Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Arbeitnehmers bei Verdachtskündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die ihm obliegende Pflicht, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu hören, ist die auf den Verdacht gestützte Kündigung unwirksam (Bestätigung des Senatsurteils vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 = AP Nr 39 zu § 102 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
2. Den Arbeitgeber trifft kein Verschulden, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit ist, sich zu den Verdachtsgründen substantiiert zu äußern. Die von vornherein fehlende Bereitschaft, an der Aufklärung mitzuwirken, kann sich auch aus dem späteren Verhalten des Arbeitnehmers ergeben. Unerheblich ist dagegen, wie der Arbeitgeber oder später das Gericht die konkrete Einlassung des Arbeitnehmers sachlich beurteilt hätten.
Normenkette
AO §§ 7, 214, 217; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 15.01.1986; Aktenzeichen 8 Sa 81/85) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 22.08.1984; Aktenzeichen 14 Ca 91/84) |
Tatbestand
Der im Jahre 1941 geborene, verheiratete Kläger ist von Beruf Klempner und Installateur. Seit 19. September 1974 war er bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der P GmbH beschäftigt. Die Beklagte unterhält in Hamburg ein Lager für Mineralölprodukte, die wegen der darauf ruhenden Steuerlasten der Aufsicht des Hauptzollamts Hamburg unterliegen. Der Kläger war dort als Lagerarbeiter eingesetzt. Am 10. Juni 1981 bestellte ihn das Hauptzollamt Hamburg zur Steuerhilfsperson (§ 217 AO). Sein Monatslohn betrug zuletzt 3.980,-- DM brutto.
Im Jahre 1983 leitete die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg - 151 Js - gegen zwölf Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des fortgesetzten schweren Diebstahls von unversteuertem Gasöl in Tateinheit mit Steuerhinterziehung zum Nachteil der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin ein. Gegenstand des Verfahrens sind Vorfälle aus den Jahren 1979 und 1980. Der Kläger ist Mitbeschuldigter. Er wurde im Zuge der Ermittlungen von dem Zollfahndungsamt Hamburg am 24. und 30. August 1983 als Beschuldigter vernommen. Er hat dort jede Tatbeteiligung bestritten.
Mit Schreiben vom 24. Februar 1984 widerrief das Hauptzollamt Hamburg die Bestellung des Klägers zur Steuerhilfsperson. Daraufhin kündigte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 29. Februar 1984 fristlos, vorsorglich fristgerecht mit folgender Begründung:
"Das Hauptzollamt Hamburg hatte Ihre Bestellung
zur Steuerhilfsperson mit Brief vom 24.02.1984
widerrufen.
Aufgrund dieser Entziehung sind wesentliche
Arbeitsabläufe nachhaltig gestört, weil hier-
durch Steuertatbestände berührt sind. Aus
diesem Grunde kündigen wir Ihr Arbeitsverhält-
nis mit dem heutigen Tage fristlos. Außerdem
kündigen wir Ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht
zum 30.06.1984."
Gegen diese Kündigungen wendet sich der Kläger mit der am 6. März 1984 bei Gericht eingegangenen Klage. Er macht geltend, daß für eine fristlose Kündigung kein wichtiger Grund vorliege und die ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Er hat beantragt
festzustellen, daß das zwischen den
Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
weder durch die fristlose Kündigung
noch durch die gleichzeitig ausge-
sprochene fristgemäße Kündigung vom
29. Februar 1984 beendet ist, sondern
unverändert fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat ferner Widerklage erhoben und beantragt, den Kläger zu verurteilen, an sie 892,33 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. April 1984 zu zahlen.
Die Beklagte hat zunächst vorgetragen (Schriftsatz vom 3. April 1984), der gegen den Kläger bestehende Verdacht der Mittäterschaft oder Beihilfe zu den den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Straftaten habe zum Widerruf seiner Bestellung zur Steuerhilfsperson geführt. Diese Entscheidung habe zwangsläufig zu seiner fristlosen Entlassung führen müssen, da das Hauptzollamt damit sein mangelndes Vertrauen in seine Rechtschaffenheit dokumentiert habe und die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittele. Sie sei als Inhaberin eines Steuerlagers für die Wahrung der steuerlichen Belange des Hauptzollamts verantwortlich. Sie könne in ihrem Lager nur loyale Mitarbeiter beschäftigen.
Später hat die Beklagte vorgetragen (Schriftsatz vom 1. Juni 1984), der Kläger sei durch Aussagen mehrerer Mitbeschuldigter schwer belastet und als einer der Hauptdrahtzieher bezeichnet worden. Die Tatbeteiligung der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer sei ihr in vollem Umfang erst nach Einsicht in die Ermittlungsakte bekannt geworden. Bis dahin sei das einzige Indiz für die Mittäterschaft des Klägers für sie die Nachricht des Hauptzollamts von dem Widerruf der Bestellung des Klägers zur Steuerhilfsperson vom 24. Februar 1984 gewesen. Ebenso wie die Bestellung Ausdruck des Vertrauens des Arbeitgebers und der Finanzbehörde sei, sei ihr Widerruf Ausdruck mangelnder Vertrauenswürdigkeit. Die Beschäftigung des Klägers auf einem Mineralölsteuerlager sei, mit welcher Tätigkeit auch immer, ausgeschlossen. Die fristlose Kündigung sei wegen des dringenden Verdachts der Tatbeteiligung des Klägers an den Mineralöldiebstählen gerechtfertigt.
Im Schriftsatz vom 6. August 1984 hat die Beklagte darauf hingewiesen, daß der Kläger bei seiner Vernehmung als Beschuldigter die ihm vorgelegten belastenden Unterlagen als von ihm ausgestellt bestätigt habe und keine Erklärung für die Unterschiede zwischen den dokumentierten Ladeberichten und den tatsächlichen Beladungen der Schiffe habe geben können. Der Kläger habe an den Diebstählen mitgewirkt. Seine Einlassungen seien Schutzbehauptungen.
Die Widerklage hat die Beklagte damit begründet, daß sie dem Kläger im November 1983 eine Weihnachtsgratifikation auf freiwilliger Basis und unter dem ausdrücklichen Vorbehalt gezahlt habe, sie sei zurückzuzahlen, wenn er vor dem 31. März 1984 aus eigener Veranlassung ausscheide oder ihr durch eigenes Verschulden Anlaß zur Kündigung gebe.
Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, allein auf den Widerruf der Bestellung zur Steuerhilfsperson könne die Beklagte keine Kündigung stützen. Diese Funktion sei nicht Gegenstand des seinerzeit abgeschlossenen Arbeitsvertrages gewesen und ihm erstmals nach siebenjähriger Tätigkeit bei der Beklagten übertragen worden. Die Beklagte könne ihn daher wie vor der Bestellung weiterbeschäftigen. Er habe die Entscheidung des Hauptzollamts im übrigen mit Rechtsmitteln angefochten.
An den Straftaten, die den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildeten, sei er nicht beteiligt. Die von der Beklagten zugrunde gelegten Aussagen von Beschuldigten im Ermittlungsverfahren seien unwahr und auch ungeeignet, ihn zu belasten. Nach ihrem eigenen Vortrag habe im Zeitpunkt der Kündigung kein dringender Verdacht gegen ihn bestanden, da sie allein den Widerruf der Bestellung zur Steuerhilfsperson als Indiz anführe. Ein solcher Verdacht bestehe auch jetzt noch nicht. Die Beklagte hätte ihm zudem vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Es hat die Kündigung aus dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung für gerechtfertigt angesehen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Zulassung der Revision auf die Frage beschränkt, ob im Falle einer Verdachtskündigung die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Zulässigkeitsvoraussetzung für die fristlose Kündigung ist.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag sowie die Abweisung der Widerklage weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Auf einen Verdacht strafbarer Handlungen kann die Beklagte die Kündigungen nicht stützen (B I). Es ist jedoch noch zu prüfen, ob die Kündigungen wegen des Widerrufs der Bestellung des Klägers zur Steuerhilfsperson (B II 1) oder deswegen wirksam sind, weil der Kläger die ihm zur Last gelegten Straftaten tatsächlich begangen hat (B II 2).
A. Das angefochtene Urteil unterliegt in vollem Umfang der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf die Rechtsfrage, ob im Falle einer Verdachtskündigung die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Zulässigkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist, ist unwirksam.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH Urteil vom 7. Juli 1983 - III ZR 119/82 - JR 1984, 113, m. w. N.) muß sich die beschränkte Zulassung auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs beziehen, über den in einem besonderen Verfahrensabschnitt durch Teil- oder Zwischenurteil entschieden werden könnte. Dieser Grundsatz gilt auch für Kündigungsrechtsstreitigkeiten, weil die für diese bestehenden verfahrensrechtlichen Besonderheiten (vgl. etwa §§ 4 bis 7, 9, 13 Abs. 3 KSchG) es nicht zwingend gebieten, andere Maßstäbe für die Beschränkbarkeit der Revisionszulassung zugrunde zu legen als für andere Rechtsstreitigkeiten. Deshalb kann die Revisionszulassung nicht auf bestimmte Unwirksamkeitsgründe der Kündigung beschränkt werden, weil hierüber nicht durch Teil-, Zwischen- oder Grundurteil gesondert entschieden werden kann. Dies hat zutreffend bereits der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts in dem Urteil vom 14. November 1984 (BAGE 47, 179, 182 f. = AP Nr. 89 zu § 626 BGB, zu I der Gründe) unter Aufgabe seiner früheren entgegengesetzten Ansicht (BAGE 39, 112, 115 = AP Nr. 8 zu § 12 SchwbG, zu I der Gründe) entschieden. Der Senat hat sich dieser neueren Rechtsprechung angeschlossen (Urteil vom 8. August 1985 - 2 AZR 459/84 - AP Nr. 94 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu I der Gründe sowie vom 14. August 1986 - 2 AZR 561/85 -, zu A der Gründe, auch zur Veröffentlichung bestimmt).
Ist demnach die Beschränkung der Revision, wie vom Berufungsgericht vorgenommen, unzulässig, so ist das angefochtene Urteil in vollem Umfang zu überprüfen (BGH LM Nr. 38 a zu § 546 ZPO; BAGE 47, 179).
B. I. Das Berufungsgericht hat die fristlose Kündigung der Beklagten zu Unrecht aus dem Gesichtspunkt des dringenden Verdachts einer strafbaren Handlung des Klägers für wirksam angesehen.
1. Es hat unter Verweisung auf das arbeitsgerichtliche Urteil und mit eigenen Ausführungen angenommen, gegen den Kläger habe im Zeitpunkt der Kündigung der dringende Verdacht bestanden, an den Mineralöldiebstählen im Lager der Beklagten, die Gegenstand des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens sind, beteiligt gewesen zu sein. Gerade auf das Vorliegen dieses Verdachts habe die Beklagte die Kündigung gestützt.
Zwar habe die Beklagte nicht alles ihr zur Aufklärung des Sachverhalts Zumutbare getan, weil sie den Kläger nicht vor Ausspruch der Kündigung angehört habe. Jedoch hätte seine Anhörung unter den gegebenen Umständen keinen weiteren Aufschluß gebracht. Die Art einer möglichen Beteiligung des Klägers und sonstiger Einzelheiten hätte sie ihm nach ihrem damaligen Wissensstand - nach ihrem unwidersprochenen Vortrag habe sie damals noch keinen Zugang zu den Ermittlungsakten gehabt - ohnehin nicht vorhalten können. Zudem habe er bis jetzt jede Beteiligung geleugnet. Zwar sei grundsätzlich die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Verdachtskündigung Wirksamkeitsvoraussetzung für diese Kündigung. Hätte eine Anhörung jedoch, wie im vorliegenden Fall, zu keinem anderen Ergebnis geführt und sei die Möglichkeit, daß die Beklagte zu neuen, den Kläger entlastenden Erkenntnissen gekommen wäre, auszuschließen, führe die Unterlassung der Anhörung nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Die Kündigung sei auch rechtzeitig erklärt worden. Ihre Voraussetzungen hätten frühestens mit der Mitteilung des Hauptzollamts vom 24. Februar 1984 an die Beklagte vom Widerruf der Bestellung des Klägers zur Steuerhilfsperson vorgelegen. Erst hierdurch sei die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB in Lauf gesetzt worden.
Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die Beklagte, selbst wenn sie wollte, den Kläger nicht mehr mit den bisherigen Aufgaben beschäftigen dürfe. Dies sei die Folge des Widerrufs der Bestellung zur Steuerhilfsperson. Der Kläger berufe sich für eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ohne Erfolg darauf, daß er einige Zeit als Lokführer beschäftigt worden sei. Hierfür wäre zunächst Voraussetzung, daß ein solcher freier Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Ausschlaggebend sei aber letztlich, daß die Beklagte das Vertrauen in die Rechtschaffenheit des Klägers verloren habe, so daß sie ihn im Freihafengelände überhaupt nicht mehr beschäftigen möchte. Ihr Mißtrauen sei nicht unbegründet. Dies folge aus den Beweiszeichen, wie sie im Zeitpunkt der Kündigung vorgelegen hätten.
2. Dieser Würdigung kann nicht gefolgt werden. Soweit die Kündigung auf Verdacht gestützt wird, ist sie unwirksam, weil die Beklagte den Kläger nicht vorher angehört hat.
a) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Beklagte ihre Kündigungen insbesondere auf den Verdacht einer strafbaren Handlung des Klägers gestützt hat.
Es ist unerheblich, daß die Beklagte sich zur Begründung der Kündigung weiter auch auf den Widerruf der Bestellung des Klägers zur Steuerhilfsperson sowie darauf beruft, daß er die ihm vorgeworfenen Straftaten tatsächlich begangen hat. Denn eine Kündigung kann auf mehrere Gründe und deshalb nebeneinander auf die Begehung und auf den Verdacht einer Straftat sowie auf sonstige (erwiesene) Tatsachen gestützt werden, die bereits unabhängig davon, ob sie auch Indizien für einen Verdacht darstellen, geeignet sind, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit oder Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers zu erschüttern. Inwieweit er hierbei im Hinblick auf § 102 BetrVG kollektivrechtlichen Beschränkungen unterliegt, braucht vorliegend nicht geprüft zu werden, da der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in den Vorinstanzen nicht bestritten hat und sie deshalb nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. Oktober 1982 - 2 AZR 811/79 - AP Nr. 36 zu § 613 a BGB, zu A IV der Gründe). Individualrechtliche Voraussetzung für eine Verdachtskündigung ist lediglich, daß der Arbeitgeber - zumindest auch - die Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (vgl. dazu Senatsurteil vom 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 63, zu II 1 der Gründe, m. w. N.).
b) Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers sei grundsätzlich Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung. Dies hat der Senat bereits in dem Urteil vom 11. April 1985 (aa0, zu C III der Gründe), entschieden. Nach der in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum vom Senat in dem vorbezeichneten Urteil eingehend begründeten Ansicht entspricht es der Besonderheit des wichtigen Grundes bei der Verdachtskündigung, die Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu erheben. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht schuldhaft, dann kann er sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen.
c) Nicht beigepflichtet werden kann jedoch der Ansicht des Berufungsgerichts, die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Verdachtskündigung trete immer schon dann nicht ein, wenn die Anhörung des Arbeitnehmers - objektiv - zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte oder die Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß sie für den Arbeitgeber neue, den Arbeitnehmer entlastende Momente ergeben hätte. Die Anhörungspflicht würde entwertet, wenn sie grundsätzlich von dem Ergebnis des Kündigungsprozesses und insoweit von sich erst nach Ausspruch der Kündigung ergebenden Umständen abhängig gemacht würde. Der Arbeitgeber soll dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung mit den sich unbeschadet ihrer Wirksamkeit zunächst einmal für ihn ergebenden nachteiligen Folgen Gelegenheit zur Stellungnahme geben, um sie bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Diese Funktion der vorherigen Anhörung darf nicht zu weitgehend durch eine nachträgliche Feststellung ihres möglichen Ergebnisses ersetzt werden. Es ist eben nicht dasselbe, ob der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung gehört wird oder sich erst nachher im Prozeß zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern kann.
d) Nach dem Urteil des Senats vom 11. April 1985 (aaO) führt allerdings nur die schuldhaft unterlassene Anhörung des Arbeitnehmers zur Unwirksamkeit der Verdachtskündigung. Die von der Beklagten vorgebrachten und vom Berufungsgericht übernommenen Gründe schließen jedoch ein Verschulden der Beklagten nicht aus.
aa) Wie ausgeführt, soll die Anhörungspflicht gewährleisten, daß der Arbeitgeber die Einlassung des verdächtigten Arbeitnehmers bei seiner Willensbildung berücksichtigen kann. Deshalb kann sie grundsätzlich nicht von dem erst nachträglich ermittelten Ergebnis einer - hypothetischen - Anhörung abhängig gemacht werden. War der Arbeitnehmer jedoch von vornherein nicht bereit, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen substantiiert zu äußern und so nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken, kann dem Arbeitgeber keine schuldhafte Verletzung der Anhörungspflicht vorgeworfen werden. Die Anhörung wäre dann nur ein überflüssiger Versuch zur Aufklärung des Sachverhalts gewesen, weil sie zur Willensbildung des Arbeitgebers nicht Substantielles hätte beitragen können. Diese Ausnahme liegt einmal dann vor, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, daß der Arbeitnehmer die Vorwürfe pauschal bestreitet. Die von vornherein fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers, durch eine konkrete Stellungnahme an der Aufklärung mitzuwirken, kann sich aber auch aus seinem späteren Verhalten ergeben. Nur insoweit sind auch nach Ausspruch der Kündigung oder im Prozeß ermittelte Umstände zu berücksichtigen, sofern sie sich nicht als völlig neue, nach der Kündigung eingetretene Tatsachen, sondern als Indizien für eine vom Arbeitgeber von vornherein bezweifelte Aufklärungsbereitschaft darstellen (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - AP Nr. 62 zu § 626 BGB). Unerheblich ist dagegen, wie der Arbeitgeber oder später das Gericht die Einlassung sachlich beurteilt hätte.
bb) Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger bei seiner Vernehmung durch das Zollfahndungsamt im August 1983 konkret zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen geäußert. Er hat diese Einlassung auch zum Inhalt seines Sachvortrags im Kündigungsschutzprozeß gemacht. Es bestehen deshalb keine sachlichen Anhaltspunkte für die Annahme, er hätte bei einer Anhörung durch die Beklagte nur pauschal und durch die Beklagte nicht nachprüfbar eine Mittäterschaft an den Mineralöldiebstählen bestritten. Zwar hätte die Beklagte ihm die damaligen Erkenntnisse der Zollfahndung noch nicht vorhalten können, weil sie, wie das Berufungsgericht für den Senat bindend festgestellt hat, zu jenem Zeitpunkt noch keinen Zugang zu der Ermittlungsakte gehabt hatte. Dies schließt jedoch nicht aus, daß der Kläger eine detaillierte Stellungnahme abgegeben hätte. Darauf, wie die Beklagte, die daraufhin immerhin die vom Kläger benannten Mitarbeiter hätte befragen können, diese Einlassung sachlich bewertet hätte, kommt es nicht an.
II. Auf diesem Rechtsfehler beruht auch das angefochtene Urteil. Der Rechtsstreit muß jedoch zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat noch zu prüfen, ob die Kündigung nicht allein wegen des Widerrufs der Bestellung des Klägers zur Steuerhilfsperson oder deshalb wirksam ist, weil der Kläger die ihm zur Last gelegten Straftaten tatsächlich begangen hat.
1. Die fristlose, zumindest aber die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten könnte bereits deshalb wirksam sein, weil der Kläger nicht mehr die Funktion einer Steuerhilfsperson ausüben konnte.
a) Die Beklagte hat die Kündigung auch darauf gestützt, daß sie den Kläger nicht mehr als Steuerhilfsperson einsetzen kann. Dies folgt aus dem Kündigungsschreiben und ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 3. April 1984.
In dem Kündigungsschreiben heißt es, durch den Widerruf seien wesentliche Arbeitsabläufe nachhaltig gestört, weil hierdurch Steuertatbestände berührt seien. Damit hat die Beklagte nur auf die Folgen des Widerrufs für den Betrieb und nicht auf die der behördlichen Entscheidung zugrunde liegenden Umstände abgestellt. Nach § 217 AO kann die Finanzbehörde zur Feststellung von Tatsachen, die zoll- oder verbrauchssteuerrechtlich erheblich sind, Personen, die vom Ergebnis der Feststellung nicht selbst betroffen werden, als Steuerhilfspersonen bestellen. Unter diesen Personenkreis fallen auch gegen Entgelt bei dem steuerpflichtigen Unternehmer beschäftigte Betriebsangehörige, sofern sie nicht gemäß § 214 AO gleichzeitig Bevollmächtigte oder Beauftragte des Steuerpflichtigen sind (vgl. Koch, AO, 3. Aufl., § 217 Rz 3). Steuerhilfspersonen sind gemäß § 7 Nr. 3 AO Amtsträger. Durch ihre Bestellung wird die Steueraufsicht erleichtert. So können z. B. bestimmte betriebliche Handlungen, die anzeigepflichtig sind und nur im Beisein eines von der Finanzbehörde entsandten Amtsträgers vorgenommen werden dürfen, ohne Anzeige und in Abwesenheit eines solchen Amtsträgers vorgenommen werden (Koch, aaO, § 217 Rz 2). Diese Funktion spricht die Beklagte in dem Kündigungsschreiben an, soweit sie die Störung bisheriger Betriebsabläufe durch den Widerruf damit begründet, es würden Steuertatbestände berührt. Denn sie kann den Kläger nun nicht mehr für steuerrechtlich anzeigepflichtige betriebliche Handlungen einsetzen.
In dem Schriftsatz vom 3. April 1984 hat die Beklagte ausgeführt, die Entscheidung der Zollbehörde habe "zwangsläufig" zur fristlosen Entlassung führen müssen, weil die Behörde damit ihr mangelndes Vertrauen in die Rechtschaffenheit des Klägers dokumentiert habe und sie, die Beklagte, für die Wahrung der steuerlichen Belange verantwortlich sei. Damit wird ebenfalls allein die Auswirkung des Widerrufs der Bestellung zur Steuerhilfsperson auf den weiteren Einsatz des Klägers im Freihafenlager angesprochen.
b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine fristlose Kündigung allerdings auch dann unwirksam, wenn es dem Arbeitgeber möglich ist, den Arbeitnehmer, der wegen Entzugs einer behördlichen Erlaubnis die ihm bisher übertragenen Aufgaben nicht mehr ausführen kann, anderweitig im Betrieb zu beschäftigen (vgl. - zum Entzug der Fahrerlaubnis bei einem Berufskraftfahrer - BAGE 30, 309 = AP Nr. 70 zu § 626 BGB). Soweit im vorliegenden Fall allein der Widerruf der Bestellung zur Steuerhilfsperson als Kündigungsgrund in Betracht kommt, kann die Beklagte deshalb verpflichtet gewesen sein, den Kläger - zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist - anderweitig im Lager einzusetzen. Solche von der Bestellung zur Steuerhilfsperson unabhängige Beschäftigungsmöglichkeiten sind bei der Beklagten vorhanden. Dies folgt bereits daraus, daß der Kläger schon vor seiner Bestellung mehrere Jahre bei ihr beschäftigt war. Die Entscheidung der Zollbehörde allein bedeutet auch nicht zwangsläufig, daß der Kläger für jedwede Tätigkeit im Lager ungeeignet ist, auch soweit sie mit den Funktionen einer Steuerhilfsperson nichts zu tun hat. Soweit die Beklagte die behördliche Entscheidung als Indiz für eine Mittäterschaft des Klägers bei den Mineralöldiebstählen bewertet, beruft sie sich auf den Verdacht strafbarer Handlungen und damit auf einen Grund, auf den sie die Kündigung nicht mehr stützen kann.
c) Der Kläger hat sich im Vorprozeß bereiterklärt, vor der Bestellung zur Steuerhilfsperson ausgeführte Tätigkeiten wieder auszuüben. Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Denn es hat unzutreffend eine Pflicht der Beklagten zur anderweitigen Beschäftigung des Klägers deshalb verneint, weil es die Kündigung unter dem Gesichtspunkt des Tatverdachts für begründet und deshalb jedwede Beschäftigung des Klägers im Freihafenlager als unzumutbar für die Beklagte erachtet hat.
2. Die Beklagte hat ferner die Kündigung im Prozeß auch darauf gestützt, daß der Kläger die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen hat. Dies ergibt sich aus ihrem Schriftsatz vom 6. August 1984 sowie ihrer Berufungsbeantwortung. Ihr muß deshalb Gelegenheit gegeben werden, zumindest den Nachweis der Mittäterschaft des Klägers zu führen, falls nicht schon der Widerruf seiner Bestellung zur Steuerhilfsperson die Kündigung rechtfertigen sollte.
Hillebrecht Triebfürst Ascheid
Timpe Dr. Bensinger
Fundstellen
Haufe-Index 437707 |
BB 1987, 2020 |
BB 1987, 2020-2021 (LT1-2) |
DB 1987, 1998-1999 (LT1-2) |
NJW 1987, 2540 |
ARST 1988, 5-6 (LT1-2) |
JR 1987, 528 |
NZA 1987, 699-700 (LT1-2) |
RdA 1987, 316 |
RzK, I 8c Nr 14 (LT1-2) |
AP § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, Nr 19 |
AR-Blattei, ES 1020 Nr 278 (LT1-2) |
AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 278 (LT1-2) |
EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, Nr 3 (LT1-2) |
EzBAT § 54 BAT Verdachtskündigung, Nr 5 (LT1-2) |
VR 1988, 114-114 |