Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Geltendmachung
Orientierungssatz
1. Ein Arbeitnehmer, der erstmals Zusatzurlaub verlangt, muß ihn gegenüber dem Arbeitgeber ausdrücklich geltend machen, daß heißt er muß sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen und außerdem verlangen, daß der Arbeitgeber ihm Zusatzurlaub gewährt, und zwar für ein bestimmtes Urlaubsjahr.
2. Auslegung des § 12 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie vom 24.3.1979.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 249, 280, 284, 287, 286; BUrlG §§ 5, 7; BGB §§ 133, 157, 242; SchwbG §§ 1, 3, 44
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.07.1984; Aktenzeichen 11 Sa 53/84) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 31.01.1984; Aktenzeichen 7 Ca 507/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für das Jahr 1982 zusätzlicher Urlaub nach § 44 SchwbG zusteht.
Der Kläger ist seit 1965 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie vom 24. März 1979, gültig ab 1. Juli 1979, (MTV) Anwendung. Mit Schreiben vom 2. Mai 1982 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt habe. In dem Schreiben heißt es weiter:
"Einen eventuellen Anspruch auf Zusatzurlaub
melde ich hiermit an."
Durch Bescheid des Versorgungsamts Hannover vom 6. Juni 1983 wurde der Kläger ab dem 4. Mai 1982 als Schwerbehinderter anerkannt. Der Kläger bat daraufhin die Beklagte, ihm die sechs Tage Zusatzurlaub für 1982 zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte ab.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Urlaubsanspruch sei nicht verfallen. Nach § 12 I Nr. 10 Satz 2 MTV erlösche der Urlaubsanspruch, wenn er nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres geltend gemacht worden sei. Durch sein Schreiben vom 2. Mai 1982 habe er den Urlaub für dieses Kalenderjahr rechtzeitig geltend gemacht. Der Kläger hat einen entsprechenden Sachantrag gestellt.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch sei am 31. März 1983 verfallen. Nach § 12 I Nr. 10 Satz 1 MTV sei der Urlaub spätestens bis zum 31. März des folgendes Kalenderjahres zu gewähren. Dies sei im Fall des Klägers nicht geschehen. § 12 I Nr. 10 Satz 2 MTV enthalte keine Regelung, die eine weitere Übertragung des Urlaubs ermögliche. Außerdem habe der Kläger aber auch in dem Schreiben vom 2. Mai 1982 den Zusatzurlaub für 1982 nicht ordnungsgemäß geltend gemacht.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Der Anspruch des Klägers auf zusätzlichen Urlaub nach § 44 SchwbG für das Jahr 1982 ist erloschen.
1. Dem Kläger stand für das Jahr 1982 ein zusätzlicher Urlaub zu, weil er schwerbehindert war. Nach § 44 Satz 1 SchwbG haben Schwerbehinderte Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen), der der erkennende Senat folgt, entsteht der Anspruch auf Zusatzurlaub aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft, d. h. wenn der Arbeitnehmer infolge seiner Behinderung in der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 50 v.H. nicht nur vorübergehend gemindert ist (§ 1 SchwbG). Auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch die zuständige Behörde kommt es nicht an. Der Bescheid nach § 3 SchwbG hat nur deklaratorische Bedeutung.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Zusatzurlaub erloschen ist.
a) Da der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte, abgesehen von dem Merkmal der Schwerbehinderteneigenschaft, hinsichtlich seines Entstehens und Erlöschens dem Anspruch auf Erholungsurlaub folgt (vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1957 - 1 AZR 437/56 - AP Nr. 2 zu § 33 SchwBeschG), muß er innerhalb des jeweiligen Urlaubsjahrs geltend gemacht werden. Geschieht dies nicht, erlischt er mit Ablauf des Urlaubsjahrs (BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 3 a der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
b) Im vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Zusatzurlaub für 1982 dem Kläger bis 31. März 1983 hätte gewährt werden müssen. Dies folgt aus § 12 I Nr. 10 Satz 1 MTV. Nach dieser Bestimmung ist der Urlaub bis spätestens 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren. Dazu ist es jedoch im vorliegenden Fall nicht gekommen.
Der Anspruch auf Zusatzurlaub ist dem Kläger auch nicht dadurch erhalten geblieben, daß er ihn vor dem 31. März 1983 geltend gemacht hatte. Zwar bestimmt § 12 I Nr. 10 Satz 2 MTV, daß der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres geltend gemacht wurde.
Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Geltendmachung des Urlaubs, die vor diesem Zeitpunkt liegt, zur Übertragung des Urlaubsanspruchs in das folgende Urlaubsjahr führt. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dies in seiner unveröffentlichten Entscheidung vom 13. Mai 1982 - 6 AZR 12/80 - für den Geltungsbereich der vorliegenden Tarifnorm offengelassen. In seiner zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung vom 7. November 1985 - 6 AZR 62/84 - hat der Sechste Senat für die Anwendung der entsprechenden Bestimmung des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 (MTV-Metall NRW) die Übertragung des Urlaubsanspruchs davon abhängig gemacht, daß der Urlaub so frühzeitig verlangt worden war, daß dem Arbeitgeber die Erfüllung des Urlaubsanspruchs bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums möglich war. Im vorliegenden Fall bedarf die Frage deshalb keiner Entscheidung, weil es an einer wirksamen Geltendmachung durch den Kläger vor dem 31. März 1983 fehlte. Zwar hatte der Kläger der Beklagten bereits mit Schreiben vom 2. Mai 1982 mitgeteilt, er melde einen eventuellen Anspruch auf Zusatzurlaub an. Dies reichte für eine ordnungsgemäße Geltendmachung jedoch nicht aus.
Ein Arbeitnehmer, der erstmals Zusatzurlaub verlangt, muß ihn gegenüber dem Arbeitgeber ausdrücklich geltend machen, d. h. er muß sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen und außerdem verlangen, daß der Arbeitgeber ihm Zusatzurlaub gewährt, und zwar für ein bestimmtes Urlaubsjahr (BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 3 a der Gründe; BAG 22, 85, 88 = AP Nr. 1 zu § 7 BUrlG Urlaubsjahr, zu 1 der Gründe). Dem genügte das Schreiben des Klägers vom 2. Mai 1982 nicht. Mit diesem Schreiben meldete der Kläger nur einen eventuellen Anspruch auf Zusatzurlaub an. Die darin liegende Erklärung des Klägers mußte die Beklagte nicht zur Erteilung des Urlaubs im Urlaubsjahr 1982 veranlassen. Die Beklagte konnte die Erklärung des Klägers vielmehr auch so verstehen (§§ 133, 157 BGB), daß dieser später einen bestimmten Urlaubsantrag stellen würde. Diese Auslegung lag umso näher, als es im Zeitpunkt der Übersendung des Schreibens nicht ausgeschlossen war, daß der Bescheid, von dessen Erteilung der Kläger offenbar den endgültigen Urlaubsantrag abhängig machen wollte, noch innerhalb des Urlaubsjahrs ergehen würde.
c) Diesem Ergebnis kann nicht mit der Kritik entgegengetreten werden, die Gröninger an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - geübt hat (Anm. zu AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG).
Soweit Gröninger meint, der Arbeitnehmer könne wegen der noch ausstehenden behördlichen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seinem Arbeitgeber nicht erklären, er sei Schwerbehinderter und verlange deshalb Zusatzurlaub, verkennt er die Voraussetzungen dieses Urlaubsanspruchs und die rechtlichen Möglichkeiten, die dem Arbeitnehmer schon vor der behördlichen Feststellung zur Verfügung stehen. Da der Anspruch auf Zusatzurlaub schon vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an und nicht erst nach behördlicher Feststellung besteht, muß er auch von jenem Zeitpunkt an geltend gemacht werden können. Zutreffend weisen Wilrodt/Neumann (SchwbG, 6. Aufl., § 3 Rz 37) darauf hin, daß ein Arbeitnehmer sich schon vor Feststellung der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen könne, dann aber im Streitfall nachweisen müsse, daß er um wenigstens 50 v.H. erwerbsgemindert sei.
Auch dem Hinweis, der Schwerbehindertenzusatzurlaub sei Teilurlaub im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG und damit nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG auf das nächste Kalenderjahr übertragbar (Gröninger, aaO, zu 5), ist nicht zu folgen. Der Zusatzurlaub tritt zu dem Grundurlaub hinzu und verlängert dadurch den Gesamturlaub des Arbeitnehmers. Er ist nicht Teilurlaub. Das folgt daraus, daß er, wie dargelegt, hinsichtlich seines Entstehens und seines Erlöschens dem Grundurlaub folgt.
II. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht als Schadenersatzanspruch begründet.
1. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 7. November 1985 - 6 AZR 169/84 - zur Veröffentlichung vorgesehen und vom 5. September 1985 - 6 AZR 86/82 - AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub) hat für den Fall, daß der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch erfolglos geltend gemacht hatte und dem Arbeitgeber die Erteilung des Urlaubs möglich war, angenommen, der Arbeitgeber habe für die infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit, als welche das Erlöschen des Urlaubsanspruchs anzusehen sei, einzustehen (§ 286 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). An die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs trete in diesem Fall als Schadenersatzanspruch (§ 249 Satz 1 BGB) ein Urlaubsanspruch (Ersatzurlaubsanspruch) in gleicher Höhe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung.
2. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs sind jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Beklagte befand sich mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Verzug (§ 284 BGB).
a) Nach § 284 Abs. 1 BGB bedarf es zur Herbeiführung des Verzugs einer Mahnung des Gläubigers, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt. Das Schreiben des Klägers vom 2. Mai 1982 erfüllt die Voraussetzungen einer Mahnung nicht. Eine solche muß bestimmt und eindeutig sein. Sie erfordert zwar keine Fristsetzung oder Androhung bestimmter Folgen, sie muß aber erkennen lassen, daß das Ausbleiben der Leistung Folgen haben wird (vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 284 BGB; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 284 Anm. 3 b). Die in der Mahnung zum Ausdruck kommende Aufforderung an den Schuldner muß dahin zu verstehen sein, daß die geschuldete Leistung nunmehr unverzüglich zu bewirken ist (vgl. Jauernig/Vollkommer, BGB, 3. Aufl., § 284 Anm. 4). Diese Voraussetzungen erfüllte das Schreiben nicht. Wie oben (I 2 b) dargelegt, fehlte es ihm an der erforderlichen Bestimmtheit.
b) Die Beklagte ist auch nicht wegen Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht (§ 242 BGB) gehalten, dem Kläger Schadenersatz zu leisten. Eine Pflicht der Beklagten, den Kläger darauf hinzuweisen, er möge den Urlaub in einer den Schuldnerverzug begründenden Weise geltend machen, bestand nicht. Es obliegt vielmehr dem Arbeitnehmer, seinen Anspruch geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Neuroth Dr. Johannsen
Fundstellen