Leitsatz (amtlich)
Die Eintragung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (Religionsgesellschaft) nach § 9 Abs. 3 Nr. 5 LStDV verstößt nicht gegen Art. 4 Abs. 1 GG.
Normenkette
LStDV § 9 Abs. 3 Nr. 5; GG Art. 4
Tatbestand
Nach Ansicht des Steuerpflichtigen, eines Gerichtsassessors, verstößt es gegen Art. 4 Abs. 1 GG, ihn für die Ausstellung seiner Lohnsteuerkarte zur Angabe seiner Religionszugehörigkeit zu zwingen, Sein Antrag, die Lohnsteuerkarte 1967 ohne die Eintragung der Religionszugehörigkeit oder aber unter Eintragung eines neutralen Vermerks auszustellen, wurde von der zuständigen Stadtverwaltung abgelehnt. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit dem FA, das der Beschwerde nicht abhalf, ist die OFD der Auffassung, daß die Eintragung der Religionszugehörigkeit dem GG nicht widerspreche. Gegen die seine Beschwerde ablehnende Entscheidung der OFD hat der Antragsteller Klage beim FG erhoben. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Nach der Einreichung der Klage stellte der Steuerpflichtige bei dem FG den Antrag, eine einstweilige Anordnung dahin zu erlassen, daß ihm "für das Steuerjahr 1968 vorläufig eine Steuerkarte ohne den Vermerk über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft" ausgestellt werde oder aber eine Steuerkarte, die "nur besagt, daß Kirchensteuer abzuführen ist". Das FG wies den Antrag zurück. Es bejahte zwar den Finanzrechtsweg und hielt den Antrag als solchen für zulässig. Es sah aber in dem an den Steuerpflichtigen gerichteten Verlangen der Gemeinde, zwecks Ausstellung der Lohnsteuerkarte die Religionszugehörigkeit anzugeben, keinen Verstoß gegen das GG. Wegen der Begrundung im einzelnen wird auf den Beschluß des FG, der in EFG 1968, 383 veröffentlicht ist, Bezug genommen.
Mit seiner Beschwerde macht der Steuerpflichtige geltend, daß die Entscheidung des FG nicht mit dem GG zu vereinbaren sei. Das FG übersehe, daß Art. 4 Abs. 1 GG die Bekenntnisfreiheit schlechthin schütze, weil er keinen Gesetzesvorbehalt enthalte. Wenn Art. 140 GG den Art. 136 der Weimarer Verfassung als Teil des GG bezeichne, so gelte dieser doch nur, soweit das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG ihm nicht entgegenstehe. Das habe zur Folge, daß § 136 Abs. 3 der Weimarer Verfassung, auf den sich das FG berufe, nicht mehr anwendbar und also jede Frage nach der Religionszugehörigkeit unzulässig sei. Fehle es an einem gesetzlichen Vorbehalt, so könne auch aus dem späteren Kirchensteuergesetz (KiStG) keine Verpflichtung zur Angabe der Religionszugehörigkeit abgeleitet werden, ganz abgesehen davon, daß die Pflicht, Kirchensteuer zu zahlen, eine solche Angabe keineswegs erfordere. Es gehe nicht an, zwischen Bekenntnis einerseits und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft andererseits zu unterscheiden. Aus der Zugehörigkeit könne ohne weiteres auf das Bekenntnis geschlossen werden. Der Staat dürfe sich nach der Regelung des Art. 4 Abs. 1 GG weder für das Bekenntnis noch für die Zugehörigkeit interessieren (vgl. Fischer, Trennung von Kirche und Staat, München 1964 S. 36, 45/46, 94).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Mit dem FG ist davon auszugehen, daß die hier zu entscheidende Frage, ob die Eintragung der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft in die Lohnsteuerkarte mit dem GG vereinbar sei, eine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 FGO betrifft (vgl. auch § 228 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AO n. F.) und daß demgemäß der Finanzrechtsweg gegeben ist. Die Regelung der Lohnsteuer, für deren Einbehaltung die Lohnsteuerkarte die Grundlage bildet, fällt ebenso wie die Regelung der Ausstellung der Lohnsteuerkarte selbst in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG, § 38 Abs. 2 letzter Satz EStG), und die Verwaltung der Lohnsteuer ist Sache der Landesfinanzbehörden (Art. 108 Abs. 2 und 3 GG, § 21 Abs. 1 und § 34 Nr. 4 FVG). Daß für die Ausstellung der Lohnsteuerkarten die Gemeindebehörden eingeschaltet sind (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG, §§ 7 ff. LStDV), ändert an der "Verwaltung durch die Landesfinanzbehörden" nichts; denn die Gemeindebehörden sind insoweit als Hilfsstellen der FA tätig (vgl. auch § 15 Abs. 2 LStDV).
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, auch zulässig. Nach § 9 Abs. 3 Nr. 5 LStDV ist in die Lohnsteuerkarte die "Zugehörigkeit des Arbeitnehmers und seines Ehegatten zu einer Religionsgemeinschaft (Religionsgesellschaft)" einzutragen. Wenn der Antragsteller die Eintragung des entsprechenden Zugehörigkeitsvermerks in seine Lohnsteuerkarte 1968 für verfassungswidrig, nämlich mit seinem durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nicht für vereinbar hält, so ist der beantragte Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein nach § 114 Abs. 1 FGO möglicher Weg, um - auch schon vor Klageerhebung - die Eintragung jenes Vermerks zu verhindern.
Das FG hat dem Antrag aber mit Recht nicht stattgegeben. Wie bereits das FG dargelegt hat, ist der Antrag nicht begründet.
Wenn der Antragsteller behauptet, daß ihm durch die Eintragung ein wesentlicher Nachteil entstehe oder entstehen könne, so ist zuzugeben, daß die Eintragung seinem Arbeitgeber zur Kenntnis bringt, welcher Religionsgemeinschaft er angehört. Es fragt sich jedoch, ob ihm hieraus wirklich Nachteile entstehen können, zumal es nach dem Sachverhalt nicht ausgeschlossen erscheint, daß der Arbeitgeber die Kenntnis ohnehin hat. Das braucht jedoch nicht geprüft zu werden. Denn jedenfalls ist mit dem FG festzustellen, daß die Eintragung der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft keine Verletzung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit darstellt.
Daß nach Art. 4 Abs. 1 GG die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich sind, bedeutet - auf den Glauben bezogen - nicht nur die Freiheit, zu glauben oder nicht, was man will, sondern auch die Freiheit, seinem "Glauben oder Unglauben nach außen Ausdruck zu verleihen" (vgl. BVerwGE 7, 189 [194]), und - auf das religiöse Bekenntnis bezogen - nicht nur die Freiheit, sich diesem oder jenem oder gar keinem religiösen Bekenntnis anzuschließen, sondern auch die Freiheit, sein religiöses Bekenntnis oder seine irreligiöse Überzeugung nach außen darzutun (vgl. v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Auflage, Anm. III zu Art. 4 S. 218, und Leibholz-Rinck, Grundgesetz, Kommentar, Köln 1966, Bem. 1 zu Art. 4 S. 117/118). In Art. 136 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Verfassung, der nach Art. 140 GG "Bestandteil" des GG ist, wird zudem ausdrücklich bestimmt, daß niemand verpflichtet ist, "seine religiöse Überzeugung zu offenbaren". Wenn hier wie dort von religiöser Überzeugung, Glauben oder Bekenntnis die Rede ist, während es im vorliegenden Fall nur um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft geht, so mag es naheliegen, zwischen der - den Glauben, die Überzeugung oder das Bekenntnis nicht notwendigerweise offenbarenden - äußerlichen Zugehörigkeit einerseits und der (tatsächlichen) inneren Einstellung als solcher andererseits zu unterscheiden und nur diese als durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt anzusehen (vgl. Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs P. St. 388 vom 27. Oktober 1965, Staatsanzeiger für das Land Hessen 1965 S. 1394, und Urteil des Senats VI 245/64 vom 11. November 1966, BFH 87, 524). Eine solche Unterscheidung zwischen äußerer Zugehörigkeit und innerer Einstellung macht allerdings, wie dem Antragsteller zuzugeben ist, den durch Art. 4 Abs. 1 GG garantierten Schutz insofern problematisch, als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft in aller Regel auf eine entsprechende Einstellung schließen läßt. Daß der bereits angeführte Art. 136 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Verfassung die Frage nach der Zugehörigkeit mit umfaßt, ergibt sich jedoch aus Art. 136 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung, der - ganz offenbar doch als Ausnahme zu dem in Satz 1 enthaltenen Grundsatz - die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft insoweit gestattet, "als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert". Wie aber eben diese Ausnahme erkennen läßt, ist die durch Art. 4 Abs. 1 GG garantierte "Geheimsphäre" nicht schlechthin, sondern in bezug auf Fragen nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nur beschränkt geschützt (vgl. Hamann, Das Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Bem. 2 zu Art. 140 S. 499).
Der Ansicht des Antragstellers, daß Art. 136 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung durch den keinerlei Einschränkungen enthaltenden Art. 4 Abs. 1 GG gegenstandslos geworden sei, kann nicht zugestimmt werden. Was Art. 4 Abs. 1 GG heute dem Aufbau dieses Gesetzes entsprechend als Grundrecht formuliert, entspricht inhaltlich dem Art. 135 der Weimarer Verfassung, der allerdings insofern enger gefaßt war, als er einen Vorbehalt zugunsten der "allgemeinen Staatsgesetze" enthielt. Daß ein solcher Vorbehalt nicht auch in Art. 4 Abs. 1 GG enthalten ist, rechtfertigt indessen nicht den Schluß, daß die in Art. 136 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung enthaltene Beschränkung gegenstandslos geworden sei. Denn Art. 136 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung ist wie gesagt durch die ausdrückliche Regelung des Art. 140 GG Bestandteil eben dieses Gesetzes geworden und steht also neben Art. 4 Abs. 1 GG.
Wenn auch die Problematik dieses Nebeneinanders der beiden Vorschriften nicht zu verkennen ist, so steht die Ausnahmevorschrift zu dem in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Grundrecht doch nicht in einem solchen Gegensatz, daß dieses durch die Ausnahme schlechthin in Frage gestellt wäre. Trotz der uneingeschränkten Fassung des durch Art. 4 Abs. 1 GG garantierten Schutzes der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit ist diese doch keineswegs ohne jede Schranken von außen gegeben (vgl. v. Mangoldt-Klein, a. a. O., Bem. III 5 zu Art. 4 S. 220, und Leibholz-Rinck, a. a. O., Bem. 2 zu Art. 4). Schranken sind auch der Freiheit selbst immanent, insofern diese so zu verstehen ist, "wie das dem überkommenen Typus dieser Freiheitsrechte entspricht" (Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Rdnr. 63 zu Art. 4). Setzt z. B. ein Amt - wie etwa das des Leiters einer Bekenntnisschule - eine bestimmte Bekenntnisbindung voraus, so ist es kein Verstoß gegen die Freiheitsgarantie des Art. 4 GG, wenn ein Bewerber zu dem Amt um deswillen nicht zugelassen wird, weil ihm die vorausgesetzte Bindung fehlt (vgl. BVerwGE 19, 252 [260]). Wird in Fällen dieser Art der Bewerber nach seiner Bekenntniszugehörigkeit gefragt, so kann das der Natur der Sache nach keinen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 GG bedeuten. Im Streitfall gehört der Antragsteller zugegebenermaßen einer bestimmten Religionsgemeinschaft an. Dieser gegenüber ist er, wie das FG zutreffend dargelegt hat, nach den einschlägigen Gesetzen zur Zahlung von Kirchensteuer, insbesondere auch der an die Lohnsteuer anknüpfenden Kirchenlohnsteuer, verpflichtet. Es liegt auch hier in der Natur der Sache, daß, soweit es um die Erhebung der Kirchensteuer geht, der Antragsteller zur Offenbarung seiner Zugehörigkeit verpflichtet ist (vgl. Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Rdnr. 78 zu Art. 4). Ob die Religionsgemeinschaft andere Wege hätte, um die Kirchensteuer von ihren Angehörigen hereinzuholen, braucht an dieser Stelle nicht geprüft zu werden. Denn jedenfalls kann der Weg, daß der Staat ihr hilft und sich dazu, soweit es um die an die Lohnsteuer anknüpfende Kirchenlohnsteuer geht, des für die Einbehaltung der Lohnsteuer vorgesehenen Verfahrens bedient, auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 GG nicht als verfassungswidrig angesehen werden (vgl. auch Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs VF 134-VII-66 vom 17. Oktober 1967, Juristenzeitung 1968 S. 179, nach dem die Verwaltung der Kirchenlohnsteuer durch die FA und ihre Erhebung im Lohnsteuer-Abzugsverfahren durch die Arbeitgeber mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist).
Fundstellen
Haufe-Index 67770 |
BStBl II 1968, 785 |
BFHE 1968, 285 |