Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergehen eines selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmittels
Leitsatz (NV)
Ein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel ist nicht notwendigerweise mit Stillschweigen übergangen, wenn dem angefochtenen Urteil zu der betreffenden Rechtsfrage eine zwar nicht näher ausgeführte, jedoch erkennbare Rechtsauffassung zugrundeliegt.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, unter dem 20. September 1982 auf einheitlicher Urkunde einen Haftungs- und einen als Nachforderungsbescheid bezeichneten Pauschalierungsbescheid, der ausweislich der FA-Akten am 19. September 1982 zur Post gegeben wurde. Den mit Schriftsatz vom 2. November 1982 am 4. November 1982 gegen den Haftungs- und Pauschalierungsbescheid vom 20. September 1982 erhobenen Einspruch verwarf das FA als verspätet.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgenden Gründen ab: Die Einspruchsfrist habe zu laufen begonnen, weil die Klägerin über den Rechtsbehelf und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist (vgl. § 356 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) zutreffend und vollständig schriftlich belehrt worden sei. Hierzu machte das FG unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung nähere Ausführungen. Darüber hinaus verneinte das FG - nach durchgeführter Beweisaufnahme - Wiedereinsetzungsgründe.
Gegen das angefochtene Urteil erhob die Klägerin Revision. Sie trägt vor, die Revision sei gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaft, weil das FG wesentliche Angriffs- und Verteidigungsmittel übergangen habe. Es habe nämlich den Vortrag der Beteiligten zur unterbliebenen Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung als wesentlich angesehen, was die Aufnahme dieses Vortrags in den Tatbestand des Urteils zeige. Hierzu habe es aber in den Entscheidungsgründen zu Unrecht nicht Stellung genommen. Infolge des Nachprüfungsvorbehalts sei der Haftungs- und Nachforderungsbescheid allenfalls formell, nicht aber materiell in Bestandskraft erwachsen. Es habe nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 jederzeit beantragt werden können, daß der Sachverhalt geprüft und die Steuerfestsetzung abgeändert oder aufgehoben werde. Demensprechend habe das FG, wie zuvor schon das FA, prüfen müssen, ob in dem ggf. unzulässigen Einspruch nicht zumindest ein zulässiger Antrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zu sehen sei, der das FA zu einer sachlichen Prüfung der Einwände gegen den Haftungs- und Nachforderungsbescheid verpflichtet habe. Außerdem habe das FG prüfen müssen, ob das FA nicht verpflichtet gewesen sei, den Haftungsbescheid nach §§ 131, 132 AO 1977 zurückzunehmen.
Das FA trägt vor, das FG habe nur zu dem entscheidungserheblichen Vorbringen Stellung zu nehmen brauchen. Der Vortrag, daß der Bescheid vom 20. September 1982 angeblich noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden habe, sei nicht entscheidungserheblich gewesen. Der Hinweis der Klägerin habe allenfalls einen Änderungsantrag begründen können, nicht aber eine Umdeutung der Klage. Im übrigen könnten nur Steuer-, nicht aber Haftungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen und ein unter dem Vorbehalt ergangener Bescheid werde mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist unanfechtbar, auch wenn noch dessen Änderung beantragt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht zulässig.
Die Revision ist ohne Zulassung gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO statthaft, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Ein derartiger Verfahrensmangel liegt - neben dem Fall, daß das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet hat - nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auch vor, wenn das FG bei der Begründung seines Urteils einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195 m. w. N.).
Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Einwendungen der Klägerin aus der Vorläufigkeit der Lohnsteueranmeldungen ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel dargestellt haben. Denn der Vorentscheidung liegt, auch wenn sie dazu nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, erkennbar die Rechtsauffassung zugrunde, daß ein Verfahren, welches eine Anfechtungsklage gegen einen Haftungs- und Pauschalierungsbescheid zum Gegenstand hat, nicht von Rechtsfragen berührt wird, die in einer möglicherweise nach Durchführung eines dafür vorgesehenen Vorverfahrens erhobenen Verpflichtungsklage auf Änderung solcher Bescheide oder auf Änderung von Lohnsteueranmeldungen erörtert werden könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 418111 |
BFH/NV 1992, 260 |