Entscheidungsstichwort (Thema)
Staatenimmunität. drittstaatliche Eingriffsnormen
Leitsatz (redaktionell)
Nur wenn die einem Arbeitnehmer durch einen ausländischen Staat in Deutschland übertragenen Aufgaben hoheitlicher Art sind, genießt der Staat für Streitigkeiten aus dem privatrechtlich begründeten Arbeitsverhältnis Staatenimmunität.
Normenkette
GG Art. 25; BGB § 611 Abs. 1, § 241 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. April 2014 – 17 Sa 999/13 – aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 4. Mai 2011 – 6 Ca 257/11 – auch hinsichtlich einer Verurteilung zur Zahlung von 3.369,14 Euro brutto nebst Zinsen zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 4. Mai 2011 – 6 Ca 257/11 – abgeändert und die Klage insoweit als derzeit unbegründet abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 62 % und die Beklagte zu 38 %, die Kosten der Berufung und der Revision der Kläger zu 55 % und die Beklagte zu 45 % zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Vergütung des Klägers durch griechische Gesetze gekürzt worden ist.
Die beklagte Republik Griechenland betreibt in B eine Grundschule, an der der Kläger seit 1994 als Lehrer für das Fach Deutsch beschäftigt ist. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag idF vom 2. Januar 2008, in dem es übersetzt auszugsweise heißt:
„Wir schreiten heute den 02.01.2008 zur Änderung des Arbeitsvertrages zwischen dem Griechischen Generalkonsulat der Stadt D und Herrn Z, Studienrat der deutschen Sprache, geboren am in L Deutschland, wohnhaft in B Deutschland, wie folgt:
Herr Z wird seine Tätigkeit im Schuljahr 2007-08 an der Griechischen Grundschule der Stadt B fortsetzen, mit 25 Stunden wöchentlich.
Die Anzahl der Arbeitsstunden wird zu Beginn des Schuljahres festgelegt, gemäß der Verpflichtung des Arbeitnehmers, die mit Artikel 10 des geänderten Arbeitsvertrages vom 01.01.92 eingegangen wurde.
- Die Regelung des Arbeitsverhältnisses erfolgt nach dem deutschen Bundestarifvertrag der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte und des deutschen öffentlichen Dienstes vom 07.05.1992 mit rückwirkender Gültigkeit zum 01.01.1992.
Gemäß den obigen Ausführungen, den Änderungen der Beiträge des deutschen Versicherungsträgers und der Anpassung des BAT am TV-L, gestaltet sich sein Gehalt wie folgt:
…”
Das Grundgehalt des Klägers, das die Beklagte entsprechend den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst der Länder anhob, betrug ab dem 1. März 2010 3.635,45 Euro brutto.
Die Republik Griechenland erließ aufgrund der mit der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfond (IWF) getroffenen Vereinbarungen ua. das Gesetz Nr. 3833/2010 über dringende Maßnahmen zur Bewältigung der Krise der Staatsfinanzen, das in den hier wiedergegebenen Teilen zum 1. Januar 2010 in Kraft gesetzt wurde (Regierungsblatt der Republik Griechenland Teil I Blatt Nr. 40 vom 15. März 2010). Nach der dem Berufungsgericht vorgelegten Übersetzung des Normtextes enthält es ua. folgende Regelungen:
„Artikel 1 |
Kürzung der Bezüge im weiteren öffentlichen Sektor |
…
§ 2
Die Zulagen jeder Art, die Entschädigungen und Entgelte im allgemeinen, sowie alles mit jeder anderen Bezeichnung Bestimmte und alles in welcher auch immer allgemeinen oder besonderen Bestimmung Vorgesehene für die Amtsträger und Angestellten der öffentlichen Hand, der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der kommunalen Gebietskörperschaften, der ständigen Mitglieder der Streitkräfte und der griechischen Polizei sowie auch der Feuerwehr und der Hafenpolizei werden um einen Anteil von zwölf vom Hundert (12%) gekürzt.
Die Zulagen der Paragraphen A3 der Art. 30 und 33 des Gesetzes 3205/2003 (Regierungsblatt 297 Teil A) in der geltenden Fassung, werden um einen Anteil von zwanzig vom Hundert (20%) gekürzt und die Zulagen für Weihnachten, Ostern und Urlaub werden um einen Anteil von dreißig vom Hundert (30%) gekürzt.
Die Bestimmungen des vorliegenden Paragraphen werden auch auf das Personal angewendet, welches sich in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis mit der öffentlichen Hand, den juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der kommunalen Gebietskörperschaften, den Streitkräften, der griechischen Polizei, der Feuerwehr und der Hafenpolizei befindet und haben Vorrang vor jeder allgemeinen oder besonderen Bestimmung oder Klausel oder Bedingung eines Tarifvertrags, eines Schiedsspruchs oder eines Arbeitsvertrags oder einer (sonstigen) Vereinbarung.
…
§ 4
Bei dem Personal mit einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis des § 2, auf welches die Bestimmungen des Gesetzes 3205/2003 nicht anzuwenden sind, sind von der in § 2 vorgesehenen Kürzung die Zulagen ausgenommen, die mit dem Familienstand oder der dienstlichen Laufbahn zusammenhängen, sowie auch die an die Gesundheitsschädlichkeit oder Gefährlichkeit der Arbeit oder mit postgradualen Studienabschlüssen verbundenen. Wenn an das vorgenannte Personal keine Zulagen, Entschädigungen oder Entgelte im Sinn des ersten Absatzes des § 2 des vorliegenden (Artikels) geleistet werden, sind die Bezüge jeder Art um sieben vom Hundert (7%) zu kürzen.”
Darüber hinaus erließ die Republik Griechenland das Gesetz Nr. 3845/2010 über Maßnahmen für die Anwendung des Stützungsmechanismus für die griechische Wirtschaft von Seiten der Mitgliedsländer der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds, das in den hier wiedergegebenen Teilen zum 1. Juni 2010 in Kraft gesetzt wurde (Regierungsblatt der Republik Griechenland Teil I Blatt Nr. 65 vom 6. Mai 2010). Nach der dem Berufungsgericht vorgelegten Übersetzung des Normtextes heißt es in diesem ua.:
„Dritter Artikel |
Maßnahmen für die Kürzung der öffentlichen Ausgaben |
…
§ 3
Bei dem Personal mit einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis des § 2 des Artikels 1 des Gesetzes 3833/2010, auf welches die Bestimmungen des Gesetzes 3205/2003 nicht anzuwenden sind, sind von der in § 1 vorgesehenen Kürzung die Zulagen ausgenommen, die mit dem Familienstand oder der dienstlichen Laufbahn zusammenhängen, sowie auch die an die Gesundheitsschädlichkeit oder Gefährlichkeit der Arbeit oder mit postgradualen Studienabschlüssen verbundenen. Wenn an das vorgenannte Personal keine Zulagen, Entschädigungen oder Entgelte im Sinn des § 1 geleistet werden, sind die Bezüge jeder Art um drei vom Hundert (3%) zu kürzen. Die ordentlichen Bezüge, die Zulagen, Entschädigungen und Entgelte im allgemeinen, sowie alles mit jeder anderen Bezeichnung Bestimmte und alles in welcher auch immer allgemeinen oder besonderen Bestimmung oder Klausel oder Bedingungen eines Tarifvertrags, eines Schiedsspruchs oder eines Arbeitsvertrags oder einer (sonstigen) Vereinbarung vorgesehene für ausnahmslos alle Arbeitstätigen bei Rechtsträgern des ersten Absatzes des § 5 des Art. 1 des Gesetzes 3833/2010 in der geltenden Fassung, werden um einen Anteil von drei vom Hundert (3%) gekürzt.
Von der Kürzung des vorausgegangenen Absatzes sind ausgenommen die Zulagen, die mit dem Familienstand oder der dienstlichen Laufbahn zusammenhängen sowie auch die an die Gesundheitsschädlichkeit oder Gefährlichkeit der Arbeit oder mit postgradualen Studienabschlüssen verbundenen.”
Die Beklagte kürzte unter Berufung auf die vorgenannten Gesetze ab Juni 2010 das Monatsgehalt des Klägers um 355,91 Euro brutto. Anders als in den Vorjahren erhielt der Kläger im Jahr 2010 keine Jahressonderzahlung in Höhe von 80 % eines Bruttomonatsentgelts. Außerdem zahlte die Beklagte von dem sich aus dem gekürzten Bruttogehalt ergebenden Auszahlungsbetrag (2.452,28 Euro) in den Monaten Juli und September bis Dezember 2010 nur 2.366,66 Euro sowie in den Monaten Juni und August 2010 nur 2.294,49 Euro an den Kläger.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2010, dem Kläger zugegangen am 12. November 2010, hat die Beklagte eine Änderungskündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausgesprochen und dem Kläger den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags mit einer Kürzung der monatlichen Bruttobezüge um 310,63 Euro und Einstellung der Jahressonderzahlung angeboten. Außerdem sollen künftig Entgelterhöhungen „nicht automatisch gemäß dem deutschen Tarifvertrag (TV-L) geleistet werden, sondern nach Beschluss Ihres Arbeitgebers, d. h. gemäß der Einkommenspolitik des griechischen Staates”. Dieses Angebot hat der Kläger unter Vorbehalt angenommen. Über die Wirksamkeit der Änderungskündigung führen die Parteien einen Kündigungsschutzprozess, der noch nicht rechtskräftig entschieden ist.
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit der am 28. Januar 2011 eingereichten Klage für den Zeitraum Juni bis Dezember 2010 eine monatliche Vergütungsdifferenz von 355,91 Euro brutto, eine Jahressonderzahlung in Höhe von 80 % der durchschnittlichen Monatsvergütung sowie die Auskehrung der restlichen Auszahlungsbeträge verlangt. Er hat gemeint, die griechischen Gesetze könnten den Inhalt seines in Deutschland zu erfüllenden, deutschem Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses nicht ändern.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.363,50 Euro brutto und 743,68 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter Staffelung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Klage sei unzulässig, weil sie wegen ihrer Staatenimmunität nicht vor deutschen Gerichten verklagt werden könne. Die Gesetze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 wirkten unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ein und führten ohne jeden weiteren Umsetzungsakt zu einer Verminderung seiner Vergütungsansprüche.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie als unzulässig abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (BAG 10. April 2013 – 5 AZR 79/12 –). Im erneuten Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Senat hat mit Beschluss vom 3. März 2015 das Revisionsverfahren bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens durch den Gerichtshof der Europäischen Union im Rechtsstreit Republik Griechenland ./. Nikiforidis (Beschluss vom 25. Februar 2015 – 5 AZR 962/13 (A) – BAGE 151, 75) ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, soweit sie Vergütungsdifferenzen betrifft, deren Entstehen von der Wirksamkeit der außerordentlichen Änderungskündigung abhängig ist. Im Übrigen ist sie unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig.
Die beklagte Republik Griechenland genießt in Bezug auf das Arbeitsverhältnis des Klägers keine Staatenimmunität. Das hat der Senat bereits im vorangegangenen Revisionsverfahren (BAG 10. April 2013 – 5 AZR 79/12 – Rn. 13 ff.) und in einem Parallelverfahren für Lehrkräfte, die an der Ersatzschule der Beklagten in N im Rahmen von Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden, in seinem am heutigen Tag ergangenen Urteil (BAG 26. April 2017 – 5 AZR 962/13 – Rn. 15 ff.), auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, entschieden.
II. Die Klage ist begründet, soweit die streitgegenständlichen Vergütungsdifferenzen nicht von der rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der außerordentlichen Änderungskündigung abhängen.
1. Die griechischen Gesetze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 haben die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung des Klägers nicht gekürzt. Auch insoweit wird zur Begründung auf die vorgenannte Senatsentscheidung vom heutigen Tag verwiesen (BAG 26. April 2017 – 5 AZR 962/13 – Rn. 25 ff.). Dementsprechend steht ihm die Differenz zwischen der vereinbarten und der von der Beklagten tatsächlich gezahlten Vergütung zu, soweit eine solche nicht davon abhängt, ob die Vergütungsabrede der Parteien wirksam durch die Änderungskündigung vom 21. Oktober 2010 geändert worden ist.
2. Vom Ausgang des Änderungskündigungsschutzverfahrens unabhängig sind die vom Landesarbeitsgericht ohne Revisionsangriff festgestellten Gehaltskürzungen um monatlich 355,91 Euro brutto für die Monate Juni bis Oktober 2010 sowie eine Differenz von 142,36 Euro brutto für den Monat November 2010 anteilig bis zum Zugang der außerordentlichen Änderungskündigung. Außerdem soll durch diese das Bruttomonatsgehalt nicht – wie tatsächlich erfolgt – um 355,91 Euro, sondern nur um 310,63 Euro gekürzt werden. Daraus ergibt sich eine weitere, von der Wirksamkeit der Änderungskündigung unabhängige Differenz von 27,17 Euro brutto anteilig für November 2010 und 45,28 Euro brutto für den Monat Dezember 2010. Schließlich hat der Kläger, ohne dass es auf den Ausgang des Änderungskündigungsschutzprozesses ankäme, Anspruch auf Auszahlung der nicht ausgekehrten Nettobeträge. Denn deren Einbehalt begründete die Beklagte mit aus ihrer Sicht zu hohen, weil ungekürzten Gehaltszahlungen in den Monaten Januar bis Mai 2010. Damit stehen dem Kläger derzeit insgesamt 1.994,36 Euro brutto und 743,68 Euro netto zu.
3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. den Fälligkeitsregeln des § 24 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 TV-L.
III. Im Übrigen ist die Klage derzeit unbegründet.
1. Der Kläger hat das auf Entgeltreduzierung gerichtete Änderungsangebot der Beklagten gemäß § 2 Satz 2 KSchG unter Vorbehalt angenommen. Er muss deshalb zumindest bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Änderungskündigungsschutzprozess zu den geänderten Arbeitsbedingungen arbeiten. Erst mit Rechtskraft einer dem Kläger günstigen Entscheidung könnten die früheren Arbeitsbedingungen rückwirkend wieder hergestellt werden, § 8 KSchG (vgl. BAG 24. März 2004 – 5 AZR 355/03 – zu I 4 a aa der Gründe).
2. Danach steht derzeit nicht fest, ob für die Zeit nach dem Zugang der außerordentlichen Änderungskündigung Vergütungsdifferenzen entstanden sind. Das betrifft die Gehaltskürzung um 310,63 Euro brutto monatlich für die Zeit vom 13. November bis zum 31. Dezember 2010 und die auf § 20 TV-L gestützte Jahressonderzahlung für 2010, insgesamt 3.369,14 Euro brutto.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Unterschriften
Koch, Biebl, Weber, Zorn, Jungbluth
Fundstellen
Dokument-Index HI11206608 |