Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe von Bescheiden
Leitsatz (NV)
Bei der nach §122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 gebotenen Ermessensentscheidung (Bekanntgabe an Beteiligten selbst oder an den Bevollmächtigten) hat die Finanzbehörde kein Wahlrecht mehr, wenn der Steuerpflichtige ihr ausdrücklich mitteilt, daß er einen bestimmten Vertreter auch zur Entgegennahme von Verwaltungsakten ermächtige. Die Bekanntgabe des Steuerbescheides an den Steuerpflichtigen selbst ist in diesen Fällen unwirksam.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
1. Soweit der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs geltend macht, sind keine Verfahrensmängel erkennbar.
Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Zwar soll der Anspruch auf rechtliches Gehör die Beteiligten auch in rechtlicher Hinsicht vor Überraschungen schützen. Eine umfassende Erörtertung ist jedoch nicht erforderlich. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt nicht, daß das Gericht den Beteiligten die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte zuvor anzudeuten hat (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711; vom 25. Februar 1976 I R 77/74, BFHE 118, 361, BStBl II 1976, 431, m.w.N.). Das FA macht in diesem Zusammenhang auch lediglich geltend, daß das Finanzgericht (FG) seiner Entscheidung eine fehlerhafte Rechtsgrundlage zugrunde gelegt hat. Damit wird aber kein Verfahrensmangel, sondern die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung gerügt.
Im übrigen begründet das FG seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) bereits durch den Betriebseröffnungsfragebogen den Prozeßbevollmächtigten für alle Steuerarten zum Empfangsbevollmächtigten bestellt habe. Wenn auch nur ergänzend, stützt das FG seine Entscheidung ferner darauf, daß der Einspruch, aufgrund dessen das FA den Änderungsbescheid vom 11. September erlassen hat, bereits von dem Bevollmächtigten erhoben worden sei. Ist jedoch eine Entscheidung auf zwei selbständig tragende Begründungen gestützt, aber (nur) eine der Begründungen unter Versagung des rechtlichen Gehörs zustande gekommen, führt dies nicht zur Aufhebung der Entscheidung wegen eines Verstoßes gegen §96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- (BFH-Urteil vom 26. August 1992 II R 100/89, BFH/NV 1993, 563).
Schließlich ist nicht erkennbar, daß das FG Ausführungen des FA nicht zur Kenntnis genommen hat. Das FG hat seine Auffassung, die Klägerin habe den Prozeßbevollmächtigten zum Empfangsbevollmächtigten bestellt, hinreichend begründet. Es ist auf den wesentlichen Einwand des FA eingegangen, daß sich auf dem Betriebseröffnungsfragebogen der handschriftliche Zusatz "Betr.: Umsatzsteuer-Erklärung 1992" befinde. Eine Auseinandersetzung mit jedem einzelnen vorgetragenen Gesichtspunkt ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 28. Februar 1996 XI R 83, 84/94, BFH/NV 1996, 712, m. w. N.).
2. Die vom FA geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung liegt nicht vor; denn die Rechtsfrage, welche Auswirkungen die Benennung eines Empfangsbevollmächtigten für die Zustellung eines Steuerbescheides hat, ist in der Rechtsprechung geklärt. Der BFH hat wiederholt entschieden, daß bei der nach §122 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977) gebotenen Ermessensentscheidung (Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an Beteiligten selbst oder an den Bevollmächtigten) die Finanzbehörde kein Wahlrecht mehr hat, wenn der Steuerpflichtige ihr ausdrücklich mitteilt, daß er einen bestimmten Vertreter auch zur Entgegennahme von Verwaltungsakten ermächtige (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 1987 I R 180, 181/84, BFH/NV 1988, 274; BFH-Beschluß vom 24. April 1985 I S 1/85, BFH/NV 1986, 320). Die Bekanntgabe des Steuerbescheides an den Steuerpflichtigen selbst ist in diesen Fällen unwirksam. Auch die Finanzverwaltung wendet diese Grundsätze im Regelfall an (vgl. Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 8. April 1991, BStBl I 1991, 398, Tz. 1.7.3).
Das FG ist -- ausgehend von den für den Senat bindenden Feststellungen (§118 Abs. 2 FGO), daß der Prozeßbevollmächtigte im Betriebseröffnungsfragebogen zum Empfangsbevollmächtigten für alle Steuerarten benannt worden ist -- zu demselben Ergebnis gekommen. Daß das FG sein Urteil insoweit zu Unrecht auf §80 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 gestützt hat, kann eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht begründen; es betrifft die Frage der zutreffenden Rechtsanwendung.
3. Es kann offenbleiben, ob die Divergenz zu Urteilen des BFH vom FA hinreichend bezeichnet ist (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO); jedenfalls ist die Beschwerde auch insoweit unbegründet.
Eine Divergenz setzt einen vergleichbaren Sachverhalt voraus. Eine Abweichung liegt dann nicht vor, wenn der vom FG beurteilte Sachverhalt sich in so bedeutsamer und wesentlicher Weise von den Sachverhalten der angeblichen Divergenzentscheidungen unterscheidet, daß durch den vom BFH aufgestellten Rechtssatz der Sachverhalt des FG nicht als mitentschieden anzusehen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 18. Januar 1993 X B 14/92, BFH/NV 1993, 667, 669, m. w. N.). In beiden Entscheidungen, die das FA benennt, lag keine schriftliche Empfangsvollmacht der Prozeßbevollmächtigten vor. Insoweit sind die Sachverhalte der von dem FA benannten Entscheidungen des BFH anders als die der Entscheidung des FG im Streitfall.
Im übrigen ergeht der Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne weitere Begründung.
Fundstellen