Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Kirchenbediensteten
Leitsatz (amtlich)
Ehebruch als außerordentlicher Kündigungsgrund nach kirchlichem Selbstverständnis (Art. 140 GG, 137 Abs. 5 WRV)
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2; GG Art. 140, 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagte ist eine in Deutschland anerkannte Kirche mit der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie stellt an die Lebensführung ihrer Mitglieder hohe ethische Ansprüche. Hierzu gehört insbesondere absolute Treue zu Ehepartner und Familie. Ehebruch ist – nach Mord – das schwerste Vergehen und führt nach den Grundsätzen der Beklagten, wenn keine Umkehr geübt wird, zum Ausschluß aus der Kirche.
In dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus der Offenbarung des Mormonenpropheten Joseph Smith, der nach der vom Kläger unwidersprochenen Darstellung der Beklagten die Qualität einer “Heiligen Schrift” zukommt, heißt es in Abschn. 42 wie folgt:
Vers 22
Du sollst Deine Frau von ganzem Herzen lieben und sollst an ihr festhalten und an keiner anderen.
Vers 23
Und wer eine Frau ansieht, daß es ihn nach ihr gelüstet, der wird den Glauben verleugnen und den Geist nicht haben; und wenn er nicht umkehrt, soll er ausgestoßen werden.
Vers 24
Du sollst nicht Ehebruch begehen; und wer Ehebruch begeht und nicht umkehrt, soll ausgestoßen werden.
Vers 25
Hat aber jemand Ehebruch begangen und übt mit ganzem Herzen Umkehr und läßt davon und tut es nicht wieder, so sollst du ihm vergeben;
Vers 26
Tut er es aber wieder, so soll ihm nicht vergeben werden, sondern er soll ausgestoßen werden.
Vers 27
…
Vers 28
Du weißt, daß meine Gesetze hierüber in meiner Heiligen Schrift enthalten sind. Wer sündigt und nicht umkehrt, soll ausgestoßen werden.
Der Kläger ist in der beklagten Kirche aufgewachsen. Die Mormonenkirche ist organisatorisch und geographisch in Missionen und Pfähle (eine Untergliederung mehrerer Gemeinden) unterteilt, die unselbständig sind und letztlich der Kirche in Salt Lake City, Utah/USA, unterstehen. Von 1978 bis 1980 war der Kläger für sie als Vollzeit-Missionar in England tätig. Danach bekleidete er bei ihr verschiedene Ämter, u. a. das Amt eines Bischofs zuletzt in der Zeit von 1992 bis Dezember 1993 das des Zweigpräsidenten der Gemeinde H…. Als solcher war er Leiter der dortigen Gemeinde.
Mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1986 schlossen die Parteien am 25. September 1986 einen schriftlichen Anstellungsvertrag. Auf der Grundlage dieses Anstellungsvertrages wurde der Kläger zuletzt als Gebietsdirektor Europa, Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, zu einem Monatsgehalt von 10.047,50 DM beschäftigt; als solcher war er offizieller Sprecher der Kirche gegenüber den Medien im Gebiet Europa. In § 10 des Anstellungsvertrages vom 25. September 1986 heißt es:
“Dem Arbeitnehmer sind die wesentlichen Grundsätze der Kirche bekannt. Er hat Mitteilungen und jegliches Verhalten zu unterlassen, wodurch der Ruf der Kirche geschädigt oder diese Grundsätze in Frage gestellt werden könnten. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich insbesondere zur Einhaltung hoher moralischer Grundsätze.
…
Für die folgenden drei Gruppen von Mitarbeitern gelten gesteigerte Pflichten bezüglich des Verhaltens im Betrieb und außerhalb:
- (…)
- Mitarbeiter, die im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeit Kontakt mit betriebsfremden Personen, insbesondere auch mit Kirchenführern, betriebsfremden Kirchenmitgliedern oder anderen Personen haben
- (…)
- Die diesen Gruppen zugehörigen Arbeitnehmer müssen Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage sein. Sollten sie ihre Mitgliedschaft, aus welchen Gründen auch immer, verlieren oder sollten sie gegen die Grundsätze der Kirche in erheblichem Maße verstoßen, so muß dies eine Kündigung – in schwerwiegenden Fällen auch eine fristlose – nach sich ziehen.”
Anfang Dezember 1993 wandte sich der Kläger an den für ihn zuständigen Seelsorger, den Pfahlpräsidenten S…, und bat um seelsorgerischen Beistand. In diesem Zusammenhang offenbarte er dem Pfahlpräsidenten, daß seine Ehe mit einer ebenfalls der beklagten Kirche angehörenden Frau seit mehreren Jahren notleidend sei und er mehrfach Geschlechtsverkehr mit einer anderen Frau gehabt habe. Der Pfahlpräsident teilte dem Kläger mit, dieser müsse sich an den Gebietspräsidenten N… wenden, welcher der arbeitsrechtliche Vorgesetzte des Klägers war. Wenn der Kläger das nicht selbst tue, werde er, S…, den Gebietspräsidenten unterrichten. Nach der vom Kläger nicht widersprochenen Darstellung der Beklagten war der Gebietspräsident nach den Grundsätzen der Mormonenkirche als Seelsorger für den Kläger nicht zuständig. Der Kläger wandte sich darauf mit seinem Anliegen an den Gebietspräsidenten N…. Dieser enthielt sich eines seelsorgerischen Beistandes. Nach den Erläuterungen des Klägervertreters vor dem Senat gibt es in der Kirche eine Beichte nicht. Der Kläger habe sich mit seinem Anliegen an S… und N… gewandt, um das für ihn entstandene Problem zu lösen, zumal der Gebietspräsident in einem Schreiben wegen der an ihn herangetragenen Bitte wegen einer Betriebsvertretung angeboten habe, jeder könne ihn wegen persönlicher Dinge ansprechen. Innerhalb einer Woche nach diesem Gespräch kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 27. Dezember 1993 fristlos.
Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er vertritt die Ansicht, die fristlose Kündigung sei unwirksam, da die Beklagte vor ihrer Kündigung nicht hinreichend deutlich gemacht habe, daß sie Ehebruch als einen Kündigungsgrund ansehe, der zur fristlosen Entlassung berechtige. Die Kündigung sei im übrigen sittenwidrig. Die Beklagte habe seine gewissermaßen unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses offenbarte höchstpersönliche Verfehlung nicht arbeitsrechtlich gegen ihn verwerten dürfen, zumal der Ehebruch nicht bekannt gewesen sei, als er sich mit der Bitte um seelsorgerischen Beistand an seinen Seelsorger gewandt habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Dezember 1993 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, der Ehebruch des Klägers stelle einen wichtigen Grund für die fristlose Entlassung dar. Ihre Glaubwürdigkeit wäre unerträglich beeinträchtigt worden, wenn sie den Kläger trotz des bekanntgewordenen Ehebruchs weiter in seiner exponierten Stellung als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit in Europa belassen hätte. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, weil dem Kläger völlig klar gewesen sei, daß die Beklagte sein Verhalten nicht billigen werde und weil der Kläger sein Verhalten – inzwischen sei die Ehe geschieden – nicht geändert hätte.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung. Entgegen der Meinung des Landesarbeitsgerichts verstößt die Kündigung im Hinblick auf die eigene Offenbarung des Klägers gegenüber den Repräsentanten der Beklagten nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Vielmehr liegt an sich unter Beachtung des den Kirchen nach Art. 140 GG, 137 Abs. 5 WRV eingeräumten Selbstbestimmungsrechts ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung (§ 626 BGB) vor, wobei dem Landesarbeitsgericht als Tatsachengericht die abschließende Interessenabwägung obliegt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam. Zwar sei der Ehebruch des Klägers an sich eine Verfehlung, welche die Beklagte zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtige. Die fristlose Kündigung verstoße jedoch gegen die guten Sitten und sei aus diesem Grunde nichtig. Die Beklagte habe bei der Kündigung in unzulässiger, unanständiger Weise ein Wissen verwertet, das, wenn nicht rechtlich, so doch ganz klar moralisch der seelsorgerischen Schweigepflicht unterlegen habe. Der Kläger habe unstreitig deutlich gemacht, daß es ihm um seelsorgerischen Beistand gegangen sei. Nur deshalb habe er seinen ehelichen Fehltritt gebeichtet. Aufgrund seines verfassungsrechtlich gesicherten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung habe der Kläger selbst bestimmen können, innerhalb welcher Grenzen er persönliche Lebenssachverhalte offenbare. Daran sei die Beklagte gebunden gewesen.
II. Dem folgt der Senat nicht. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann noch keine abschließende Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der Kündigung getroffen werden.
1. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Kündigung weder wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, noch ist sie – etwa wegen unzulässiger Ausnutzung eines Beichtgeheimnisses – rechtsmißbräuchlich, § 242 BGB.
a) Zwar kann, wie sich schon aus § 13 Abs. 2 Satz 1 KSchG ergibt, auch eine Kündigung wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. Die Rechtsprechung hat jedoch stets bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit von Kündigungen einen strengen Maßstab angelegt und darauf abgestellt, eine Kündigung müsse dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden kraß widersprechen, um als sittenwidrig angesehen zu werden. Da die Kündigung als Willenserklärung an sich wertfrei ist, kann sich die Sittenwidrigkeit nur aus dem ihr zugrundeliegenden Motiv oder Zweck ergeben (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, II, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 18, 4, S. 374 f.). Auch in den Fällen, in denen ein einseitiges Rechtsgeschäft auf einem unsittlichen Motiv (z. B. Rachsucht) beruht, ist jedoch nicht immer das Motiv als solches entscheidend, vielmehr kommt es darauf an, daß durch das unsittliche Motiv das Rechtsgeschäft als Regelung zu einem sittenwidrigen wird (Flume, aaO). Es ist deshalb verfehlt, lediglich auf das Motiv des kündigenden Arbeitgebers oder einzelne Tatsachenkomplexe abzustellen. Ob eine Kündigung wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, kann nur eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles ergeben (BAG Urteil vom 12. Oktober 1954 – 2 AZR 36/53 – BAGE 1, 110 = Nr. 5 zu § 3 KSchG; BAG Urteil vom 23. November 1961 – 2 AZR 301/61 – BAGE 12, 60 = AP Nr. 22 zu § 138 BGB; KR-Friedrich, 4. Aufl., § 13 KSchG Rz 132; MünchArbR/Wank, § 116 Rz 142; aus neuerer Zeit: Oetker, AuR 1997, 41, 47). Zu berücksichtigen ist dabei, ob der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund geltend macht, der nach § 626 BGB bzw. § 1 KSchG an sich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Macht der Arbeitgeber von einem Kündigungsrecht Gebrauch, das ihm nach den gesetzlichen Vorschriften zusteht, so wird regelmäßig das Unwerturteil nicht gerechtfertigt sein, die Kündigung verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (vgl. BAG Urteil vom 16. Februar 1989 – 2 AZR 347/88 – BAGE 61, 151, 159 = AP Nr. 46 zu § 138 BGB, zu II 3c der Gründe; BAG Urteil vom 28. April 1994 – 2 AZR 726/93 – RzK I 8k Nr. 8).
b) Mit der außerordentlichen Kündigung hat die Beklagte von einem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht, das ihr an sich nach § 626 Abs. 1 BGB zustand. Davon ist ersichtlich auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, ohne allerdings die sich nach der Rechtsprechung des Senats hieraus ergebende Schlußfolgerung zu ziehen. Das Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß der Ehebruch des Klägers an sich eine Verfehlung war, die die Beklagte zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigte. Dieser Wertung ist insoweit zuzustimmen.
aa) Dadurch, daß der Kläger unstreitig mit einer anderen Frau die Ehe gebrochen hatte, verstieß er gegen die sich für ihn aus § 10 des Anstellungsvertrages vom 25. September 1986 ergebende Verpflichtung, die hohen moralischen Grundsätze seiner Kirche einzuhalten und jegliches Verhalten zu unterlassen, das diese Grundsätze in Frage stellen konnte. Unstreitig ist ein wesentlicher Grundsatz der Beklagten die absolute Treue zum Ehepartner. Ehebruch ist nach den hier zu beachtenden Grundsätzen der Beklagten, wie dies in der oben angeführten Schrift des Propheten der Beklagten deutlich zum Ausdruck kommt, – nach Mord – das schwerste Vergehen. Das stellt auch der Kläger nicht in Abrede.
bb) Die moralischen Grundsätze der Beklagten sind bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß gegen sie als ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB anzusehen ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen.
(1) Die Beklagte ist eine Religionsgesellschaft im Sinne von Art. 137 WRV (vgl. von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rz 19). Durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV wird ihr die Freiheit garantiert, ihre Angelegenheiten selbst innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten.
Bedienen sich die Religionsgesellschaften wie jedermann der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, so findet auf diese zwar das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Dies hindert die Zugehörigkeit dieser Arbeitsverhältnisse zu den “eigenen Angelegenheiten” im Sinne von Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV jedoch nicht (vgl. BVerfG Beschluß vom 25. März 1980 – 2 BvR 208/76 – BVerfGE 53, 366, 392 = AP Nr. 6 zu Art. 140 GG und BVerfG Beschluß vom 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83 u.a. – BVerfGE 70, 138, 165 f. = AP Nr. 24 zu Art. 140 GG). Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bleibt für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse wesentlich. Auch im Wege des Vertragsschlusses können daher einem kirchlichen Arbeitnehmer besondere Obliegenheiten einer kirchlichen Lebensführung auferlegt werden. Werden solche Loyalitätspflichten in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungsmäßigen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch. Beides zusammen ermöglicht es den Religionsgesellschaften erst, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen. Dazu gehört die Befugnis der Religionsgesellschaften, den ihr angehörenden Arbeitnehmern die Beachtung jedenfalls der tragenden Grundsätze der jeweiligen Glaubens- und Sittenlehre aufzuerlegen und zu verlangen, daß sie nicht gegen die fundamentalen Verpflichtungen verstoßen, die sich aus der Zugehörigkeit zur Religionsgesellschaft ergeben und die jedem Mitglied obliegen. Für die Religionsgesellschaften kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, daß ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung – auch in ihrer Lebensführung – respektieren (vgl. BVerfGE 70, 138 = AP, aaO). Damit war die Beklagte berechtigt, dem Kläger die Beachtung des Grundsatzes der ehelichen Treue als einen der tragenden Grundsätze ihrer Sittenlehre aufzuerlegen.
(2) Die Arbeitsgerichte sind bei der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zum Kündigungsrecht an die Vorgaben der Religionsgesellschaften gebunden, soweit diese Vorgaben den anerkannten Maßstäben der verfaßten Kirchen Rechnung tragen und sich die Gerichte durch die Anwendung dieser Vorgaben nicht in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in dem Begriff der “guten Sitten” (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben, begeben. Die Arbeitsgerichte haben sicherzustellen, daß die Religionsgesellschaften nicht in Einzelfällen unannehmbare Anforderungen an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellen (vgl. BVerfGE 70, 138, 168 = AP, aaO).
Die Vorgaben der Beklagten gegenüber dem Kläger hinsichtlich der ehelichen Treue tragen den anerkannten Maßstäben der verfaßten Kirchen Rechnung und stehen nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung. Die Ehe hat in den verfaßten Kirchen und in den Weltreligionen eine herausragende Bedeutung. In der katholischen Kirche hat sie den Rang eines Sakraments (vgl. codex juris canonici – cic-can 1055 § 1). Ihre Wesenseigenschaften sind die Einheit und die Unauflöslichkeit (cic can. 1056). Nach der hebräischen Bibel (2. Buch Moses, Kapitel 20 Vers 14) ist der Ehebruch ein Verstoß gegen ein Gebot Gottes. Dies hat dazu geführt, daß der Ehebruch auch nach katholischem Kirchenrecht bis zur Neufassung des codex juris canonici im Jahre 1983 als Verbrechen angesehen wurde (cic can. 2357 § 2), mit der Folge, daß Ehebrecher solange von den kirchlichen Ehrendiensten auszuschließen waren, bis sie ein Zeichen wirklicher Reue gegeben hatten. Auch nach dem Koran (Sure 4, 15-16 und Sure 24, 2-10) ist die eheliche Untreue verwerflich und zu bestrafen.
Das kirchliche Verständnis der Ehe hat nicht zuletzt im Grundgesetz seinen Niederschlag gefunden. Nach Art. 6 Abs. 1 GG steht die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der Ehebruch wird von der Rechtsordnung als schwerwiegendes Fehlverhalten betrachtet (vgl. Kommentierung zu § 1579 Nr. 6 BGB, z. B. Palandt/Diederichsen, BGB, 56. Aufl., § 1579 Rz 26), und zwar ungeachtet der Tatsache, daß dies in der gelebten Praxis auch anders gesehen wird.
c) Die Kündigung verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen wird. Das gilt auch für eine mittels Kündigung ausgeübte Gestaltungsmacht (vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1994 – 2 AZR 617/93 – BAGE 77, 128, 135 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung, zu II 2c aa der Gründe, m.w.N.). Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, läßt sich dabei nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden (BAG Urteil vom 23. Juni 1994 – 2 AZR 617/93 – BAGE 77, 128, 133 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung, zu II 2a der Gründe). Bei der Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 204 f.; Beschluß vom 11. Mai 1976 – 1 BvR 671/70 – BVerfGE 42, 143, 148; Beschluß vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 und 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 229) die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie, das Recht auf Achtung der Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen. Indem § 242 BGB ganz allgemein auf die Verkehrssitte und Treu und Glauben verweist, verlangt er von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden (BVerfG Beschluß vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 und 1044/89 –, aaO). Im Rahmen der Beurteilung, ob eine Kündigung den Anforderungen des § 242 BGB genügt, ist darüber hinaus zu beachten, daß das Kündigungsschutzgesetz die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt hat, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Umstände, die in diesem Rahmen zu würdigen sind, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben – unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes – nicht in Betracht (vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1994 – 2 AZR 617/93 – BAGE 77, 128, 133 = AP, aaO; einschränkend Oetker, AuR 1997, 41 f.).
bb) Aus diesen Grundsätzen folgt zunächst, daß es nicht der Verkehrssitte sowie Treu und Glauben widerspricht, wenn die Beklagte gegenüber dem Kläger innerhalb des Rahmens der kündigungsrechtlichen Vorschriften von dem ihr durch den Grundsatz der Privatautonomie eingeräumten Kündigungsrecht Gebrauch macht. Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen ist ein Teil der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit (BVerfG Beschluß vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 und 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 231, m.w.N.). Für die Beklagte ist dieses Gestaltungsrecht in ihren Angelegenheiten zudem noch besonders durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV geschützt. Die Privatautonomie sowie das Recht der Beklagten, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln, werden jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Ihrer Ausübung stehen die Rechte anderer Grundrechtsträger gegenüber.
Der Kläger hat seinerseits ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht gewährleistet die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfG Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83 u.a. – BVerfGE 65, 1, 42 und BVerfG Beschluß vom 9. März 1988 – 1 BvL 49/86 – BVerfGE 78, 77, 84). Es oblag daher dem Kläger, selber zu entscheiden, ob, wem und zu welchem Zweck er seinen Ehebruch gegenüber Dritten offenbaren wollte. Dieses Recht wird zwar durch die Kündigung nicht unmittelbar berührt. Die Beklagte kann ihre Kündigung jedoch im Kündigungsschutzprozeß nur begründen, wenn sie auf den vom Kläger offenbarten Sachverhalt zurückgreift. Die Tatsache des Ehebruchs hat der Kläger dem Pfahlpräsidenten S… nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) nur im Zusammenhang mit der Bitte um seelsorgerischen Beistand offenbart.
Es kann dahingestellt bleiben, ob aufgrund dieser Bitte sich für S… etwa das Erfordernis im Verhältnis zur Beklagten als Arbeitgeberin ergab, das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers zu wahren. Denn die Beklagte hat ihr Wissen, das zur Begründung der Kündigung diente, nicht von S… erlangt. Vielmehr hat der Kläger – wenn auch auf die nachdrückliche Intervention S… – selbst den Gebietspräsidenten Neuenschwander informiert. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts belegen nicht, daß der Kläger Herrn N.… um seelsorgerischen Beistand angegangen hat. Wenn das Landesarbeitsgericht (Urteil S. 3/4 und 7/8) ersichtlich mit Bedacht formuliert hat, der Kläger habe sich nach dem Gespräch mit S… mit seinem seelsorgerischen Anliegen an Herrn N.… gewandt, der sich eines seelsorgerischen Beistands enthalten habe, ergibt sich daraus nicht, daß der Kläger N.… in der Eigenschaft als Seelsorger in Anspruch genommen, ihm also dieses Motiv des Anliegens verdeutlicht hat, was die Beklagte bestritten hat (Schriftsatz vom 19. Juni 1995, Bl. 83 VA) und wofür N.… nach dem Selbstverständis der beklagten Kirche auch nicht zuständig war. Dies hat die Revision zutreffend gerügt. Gerade in der zusätzlichen Begründung des Landesarbeitsgerichts (Urteil S. 7), durch die Weiterverweisung habe das Anliegen des Klägers seinen seelsorgerischen Charakter nicht verloren, wird deutlich, daß es sich hier nur um eine nicht tatsachenmäßig belegte Schlußfolgerung handelt, die außerdem im Widerspruch zu der kirchenrechtlich – als Seelsorger des Klägers – nicht vorhandenen Kompetenz des Gebietspräsidenten steht. Dafür spricht auch die ausdrückliche Feststellung des Landesarbeitsgerichts, N.… habe sich eines seelsorgerischen Beistandes enthalten. Die vom Landesarbeitsgericht in den Vordergrund seiner Begründung gerichtete “Schweigepflicht des Seelsorgers” war also in der Person des Gebietspräsidenten N.… nicht begründet. Im übrigen hat der Kläger vor dem Senat selbst klargestellt, daß es eine Beichte in der Mormonenkirche nicht gebe: Der vom Landesarbeitsgericht zum Beichtgeheimnis der katholischen Kirche gezogene Vergleich entbehrt daher einer tatsächlichen Grundlage. Im übrigen wäre jedenfalls darauf abzustellen, daß der Kläger – jedenfalls gegenüber N.… – nicht klar und unmißverständlich bei seinem Gespräch herausgestellt hat, er gehe N.… nur als Seelsorger an. Auch hierauf weist die Revision mit Recht hin. Im Grunde sieht das der Kläger auch nicht anders, wenn er vor dem Senat hat vortragen lassen, er habe sich an S.… und N.… gewandt, um das für ihn entstandene Problem zu lösen. Soweit er sich an seinen Dienstvorgesetzten N.… wandte, war aber – wie die Reaktion der Beklagten zeigt – eine andere Lösung als die der Kündigung nach dem Selbstverständnis der Beklagten nicht möglich, zumal der Kläger weder in diesem Gespräch noch etwa im Prozeß vorgetragen hat, er wolle im Sinne von Abschnitt 42 Vers 23, 24 der Prophetenschrift “mit ganzem Herzen Umkehr” üben und zu seiner Frau zurückkehren.
Nach alledem kann nicht davon die Rede sein, daß die Beklagte bei Verwertung des ihr durch den Kläger bekannt gewordenen Kündigungssachverhalts das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers (Art. 1, 2 GG) verletzt hat. Damit erweist sich der Ausspruch der Kündigung nicht als treuwidrig.
Im übrigen stünden der etwaigen Rechtsposition des Klägers vitale Interessen der Beklagten gegenüber, die zumindest gleichrangig denen des Klägers sind. Das durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften dient unter anderem dazu, ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, grundsätzlich alles aus ihrer Sicht Erforderliche zu tun, um ihre Glaubwürdigkeit zu gewährleisten (vgl. BVerfG Beschluß vom 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83 u.a. – BVerfGE 70, 138, 166 = AP Nr. 24 zu Art. 140 GG). Die Bewahrung der Glaubwürdigkeit ist für jede Glaubensgemeinschaft von elementarer Bedeutung. Die Glaubwürdigkeit der Beklagten wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers gerade in seiner Position gefährdet gewesen. Aufgabe des Klägers als Gebietsdirektor Europa, Öffentlichkeitsarbeit, war es, “mitzuhelfen, daß ein richtiges und wohlwollendes Verständnis für die Kirche entsteht” und “die Missionierung zu unterstützen” (vgl. Arbeitsplatzbeschreibung). Zudem sollte er etwa 170 kirchendienstliche Öffentlichkeitsarbeit-Beauftragte schulen und motivieren. Das Verständnis für bzw. der Glaube an die unbedingte Treue zum Ehepartner als wesentlicher Grundsatz der Beklagten wird aber erschwert, wenn derjenige, der diesen Grundsatz in herausgehobener Position im Namen der Beklagten verbreitet, selbst diesen Grundsatz nicht beachtet. Die Tatsache, daß der Sachverhalt des Ehebruchs zum Zeitpunkt der Mitteilung durch den Kläger noch nicht öffentlich bekannt war, steht einem schutzwürdigen Interesse der Beklagten an der Kündigung des Klägers nicht entgegen, zumal nicht gewährleistet war, daß sowohl die Ehefrau als auch die Partnerin des Klägers ihr Wissen für sich behielten. Der Beklagten war es nicht zuzumuten, den Eintritt eines Glaubwürdigkeitsverlustes durch das Bekanntwerden des Verhaltens des Klägers in einer breiten Öffentlichkeit abzuwarten.
2. Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung durch die Beklagte.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteile vom 12. März 1987 – 2 AZR 176/86 – AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972, zu B II 2b der Gründe; vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42, 53 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 2b der Gründe; vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – BAGE 74, 127 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB; vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 – AP Nr. 3 zu § 108 BPersVG) ist vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung eine vorherige Abmahnung dann entbehrlich, wenn es sich um eine besonders grobe Pflichtverletzung handelt und dem Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens ohne weiteres erkennbar war und er mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte. In solchen Fällen muß dem Arbeitnehmer bewußt sein, daß er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.
b) Ein derartiger Pflichtverstoß liegt hier vor. Wie bereits ausgeführt, gehört die eheliche Treue zu den wesentlichen Grundsätzen der Beklagten. Dies war dem Kläger unstreitig aufgrund seiner lebenslangen Zugehörigkeit zur Beklagten und der von ihm in der Vergangenheit ausgeübten Tätigkeiten bekannt. Er konnte somit die Pflichtwidrigkeit seines ehebrecherischen Verhaltens erkennen. Aufgrund der deutlichen Regelungen in § 10 des Anstellungsvertrages vom 25. September 1986 konnte er mit der Billigung seines Verhaltens durch die Beklagte nicht rechnen. Darin ist ausdrücklich festgehalten, daß Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeit Kontakt mit betriebsfremden Personen haben, im Falle der erheblichen Verletzung von Grundsätzen der Beklagten mit einer Kündigung rechnen müssen. Dem Kläger mußte aufgrund dieser Formulierung bewußt sein, daß die Beklagte einen in ihren Augen derart schweren Verstoß gegen ihre Grundsätze durch einen Arbeitnehmer in einer herausgehobenen, der Öffentlichkeit im besonderen Maße ausgesetzten Position wie der des Leiters der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit nicht hinnehmen konnte.
3. Der Senat sieht sich an einer eigenen abschließenden Sachentscheidung gehindert, da beide Vorinstanzen – aus ihrer Sicht konsequent – die im Rahmen der Prüfung der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Interessenabwägung nicht vorgenommen haben. Diese ist den Tatsacheninstanzen vorbehalten. Hinzu kommt, daß nach Auffassung des Senats beiden Parteien Gelegenheit gegeben werden muß, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu den Interessengesichtspunkten – gegebenenfalls auch zu einer eventuellen Umdeutung der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung (§ 140 BGB) – ergänzend vorzutragen.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Hayser, Dr. Roeckl
Fundstellen
Haufe-Index 884890 |
NZA 1998, 145 |