Leitsatz (amtlich)
Es muß von einem Steuerberater (Prozeßbevollmächtigter) erwartet und diesem zugemutet werden, nach Zustellung des seiner Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Beschwerdebescheids die dann gegebene verfahrensrechtliche Lage sorgfältig zu prüfen. Eine unter Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften und der im Urteil des Finanzgerichts enthaltenen zutreffenden und eindeutigen Rechtsmittelbelehrung eingetretene Versäumung der Revisionsfrist ist unentschuldbar und deshalb eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen.
Normenkette
FGO §§ 56, 115 Abs. 3, 5
Tatbestand
Die Klage war durch Urteil des FG abgewiesen worden. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils heißt es auszugsweise:
"... Die Revision ist beim Finanzgericht ... innerhalb eines Monats nach Ablauf des Tages ... der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision ... schriftlich einzulegen ..."
Das FG hatte die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte mit Schriftsatz vom 4. April 1977 "Beschwerde gegen die in dem Urteil ... verweigerte Zulassung der Revision" eingelegt und diese mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet. Im letzten Absatz dieses Schriftsatzes hatte er "... die Zulassung der Revision zum BFH gegen das Urteil des Finanzgerichts ..." beantragt und "... um höchstrichterliche Entscheidung in dieser Sache" gebeten.
Durch Beschluß vom 18. Mai 1977 half das FG der Beschwerde ab und ließ die Revision gegen sein Urteil zu. Dieser Beschluß wurde dem Kläger (seinem Prozeßbevollmächtigten) am 26. Mai 1977 zugestellt. Im Verlauf eines Kostenansatzverfahrens wurde der Kläger (sein Prozeßbevollmächtigter) von der Geschäftsstelle des FG durch Schreiben vom 11. Juli 1977 davon unterrichtet, daß "eine Revision innerhalb der Monatsfrist nicht eingegangen" sei.
Mit Schriftsatz vom 13. Juli 1977 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und eine Revisionsschrift und -begründungsschrift eingereicht. Es sei ihm durch die Geschäftsstelle des FG eröffnet worden, "daß die mit meiner Begründungsschrift vom 4. April 1977 verbundene Revision nicht wirksam eingelegt sei". Er habe angenommen, mit der Nichtzulassungsbeschwerde auch formal Revision eingelegt zu haben, und "im Vertrauen auf die prozessuale Fürsorge des Gerichts die Erfordernisse für eine wirksam eingelegte Revision als erfüllt angesehen ...".
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig.
Der Kläger hat die Frist zur Einlegung der Revision versäumt. Bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist (27. Juni 1977; § 115 Abs. 5 Satz 4, § 120 Abs. 1 FGO) hatte er keine Revision eingelegt.
Der Schriftsatz des Klägers vom 4. April 1977 enthält keine Revisionseinlegung, sondern - wie der Betreff des Schriftsatzes ausweist und wie schreibtechnisch besonders hervorgehoben ist - allein die Beschwerde gegen die "verweigerte Zulassung der Revision" sowie eine eingehende Begründung dazu. Aus dem letzten Absatz dieses Schriftsatzes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nichts anderes. Wenn der Kläger darin - neben dem Antrag auf Zulassung der Revision - lediglich "um höchstrichterliche Entscheidung in dieser Sache" bittet, so kann dies unter den gegebenen Umständen nicht als formale Revisionseinlegung gewertet werden. Dieser Halbsatz kann nur im Zusammenhang mit dem vorangehenden Halbsatz (Zulassungsantrag) gesehen und in dem Sinne verstanden werden, daß durch die Zulassung der Revision zugunsten des Klägers die Voraussetzungen für eine höchstrichterliche Entscheidung eröffnet werden sollten. Im übrigen wäre die Einlegung der Revision vor ihrer Zulassung durch das FG unzulässig gewesen (vgl. Entscheidung des BFH vom 10. Oktober 1973 VIII R 219/72, BStBl II 1974, 34 - nur Leitsatz -).
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht entsprochen werden. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat die Frist schuldhaft versäumt. Dieses Verschulden muß sich der Kläger zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Die Fristversäumnis durch den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist nicht entschuldbar. Er hat die nach den vorliegenden besonderen Umständen und den persönlichen Verhältnissen gebotene und ihm zuzumutende Sorgfalt im Streitfalle außer acht gelassen. Er wußte, daß gegen das Urteil des FG wegen des niedrigen Streitwerts (§ 115 Abs. 1 FGO, Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlastG) und mangels schwerwiegender Verfahrensmängel (§ 116 FGO) eine Revision nur bei deren Zulassung durch das FG zulässig sein konnte. Deshalb hat der Prozeßbevollmächtigte zunächst den (allein richtigen) Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Darin war die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Diese Darlegungen sollen das FG und gegebenenfalls den BFH (§ 115 Abs. 5 Satz 1 FGO) von der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache überzeugen. Eine Auseinandersetzung mit den Gründen, auf denen das Urteil des FG beruhte, war in dem Beschwerdeverfahren weder tunlich noch erforderlich; daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der Beschwerdeschrift trotzdem auf die Entscheidungsgründe eingegangen ist, war für die Entscheidung über die Zulassung der Revision unbeachtlich.
Der Zulassungsbeschluß des FG in der Beschwerdeentscheidung eröffnete dem Kläger die Revision, die ihm bis dahin verschlossen gewesen war. Mit der Zustellung der Beschwerdeentscheidung begann der Lauf der Revisionsfrist (§ 115 Abs. 5 Satz 4 FGO). Das mußte dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers aus der genannten Gesetzesvorschrift und den sonstigen Bestimmungen über die Nichtzulassungsbeschwerde bekannt sein. Er war darüber hinaus von dem FG in der in dem Urteil befindlichen und richtigen Rechtsmittelbelehrung zutreffend darauf hingewiesen worden, daß die Revision innerhalb eines Monats nach Ablauf des Tages "der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen" war. Wenn der Prozeßbevollmächtigte die Rechtsmittelbelehrung nur flüchtig oder gar nicht liest oder - wie wahrscheinlich im Streitfalle - die darin gegebenen Belehrungen über die Rechtsmittel unbeachtet läßt, kann er sich nicht mit Erfolg im Wiedereinsetzungsverfahren auf die Unkenntnis verfahrensrechtlicher Vorschriften berufen.
Auch die unrichtige Annahme des Prozeßbevollmächtigten, er habe in der Beschwerdeschrift zugleich "auch die Revision formal eingelegt", entschuldigt die Fristversäumnis nicht und rechtfertigt daher keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Daß der letzte Absatz der Beschwerdeschrift keine Revision enthält, ist bereits oben dargelegt. Soweit der Prozeßbevollmächtigte insoweit einem Rechtsirrtum unterlegen sein sollte, wäre dieser nicht unverschuldet. Es muß von einem Steuerberater erwartet und diesem zugemutet werden, die verfahrensrechtliche Lage sorgfältig zu prüfen. Das ist nicht geschehen, obwohl die gesetzlichen Vorschriften über die Nichtzulassungsbeschwerde und die in dem Urteil des FG enthaltene richtige Rechtsmittelbelehrung die Rechtslage eindeutig und klar wiedergegeben haben.
Unter den gegebenen Umständen war das FG auch nicht gehalten, den Prozeßbevollmächtigten des Klägers darauf aufmerksam zu machen, daß die Nichtzulassungsbeschwerde in der eingereichten Form und Fassung nicht zugleich auch eine Revision enthalte. Das FG hat seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) durch die ausführliche und eindeutige Rechtsmittelbelehrung in dem ergangenen Urteil genügt.
Fundstellen
Haufe-Index 72092 |
BStBl II 1977, 769 |
BFHE 1978, 14 |