Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezahlte Freistellung am 24. und 31.12.; mittelbare Frauendiskriminierung
Leitsatz (redaktionell)
Teilzeitbeschäftigte Frauen, deren tägliche Arbeitszeit spätestens um 12.00 Uhr endet, haben keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung an Tagen, an denen der Arbeitgeber ab 12.00 Uhr Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge gewährt.
Normenkette
EWGRL 207/76; EWGRL 117/75; EWGVtr Art. 177, 119; GG Art. 3 Abs. 3, 2; BAT § 16 Abs. 2; BGB § 612 Abs. 3; BMT-G § 15 Abs. 4; BGB § 611a Abs. 1; BMT-G 2 § 15 Abs. 4; BeschFG Art. 1 § 2 Abs. 1; BeschFG 1985 Art. 1 § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 10.03.1992; Aktenzeichen 1 Sa 937/91) |
ArbG Bonn (Entscheidung vom 27.09.1991; Aktenzeichen 4 Ca 1476/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte, die ihre Arbeitnehmer an bestimmten Tagen ab 12.00 Uhr von der Arbeit freistellt, verpflichtet ist, auch der nur vormittags teilzeitbeschäftigten Klägerin jeweils entsprechende Freistellungen zu gewähren.
Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt als Bühnendekorateurin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Betriebe (BMT-G) Anwendung. Derzeit arbeitet die Klägerin 19,25 Stunden pro Woche, und zwar montags bis donnerstags von 7.30 Uhr bis 11.30 Uhr und freitags von 7.30 Uhr bis 10.45 Uhr. An diese Arbeitszeiten ist sie wegen der Erziehung ihrer beiden kleinen Kinder gebunden.
Aufgrund § 15 Abs. 4 BMT-G II gewährt die Beklagte jeweils am 24. und 31. Dezember Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
(4) An den Tagen vor Neujahr, vor Ostersonntag,
vor Pfingstsonntag und vor dem ersten Weihnachts-
feiertag wird - soweit die Verhältnisse der Ver-
waltung oder des Betriebes es zulassen - ab
12.00 Uhr Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des
Lohnes gewährt. Dem Arbeiter, dem diese Arbeits-
befreiung aus dienstlichen oder betrieblichen
Gründen nicht gewährt werden kann, wird an einem
anderen Tage entsprechende Freizeit unter Fort-
zahlung des Monatsgrundlohnes und etwaiger für
den Kalendermonat zustehender ständiger (ggf.
pauschalierter) Lohnzuschläge gewährt.Weiter gewährte die Beklagte bis 1990 üblicherweise ihren Bediensteten an Weiberfastnacht und Karnevalsdienstag Arbeitsbefreiung ab 12.00 Uhr. Wegen des Golfkrieges verweigerte die Beklagte die Freistellung an den Karnevalstagen 1991.
Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer können sowohl am 24. und 31. Dezember als auch Weiberfastnacht und Karnevalsdienstag, falls an diesen Tagen Arbeitsbefreiung gewährt wird, jeweils einen halben Tag Urlaub nehmen, so daß sie bei Anrechung von zwei Urlaubstagen insgesamt an vier Tagen frei haben. Den Halbtagsbeschäftigten, wie der Klägerin, wird dagegen, wenn sie an einem der vier Tage Urlaub nehmen wollen, jeweils ein voller Urlaubstag angerechnet.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, § 15 Abs. 4 BMT-G II und die Praxis der Beklagten bei der Gewährung bezahlter Freizeit an den Karnevalstagen sei eine ungerechtfertigte Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer und eine mittelbare Diskriminierung der Frau. Daher müßten die den Vollzeitbeschäftigten in diesem Zusammenhang gewährten Vorteile an sie als halbtagsbeschäftigte Teilzeitkraft proportional weitergegeben werden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt:
a) die Beklagte zu verurteilen, ihr für das Jahr
1991 zwei Tage bezahlten Freizeitausgleich zu
gewähren,
b) festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet
ist, sie an den Tagen Weiberfastnacht, Karne-
valsdienstag, Heiligabend und Silvester hin-
sichtlich des bezahlten Freizeitausgleichs
proportonial mit den Vollzeitbeschäftigten
gleichzustellen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, es fehle schon an einer Maßnahme, gegen die sich die Klägerin wehren könne. Sie habe die Klägerin nicht von einzelnen Leistungen ausgeschlossen. Vielmehr ergebe sich der Ausschluß aus der vereinbarten Arbeitszeit. Sie könne die Klägerin schon begrifflich nicht freistellen, da keine entsprechende Arbeitspflicht bestehe. Die Klägerin sei nicht schlechter gestellt als jeder andere - auch vollzeitbeschäftigte - Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeit an den genannten Tagen jeweils spätestens um 12.00 Uhr ende. Selbst wenn sie, die Beklagte, eine entsprechende Maßnahme getroffen habe, hätten dafür sachliche Gründe vorgelegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin jeweils am 24. und 31. Dezember und an Weiberfastnacht und am Karnevalsdienstag unter Fortzahlung der Bezüge ganz oder teilweise von der Arbeit freizustellen. Die Klägerin hat daher auch keinen Anspruch darauf, daß ihr die Beklagte für das Jahr 1991 zwei Tage bezahlten Freizeitausgleich (nach)gewährt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine die Klage abweisende Entscheidung wie folgt begründet (LAGE §2 BeschFG 1985 Nr. 17):
Die Klägerin könne ihr Begehren nicht auf § 2 Abs. 1 BeschFG stützen. Sie werde dadurch, daß ihr an den betreffenden Tagen keine bezahlte Freistellung gewährt werde, nicht "wegen der Teilzeitarbeit", sondern allein wegen der Lage ihrer Arbeitszeit gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Dies werde auch dadurch deutlich, daß selbst ein Vollzeitbeschäftigter, dessen Arbeitszeit so über die Woche verteilt sei, daß er an den vier Tagen mit bezahlter Dienstbefreiung ohnehin nicht hätte arbeiten müssen, keinen Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Freizeitausgleich hätte. Im übrigen sei die Ungleichbehandlung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, und zwar wiederum wegen der zeitlichen Lage der Arbeitszeit.
Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus Art. 3 GG, § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 119 EWG-Vertrag und der EWG-Richtlinie 75/117. Denn die Voraussetzungen, unter denen eine mittelbare Diskriminierung der Frau zu bejahen sei, lägen nicht vor. Für die zwischen Vollzeitkräften und vormittags arbeitenden Teilzeitkräften differenzierende Freistellungsregelung gebe es einen objektiv rechtfertigenden Grund, und zwar wiederum die jeweilige Lage der Arbeitszeit. Da die Teilzeitkräfte an den betreffenden Tagesstunden ohnehin nicht arbeiten müßten, gebe es keinen Anlaß, sie von der Arbeit freizustellen. Es gebe auch keinen Grund, ihre halbtägige Arbeitszeit an den genannten Tagen zu halbieren und für die dienstfreie Hälfte das Gehalt fortzuzahlen. Es sei objektiv gerechtfertigt, an den vier Tagen für die Erledigung privater Angelegenheiten generell erst ab 12.00 Uhr freizugeben, weil das Bedürfnis nach Freizeit für die Erledigung privater Angelegenheiten bei den Teilzeitkräften keinesfalls höher sei als bei den Vollzeitbeschäftigten.
Die Klägerin könne auch nicht damit gehört werden, wegen der für teilzeitbeschäftigte Frauen typischen Vormittagsarbeit müsse sie, wenn sie an den genannten vier Tagen nicht arbeiten wolle, vier Urlaubstage einsetzen anstelle von nur zwei Urlaubstagen, die die Vollzeitkräfte aufwenden müßten. Damit wolle die Klägerin letztlich an anderer Stelle den Vorteil erreichen, zu deren Gewährung die Beklagte an den betreffenden vier Tagen wegen der Zwecksetzung der Dienstbefreiung, nämlich die Sonderbelastung der Vollzeitkräfte aus Gründen des Brauchtums bzw. der Feiertagsvorbereitung ab 12.00 Uhr abzubauen, nicht verpflichtet ist. Es sei objektiv gerechtfertigt, einen Vorteil, zu deren Gewährung man nicht verpflichtet sei, nicht in Form einer anderen Vergünstigung erbringen zu müssen. Schließlich könne die Klägerin auch nicht einwenden, der objektiv rechtfertigende Grund für die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen, nämlich die Lage der Arbeitszeit am Vormittag, sei seinerseits ein Frauenspezifikum, so daß die Diskriminierung wegen des Geschlechts aus der Dienstbefreiung am Nachmittag resultiere. Selbst wenn man unterstelle, daß die weitaus meisten bei der Beklagten in Teilzeit beschäftigten Frauen vormittags arbeiteten, sei es objektiv gerechtfertigt, an den betroffenen Tagen eben erst ab 12.00 Uhr freizugeben. Es mache keinen Sinn, an Brauchtums- und Vorfeiertagen am Vormittag freizugeben und nachmittags arbeiten zu lassen. Im Interesse eines geordneten Dienstbetriebes sei es weiterhin auch objektiv gerechtfertigt, kein Wahlrecht einzuräumen, ob man vormittags oder nachmittags freinehmen wolle.
II. Dem ist im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung zu folgen. Die Beklagte, die die Klägerin an den genannten Tagen nicht freistellt, verstößt damit weder gegen Art. 119 EWG-Vertrag, die EWG-Richtlinien 75/117 und 76/207, § 611 a Abs. 1 und § 612 Abs. 3 BGB, noch gegen Art. 3 Abs. 2, 3 GG, noch gegen § 2 Abs. 1 BeschFG 1985.
1. Nach Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag hat jeder Mitgliedsstaat den Grundsatz gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden und in der Folge beizubehalten. Art. 119 EWG-Vertrag ist unmittelbar anwendbares Recht. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann sich der einzelne Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber vor Gericht auf diese Vorschrift berufen (vgl. zuletzt Urteil vom 7. Februar 1991 - C-184/89 - EuGHE 1991, I-297 = AP Nr. 25 zu § 23a BAT; ebenso BAG in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 2. Dezember 1992 - 4 AZR 152/92 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 1a der Gründe). Der Anwendungsbereich der Richtlinie 75/117/EWG geht nicht über den des Art. 119 EWG-Vertrag hinaus (Urteil vom 31. März 1981 - 97/80 - EuGHE 1981, I-911, 927; Groeben/Thiesing/Ehlermann/Currall, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl., Art. 119 Rz. 7 ff.).
Das Lohngleichheitsgebot beansprucht nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Vorrang auch gegenüber Tarifverträgen (EuGH Urteil vom 27. Juni 1990 - C-33/89 EuGHE 1990, I-2591 = AP Nr 21 zu Art. 119 EWG-Vertrag = EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 3; Urteil vom 7. Februar 1991 - C-184/89 -, aaO). Dies ergibt sich auch aus Art. 4 der Richtlinie 75/117/EWG, wonach die Mitgliedsstaaten sicherzustellen haben, "daß mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbare Bestimmungen in Tarifverträgen ... nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können".
a) Die vom Arbeitgeber gewährten bezahlten Freistellungen fallen unter den Begriff des Entgelts im Sinne von Art. 119 EWG-Vertrag. Nach Art. 119 Abs. 2 EWG-Vertrag sind unter "Entgelt" im Sinne dieses Artikels "die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar oder in Sachleistungen zahlt". Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gehören dazu alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen vorausgesetzt, daß sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Dienstverhältnisses gewährt, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrages, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig (Urteile vom 17. Mai 1990 - C 262/88 - EuGHE 1990, I-1889; Urteil vom 4. Juni 1992 - C-360/90 - EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 108). Wie der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 4. Juni 1992 (aaO) entschieden hat, fallen Vergütungen in Form von bezahlten Arbeitsfreistellungen unter den Begriff des "Entgelts" im Sinne von Art. 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG.
Die Klägerin wird anders behandelt als die Arbeitnehmer, deren Sollarbeitszeit nach 12.00 Uhr endet. Sie erhält also an diesen Tagen für die von ihr geleistete Arbeit eine geringere Vergütung pro Zeiteinheit als diejenigen, die ab 12.00 Uhr von der Arbeit freigestellt werden.
b) Art. 119 EWG-Vertrag erfaßt nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts (z. B. Urteil vom 13. Mai 1986 - 170/84 - EuGHE 1986, 1607 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; zuletzt Urteil vom 4. Juni 1992 - C-360/90 -, aaO). Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Regel zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, die Benachteiligung aber erheblich mehr Frauen als Männer (oder umgekehrt) betrifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (Urteile vom 13. Juli 1989 - 171/88 - EuGHE 1989, 2743 = AP Nr. 16 zu Art. 119 EWG-Vertrag, 27. Juni 1990 und 4. Juni 1992, jeweils aaO). Bisher hat das Bundesarbeitsgericht es für den Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung zusätzlich für erforderlich gehalten, daß die besonders die Angehörigen eines Geschlechts treffende nachteilige Wirkung einer Regelung auf geschlechtsspezifischen Gründen beruht. Es müsse geprüft werden, ob die nachteilige Wirkung auch anders als mit dem Geschlecht oder den Geschlechterrollen erklärt werden kann (BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Urteil vom 9. Oktober 1991 - 5 AZR 598/90 - NZA 1992, 259, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; zweifelnd nunmehr Urteil vom 2. Dezember 1992 - 4 AZR 152/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß die Benachteiligung erheblich mehr Frauen als Männer trifft, also der prozentuale Anteil der Frauen unter den Arbeitnehmern mit einer spätestens um 12.00 Uhr endenden Sollarbeitszeit erheblich größer ist als unter denen, deren Arbeitszeit nach 12.00 Uhr endet. Es kann weiter zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, daß die nachteilige Wirkung der Regelung auf geschlechtsspezifischen Gründen beruht - sofern an diesem zusätzlichen Kriterium festzuhalten ist.
c) Denn die Ungleichbehandlung ist durch objektive Faktoren gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts allein zuständigen nationalen Gerichts, festzustellen, ob und inwieweit eine mittelbar diskriminierende Regelung durch objektive Gründe, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (Urteile vom 13. Mai 1986 - 170/84 - EuGHE 1986, 1607 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; vom 13. Juli 1989 - 171/88 -, aaO; vom 27. Juni 1990 - C-33/89 -, aaO; vom 7. Februar 1991 - C-184/89 -, aaO). Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 Abs. 3 EWG-Vertrag bedarf es daher nicht.
Bei dieser Prüfung sind die nationalen Gerichte in der Wahl ihrer Maßstäbe jedoch nicht frei, sondern an die Vorgaben gebunden, die sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. So ist zur Rechtfertigung der von einer Rechtsnorm vorgesehenen Ungleichbehandlung zunächst erforderlich, daß mit dieser Ungleichbehandlung ein sachlicher, nicht auf das Geschlecht bezogener Zweck verfolgt wird. Dabei genügt freilich nicht jeder sachliche Grund, sondern nur ein Zweck, der einem objektiven Betrachter hinreichend gewichtig erscheinen muß. So hat der Europäische Gerichtshof von einer für ein Unternehmen getroffenen Regelung gefordert, daß sie einem "wirklichen Bedürfnis" des Unternehmens dienen müsse (Urteil vom 13. Mai 1986, aaO). Zur Rechtfertigung einer diskriminierenden Gesetzesvorschrift hat er es für erforderlich gehalten, daß diese einem notwendigen Ziel der Sozialpolitik des Mitgliedsstaats dient (Urteil vom 13. Juli 1989, aaO, sowie vom 7. Mai 1991 - C-229/89 - EuGHE 1991, I-2223). Es muß hinzukommen, daß die Ungleichbehandlung zur Erreichung des rechtfertigenden Ziels auch erforderlich und geeignet ist.
In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, daß nicht jeder sachliche Grund, der einen Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen § 2 Abs. 1 BeschFG entfallen läßt, zugleich ein objektiv rechtfertigender Grund für die Verletzung des Lohngleichheitsgebots ist. Art. 119 EWG-Vertrag stellt an die Zulässigkeit einer Differenzierung damit strengere Anforderungen (Urteile vom 23. Januar 1990 - 3 AZR 58/88 - AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung = EzA § 1 BetrAVG Gleichberechtigung Nr. 6, zu B II 3a der Gründe; vom 20. November 1990 - 3 AZR 613/89 - BAGE 66, 264, 274 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung = EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2 zu II 4 b aa der Gründe; Lipke, AuR 1991, 76, 80).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Ungleichbehandlung hier als gerechtfertigt. Ein objektiver die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund liegt auch dann vor, wenn "Gleichbehandlung", also die Gewährung der Vergünstigung auch an die Teilzeitbeschäftigten, zu einer Veränderung des Leistungszwecks, d. h. der Art der Leistung führen würde, wenn also die den Teilzeitbeschäftigten gewährte Vergünstigung in ihrer Art nicht mehr dieselbe wäre wie die den Vollzeitbeschäftigten gewährte.
Das ist hier der Fall. Die Beklagte stellt ihre Arbeitnehmer am 24. und 31. Dezember eines jeden Jahres und in den meisten Jahren auch an Weiberfastnacht und am Karnevalsdienstag jeweils ab 12.00 Uhr von der Arbeit frei. Es handelt sich also um eine streng zeit- und anlaßbezogene Freistellung. Der Umstand, daß die vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im Gegensatz zu den Teilzeitbeschäftigten an den genannten Tagen jeweils nur einen halben Urlaubstag nehmen müssen, ändert daran nichts. Diese Regelung bewirkt nur, daß die Freistellung auch den Vollzeitbeschäftigten zugute kommt, die Urlaub nehmen.
Die an genau festgelegten Tagen ab einer bestimmten Uhrzeit gewährte Freistellung unterscheidet sich maßgeblich von der Einräumung eines Anspruchs auf Urlaub oder bezahlte Freistellung, die die Arbeitnehmer nach Wahl an verschiedenen Tagen nehmen können. Sie unterscheidet sich auch erheblich von der Einräumung eines Wahlrechts für den Arbeitnehmer, an bestimmten Tagen jeweils entweder vormittags oder nachmittags bzw. am Anfang oder am Ende der jeweiligen Sollarbeitszeit von der Arbeit freigestellt zu werden.
Während die letztgenannten Vergünstigungen ohne Änderung des Leistungszwecks, d. h. der Art der Leistung, auch nur vormittags beschäftigten Teilzeitkräften (anteilig) gewährt werden können, ist dies bei den streng zeit- und anlaßbezogenen Freistellungen nicht der Fall. Die Freistellung an den genannten Tagen ab 12.00 Uhr verliert ihren Charakter, wenn sie den vormittags beschäftigten Teilzeitkräften in der Weise gewährt wird, daß diese eine Hälfte ihrer Sollarbeitszeit von der Arbeit freigestellt werden. Eine an bestimmten Tagen vor 12.00 Uhr gewährte Freistellung ist einer ab dieser Uhrzeit gewährten Freistellung nicht gleichzusetzen. Das gilt zumindest dann, wenn für die Entscheidung für diese Art von Vergünstigung (Freistellung an den genannten vier Tagen jeweils ab 12.00 Uhr) sachliche Gründe sprechen, die ihrerseits nichts mit einer Diskriminierung von Frauen zu tun haben.
So verhält es sich im Streitfall. Mit den Freistellungen am 24. und 31. Dezember ab 12.00 Uhr wird dem Umstand Rechnung getragen, daß auch die meisten anderen Arbeitnehmer in Deutschland an den Nachmittagen dieser beiden Tage frei haben und diese - im Gegensatz zu den Vormittagen - in der Bevölkerung als "Feier-Halbtage" angesehen werden. Für zahlreiche Arbeitnehmergruppen, insbesondere solchen mit Publikumskontakt, wäre ein Einsatz am Nachmittag des 24. und 31. Dezember auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Es hat nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun, wenn die Beklagte an den genannten Tagen bis 12.00 Uhr einen geordneten Dienstbetrieb sicherstellen will und bis zu diesem Zeitpunkt keine Freistellungen gewährt. Für die ebenfalls ab 12.00 Uhr gewährten Freistellungen an Weiberfastnacht und Karnevalsdienstag gilt ähnliches.
Mit den Freistellungen am 24. und 31. Dezember und an den Karnevalstagen jeweils ab 12.00 Uhr trägt die Beklagte nationalen Besonderheiten und örtlichem Brauchtum Rechnung. Eine mittelbare Diskriminierung der Frauen liegt darin nicht.
2. Das europarechtliche Lohngleichheitsgebot ist durch Einfügung des § 612 Abs. 3 BGB in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Auch diese Vorschrift, die gemeinschaftsrechtskonform auszulegen ist (BAG Urteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 30/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen), ist nicht verletzt.
Ist eine Regelung nach Art. 119 EWG-Vertrag und nach der Richtlinie 75/117/EWG durch objektive Faktoren gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, so liegen damit auch "nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe" vor, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (§ 612 Abs. 3 S. 3 in Verbindung mit § 611a Abs. 1 S. 3 BGB). § 612 Abs. 3 BGB stellt insoweit an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung keine strengeren Anforderungen als die genannten europarechtlichen Bestimmungen.
3. Die Richtlinie 76/207/EWG (Gleichbehandlungsrichtlinie) hat nach ihrem Art. 1 S. 1 "zum Ziel, daß in den Mitgliedsstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ... verwirklicht wird". Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie verbietet ausdrücklich auch die mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Diese Richtlinie betrifft die Gleichbehandlung außerhalb des Grundsatzes der Lohngleichheit. Sie ist durch Einfügung des § 611a BGB in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Bei Verletzung dieser Bestimmung in bezug auf die Arbeitsbedingungen hat der wegen des Geschlechts benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die Leistungen, die der bevorzugten Gruppe gewährt werden (so für § 612 Abs. 3 BGB, BAG Urteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 30/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kommt hier nur dann in Betracht, wenn die bezahlte Freistellung nicht als Entgelt im Sinne des Art. 119 EWG-Vertrag anzusehen ist. Das ist aber nach dem unter II 1a Gesagten der Fall. Aus demselben Grund liegt auch kein Verstoß gegen § 611 a Abs. 1 BGB vor.
4. Auch Art. 3 Abs. 2, 3 GG ist nicht verletzt.
a) Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG und dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit abgeleitet (BAGE 1, 258; 11, 338; 15, 228; 36, 187 = AP Nr. 4, 69, 87, 117 zu Art. 3 GG; BAGE 38, 232 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; BAGE 66, 264, 277 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung). Die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers wird insoweit ausgeschlossen, wie das Geschlecht als Unterscheidungsmerkmal dient. Eine Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, ist mit Art. 3 Abs. 2, 3 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich ist (BVerfGE 10, 59, 63; 85, 191, 207; BAGE 11, 338, 344 = AP Nr. 69 zu Art. 3 GG; BAGE 38, 232, 243 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung).
Darauf kann sich die Klägerin im Streitfall nicht stützen. Die Freistellung knüpft nämlich nicht an das Geschlecht an, sondern an die zeitliche Lage der Arbeitszeit.
b) Art. 3 Abs. 2, 3 GG verbietet aber auch die mittelbare Diskriminierung von Frauen. Auch dies ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts anerkannt (BAGE 38, 232, 243 = AP, aaO, wo noch terminologisch abweichend von "verdeckter" Diskriminierung die Rede ist; BAGE 66, 264, 279 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; Urteil vom 23. Januar 1990 - 3 AZR 58/88 - AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; Urteil vom 28. Juli 1992 - 3 AZR 173/92 - AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu IV der Gründe; BVerfG Beschluß vom 28. September 1992 - 1 BvR 496/87 - NZA 1993, 213).
Nicht jeder sachliche Grund, der einen Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen § 2 Abs. 1 BeschFG entfallen läßt, läßt zugleich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2, 3 GG entfallen. Art. 3 Abs. 2, 3 GG stellt insoweit strengere Anforderungen. In seinem Urteil vom 6. April 1982 (BAGE 38, 232, 244 = AP, aaO) hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts dazu ausgeführt, nur solche Gründe könnten die Ungleichbehandlung rechtfertigen, "die mit den Unterschieden der Geschlechter nichts zu tun haben oder die getroffene Unterscheidung gebieten". Das sind der Sache nach dieselben Voraussetzungen, wie sie der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf Art. 119 EWG-Vertrag aufstellt. Dem ist zuzustimmen. Danach liegt eine nach Art. 3 Abs. 2, 3 GG verbotene Diskriminierung nicht vor, wenn die Ungleichbehandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Das ist nach dem unter II 1c Ausgeführten hier der Fall.
5. Schließlich ist auch ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BeschFG zu verneinen. Nach dieser Vorschrift darf "der Arbeitgeber ... einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen". Das Gebot der Gleichbehandlung erstreckt sich sowohl auf einseitige Maßnahmen, als auch auf vertragliche Vereinbarungen (BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; Urteil vom 15. November 1990 - 8 AZR 283/89 - EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 5, zu II der Gründe; Urteil vom 29. Januar 1992 - 5 AZR 518/90 - AP Nr. 18 zu § 2 BeschFG, zu II 3 a der Gründe).
Die Klägerin kommt als nur vormittags beschäftigte Teilzeitkraft nicht in den Genuß der an den genannten Tagen ab 12.00 Uhr gewährten Freistellung. Sie wird also unterschiedlich behandelt. § 2 Abs. 1 BeschFG erlaubt die Ungleichbehandlung, wenn sie nicht "wegen der Teilzeitarbeit" erfolgt, und wenn "sachliche Gründe" die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Die Grenzen zwischen beiden Tatbestandsmerkmalen sind fließend (BAGE 61, 77, 85 = AP Nr. 4 zu § 2 BeschFG 1985, zu B II 5 e der Gründe; Urteil vom 29. Januar 1992, aaO, zu II 3 b der Gründe). Nach dem Senatsurteil vom 29. Januar 1992 (aaO, zu II 3 b der Gründe) liegt eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit immer dann vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Anknüpfungspunkt der beanstandeten Regelung ist die Lage der Arbeitszeit. Wessen Sollarbeitszeit nach 12.00 Uhr endet, kommt in den Genuß der Freistellung; wessen Sollarbeitszeit spätestens um 12.00 Uhr endet, fällt nicht unter den Anwendungsbereich der Freistellungsregeln. Das können jeweils sowohl teilzeit- als auch vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer sein. So kann es einerseits vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer geben, deren Sollarbeitszeit spätestens um 12.00 Uhr endet. Auch sie werden nicht freigestellt. Andererseits kann es Teilzeitbeschäftigte geben, die nur oder auch nachmittags arbeiten und daher in den Genuß der Freistellungsregelungen kommen.
Allerdings trägt die Klägerin vor, daß der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an der Gesamtzahl der begünstigten Arbeitnehmer erheblich kleiner ist als an der Gesamtzahl der benachteiligten Arbeitnehmer. Es stellt sich also die bisher in der Rechtsprechung noch nicht beantwortete Frage, ob § 2 Abs. 1 BeschFG nur die "unmittelbare", also an die unterschiedliche Arbeitszeit anknüpfende Ungleichbehandlung, oder auch die "mittelbare" Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer verbietet. Letzteres kann hier zugunsten der Klägerin unterstellt werden.
Wie bereits ausgeführt, ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, daß Art. 119 EWG-Vertrag und Art. 3 Abs. 2, 3 GG an die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung teilzeitbeschäftigter Frauen strengere Anforderungen stellen als § 2 Abs. 1 BeschFG (Urteile vom 23. Januar 1990 - 3 AZR 58/88 - AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung = EzA § 1 BetrAVG Gleichberechtigung Nr. 6, zu B II 3 a der Gründe; vom 20. November 1990 - 3 AZR 613/89 - BAGE 66, 264, 274 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung = EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2, zu II 4 b aa der Gründe; vergl. auch BAGE 38, 232, 244 = AP, aaO). Da aber die Beklagte dadurch, daß sie die Klägerin an den genannten vier Tagen nicht (anteilig) von der Arbeit freistellt, weder gegen Art. 119 EWG-Vertrag, noch gegen Art. 3 Abs. 2, 3 GG verstößt, kommt auch ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BeschFG nicht in Betracht. Es liegen zumindest "sachliche Gründe" im Sinne der letztgenannten Bestimmung vor, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke
Kähler Bengs
Fundstellen
BAGE 73, 166-178 (LT1) |
BAGE, 166 |
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