Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Grundsätzliche Bedeutung, Divergenz, Verletzung der Sachaufklärung, Überprüfung der Wiedereinsetzungsentscheidung des FA
Leitsatz (NV)
1. Auch eine abstrakte, bisher noch nicht entschiedene Rechtsfrage rechtfertigt die Zulassung der Revision nur dann, wenn sie im konkreten Streitfall entscheidungserheblich ist.
2. Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass die Rechtmäßigkeit einer durch das FA erfolgten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Kontrolle durch die Finanzrechtsprechung unterliegt.
3. Zu den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz und der Verletzung der Sachaufklärungspflicht.
4. Die fehlerhafte Sachverhaltswürdigung stellt einen materiellen Fehler dar, mit dem ein Verfahrensfehler nicht gerügt werden kann.
5. Zu den Voraussetzungen der greifbaren Gesetzeswidrigkeit einer FG-Entscheidung.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 110
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 16.12.2003; Aktenzeichen 9 K 7259/02 E) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) erhobenen Rügen sind zum Teil unzulässig; im Übrigen aber unbegründet.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen.
a) Bei der von der Beschwerde als klärungsbedürftig bezeichneten Rechtsfrage, welcher Beweiswert dem Sendeprotokoll des Abgangsgeräts für den Nachweis des Zugangs eines per Fax übermittelten Schriftstücks zukommt, ist bereits zweifelhaft, ob sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Denn der Umfang der Beweiskraft eines Sendeprotokolls im Hinblick auf einen ganz konkreten Schriftsatz wird nicht zuletzt von den technischen Gegebenheiten des jeweiligen Absende- und Empfangsgeräts, den individuellen Einstellungen und dem Inhalt des Sendeberichts abhängen. Der Senat versteht die betreffende Fragestellung jedoch dahin, dass es der Beschwerde nur um die Klärung der Rechtsfrage geht, ob ein Sendeprotokoll grundsätzlich den Zugang eines Schriftsatzes im Wege des Anscheinsbeweises bestätigen kann oder ob ihm jedenfalls eine entsprechende Indizwirkung zukommt. Die so verstandene abstrakte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des Streitfalls indes nicht entscheidungserheblich und vermag daher die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen (vgl. zur Entscheidungserheblichkeit Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz. 30, m.w.N.).
Das Finanzgericht (FG) hat insoweit ausgeführt, dass der Nachweis der Nämlichkeit des Einspruchsschreibens mit den laut Sendeprotokoll an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) übersandten zwei Seiten (auch) nicht durch den handschriftlichen Vermerk auf dem Sendeprotokoll erbracht worden ist. Ausgehend von dieser tatsächlichen Würdigung, die für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend ist, kommt es auf die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage nicht an. Denn auch die Kläger gehen nicht davon aus, dass dem Sendeprotokoll (ohne den handschriftlichen Zusatz) ein Beweiswert im Hinblick auf die Nämlichkeit des übersandten Schriftstückes zukommt. Anders als die Beschwerde meint, wird die Entscheidung des FG, den Zugang des Einspruchsschreibens zu negieren, durch die diesbezüglichen Ausführungen auch selbständig getragen. Die im Anschluss an die betreffende Würdigung vom FG gebrauchte Wendung "Indes braucht dies nicht weiter vertieft zu werden" (S. 5 der Urteilsreinschrift) kann nur als Verzicht auf eine weitere Begründung, nicht aber dahin ausgelegt werden, dass den bisherigen Ausführungen keine Entscheidungsrelevanz zukommen soll.
b) Der von der Beschwerde des Weiteren aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Rechtmäßigkeit einer durch das FA erfolgten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Kontrolle durch die Finanzrechtsprechung unterliegt, kommt ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu. Dieser Rechtsfrage fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, da sie bereits hinreichend geklärt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Entscheidung über die Wiedereinsetzung nach § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) kein selbständig anfechtbarer begünstigender oder belastender Verwaltungsakt, sondern eine Rechtsentscheidung in einem verwaltungsrechtlichen Zwischenverfahren, die von den Steuergerichten in vollem Umfang nachgeprüft werden kann (vgl. u.a. Urteile des BFH vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69, BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271, und vom 2. Oktober 1986 IV R 39/83, BFHE 147, 407, BStBl II 1987, 7, jeweils mit weiteren umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung). Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Mit der von der Beschwerde zitierten abweichenden Meinung von Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz. 156a ff., hat sich der erkennende Senat bereits in der Entscheidung in BFHE 147, 407, BStBl II 1987, 7 auseinandergesetzt. Dass der Kommentator in einer neueren Auflage an seiner bisherigen Rechtsmeinung festhält, rechtfertigt eine erneute Auseinandersetzung mit den bereits gewürdigten Argumenten nicht.
2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO zuzulassen. Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass sowohl das Urteil, von dem die Vorinstanz abgewichen sein soll, als auch der Rechtssatz, den das FG falsch ausgelegt oder angewandt haben soll, bezeichnet werden (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 24. August 2005 IV B 61/04, BFH/NV 2006, 85, und vom 9. Juli 2002 IV B 160/01, BFH/NV 2002, 1563; s. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 42). Zwar bezeichnet die Beschwerde zwei Divergenzentscheidungen des BFH (Urteil vom 8. Juli 1998 I R 17/96, BFHE 186, 491, BStBl II 1999, 48, und Beschluss vom 23. Dezember 2002 IV B 9/02, BFH/NV 2003, 786), es fehlt indes an der genauen Bezeichnung und Darlegung der abstrakten Rechtssätze in den Divergenzentscheidungen und dem Urteil des FG, die die behauptete Abweichung erkennbar werden lassen. Soweit die Beschwerde dahin zu verstehen ist, dass den Divergenzentscheidungen der Rechtssatz zu entnehmen sein soll, dem Sendeprotokoll des Abgangsgerätes komme immer eine Indizwirkung zu, vermag der Senat einen solchen Rechtssatz weder den Leitsätzen noch den Gründen der vorgenannten Entscheidungen zu entnehmen. Der erkennende Senat hat eine derartige Indizwirkung in der Entscheidung in BFH/NV 2003, 786 unter den dort gegebenen Umständen (sogar) für ausgeschlossen gehalten. Ein abstrakter Rechtssatz für die gegenteilige Annahme kann daraus nicht abgeleitet werden.
3. Ebenso wenig haben die Kläger einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ordnungsgemäß dargelegt. Wird --wie hier-- gerügt, das Gericht habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt, ohne dabei einen Beweisantrag übergangen zu haben, so ist vorzutragen, welche Tatsachen hätten aufgeklärt oder welche Beweise hätten erhoben werden müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei weiterer Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sich daraus auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Gerichts eine andere Entscheidung hätte ergeben können (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. August 2002 VIII B 58/02, BFH/NV 2003, 176, zu 2.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 70, m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde nicht.
a) Soweit die Kläger rügen, das FG hätte sich nicht von der Art und dem Umfang der organisatorischen Vorkehrungen des FA beim Post- und Telefaxverkehr überzeugt, fehlt es bereits an der Darlegung, welche entscheidungserheblichen Tatsachen das FG hätte feststellen sollen und inwiefern diese aus der materiell-rechtlichen Sicht des FG entscheidungserheblich gewesen wären. Mit der von den Klägern bloß angedeuteten Möglichkeit eines Organisationsverschuldens des FA wird weder eine entscheidungserhebliche Tatsache benannt noch ausgeführt, inwieweit sich dem FG eine derartige Beweiserhebung auch ohne konkreten Beweisantrag der Kläger hätte aufdrängen müssen.
b) Soweit die Kläger rügen, das FG hätte den Mitarbeiter des Steuerbüros zur Frage der Vollständigkeit der im Postausgangsbuch vermerkten Postsendung vernehmen müssen, fehlt es an einer hinreichenden Begründung, warum sich diese Beweisaufnahme dem FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt der Kläger hätte aufdrängen müssen. Dies gilt umso mehr, als das FG auf Grund des unwidersprochenen Vortrags des FA davon ausgehen konnte, dass neben dem Einspruchsschreiben ein weiteres in der Postsendung befindliches Schreiben nicht im FA angekommen ist. Daraus konnte das FG --wie geschehen-- ohne Verstoß gegen die Denkgesetze den Schluss ziehen, dass die Sendung tatsächlich nicht entsprechend der Erfassung im Postausgangsbuch versandt worden ist. Da das Einspruchsschreiben dem FA zudem auch nicht als Telefax vorlag, war ein Büroversehen des Steuerberaters jedenfalls nicht ausgeschlossen. Um gleichwohl die ordnungsgemäße Absendung des einfachen Briefes zu belegen, wäre es mithin Sache der Kläger gewesen, die ordnungsgemäße Absendung unter Beweis zu stellen.
c) Soweit die Kläger rügen, das FG habe den Ermittlungsrahmen unterschritten, da es keine Einsicht in die Rechtsbehelfsliste genommen habe, fehlt es ebenfalls an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Die Frage, welches Datum dort eingetragen wurde, lässt im Streitfall keinerlei Rückschlüsse auf den Zugang des Einspruchsschreibens zu. Die von den Klägern angestellte Überlegung, dass der Eintrag und das Datum des Eingangs des Einspruchs zeitlich zusammen fallen, ist reine Spekulation und nicht geeignet, eine entsprechende Sachaufklärungspflicht des FG zu begründen.
4. Mit dem weiteren Beschwerdevorbringen, das FG habe das Absendeprotokoll unzutreffend gewürdigt und die Nichtvorlage von Eingangsaufzeichnungen durch das FA aus seiner Überzeugungsbildung "kategorisch ausgeklammert", wird im Ergebnis eine fehlerhafte Würdigung des Sachverhaltes und damit ein materieller Rechtsfehler gerügt. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht geeignet, einen Verfahrensfehler i.S. des § 96 Abs. 1 FGO darzulegen. Insoweit ist die Beschwerde daher ebenfalls unzulässig.
5. Die Zulassung der Revision ist schließlich auch nicht wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung geboten. Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung können besonders schwerwiegende Fehler des FG bei der Auslegung revisiblen Rechts, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, die Zulassung der Revision ermöglichen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. Juli 2002 V B 152/01, BFH/NV 2002, 1600, und vom 20. Januar 2003 III B 63/02, BFH/NV 2003, 644). Das Vorliegen eines solchen Fehlers hat der Senat angenommen, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25). Das ist nicht bei jedem Verstoß gegen die Denkgesetze der Fall (BFH-Beschluss vom 9. März 2004 X B 68/03, BFH/NV 2004, 1112). Sieht man von den nicht durchgreifenden Verfahrensrügen ab, so haben die Kläger keine Umstände vorgetragen, aus denen sich schließen ließe, dem FG sei ein Fehler von erheblichem Gewicht im vorstehend beschriebenen Sinn unterlaufen.
Fundstellen
Haufe-Index 1693394 |
BFH/NV 2007, 728 |