Leitsatz (amtlich)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist befugt, Angehörigen gewisser freier Berufe (z. B. Künstlern, Schriftstellern und Journalisten) geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu leisten, wenn diese Personen Mitglieder von Verbänden sind, die ihrerseits einer Einzelgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund angehören, und die Hilfeleistung Steuerrechtsfragen betrifft, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit dieses Personenkreises stehen.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 2 S. 2; StBerG § 4 Nr. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin war in den Streitjahren 1974 und 1976 als Bildhauerin selbständig tätig. Die bei ihrer Tätigkeit entstandenen Verluste wollte sie im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer für die Streitjahre mit den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit ausgleichen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) sah die künstlerische Tätigkeit der Klägerin dagegen als Liebhaberei an und lehnte die Verrechnung der Verluste ab.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage. Im Klageverfahren ließen sie sich von den Gewerkschaftssekretären im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) A und B vertreten. Hinsichtlich der Vertretungsbefugnis der Gewerkschaftssekretäre beriefen sich die Kläger auf den Umstand, daß die Klägerin Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler (Landesverband X) ist und dieser Verband der Bundesvereinigung der Bildenden Künstler angeschlossen ist, die ihrerseits der Gewerkschaft Kunst im DGB angehört.
Das Finanzgericht (FG) wies die beiden Gewerkschaftssekretäre als Bevollmächtigte durch Beschluß vom 18. September 1980 zurück. Zur Begründung seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte 1981 S. 153 (EFG 1981, 153) veröffentlichten Entscheidung führte es aus, die Gewerkschaftssekretäre seien nach § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen, weil sie für den DGB geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) befugt zu sein. Ihre Vertretungsbefugnis lasse sich insbesondere nicht auf § 4 Nr. 7 StBerG stützen. Dabei könne dahinstehen, ob der DGB als eine "Berufsvertretung" oder eine "auf ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigung" i. S. des § 4 Nr. 7 StBerG anzusehen sei und ob die Vertretungsbefugnis nach dieser Vorschrift voraussetze, daß die dort genannten Vereinigungen die Hilfeleistung in Steuersachen unmittelbar gegenüber ihren Mitgliedern erbringen. Die Bevollmächtigten seien schon deshalb nicht befugt, die Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren zu vertreten, weil ihre Hilfeleistung in einer Einkommensteuersache, die ausschließlich Fragen im Zusammenhang mit Einkünften aus selbständiger Arbeit betreffe, nicht mehr objektiv im Aufgabenbereich des DGB liege (Hinweis auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Februar 1979 VI B 160/78, BFHE 127, 136, BStBl II 1979, 341). Gewerkschaften seien Vereinigungen von Arbeitnehmern zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie zur Förderung der Belange der Arbeitnehmerschaft. Mit dieser Zielsetzung lasse sich zwar die Rechtsberatung und Vertretung in Lohnsteuersachen vereinbaren; hingegen gehöre es nicht zum Aufgabenbereich einer Gewerkschaft, ihre Mitglieder in anderen Fragen des Steuerrechts, insbesondere in Streitigkeiten, die die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus selbständiger oder gewerblicher Tätigkeit betreffen, zu beraten.
Gegen den Beschluß des FG legten die Kläger durch Rechtsanwalt C Beschwerde ein. Zur Begründung führten sie aus, entgegen der Auffassung des FG seien die beiden Gewerkschaftssekretäre des DGB vertretungsbefugt. Der DGB und die in ihm vereinigten Gewerkschaften verträten zwar in erster Linie "die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer"; dazu gehöre auch die Wahrnehmung von deren steuerrechtlichen Angelegenheiten. Die Einengung auf Rechtshilfe in Lohnsteuerfragen sei indessen nicht gerechtfertigt. Zum Aufgabenbereich des DGB gehöre vielmehr auch die Rechtshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten, die die in der Gewerkschaft Kunst organisierten selbständigen Künstler beträfen.
Die Kläger beantragen, den Beschluß des FG aufzuheben und die Bevollmächtigten der ersten Instanz zur Durchführung des Rechtsstreits vor dem FG zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, steht den Beteiligten grundsätzlich die Beschwerde an den BFH zu (§ 128 Abs. 1 FGO). Nicht beschwerdefähig sind dagegen prozeßleitende Verfügungen (§ 128 Abs. 2 FGO), zu denen aber Beschlüsse über die Zurückweisung eines Bevollmächtigten nach § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht gehören (Entscheidung in BFHE 127, 136, BStBl II 1979, 341).
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO sind nur solche Bevollmächtigte zurückzuweisen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes befugt zu sein. Im Streitfall haben die Voraussetzungen für die Befugnis zur beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen nach § 4 Nr. 7 StBerG - entgegen der Auffassung des FG - vorgelegen.
Nach § 4 Nr. 7 StBerG sind zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen Vereinigungen befugt, die als Berufsvertretung oder auf ähnlicher Grundlage gebildet werden, "soweit sie im Rahmen ihres Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Hilfe in Steuersachen leisten".
a) Die Begriffe "Berufsvertretung" und der "auf ähnlicher Grundlage gebildeten Vereinigungen" werden in der Rechtsprechung des BFH weit ausgelegt (vgl. Urteile vom 27. Oktober 1955 II 160/53 U, BFHE 61, 475, BStBl III 1955, 382; vom 24. Juli 1973 VII R 58/72, BFHE 110, 7, BStBl II 1973, 743, sowie Urteil in BFHE 127, 136, BStBl II 1979, 341; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., Anm. 54 zu § 80 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., Anm. 31 zu § 80 AO 1977). Das (Einzel-)Gewerkschaften zu diesen Vereinigungen gehören, ist bereits entschieden (BFHE 127, 136, BStBl II 1979, 341). Für den DGB als Dachverband der Einzelgewerkschaften kann nichts anderes gelten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der DGB als "Berufsvertretung" angesehen werden kann; zumindest ist er als eine Vereinigung zu betrachten, die einer Berufsvertretung "ähnlich" ist. Er stellt einen Zusammenschluß von 17 Einzelgewerkschaften dar; er und die in ihm vereinigten Gewerkschaften vertreten die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer (DGB-Satzung § 2 Nr. 1 b).
b) Es liegt auch "im Rahmen des Aufgabenbereichs" des DGB, Mitgiedern der Einzelgewerkschaften und der den Einzelgewerkschaften angeschlossenen Verbände in gewissen Fällen Hilfe in Steuersachen zu leisten. Zwar gehört dieser Personenkreis nicht zu den unmittelbaren Mitgliedern des DGB. Der DGB hat keine Einzelpersonen, sondern ausschließlich Gewerkschaften als Mitglieder (vgl. § 3 Nr. 1 der DGB-Satzung). Nach dem organisatorischen Verhältnis, das zwischen dem DGB und den Einzelgewerkschaften besteht, werden jedoch manche Aufgaben, die an sich den Einzelgewerkschaften obliegen, vom DGB wahrgenommen. Das gilt u. a. auch hinsichtlich der Gewährung von Rechtsschutz. So sieht z. B. die am 1. Juli 1978 in Kraft getretene Rechtsschutzordnung der Bundesvereinigung der Gewerkschaftsverbände Bildender Künstler in Nr. 5.1 vor, daß die Bundesvereinigung der Gewerkschaftsverbände Bildender Künstler zur Durchführung des Rechtsschutzes im Einzelfall DGB-Rechtsstellen benennen kann. Dem entspricht es, daß in der Satzung des DGB (§ 2 Nr. 4 c) als Organisationsaufgabe die Errichtung von Rechtsstellen genannt wird, die "soweit gesetzlich zulässig, auf den Gebieten der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichte arbeiten". Die Rechtshilfe, die die Rechtsstellen des DGB für Mitglieder der Einzelgewerkschaften leisten, wird bereits seit Jahrzehnten von den Gerichten und Behörden als zulässig angesehen (so für den arbeitsgerichtlichen Bereich Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 22. Dezember 1960 2 AZR 140/58, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis, Arbeitsgerichtsgesetz 1953, § 11 Nr. 25).
Der Senat hat deshalb keine Bedenken, auch im Streitfall die durch die Zugehörigkeit der Klägerin zum Berufsverband Bildender Künstler vermittelte Mitgliedschaft zur Begründung der Vertretungsbefugnis des DGB genügen zu lassen.
c) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz liegt es auch "im Rahmen des Aufgabenbereichs" des DGB, dem zu den mittelbaren Mitgliedern zählenden Personenkreis Hilfe in Steuersachen zu leisten, selbst wenn es sich dabei nicht um eine lohnsteuerrechtliche Frage handelt. Der DGB vertritt zwar in erster Linie die Interessen der Arbeitnehmer; insoweit beschränkt sich seine Vertretungsbefugnis in Steuersachen auf die mit dem Beschäftigungsverhältnis in Zusammenhang stehenden Lohnsteuerfragen (vgl. hierzu BFH-Beschluß in BFHE 127, 136, BStBl II 1979, 341). Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß sich die Interessenvertretung durch den DGB in zunehmendem Maße auch auf Personen erstreckt, die nicht zu den Arbeitnehmern im arbeitsrechtlichen Sinn gehören. Das gilt z. B. für freie Mitarbeiter der Rundfunkanstalten, deren Beschäftigungsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist (vgl. Zöllner, Arbeitsrecht, 2. Aufl., 1979, S. 45), für freie Journalisten und für selbständig tätige Künstler. Schließen sich Angehörige solcher Berufe zu einem Berufsverband zusammen und wird dieser Verband (mittelbar) Mitglied des DGB, so kann der DGB den betreffenden Berufsangehörigen in gleicher Weise Steuerhilfe leisten wie Arbeitnehmern. Diese Steuerhilfe kann sich allerdings der Natur der Sache nach nicht auf Lohnsteuerfragen beziehen, da die Angehörigen solcher Berufsgruppen nicht der Lohnsteuer unterliegen. Der um die Interessenvertretung dieses Personenkreises erweiterte Aufgabenbereich des DGB bezieht sich insoweit vielmehr auf die Steuerhilfe für solche Fragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit dieses Personenkreises stehen. Dazu gehört auch die im Streitfall aufgetretene Frage, ob Verluste aus einer künstlerischen Tätigkeit mit anderen Einkünften ausgeglichen werden können oder ob der Verlustausgleich wegen Annahme einer "Liebhaberei" zu versagen ist.
d) Schließlich kann die Vertretungsbefugnis des DGB auch nicht insoweit verneint werden, als es sich um die Vertretung des Klägers handelt. Die Vertretungsbefugnis des DGB ist im allgemeinen zwar auf die Vertretung der Mitglieder einer Gewerkschaft (bzw. eines angeschlossenen Verbandes) beschränkt. Handelt es sich hingegen um Fälle des gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs oder der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer, so kann auch die Vertretung des am Verfahren beteiligten, nicht zu einer Gewerkschaft gehörenden Ehegatten nicht als unbefugt angesehen werden, sofern sich der Prozeßstoff ausschließlich auf Fragen beschränkt, die mit der beruflichen Tätigkeit des der Gewerkschaft angehörenden Ehegatten unmittelbar zusammenhängen (Birkenfeld, Finanz-Rundschau 1972 S. 60, 62).
e) Die Vollmacht ist in den Fällen des § 4 Nr. 7 StBerG der "Berufsvertretung" als solcher zu erteilen. Die im Streitfall an "A, B pp Rechtssekretäre im DGB-Landesbezirk X" erteilte Vollmacht genügt diesen Anforderungen. Denn unter den gegebenen Umständen kann davon ausgegangen werden, daß die Bevollmächtigung der beiden Gewerkschaftssekretäre die Vollmacht für den DGB einschließt.
Fundstellen
Haufe-Index 413700 |
BStBl II 1982, 221 |
BFHE 1981, 515 |