974 – 3 AZR 4/74 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 55 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 25; 10. August 1994 – 10 AZR 937/93 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 126 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 105; vgl. zu einer einstufigen Ausschlussfrist auch Senat 19. April 2005 – 9 AZR 160/04 –).
cc) Der Kläger hatte den möglichen Anspruch daher innerhalb von acht Wochen ab Erfüllbarkeit schriftlich geltend zu machen und bei Ablehnung des Anspruchs diesen innerhalb von sechs Monaten klageweise zu verfolgen. Diese Fristen hat er gewahrt. Die Klage ist dem Beklagten noch im Juni 2003 und damit innerhalb von acht Wochen nach Gesundung des Klägers im Mai 2003 zugestellt worden. Auf die vorzeitige Geltendmachung im Oktober 2002 kommt es nicht an. Eine an die erfolglose Geltendmachung geknüpfte Klagefrist beginnt nicht vor der Fälligkeit des Anspruchs (vgl. BAG 18. November 2004 – 6 AZR 651/03 – AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 36 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 175, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
5. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich (§ 563 Abs. 3 ZPO).
a) Nach den allgemeinen Regelungen der Darlegungslast hat der Arbeitnehmer als Anspruchsteller die Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, aus denen sich die begehrte Rechtsfolge ergeben soll. Für die Anspruchsgrundlage “betriebliche Übung” gehört dazu zunächst die Darlegung der Leistung oder Vergünstigung des Arbeitgebers als solcher. Hinzu kommt die Darstellung des Sachverhalts, aus dem im Wege der Auslegung auf den aus Sicht der Arbeitnehmer gegebenen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers geschlossen werden soll, die nämliche Leistung oder Vergünstigung auch zukünftig zu erbringen. Geht es – wie hier – um die Vergünstigung “Übertragung von Urlaub”, bedarf es einer konkreten Darlegung, wann und wem vom Arbeitgeber in der Vergangenheit Urlaub des Vorjahres im Folgejahr gewährt worden ist. Die Arbeitnehmer sind namentlich zu bezeichnen und hierauf bezogen die Jahre anzugeben, in denen Urlaub des Vorjahres nach dem 31. März des Folgejahres gewährt und genommen wurde. Andernfalls kann schon nicht beurteilt werden, ob der Arbeitgeber diese Vergünstigung wiederholt gewährt hat.
Das Erfordernis einer solchen Konkretisierung ergibt sich auch daraus, dass eine betriebliche Übung als Anspruchsgrundlage nur in Betracht kommt, wenn auf die gewährte Leistung kein einzelvertraglicher oder kollektivrechtlicher Anspruch besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 24. November 2004 – 10 AZR 202/04 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 70 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das Vorbringen muss daher den Arbeitgeber in die Lage versetzen, mögliche Ausschlusstatbestände vorzutragen. Dazu gehört beispielhaft der Einwand, dass er einen vom Arbeitnehmer verlangten Urlaub entgegen § 7 Abs. 1 BUrlG rechtsgrundlos abgelehnt hat und er deshalb zur unbefristeten Nachgewährung dieses Urlaubs nach den Vorschriften über den Schuldnerverzug verpflichtet war (vgl. dazu BAG 17. Januar 1995 – 9 AZR 664/93 – BAGE 79, 92).
Diesen Anforderungen genügt das aus den Verfahrensakten ersichtliche Vorbringen des Klägers nicht. Er behauptet lediglich, es sei immer wieder vorgekommen, dass er oder andere Arbeitnehmer den Urlaub nicht vollständig hätten nehmen können. Regelmäßig sei das mindestens bei einem Arbeitnehmer im Jahr der Fall gewesen. Der Urlaub habe dann stets im gesamten Folgejahr genommen werden können; auf den 31. März sei es nie angekommen. Damit gibt der Kläger im Ergebnis nur seine Sicht einer betrieblichen Praxis wieder, die für den Beklagten nicht einlassungsfähig und vom Gericht nicht überprüfbar ist. Seine Beweisangebote, ua. die Vernehmung des früheren Geschäftsführers der Arbeitgeberin, ersetzen den erforderlichen Sachvortrag nicht. Es ist nicht Aufgabe von Zeugen, die entscheidungserheblichen Tatsachen (erstmals) vorzutragen.
b) Gleichwohl ist der Senat an einer abschließenden Sachentscheidung gehindert.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat in den Entscheidungsgründen auf mündliches Vorbringen des Klägers Bezug genommen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei in der mündlichen Verhandlung im Stande gewesen, konkret und für den Beklagten einlassungsfähig Umstände für eine frühere Übertragung des Urlaubs zu benennen. Ob das zutrifft, kann der Senat mangels Protokollierung des Vorbringens nicht überprüfen.
bb) Einer Zurückverweisung stehen prozessuale Gründe nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht hat das ergänzende Vorbringen des Klägers entgegen der Behauptung des Beklagten nicht als verspätet zurückgewiesen.
cc) Sollte das Berufungsgericht im Hinblick auf das ergänzte Vorbringen des Klägers und auf Grund neuer Feststellungen die Hauptforderung als begründet erachten, so ergibt sich daraus noch nicht die Begründetheit des Zinsanspruchs. Die Zahlungsaufforderung vom 30. Oktober 2002 hat den Beklagten nicht in Verzug gesetzt, da der Anspruch zu dieser Zeit noch nicht erfüllbar war.
III. Das Berufungsgericht wird über die Kosten des Rechtsstreits unter Einschluss der Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Unterschriften
Düwell, Böck, Reinecke, Fr. Holze, Schwarz
Fundstellen
BB 2006, 2133 |
FA 2006, 96 |
NZA 2006, 232 |
AP, 0 |
EzA-SD 2005, 11 |
EzA |
LGP 2006, 184 |
AUR 2006, 73 |
ArbRB 2006, 39 |
SBT 2006, 2 |
NJOZ 2006, 681 |