Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortführung der sog. Geprägerechtsprechung nach §§ 15 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 20 b EStG nicht auf Verlustzuweisungs-Gesellschaften beschränkt
Leitsatz (NV)
Die Frage, ob die in § 52 Abs. 20 b EStG 1986 angeordnete Rückwirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG (gewerblich geprägte Personengesellschaften) auf Verlustzuweisungs-Gesellschaften zu beschränken ist oder unterschiedslos für alle Personengesellschaften gilt und deshalb verfassungswidrig ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 20b
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind die ehemaligen Kommanditisten einer GmbH & Co. KG. Gegenstand des Unternehmens der KG war die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes.
Die KG hatte in den Jahren 1971 bis 1976 verschiedene Grundstücke erworben, bebaut und langfristig vermietet. 1983 verkaufte sie sämtliche Grundstücke an einen Erwerber. Anschließend wurde die KG liquidiert.
Die KG erklärte für das Streitjahr 1983 entsprechend der damals geltenden sog. Geprägerechtsprechung neben einem laufenden Gewinn auch den Gewinn aus der Veräußerung der Grundstücke bei ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erließ einen entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheid.
Im Einspruchsverfahren vertraten die Kläger unter Hinweis auf den Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) die Ansicht, daß die Veräußerungsgewinne steuerfrei seien. Die KG habe Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. FA und Finanzgericht (FG) stützten ihre Entscheidung auf § 52 Abs. 20 b des Einkommensteuergesetzes 1986 i. d. F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 (EStG 1986), wonach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1986 auch für Veranlagungszeiträume vor 1986 anzuwenden und damit die Geprägerechtsprechung fortzuführen sei.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, machen die Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die rückwirkende Verankerung der sog. Geprägerechtsprechung in § 15 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 20 b EStG 1986 sei jedenfalls insoweit verfassungswidrig, als von ihr auch Gesellschaften erfaßt würden, die nicht Verlustzuweisungsgesellschaften seien und keine steuerlichen Vorteile aus dieser Rechtsprechung gezogen hätten. In diesem Fall verstoße die Besteuerung von Geschäftsvorfällen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bzw. der Vorlage des Regierungsentwurfs abgeschlossen gewesen seien, gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Die Vorschriften seien verfassungskonform auszulegen. Die Frage werde gegenwärtig vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überprüft (Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1568/90 und Normenkontrollverfahren 2 BvL 9/91). Die Kläger nehmen zur Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung auf ein dem FG vorgelegtes Gutachten von Professor X Bezug.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich nicht aus der gerügten Verfassungswidrigkeit der in § 52 Abs. 20 b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 1986 (EStG 1986) angeordneten Rückwirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1986.
a) Die Zulassung der Revision kann insoweit allerdings nicht mit der Begründung verweigert werden, der BFH könne die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht selbst feststellen, sondern müsse nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vorgehen (BFH-Beschluß vom 4. Februar 1987 III B 151/86, BFHE 148, 530, BStBl II 1987, 339; Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 63; Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 144). Es entspricht der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung innerhalb der Gerichtsbarkeit, daß der Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen zunächst von den Fachgerichten gewährt wird (BVerfG-Entscheidungen vom 26. Januar 1978 1 BvR 1200/77, BVerfGE 47, 144, 145; vom 8. Januar 1985 1 BvR 700, 1141/83, BVerfGE 68, 376, 380).
b) Die Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kommt jedoch nicht in Betracht, weil die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1986 nicht mehr klärungsbedürftig ist.
Der IV. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 10. Juli 1986 IV R 12/81 (BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811) entschieden, daß die rückwirkende Einführung der sog. Geprägerechtsprechung durch § 15 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 20 b EStG 1986 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Er hat diese Entscheidung mehrfach bestätigt (Urteile vom 11. Dezember 1986 IV R 222/84, BFHE 149, 149, BStBl II 1987, 553; vom 12. Januar 1989 IV R 67/87, BFHE 155, 484, BStBl II 1990, 259; Beschlüsse vom 14. September 1989 IV S 2/89, BFH/NV 1990, 311, und vom 28. Juli 1994 IV R 133/92, BFH/NV 1995, 290 -- jeweils für Anteilsveräußerung --). Der I. Senat hat sich dem ohne weitere Erörterungen angeschlossen (Urteil vom 27. Juli 1988 I R 113/84, BFHE 154, 500, BStBl II 1989, 134). Auch der erkennende Senat hat die gesetzliche Regelung als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (Beschluß vom 15. Oktober 1991 VIII B 168/90, nicht veröffentlicht -- NV --).
c) Eine weitergehende Klärung der Rechtsfrage ist im vorliegenden Fall nicht zu erwarten.
aa) Die hier zu beurteilenden Vorgänge sind im Jahre 1983 abgeschlossen. Das hat zur Folge, daß die Übergangsregelung des § 52 Abs. 20 b Satz 3 EStG 1986 insoweit nicht anzuwenden ist.
bb) Die vom BFH bisher entschiedenen Fälle hatten -- mit Ausnahme des Beschlusses in BFH/NV 1995, 290 -- Sachverhalte zum Gegenstand, die bereits vor Bekanntwerden des Beschlusses des Großen Senats in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 abschließend gestaltet waren. Insoweit sind sie mit dem Streitfall vergleichbar. Die Entscheidungen begründen die Zulässigkeit der rückwirkenden Bestätigung der Geprägerechtsprechung durch den Gesetzgeber mit der Erwägung, daß der Gesetzgeber an den abgeschlossenen Tatbestand keine ungünstigeren Rechtsfolgen geknüpft habe als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen habe ausgehen müssen.
Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit den Grundsätzen, wie sie das BVerfG inzwischen zur Zulässigkeit rückwirkender Gesetze formuliert hat (BVerfG-Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628 f., und vom 30. September 1987 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256, 356). Zu beurteilen ist eine "echte Rückwirkung" bzw. eine belastende Änderung mit "Rückbewirkung der Rechtsfolgen" (vgl. dazu auch die zusammenfassende Darstellung im Urteil des BFH vom 26. August 1986 IX R 54/81, BFHE 148, 17, BStBl II 1987, 57). Danach ist eine Rückwirkung nicht grundsätzlich unzulässig; ihr sind nur enge Grenzen gezogen. Die hierzu vom BVerfG falltypisch entwickelten Rechtfertigungsgründe sind Ausprägungen des Grundgedankens, daß allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht -- oder nicht mehr -- vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Bürgers eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbotes zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers rechtfertigen könne (BVerfG in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628, 648).
Für den Streitfall ergibt sich daraus, daß die Kläger keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen können. Im Zeitpunkt der Veräußerung der Grundstücke mußten sie bei ihren Dispositionen von den Grundsätzen der Geprägerechtsprechung ausgehen. Die Rechtsfrage ist insoweit ungeachtet einiger abweichender Stellungnahmen im Schrifttum (z. B. Söffing in Finanz-Rundschau 1986, 521, 524, und in Steuerberater- Jahrbuch 1986/87, 315, 324) nicht mehr klärungsbedürftig.
cc) Der Streitfall rechtfertigt keine Abweichung von diesen Grundsätzen.
Die von den Klägern behauptete Vergleichbarkeit des vorliegenden Sachverhalts mit dem von der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 17. März 1986 IV B 2 -- S 2241 -- 17/86, BStBl I 1986, 129) in einer Übergangsregelung behandelten Fall kann der Senat im vorliegenden Fall nicht prüfen. Nach dieser Übergangsregelung können Veräußerungs- und Entnahmegewinne nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) außer Ansatz bleiben, wenn die Gesellschaft keine steuerlichen Vorteile aufgrund der Anwendung der Geprägerechtsprechung in Anspruch genommen hatte und dies auch nicht wollte.Ü
ber diese Billigkeitsmaßnahme ist in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden (vgl. BFH in BFH/NV 1990, 311, letzter Absatz).
Es ist sachgerecht, die Kläger hier auf einen Erlaß aus Billigkeitsgründen zu verweisen; denn die mögliche Ausnahme von der zulässigen Rückwirkung hängt davon ab, ob die Gesellschaft bzw. ihre Gesellschafter im Einzelfall Vorteile aus der Geprägerechtsprechung in Anspruch genommen haben oder nicht (vgl. dazu BFH in BFHE 155, 484, BStBl II 1990, 259, unter 4. der Gründe).
Fundstellen
Haufe-Index 420732 |
BFH/NV 1995, 1054 |