Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB; grundsätzliche Bedeutung; Sachaufklärungspflicht; Hinweispflicht; Divergenz; Überraschungsentscheidung und Scheingeschäft bei Domizilgesellschaft; rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
1. Greift der Beschwerdeführer lediglich die materiell-rechtliche Würdigung des FG an, so wirft er keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
2. In Frageform gekleidete Ausführungen, mit denen in der Sache Verfahrensmängel behauptet werden, rechtfertigen nicht den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung.
3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung dient nicht dazu, das Revisionsgericht mit der Überprüfung des Einzelfalls zu befassen.
4. Ist ein Unternehmen schon in der Einspruchsentscheidung als Domizilgesellschaft charakterisiert und ist erkennbar, dass das FG insoweit keine Beweiserhebung für notwendig erachtet, so verlangt die Darlegung der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht Ausführungen, dass die Nichterhebung von Beweisen gerügt wurde bzw. warum dies nicht möglich gewesen sei.
5. Die Rüge der Verletzung der Hinweispflicht ist nur beachtlich, wenn zugleich vorgebracht wird, was der Beschwerdeführer vorgebracht hätte, wenn dem FG der Verfahrensmangel nicht unterlaufen wäre.
6. Bezieht sich das angefochtene Urteil ausdrücklich auf die behauptete Divergenzentscheidung, wird grundsätzlich allenfalls eine Abweichung in der Subsumtion des Einzelfalls gerügt, nicht jedoch ‐ wie erforderlich ‐ die Abweichung im Grundsätzlichen.
7. Wird ein Rechtsgeschäft behauptet, in dessen Abwicklung ein als Domizilgesellschaft charakterisiertes Unternehmen eingeschaltet ist, stellt ein Urteil, das auf den Gesichtspunkt des Scheingeschäfts abstellt, keine Überraschungsentscheidung dar.
8. Im Falle einer auf einzelne Gesichtspunkte beschränkten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird von den Beschwerdeführern verlangt darzulegen, was sie ohne diesen Verfahrensmangel ausgeführt hätten.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, §§ 76, 96 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 29.11.2004; Aktenzeichen 16 K 105/00 E) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr 1987 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war im Streitjahr als Bürovorsteher bei einem Notar beschäftigt. Zudem war er selbständiger Grundstückshändler und Unternehmensberater in Immobilienangelegenheiten. Gegen das Versprechen eines Entgelts in Höhe von 280 000 DM vermittelte er der in der Baubranche tätigen Firma D eine Bankbürgschaft unter gleichzeitiger Übernahme einer Mithaftung. Die Vermittlungsgebühr war in 14 Teilbeträgen im Zuge der Verwirklichung eines Bauvorhabens zu zahlen. Vor Erhalt der ersten Teilzahlung trat der Kläger im Januar 1987 die nach seinem Vorbringen unsichere Forderung an eine in der Schweiz ansässige Firma S gegen Zahlung von 55 000 DM ab. Die Firma S wird vom Bundesamt für Finanzen (BfF) als Domizilgesellschaft angesehen. Für sie handelte aufgrund einer Generalvollmacht Herr A. In der Zeit von Juni bis Oktober 1987 erhielt A auf Anweisung der Firma D über beim Arbeitgeber des Klägers geführte Notar-Anderkonten in mehreren Teilbeträgen Barzahlungen von insgesamt mindestens 255 000 DM.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) rechnete diese Zahlungen dem Kläger als gewerbliche Einkünfte zu. Im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren ging es um die Bedeutung des Charakters der S als Domizilgesellschaft und um die Werthaltigkeit der Forderung des Klägers gegen die D im Zeitpunkt des behaupteten Forderungsverkaufs an die S. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und begründete sein Urteil damit, dass die behauptete Forderungsabtretung an die D als Scheingeschäft zu werten sei.
Entscheidungsgründe
II. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machten die Kläger geltend, das Urteil werfe eine Reihe von Fragen grundsätzlicher Bedeutung auf, weiche von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab und beruhe auf Verfahrensmängel. Die Beschwerde ist teils unzulässig, teils unbegründet.
1. Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sehen es die Kläger an, ob ohne weitere Sachverhaltsaufklärung und ohne ggf. durchzuführende Beweisaufnahme lediglich aus einem eingetragenen Domizilvermerk geschlossen werden kann, dass eine Domizilgesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
Diese Ausführungen rechtfertigen es nicht, die Revision zuzulassen. Das FG hat in dem Vortrag der Kläger keine Anhaltspunkte dafür erkannt, dass die S abweichend von ihrer Qualifizierung als Domizilgesellschaft einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen ist. Die Kläger haben insoweit keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, sondern lediglich die vom FG angestellte materiell-rechtliche Würdigung des Sachverhalts angegriffen.
Das Vorbringen der Kläger könnte allenfalls als Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG i.S. des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstanden werden; eine solche haben die Kläger im Verlaufe der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde auch ausdrücklich erhoben. Sie lassen allerdings außer Acht, dass die Rüge mangelnder Sachaufklärung eine verzichtbare Rüge ist. Infolgedessen hätten sie vortragen müssen, dass sie --obwohl in der mündlichen Verhandlung vor dem FG fachkundig vertreten-- die Nichterhebung von Beweisen gerügt haben oder dass und weshalb eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei. Auch aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung ergibt sich nicht, dass eine entsprechende Rüge erhoben worden wäre. Sie war jedoch erforderlich, weil die Charakterisierung der S als Domizilgesellschaft schon für die Einspruchsentscheidung des FA von Bedeutung gewesen war und aus dem Ablauf des Verfahrens vor dem FG erkennbar war, dass das FG insoweit keine Beweiserhebung für notwendig erachten würde.
2. Für grundsätzlich bedeutsam halten die Kläger die Frage, ob auf den Willen der Beteiligten, ein Scheingeschäft zu schließen, nur aus äußeren Tatsachen geschlossen werden kann oder ob auch subjektive Umstände, insbesondere Wissen und Wollen des Scheingeschäfts geklärt und gewürdigt werden müssen und wie die Prüfungsreihenfolge für eine Motivlage ist.
Auch diese Ausführungen rechtfertigen es nicht, die Revision zuzulassen. Sie beinhalten lediglich einen Angriff auf die vom FG angestellte materiell-rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Subjektive Umstände, Motive, Wissen und Wollen der an einem Rechtsgeschäft Beteiligten sind innere Tatsachen und Vorgänge. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass diese wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden können (Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620; vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Aus objektiven Umständen muss auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden, wobei einzelne Umstände einen Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) liefern können, der vom Steuerpflichtigen entkräftet werden kann (BFH-Beschluss in BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620; vgl. ferner z.B. BFH-Entscheidungen vom 27. Juni 2002 III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443; vom 14. Mai 2003 X R 14/99, BFH/NV 2003, 1547; vom 21. Juli 2004 X R 33/03, BFHE 207, 183, BStBl II 2004, 1063; vom 17. November 2004 X R 62/01, BFHE 208, 522, BStBl II 2005, 336, und vom 14. Dezember 2004 XI R 6/02, BFHE 208, 557, BStBl II 2005, 392). Das Ergebnis der materiell-rechtlichen Würdigung des Geschehens durch das FG wirft auch dann keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, wenn es sich von demjenigen der Kläger unterscheidet.
3. Grundsätzliche Bedeutung kommt nach Auffassung der Kläger auch den Fragen zu,
- ob ein FG entgegen u.a. § 96 Abs. 2 FGO in seinen Entscheidungsgründen zum Urteil Feststellungen zugrunde legen darf, die es zuvor weder im Tatbestand des Urteils dargestellt noch im finanzgerichtlichen Verfahren den Parteien bekannt gegeben oder mit ihnen erörtert hat, und
- ob es zulässig ist, dass ein FG von im Nachhinein erlangten Tatsachen und Informationen über Beteiligte eines Rechtsgeschäfts auf ein Scheingeschäft schließt, ohne dass diese Tatsachen und Informationen zuvor mit den Beteiligten erörtert und/oder in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführt, weiter erforscht und erörtert und ggf. im Rahmen einer Beweisaufnahme verifiziert und mit den Beteiligten u.a. gemäß § 79 Abs. 1, § 93 Abs. 1 FGO erörtert werden.
Diese in Frageform gekleideten Ausführungen, mit denen in der Sache Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht werden, rechtfertigen die Revisionszulassung nicht.
Das Vorbringen ist als Rüge der Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör i.S. des § 96 Abs. 2 FGO zu werten. Eine solche, auf einen einzelnen Gesichtspunkt bezogene Rüge ist nur dann schlüssig dargelegt, wenn die Beschwerdeführer zugleich vorbringen, was sie inhaltlich ausgeführt hätten, wäre dem FG der behauptete Verfahrensmangel nicht unterlaufen. Das haben die Kläger unterlassen.
Den gestellten Fragen käme außerdem keine grundsätzliche Bedeutung bei. Sie sind nicht klärungsbedürftig, weil es sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, dass das FG sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO).
4. Auch die von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob ein FG während eines laufenden Prozessverfahrens u.a. aus § 93 Abs. 1 FGO verpflichtet ist, von ihm gesehene und/oder tatsächlich bestehende Widersprüche zwischen der im Prozess erfolgten Anhörung eines Beteiligten (hier des Klägers) aufzugreifen und mit den Beteiligten zu erörtern, insbesondere den Beteiligten vorzuhalten und/oder weiter aufzuklären, stellt eine in Frageform gekleidete Rüge eines Verfahrensmangels dar, nämlich der Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO, in der zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt.
Diese Rüge ist jedoch ebenfalls nur beachtlich, wenn die Beschwerdeführer zugleich vorbringen, was sie inhaltlich ausgeführt hätten, wäre dem FG der behauptete Verfahrensmangel nicht unterlaufen (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Dezember 1998 VIII B 105/97, BFH/NV 1999, 797). Das haben die Kläger unterlassen.
5. Die weiteren von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen, ob unter den besonderen Umständen des Streitfalls
- eine Vereinbarung eines Entgelts für die Vermittlung einer Bürgschaft zugunsten eines Bauträgers, der nunmehr ein Bauvorhaben durchführen kann und durchführt, für die Annahme von Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG), insbesondere für die Annahme eines tatsächlichen und/oder eines wirtschaftlichen Zusammenhangs ausreicht, und
- nach Feststellung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dem Steuerpflichtigen, der den Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, Einkünfte auch dann zuzurechnen sind, wenn diese nicht ihm, sondern einem weiteren Beteiligten an einem Rechtsgeschäft zugeflossen sind,
rechtfertigen schon deshalb die Zulassung der Revision nicht, weil ihre Einzelfallbezogenheit offenkundig ist und der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht dazu dient, das Revisionsgericht mit der Überprüfung der Entscheidung des Einzelfalls zu befassen (Senatsbeschluss vom 1. März 2004 X B 151/02, BFH/NV 2004, 951).
6. Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), weil das angefochtene Urteil von dem BFH-Urteil vom 21. Oktober 1988 III R 194/84 (BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216) abweiche, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Die Begründung der Kläger,
- dass nach diesem Urteil zur Feststellung, ob ein Scheingeschäft vorliegt, zunächst Anhaltspunkte für die Motive der unmittelbar am Vertragsschluss beteiligten Personen zu erforschen sind und erst danach das "sonstige Verhalten der Vertragsparteien" zu würdigen ist, während das FG feststellt, dass auf den Willen der Beteiligten nur aus äußeren Tatsachen geschlossen werden könne,
- dass das FG unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216 eine Einkommensverwendung annimmt, soweit Einverständnis mit dem Verbleib von durch Dritte eingezogenen Geldern bei diesem Dritten besteht, während dem genannten BFH-Urteil eine dementsprechende grundsätzliche Einkommenszurechnung bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, nicht zu entnehmen ist,
legt die behauptete Abweichung nicht schlüssig dar.
Bei der zweiten behaupteten Abweichung ist dies offenkundig. Eine Divergenzrüge ist nur dann schlüssig vorgebracht, wenn die Abweichung im Grundsätzlichen gerügt wird, während eine Abweichung in der Subsumtion des Einzelfalls nicht ausreicht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 55). Allein darum kann es bei dem Vorwurf der Kläger gehen, weil sich das angefochtene Urteil ausdrücklich auf das behauptete Divergenzurteil bezieht.
Aber auch mit der ersten Rüge ist eine Divergenz nicht schlüssig dargetan. Dem in Bezug genommenen BFH-Urteil ist entgegen der Ansicht der Kläger keine vorgegebene Prüfungsreihenfolge zur Beantwortung der Frage zu entnehmen, ob ein Scheingeschäft vorliegt, wenn es den Rückgriff auf das sonstige Verhalten der Vertragsbeteiligten davon abhängig macht, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Motive der unmittelbar am Vertragsabschluss beteiligten Personen erkennbar sind. Denn wie schon oben (unter II.2.) dargelegt, kann das FG Ausführungen der Kläger zu inneren Vorgängen, zu denen die Motive der an einem Rechtsgeschäft Beteiligten gehören, nur anhand der äußeren Umstände überprüfen. Ein Gegensatz zwischen dem angefochtenen und dem behaupteten Divergenzurteil ist infolgedessen nicht festzustellen.
7. Die Kläger rügen weiter, das angefochtene Urteil beruhe auf der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Es sei, weil es maßgebend auf das Vorliegen eines Scheingeschäfts abhebe, eine Überraschungsentscheidung. Zudem habe das FG Auskünfte des BfF verwendet, ohne sie zuvor in das finanzgerichtliche Verfahren einzuführen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539; vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 10a, m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit dem Beteiligten umfassend erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (BFH-Urteil in BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539, m.w.N.). Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (BVerfG-Beschluss vom 13. Oktober 1994 2 BvR 126/94, Deutsches Verwaltungsblatt 1995, 34). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt erst dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter --selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen-- nicht zu rechnen brauchte, so dass dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleichkommt (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Januar 1999 1 BvR 1274/92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 3326; vom 12. Juni 2003 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524, jeweils mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung).
Entgegen der Ansicht der Kläger stellt das angefochtene Urteil keine Überraschungsentscheidung dar, auch wenn --wie die Kläger behaupten-- das FG nicht auf den rechtlichen Gesichtspunkt des Scheingeschäfts (§ 41 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--) hingewiesen haben sollte.
Es mag zutreffen, dass sich die Einspruchsentscheidung und der Vortrag der Beteiligten im Klageverfahren ausschließlich mit der Frage der Werthaltigkeit der Forderung im Zeitpunkt ihrer Abtretung, mit den Folgen des Verzichts auf den vollen Wert sowie mit der Einschaltung einer Domizilgesellschaft in die Abwicklung der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Kläger und D befasst haben. Auf der Grundlage des durch Beweiserhebung festgestellten Sachverhalts lag es indes nahe zu prüfen, welches der Grund dafür war, dass der Kläger auf eine werthaltige Forderung "verzichtet" hatte. Gab es hierfür keinen erkennbaren betrieblichen oder privaten Grund und war deswegen auch der rechtliche Gesichtspunkt einer Entnahme eher theoretischer Natur, lag es nahe, die der Behörde präsentierten Vertragsbeziehungen darauf zu untersuchen, ob sie wie verlautbart vereinbart und ob alle Vereinbarungen --vollständig-- der Finanzbehörde mitgeteilt worden sind. Dies drängte sich unter dem Gesichtspunkt auf, dass sogenannte Domizilgesellschaften häufig als "Durchleitungsgesellschaften" fungieren, um Zahlungen von Steuerinländern insbesondere an inländische Leistungserbringer zurückfließen zu lassen. Scheingeschäft und Gestaltungsmissbrauch liegen hier oft dicht beieinander (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216).
b) Zu Recht rügen die Kläger zwar, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es Informationen des BfF über die S und über deren Handlungsbevollmächtigten, die über die bloße Charakterisierung als Domizilgesellschaft hinausgehen, seiner Entscheidungsfindung zugrunde gelegt habe, ohne sie vorher zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Insbesondere hat das FG zur Begründung der Annahme eines Scheingeschäfts Presseveröffentlichungen über die Person des Handlungsbevollmächtigten und über die Art der von der S vertriebenen Kapitalanlagen herangezogen, die nicht in das Verfahren eingeführt worden waren. Das FG ist jedoch nach § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet, die Beteiligten zu unterrichten, wenn es Presseveröffentlichungen verwerten will, soweit sie nicht allgemein bekannt sind. Zu diesen Feststellungen konnten die Kläger mangels eines Hinweises des FG nicht Stellung nehmen. Eine Mitteilungs- bzw. Erörterungspflicht des FG entfiel nicht etwa dadurch, dass den Klägern der Inhalt der Veröffentlichungen bekannt gewesen sein könnte. Denn diese Kenntnis bedeutet noch nicht, dass sie sich zu den Tatsachen äußern konnten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 21. August 1997 V R 65/94, BFH/NV 1998, 971).
c) Dennoch rechtfertigt dieser Verfahrensmangel die Zulassung der Revision nicht. Im Falle einer auf einzelne Gesichtspunkte beschränkten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird von den Beschwerdeführern verlangt, in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde darzulegen, was sie ausgeführt hätten, wenn das FG den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt hätte. Das haben die Kläger unterlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 1480523 |
BFH/NV 2006, 761 |