Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung: Ausnahmsweise keine Darlegung bei Offenkundigkeit
Leitsatz (NV)
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob ein steuerbarer Veräußerungsverlust auch dann entsteht, wenn der Steuerpflichtige zunächst eine im Privatvermögen gehaltene wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft insgesamt veräußert hatte und er später eine Minderheitsbeteiligung neu erwirbt, die er mit Verlust veräußert, ist nicht offenkundig mit der Folge, daß die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ausnahmsweise entbehrlich wäre, nachdem die Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1996 erheblich eingeschränkt worden ist.
Normenkette
EStG (1996) § 17 Abs. 1, 2 S. 4, § 52 Abs. 1 S. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie war deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) begehrt, so ist die grundsätzliche Bedeutung in der Beschwerdeschrift innerhalb der Beschwerdefrist darzulegen (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605, ständige Rechtsprechung). Danach ist im einzelnen darzustellen, inwieweit die Problematik im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und ggf. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (vgl. BFH- Beschlüsse vom 20. Juni 1994 III B 39/94, BFH/NV 1995, 50; vom 15. September 1994 V B 181/93, BFH/NV 1995, 978, ständige Rechtsprechung). Zur Begründung des allgemeinen Interesses reicht der Vortrag nicht aus, die Rechtsfrage sei bislang nicht höchstrichterlich entschieden (BFH-Beschlüsse vom 10. November 1994 XI B 36/94, BFH/NV 1995, 531, 532; in BFH/NV 1995, 978).
2. Die Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen nicht. Sie legt im wesentlichen in der Art einer Revisionsbegründung dar, warum die Rechtsfrage in ihrem Sinne zu entscheiden und mithin die angefochtene Entscheidung des Finanzgerichts (FG) fehlerhaft sei. Damit wird indessen kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO substantiiert dargetan (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Mai 1994 VIII B 115/93, BFH/NV 1995, 101, ständige Rechtsprechung; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 115 FGO Rz. 129, m. w. N. in Fn. 64).
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) durfte auch nicht ausnahmsweise von der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung absehen, weil sie offenkundig wäre. Offenkundigkeit wird in der Rechtsprechung angenommen, wenn eine Rechtsfrage seit längerer Zeit in der Literatur kontrovers diskutiert, vom BFH noch nicht geklärt und für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von Bedeutung ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 VII B 154/93, BFH/NV 1994, 835, 836; vom 8. Mai 1989 X B 189/88, BFH/NV 1990, 243; vom 2. November 1988 II B 194/87, BFH/NV 1989, 789, 790; vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725; Offerhaus, a.a.O., § 115 FGO Rz. 134, m. umf. N. in Fn. 85).
Der erkennende Senat hat zwar in seinem Urteil vom 10. November 1992 VIII R 40/89 (BFHE 173, 17, BStBl II 1994, 222, 224) die Steuerpflicht eines Veräußerungsgewinns gemäß § 17 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bejaht, wenn ein Anteilseigner, nachdem der Umfang seiner im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung auf 25 v. H. gesunken ist, bei einer Kapitalerhöhung weitere Geschäftsanteile hinzuerwirbt, ohne daß sich der v. H.-Satz seiner Beteiligung ändert. Er hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er nicht über die Frage zu entscheiden habe, wie zu verfahren ist, wenn eine wesentliche Beteiligung insgesamt veräußert worden ist und später eine Minderheitsbeteiligung neu erworben und alsdann wiederum veräußert wird.
Im Schrifttum wird die Steuerverhaftung von Gewinnen/Verlusten aus der Veräußerung der erst später nach einer vollständigen Veräußerung der ursprünglichen wesent lichen Beteiligung erworbenen Anteile unterschiedlich beurteilt (für eine Besteuerung sprechen sich unter weitgehender Anlehnung an den Wortlaut des § 17 EStG Blümich/Ebling, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl. Rz. 110 m. umf. N., der die Zulässigkeit einer teleologischen Reduktion wegen fehlender Planwidrigkeit des Gesetzes verneint; ferner auch zur grundsätzlichen Bindung an den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes folgenden Unzulässigkeit, ihn aus steuerpolitischen oder allgemein rechtspolitischen Gründen zu korrigieren; BFH-Urteil vom 30. März 1993 VIII R 44/90, BFH/NV 1993, 597, 598, sofern die Anwendung einer Norm entsprechend ihrem Wortlaut nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, vgl. auch Kommentierte Finanzrechtsprechung, F. 3 § 17 EStG, 2/96 S. 243; Morsbach in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 17 (1996) Rz. 67; Dötsch in: Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Körperschaftsteuergesetz und Einkommensteuergesetz, § 17 EStG Rz. 73 unter Aufgabe seiner früheren ablehnenden Auffassung; Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 30; einschränkend Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 53, der darauf abstellen will, ob während einer ins Gewicht fallenden Zeitspanne überhaupt keine Beteiligung bestanden hat mit der Folge, daß der sachliche Zusammenhang zwischen früherer wesentlicher Beteiligung und der neuen nicht wesentlichen Beteiligung durchbrochen sei; dagegen sprechen sich aus: FG München im Urteil vom 22. Februar 1989 I 20/86 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 345, 346 als Ausgangsentscheidung zu BFHE 173, 17, BStBl II 1994, 222; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 17 Rz. 77, der eine "teleologische Reduktion" für geboten erachtet; Hörger in Littmann/Bitz/Hellwig, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 17 Rz. 25, der die wesentliche Beteiligung objektbezogen interpretiert; ferner Paus, Finanz-Rundschau 1994, 350, 352; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz, § 17 (1981) Rz. 59; Hertzig/Förster, Der Betrieb 1997, 594, 595).
Indessen drängt sich die grundsätzliche Bedeutung damit keineswegs auf; denn die Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten nach § 17 Abs. 1 und 2 EStG ist durch das Jahressteuergesetz 1996 mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1996 durch die Einfügung eines Satzes 4 in § 17 Abs. 2 erheblich eingeschränkt worden (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1996; ferner Hörger, a.a.O., § 17 Rz. 1 und 79 a; Herzig/Förster, a.a.O., zur Einschränkung, ab dem Veranlagungszeitraum 1996 die historischen Anschaffungskosten steuerwirksam geltend zu machen; Schmidt, a.a.O., § 17 Rz. 198, wonach allerdings zweifelhaft sei, ob insoweit erforderlich sei, daß der Veräußerer gerade die veräußerten Anteile vor mehr als 5 Jahren entgeltlich erworben habe; ferner Anm. o. V. in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 499).
Der Kläger hat indessen nichts zu der Frage vorgetragen, daß die aufgeworfene Rechtsfrage für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung sei und deshalb eine höchstrichterliche Entscheidung notwendig erscheine, noch ist das Interesse an einer einheitlichen Rechtsanwendung in einer nicht völlig unerheblichen Anzahl von Fällen von vornherein offenkundig angesichts der ab dem Veranlagungszeitraum 1996 eingreifenden wesentlichen Beschränkung der Verlustberücksichtigung nach § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG 1996 (vgl. auch BFH-Beschluß vom 12. Oktober 1994 II B 73/94, BFH/NV 1995, 420 zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit im Interesse der Allgemeinheit bei außer Kraft getretenem Recht).
Von einer weiteren Begründung wird nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 422363 |
BFH/NV 1997, 882 |