Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 28.10.1987 5 AZR 505/86.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 06.12.1985; Aktenzeichen 3 Sa 36/85) |
ArbG Lüneburg (Entscheidung vom 08.02.1985; Aktenzeichen 1 Ca 1117/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte eine der Klägerin erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen hat und ein Lohnabzug in Höhe von 4,05 DM gerechtfertigt war.
Die Klägerin ist im Betrieb der Beklagten als Näherin mit einem Tarifstundenlohn von 13,51 DM brutto tätig. Die Klägerin gehört dem Betriebsrat an.
Im ersten Halbjahr 1984 erstrebte die Gewerkschaft Textil eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Am 13. Juni 1984 nahm die Klägerin an einer gewerkschaftlichen Veranstaltung teil. Dabei erhielt sie Material zur Arbeitszeitverkürzung in Form von drei Zeitungsartikeln. Am 14. Juni 1984 fertigte die Klägerin zusammen mit einer Kollegin im Betrieb der Beklagten während der Mittagspause Fotokopien der Zeitungsartikel an. Deswegen machte ihr noch am selben Tage der Betriebsleiter Vorhaltungen, da ohne Genehmigung der betriebseigene Fotokopierer nicht benutzt werden dürfe. Nach vorangegangenem Schriftwechsel mit dem Betriebsrat sprach die Beklagte mit Schreiben vom 16. Juli 1984 gegenüber der Klägerin eine Abmahnung aus. In dem Schreiben heißt es, die Klägerin habe sich einen Verstoß gegen ihre Treuepflicht zuschulden kommen lassen, weil sie eigenmächtig und ohne vorherige Genehmigung den betriebseigenen Fotokopierer dazu benutzt habe, Kopien für ihre Gewerkschaft anzufertigen. Wegen der Zeit für die Vorhaltung am 14. Juni 1984, in der die Klägerin nicht gearbeitet hat, wurde ihr ein Betrag von 4,05 DM brutto von ihrem Lohn abgezogen.
Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Maßnahmen der Beklagten seien ungerechtfertigt gewesen, weil es sich um Betriebsratstätigkeit ihrerseits gehandelt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Abmahnung vom 16. Juli 1984 zurückzunehmen
und aus der Personalakte zu
entfernen.
2. die Beklagte zu verurteilen, an die
Klägerin 4,05 DM brutto nebst Zinsen
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im wesentlichen bestritten, daß die Klägerin Betriebsratstätigkeit wahrgenommen habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und im Tenor seines Urteils den Streitwert auf 504,05 DM festgesetzt. Die Klägerin hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Streitwertfestsetzung sei unrichtig geschehen. Der zutreffende Streitwert liege über 800,-- DM. Deshalb sei die Berufung statthaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung auch für im wesentlichen begründet angesehen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte in erster Linie die Verwerfung der Berufung als unzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zu Unrecht als zulässig angesehen.
1. Bei der Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Bei einer vermögensrechtlichen Streitigkeit ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG die Berufung nur statthaft, wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM übersteigt. Da das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall die Berufung nicht zugelassen hat, war die Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM überschritt. Dabei mußte das Landesarbeitsgericht von dem Wert des Streitgegenstandes ausgehen, den das Arbeitsgericht in seinem Urteil festgesetzt hatte (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 11. Juni 1986 - 5 AZR 512/83 - AP Nr. 3 zu § 61 ArbGG 1979 = EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 17).
Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für den Antrag, die Abmahnung zu entfernen, auf 500,-- DM festgesetzt. Von diesem Streitwert mußte das Landesarbeitsgericht ausgehen, wenn es ermittelte, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM überstieg.
2.a) An die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteil war das Landesarbeitsgericht nur dann nicht gebunden, wenn diese offensichtlich unrichtig war. Hierzu gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß eine Streitwertfestsetzung nur dann offensichtlich unrichtig ist, wenn sie in jeder Beziehung unverständlich und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und außerdem der zutreffende Streitwert auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze übersteigt oder unterschreitet (vgl. dazu des näheren das angeführte Urteil vom 11. Juni 1986 m.w.N.).
b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsgericht habe den Streitwert - unter Einschluß des Zahlungsanspruchs - offensichtlich unrichtig auf einen Betrag von 504,05 DM festgesetzt, ist rechtlich nicht haltbar.
Die Festsetzung des Streitwerts bestimmt sich nach § 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift wird der Wert von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Soweit es sich, wie hier, um die Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten handelt, bietet sich zwar als sachgerecht an, für die Festsetzung des Streitwerts von dem Monatseinkommen auszugehen. Wenn man dem Landesarbeitsgericht insoweit folgt, so ist jedoch in der Spruchpraxis der Landesarbeitsgerichte weitgehend offen, wie im Einzelfall der Streitwert festzusetzen ist. Die Annahme, der Streitwert sei in diesen Fällen mit einem halben Monatsgehalt oder, wie es das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil getan hat, sogar mit einem Monatsgehalt festzusetzen und eine davon abweichende Festsetzung des Streitwerts sei offensichtlich unrichtig, findet weder in den gesetzlichen Vorschriften noch in der Spruchpraxis der Landesarbeitsgerichte eine Stütze. So haben in dem in etwa vergleichbaren Fall, der der Entscheidung des Senats vom 11. Juni 1986 zugrunde lag, die Vorinstanzen angenommen, der Streitwert sei zutreffend auf 1/4 (Arbeitsgericht) bzw. 1/6 (Landesarbeitsgericht) des Monatslohns festzulegen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat in einer Entscheidung vom 2. Juli 1982 - 6 Sa 150/82 - (EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 9) ausgeführt, wenn das Arbeitsgericht den Streitwert auf etwa 1/2 Monatslohn festgesetzt habe, so sei dies eine nach den Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO, § 12 Abs. 7 ArbGG sachgerechte Bewertung des Streits. Das Landesarbeitsgericht Köln hat in der Entscheidung vom 26. Juni 1984 - 1 Sa 336/84 - (EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 13) ausgeführt, wenn bei einem Gehalt von 3.200,-- DM bei einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten der Streitwert auf 700,-- DM vom Arbeitsgericht festgesetzt worden sei, so könne nicht angenommen werden, diese Festsetzung des Streitwerts sei offenbar unrichtig. In der vorgenannten Entscheidung ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß von einem offensichtlich unrichtigen Streitwert nur in seltenen Ausnahmefällen gesprochen werden kann. Diese strengen Anforderungen sind deshalb gerechtfertigt, weil für die Parteien nicht ungewiß bleiben darf, ob eine Entscheidung noch mit Rechtsmitteln anfechtbar ist oder nicht.
c) Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kann dem Landesarbeitsgericht im vorliegenden Falle nicht gefolgt werden, wenn es angenommen hat, das Arbeitsgericht habe den Streitwert offensichtlich unrichtig auf einen Betrag unter 800,-- DM festgesetzt. Dabei kommt hinzu, daß sich ebensowenig sagen läßt, der zutreffende Streitwert übersteige auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze. All dies gilt auch dann, wenn man über den vorliegenden Fall hinaus berücksichtigt, daß das Arbeitsgericht in dem von ihm entschiedenen Parallelverfahren trotz eines anderen Arbeitseinkommens der dortigen Klägerin den Streitwert für die Abmahnung ebenfalls auf 500,-- DM festgesetzt hat. Aus diesem Umstand läßt sich, wie die Revision mit Recht geltend macht, nicht herleiten, daß das Arbeitsgericht den Streitwert willkürlich unrichtig festgelegt habe. Im Rahmen des ihm nach § 3 ZPO zustehenden Ermessens konnte das Arbeitsgericht die gegenüber zwei Klägerinnen aufgrund des gleichen Sachverhalts geschehene Abmahnung eines nicht vertragsgemäßen Verhaltens streitwertmäßig auch gleich beurteilen.
3. Nach alledem hat das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall den Streitwert nicht offensichtlich unrichtig festgesetzt. Deshalb war bei dem für das Landesarbeitsgericht verbindlich festgesetzten Streitwert die Berufung unzulässig.
Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider
Polcyn Dr. Hirt
Fundstellen