Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsfreibetrag bei privatwirtschaftlichen Versorgungsbezügen; auslaufendes Recht; gesetzesinterpretierende Verwaltungsvorschriften
Leitsatz (NV)
1. Der Rechtsfrage, ob die Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG a.F. verfassungswidrig ist, kommt keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu; es handelt sich um auslaufendes Recht.
2. Rügt der Beschwerdeführer einen nach seiner Ansicht vorliegenden Verfassungsverstoß, so gehört zu einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung auch eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH und des BVerfG zu den maßgebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben.
3. Gesetzesinterpretierende Verwaltungsvorschriften, die eine gleichmäßige Anwendung des Gesetzes durch die nachgeordneten Behörden sicherstellen sollen, haben keine Rechtsnormqualität. Sie sind Willenserklärungen der Behörde und als solche nicht revisibel.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 118 Abs. 1 S. 1; EStG § 19 Abs. 2 S. 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 12.03.2007; Aktenzeichen 15 K 288/05) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger war als Flugzeugführer bei der X-AG beschäftigt. Mit Erreichen der Altersgrenze von 55 Jahren schied er Ende Juni 1998 aus dem aktiven Dienst bei der X-AG aus. Ab 1. Juli 1998 erhielt er nach § 5 des Tarifvertrags "Übergangsversorgung Cockpitpersonal" eine Übergangsversorgung. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte es ab, dem Kläger für die Streitjahre 1999 bis 2003 jeweils den Versorgungsfreibetrag nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu gewähren.
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat im Wesentlichen die Auffassung, der --nicht schwerbehinderte-- Kläger erfülle die Voraussetzungen für den Versorgungsfreibetrag in den Streitjahren (noch) nicht. Gegen die gesetzliche Regelung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken; insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) sei nicht verletzt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung der Kläger entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) hinreichend darzulegen, muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (zuletzt BFH-Beschluss vom 22. Mai 2007 VI B 55/06, BFH/NV 2007, 1689). Dies gilt auch, wenn sich der Beschwerdeführer auf einen nach seiner Ansicht vorliegenden Verfassungsverstoß stützt (z.B. BFH-Beschluss vom 26. Juni 2003 III B 126/02, BFH/NV 2003, 1415, m.w.N.). Zu einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung gehört in einem solchen Fall auch eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den maßgebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Beschluss vom 1. September 2004 II B 156/03, BFH/NV 2005, 71, m.w.N.).
2. Diesen gesetzlichen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Von den Versorgungsbezügen wurden nach § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG (in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) ein Versorgungsfreibetrag von 40 v.H., höchstens aber 6 000 DM, ab 1. Januar 2002 3 072 € steuerfrei abgezogen. Hierdurch sollten die Unterschiede in der vollen Besteuerung der Versorgungsbezüge auf der einen Seite und der bloßen teilweisen steuerlichen Erfassung der Altersruhegelder und Hinterbliebenenbezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung allein mit dem Ertragsanteil nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG auf der anderen Seite ausgeglichen werden. Die Gewährung des Versorgungsfreibetrags ist indessen an Altersgrenzen gebunden. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen Versorgungsbezügen des öffentlichen Dienstes (§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG) und denen des privaten Dienstes (Nr. 2). Die Gewährung von Versorgungsbezügen knüpft hinsichtlich der Altersgrenze an beamtenrechtliche Regelungen, u.a. die Antragsaltersgrenze von 63 Jahren an. Die steuerlichen Regelungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG bedürfen deshalb keiner Altersgrenze (vgl. ausführlich hierzu Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, § 19 EStG Rz 516). Außerhalb des öffentlichen Dienstes ist indessen eine Anknüpfung an bestehende gesetzliche Regelungen nicht möglich. Deshalb hat der Gesetzgeber in § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG vorgeschrieben, dass bei Versorgungsbezügen privater Arbeitgeber bestimmte Altersgrenzen einzuhalten sind. Die Festsetzung dieser Altersgrenzen dient einer Gleichbehandlung mit Beschäftigten im öffentlichen Dienst (vgl. hierzu z.B. Stache in Bordewin/Brandt, § 19 EStG Rz 1159 ff.).
Angesichts dieser Rechtslage ist die bloße Behauptung der Kläger, die Festsetzung der Altersgrenze in § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG (62 Jahre bzw. ab 2000: 63 Jahre) verletze den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, nicht ausreichend. Die Kläger haben sich weder hinreichend mit den Gründen des angefochtenen Urteils noch mit der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung auseinandergesetzt.
Dieser Mangel bezieht sich auch auf die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG. Mit Urteil vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618) hat das BVerfG die unterschiedliche Besteuerung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von Pensionen als mit dem GG unvereinbar angesehen. Das BVerfG erklärte die für verfassungswidrig erklärten Regelungen weiterhin für anwendbar. Dem Gesetzgeber wurde jedoch aufgegeben, spätestens mit Wirkung zum l. Januar 2005 eine Neuregelung zu treffen und sich für die Zukunft für ein Lösungsmodell zu entscheiden und dieses folgerichtig auszugestalten (vgl. Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618, unter D.II. der Gründe). Dieser Auftrag zur Neuregelung bezog sich auf den gesamten Bereich der Besteuerung der Alterseinkünfte, also auch auf den Versorgungsfreibetrag (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. Oktober 2006 XI R 45/05, BFH/NV 2007, 880). Dementsprechend hat der Gesetzgeber auch eine Regelung getroffen, nach der der Versorgungsfreibetrag (mit den bestehenden Altersgrenzen) schrittweise abgeschafft wird (vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 19 Rz 51).
In Anbetracht dieser Rechtslage hat der Senat demgemäß bereits in seinem --das Urteil des FG Köln vom 21. März 2001 14 K 7738/00, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 893 bestätigenden-- Beschluss vom 4. Februar 2004 VI B 119/01 (BFH/NV 2004, 639) entschieden, dass der Rechtsfrage, ob die Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG verfassungswidrig sei (vgl. auch Blümich/Thürmer, § 19 EStG Rz 320), keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukomme; es handele sich um auslaufendes Recht (vgl. hierzu Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 115 FGO Rz 98 ff.). Auch insoweit enthält die Beschwerde der Kläger keine Ausführungen.
3. Mit der Beschwerde bringen die Kläger noch vor, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich auch daraus, dass Steuerpflichtige vergleichbarer Berufsgruppen den Versorgungsfreibetrag erfolgreich in Anspruch nehmen könnten. Dabei berufen sich die Kläger insbesondere auf R 75 Abs. 1 Nr. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien zu § 19 EStG, wonach zu den Versorgungsbezügen auch Übergangsgelder zählen, die nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) an Angestellte der Deutschen Flugsicherung GmbH gezahlt werden; den Versorgungsfreibetrag erhielten unter bestimmten Voraussetzungen auch Fluglotsen.
Die Beschwerde der Kläger ist insoweit unschlüssig und daher unzulässig. Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage ist im vorliegenden Festsetzungsverfahren nicht klärungsfähig. Denn das angefochtene Urteil kann in dem von den Klägern angestrebten Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob es auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Mit den angeführten Einwendungen streiten die Kläger nicht um die Verletzung einer Rechtsnorm. Sie begehren vielmehr, dass der Kläger im Wege der Gleichbehandlung so behandelt wird, wie die in den Verwaltungsanweisungen erwähnten Berufsgruppen.
Gesetzesinterpretierende Verwaltungsvorschriften, die eine gleichmäßige Anwendung des Gesetzes durch die nachgeordneten Behörden sicherstellen sollen, haben keine Rechtsnormqualität. Sie sind Willenserklärungen der Behörde und als solche nicht revisibel (vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 10). Sie binden die Gerichte nicht (zuletzt: BFH-Urteil vom 5. Juli 2007 VI R 58/05, Der Betrieb 2007, 1794; Deutsches Steuerrecht 2007, 1435, unter II.2., m.w.N.). Dabei darf das Gericht eine Verwaltungsvorschrift selbst dann nicht anwenden, wenn sie für den Steuerpflichtigen günstiger ist als der Standpunkt des Gerichts (BFH-Urteil vom 8. Februar 1985 III R 62/84, BFHE 142, 567, BStBl II 1985, 319, 320; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 5 Rz 25). Im Übrigen ist für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift nicht maßgeblich, wie das Gericht eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2007 IX B 125/06, BFH/NV 2007, 1071; Urteil vom 4. Mai 2006 VI R 28/05, BFHE 213, 484, BStBl II 2006, 781, m.w.N.).
Fundstellen