Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Wiedereinsetzung, grundsätzliche Bedeutung, wieder aufleben einer anfechtbar getilgten Forderung
Leitsatz (NV)
- Ein Rechtsanwalt darf sich bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax grundsätzlich darauf verlassen, dass sein zuverlässiges Büropersonal bei einem richtig adressierten Schreiben die richtige Telefax-Nummer ermittelt und in das Gerät eingibt.
- Wird wegen fehlerhafter Eingabe der Telefax-Nummer die Beschwerdefrist versäumt, erscheint zumindest zweifelhaft, ob dem Prozessbevollmächtigten nicht zum Verschulden gereicht, dass er die von der Bürokraft nach seinem Diktat geschriebene Telefax-Nummer nicht Ziffer für Ziffer auf seine Richtigkeit überprüft hat.
- Wird die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützt, bedarf es auch nach der Neufassung der Vorschriften über die Revisionszulassung der Darlegung, warum der Rechtssache über den konkreten Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung zukommt und inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftig ist.
- Nach dem Wortlaut des § 39 KO lebt die anfechtbar getilgte Forderung nach Rückgewähr des Empfangenen wieder auf, ohne dass eine neue Forderung entsteht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1; KO § 39
Tatbestand
Wegen nicht einbehaltener Lohnsteuern 6/95 in Höhe von 213 710,26 DM einer in Konkurs gefallenen GmbH nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als deren Gesellschafter-Geschäftsführer mit bestandskräftigem Haftungsbescheid in Anspruch.
Aufgrund einer zuvor ausgebrachten Pfändung von Forderungen der GmbH aus Lieferungen und Leistungen überwies der Drittschuldner nach Bestandskraft des Haftungsbescheides einen größeren Geldbetrag an das FA, der gemäß Tilgungsmitteilung u.a. in Höhe von 169 901,09 DM auf die Lohnsteuern 6/95 verbucht wurde.
Die Pfändungsmaßnahmen sowie andere Vollstreckungsmaßnahmen wurden vom Konkursverwalter der GmbH angefochten. Im Rahmen eines darüber geführten Zivilrechtsstreits einigten sich das FA und der Konkursverwalter in einem Vergleich auf die Rückzahlung eines Betrages von 2 Mio. DM. Aufgrund dieses Vorgangs hob das FA die Buchung auf die Lohnsteuern 6/95 wieder auf.
In der Folgezeit verrechnete das FA ein dem Kläger aus der Einkommensteuerveranlagung 1995 zustehendes Guthaben in Höhe von 24 397,98 DM mit der anteiligen Haftungsschuld für Lohnsteuern der GmbH aus 6/95.
Auf die Einwendungen des Klägers erließ das FA den streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht als unbegründet ab. Das klageabweisende Urteil, gegen das die Revision nicht zugelassen wurde, ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes am 8. November 2001 zugestellt worden. Am 11. Dezember 2001 ging beim Bundesfinanzhof (BFH) die auf den 10. Dezember datierte Nichtzulassungsbeschwerde ein mit dem Antrag, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Beschwerde enthält den mit Fett-Druck hervorgehobenen Vermerk: "Vorab per Telefax zu: 089/922 312 01".
Auf den Hinweis der Geschäftsstelle des erkennenden Senats, dass ein Telefax beim BFH nicht eingegangen sei und die Telefax-Nummer des BFH anders laute, beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Den Antrag begründeten sie damit, dass die von Rechtsanwalt W diktierte Fax-Nummer des BFH aufgrund eines Tippfehlers einer Schreibkraft fehlerhaft wiedergegeben worden sei. Die Bürovorsteherin habe das Fax am 10. Dezember 2001 an die fehlerhafte Fax-Nummer übersandt; dementsprechend sei ein Sendebericht ausgeworfen worden. RA W sei den Schriftsatz am 10. Dezember 2001 inhaltlich durchgegangen und habe ihn sofort an die Bürovorsteherin weitergegeben. Der Tippfehler sei ihm aber nicht aufgefallen, da ihm auch unmittelbar nach Eingabe der Fax-Nummer von der Bürovorsteherin die Ankunft des Schriftsatzes beim BFH bestätigt und der Sendebericht vorgelegt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
1. Der Senat kann offen lassen, ob dem Kläger wegen Versäumung der gesetzlichen, nicht verlängerungsfähigen Beschwerdefrist gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Der Senat weist hierzu lediglich darauf hin, dass sich ein Rechtsanwalt bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax grundsätzlich darauf verlassen darf, dass sein zuverlässiges Büropersonal bei einem richtig adressierten Schreiben die richtige Telefax-Nummer ermittelt und in das Gerät eingibt. Er kann sich insoweit darauf beschränken, seinem Personal entsprechende Anweisungen, auch über die notwendige Kontrolle dieses Vorganges, zu erteilen und deren Beachtung stichprobenweise zu überwachen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 1999 VII B 81/99, BFH/NV 1999, 1655, m.w.N.). Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte die Ermittlung der Telefax-Nummer jedoch nicht seinem Büropersonal überlassen, vielmehr hat er die Telefax-Nummer des BFH nach eigenem Vorbringen selbst diktiert, wobei es zu einem Übertragungsfehler durch die Schreibkraft S gekommen ist. Die Versäumung der Beschwerdefrist beruht daher nicht auf einer der zuverlässigen Bürovorsteherin B vorzuwerfenden fehlerhaften Eingabe der Telefax-Nummer bei der Übersendung der Beschwerdeschrift an den BFH, sondern auf einem Fehler der S.
Es erscheint zweifelhaft, ob die infolge eines Tippfehlers falsche Telefax-Nummernangabe in dem Schriftsatz nur der Schreibkraft S zur Last gelegt werden kann oder ob es nicht auch dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne die Möglichkeit der Exculpation zum Verschulden gereicht, dass er ungeachtet der von ihm gewählten fehleranfälligen Büroorganisation, TelefaxNummern zu diktieren, die von S geschriebene Fax-Nummer nicht Ziffer für Ziffer auf ihre Richtigkeit überprüft hat, obwohl er bei dem Diktat von Zahlen immer mit Übertragungsfehlern rechnen musste.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch jedenfalls deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
An dem Erfordernis, dass die mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Sache darzulegen ist, hat sich durch die Änderung der FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757), das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, nichts geändert (Senatsbeschluss vom 28. Juni 2001 VII B 51/01, BFH/NV 2001, 1376). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache gehört, dass eine konkrete zu klärende Rechtsfrage benannt und auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingegangen wird. Die Beschwerde muss auch ausführen, inwieweit die Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftig ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Beschwerde geht ―insoweit zutreffend― davon aus, dass die Lohnsteuerschuld 6/95 der GmbH durch die Zahlung des Drittschuldners und die entsprechende Buchung durch das FA erloschen ist und damit wegen der Akzessorietät der Haftung die Haftungsschuld ebenfalls untergegangen ist. Unter Heranziehung der zivilrechtlichen Rechtsprechung, wonach durch die Konkursanfechtung ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch entsteht, kommt die Beschwerde sodann zu der rechtlichen Schlussfolgerung, dass die Lohnsteuerschuld 6/95 der GmbH nach der vom FA vergleichsweise erfolgten Rückzahlung der gepfändeten Forderungsbeträge an den Konkursverwalter ex nunc wieder aufgelebt ist, mangels Identität der ursprünglichen und der ex nunc entstandenen Lohnsteuerschuld 6/95 hätte deshalb ein neuer Haftungsbescheid erlassen werden müssen.
Die Frage des rechtlichen Schicksals einer Forderung, für den Fall, dass der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Empfangene zurückgewährt, regelt § 39 der Konkursordnung (KO) dahin, dass die Forderung wieder in Kraft tritt. Der Wortlaut der Norm legt die Auslegung nahe, dass die alte Forderung wieder auflebt, mithin anders als der Kläger meint, keine neue Forderung entsteht. Eines neuen Haftungsbescheides bedurfte es dann wegen der Identität der (Steuer-)Forderungen nicht. Soweit der Kläger demgegenüber von einer Neuentstehung der Lohnsteuerschuld 6/95 ex nunc ausgeht, hätte er sich, um die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage darzulegen, mit der Regelung des § 39 KO auseinander setzen und im Einzelnen darlegen müssen, weshalb trotz des an sich eindeutigen Wortlautes der Norm eine Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch den BFH noch erforderlich ist. Derartige Ausführungen enthält die Beschwerde nicht.
Im Übrigen fehlt es bezüglich der vom Kläger formulierten Rechtsfrage, ob gegenüber einem öffentlich-rechtlich festgestellten Steuererstattungsanspruch nur aufgrund der zivilrechtlichen Vorschriften mit einer Haftungsschuld und vorangegangener Tilgung und späterer Anfechtung der Tilgungshandlung/Vollstreckungsmaßnahme nach § 37 KO ohne erneuten Haftungsbescheid (und auch ohne erneutes Leistungsgebot) aufgerechnet werden kann, an Ausführungen dazu, worin deren über den konkreten Einzelfall hinausreichende Bedeutung liegen soll. Allein mit dem Vorbringen, der BFH habe über diese Rechtsfrage bisher nicht entschieden, wird die grundsätzliche Bedeutung ebenso wenig dargelegt, wie mit der pauschalen Behauptung, einer Vielzahl der Insolvenzverfahren gingen regelmäßig zahlreiche Einzelvollstreckungsmaßnahmen voraus. Die Beschwerde erschöpft sich im Wesentlichen im Stile einer Revisionsbegründung in der Darlegung der Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils. Mit der Rüge der (angeblichen) Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils wird kein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 782012 |
BFH/NV 2002, 1338 |
BFH/NV 2002, 1339 |