Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Irrtum über Verfahrensrecht
Leitsatz (NV)
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn ein in steuerlichen Dingen unerfahrener Steuerpflichtiger zutreffend belehrt worden ist. Dies gilt um so mehr, wenn die Fristversäumnis auf einem verfahrensrechtlichen Irrtum eines Prozeßbevollmächtigten beruht, von dem erwartet wird, daß er auch das Verfahrensrecht kennt.
Normenkette
FGO §§ 56, 116, 120
Tatbestand
Das Bezirksgericht A hatte der Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen die Bescheide über Steuern, SV-Beiträge und andere Haushaltsbeziehungen des Rats des Kreises B -- Abt. Finanzen -- Referat Steuern zum Teil stattgegeben und den Bescheid für 1989 aufgehoben. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Gegen das am 8. Februar 1993 zugestellte Urteil des Bezirksgerichts vom 9. November 1992 legte der Kläger am 8. März 1993 neben einer Nichtzulassungsbeschwerde auch Revision ein. Mit Verfügung des Vorsitzenden des IV. Senats vom 16. April 1993, zugestellt am 22. April 1993, wurde der Kläger auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen, weil die nach § 120 FGO bestimmte Frist zur Begründung der Revision abgelaufen war.
Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 6. Mai 1993, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: An der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist sei er ohne Verschulden verhindert gewesen, weil die Rechtsmittelbelehrung unrichtig oder unvollständig, zumindest aber mißverständlich gewesen sei. Dem Prozeßbevollmächtigten sei es nicht zuzurechnen, daß er die Frist versäumt habe, weil sich aus der dem angefochtenen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung ergebe, daß der Lauf der Revisionsfrist mit der Zustellung des Zulassungs beschlusses beginne. Insoweit sei nicht eindeutig festgelegt, ob bei gleichzeitiger Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision, die Revisionsbegründungsfrist nach einem weiteren Monat ablaufe oder erst mit der Zulassung beginne. Gerügt werde die Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO; die "Richterlisten" hätten bis heute nicht eingesehen werden können, seien aber angefordert worden. Das Bezirksgericht habe auch das rechtliche Gehör verletzt, weil es seiner Hinweispflicht nicht gehörig nachgekommen sei (§ 119 Abs. 3 i. V. m. § 76 Abs. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision beim Finanzgericht (FG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.
Im Streitfall ist die Revisionsbegründung am 6. Mai 1993 und somit verspätet beim Bezirksgericht eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gewährt werden, da er nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist für die Begründung der Revision einzuhalten (§ 56 FGO). Das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten muß sich der Kläger nach § 155 FGO i. V. m. §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wie eigenes Verschulden anrechnen lassen (ständige Rechtsprechung des Bundes finanzhofs -- BFH --, vgl. zuletzt Senats beschluß vom 17. September 1993 IV R 35/93, BFH/NV 1994, 328, und BFH-Beschluß vom 7. Februar 1992 III R 57/91, BFH/NV 1992, 615).
Das Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers kann keinen Erfolg haben. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat hierzu vorgetragen, die Rechtsmittelbelehrung sei unrichtig oder unvollständig, zumindest aber mißverständlich gewesen. Diese Behauptung ist unzutreffend, denn aus der der Vorentscheidung beigefügten Rechtsmittelbelehrung ergibt sich zwar, daß der Lauf der Revisionsfrist mit der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision beginnt. Dies gilt aber ersichtlich nur für den Fall einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Dies war für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers als Rechtsanwalt ohne weiteres erkennbar; zumal die Rechtsmittelbelehrung u. a. wie folgt lautete: "Einer Zulassung zur Einlegung der Revision bedarf es nicht, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. des § 116 FGO gerügt werden ... " Wie sich aber aus der nach Fristablauf und einem Hinweis des Vorsitzenden eingereichten Revisionsbegründung ergibt, hatte der Kläger beabsichtigt, eine zulassungsfreie Revision nach Maßgabe des § 116 FGO einzulegen.
Bei dieser Sachlage bleibt unerfindlich, woraus sich ein Mißverständnis ergeben konnte, das der Prozeßbevollmächtigte nicht selbst anhand des Gesetzes oder dadurch hätte klären können, daß er die einschlägigen Erläuterungswerke zu Rate zog. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine Wiedereinsetzung selbst dann nicht gewährt werden, wenn ein in steuerlichen Dingen unerfahrener Steuerpflichtiger zutreffend belehrt worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1985 I R 30/85, BFH/NV 1986, 675; vom 3. Juli 1986 IV R 133/84, BFH/NV 1986, 717, 718 unter 1. a und vom 14. März 1989 VIII R 295/84, BFH/NV 1989, 754). Dies gilt um so mehr, wenn die Fristversäumnis auf einem verfahrensrechtlichen Irrtum eines Prozeßbevollmächtigten beruht, von dem erwartet wird, daß er auch das Ver fahrensrecht kennt (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 56 Anm. 32 m. w. N. zur Rechtsprechung).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß der Kläger zugleich mit der Revision Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese begründet hat.
Allerdings ist es möglich, wegen der Revisionsbegründung auf die im selben Schriftsatz enthaltenen Gründe einer Nichtzulassungsbeschwerde zu verweisen, wenn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde inhaltlich auch der Begründung der Revision genügt (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juli 1965 III C 105.64, BVerwGE 21, 286; vom 17. Oktober 1968 VIII CB 188.67, Neue Juristische Wochenschrift 1969, 1076). Im Streitfall fehlt es aber sogar an einer solchen Verweisung.
Zudem ist Mindesterfordernis für die Revisionsbegründung, daß -- sofern nicht bereits in der Revisionsschrift geschehen -- ein bestimmter Antrag enthalten ist, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen gerügt werden, die den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 FGO). Auch hieran fehlt es im Streitfall. Die Revisionsschrift ließ nicht erkennen, ob der Kläger mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts oder von Verfahrensfehlern rügen wollte (vgl. Senatsbeschluß vom 8. Dezember 1993 IV R 60/93, BFH/NV 1994, 495.
Fundstellen
Haufe-Index 419960 |
BFH/NV 1995, 47 |