Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsprechung zur „Scheinselbständigkeit“ für (umsatz-)steuerrechtliche Beurteilung nicht ausschlaggebend; keine grundsätzliche Bedeutung
Leitsatz (NV)
- Für die Abgrenzung, ob jemand eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt, ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend.
- Es sind die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale gegeneinander abzuwägen, die im Einzelfall unterschiedlich zu gewichten sein können.
- Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ist die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung nicht maßgebend. Die Rechtsprechung zur sog. Scheinselbständigkeit hat für die steuerrechtliche Abgrenzung deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 04.02.2003; Aktenzeichen II 125/2002) |
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Jahren 1995 und 1996 für eine GmbH als Bauleiter tätig. Deren Geschäftsführer hatte ihn beauftragt, den Abbruch eines Kraftwerks zu organisieren und verantwortlich zu leiten. Dabei standen ihm Arbeitskräfte und Arbeitsmittel einer Niederlassung der GmbH zur Verfügung. Über diese Leistungen erstellte der Kläger Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer. Im Anschluss an verschiedene Zivilprozesse mit der GmbH vertrat der Kläger die Auffassung, er sei kein selbständiger Unternehmer gewesen, sondern Arbeitnehmer. Er berichtigte die bisherigen Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis gegenüber der GmbH, die der Berichtigung jedoch widersprach. In der Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2001 machte der Kläger unter Hinweis auf die berichtigten Rechnungen die Korrektur der nach seiner Auffassung zu Unrecht in den Jahren 1995 und 1996 erklärten Umsätze in Höhe von 141 046 DM geltend.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) und im angefochtenen Urteil das Finanzgericht (FG) vertraten die Auffassung, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse habe der Kläger die streitigen Leistungen in den Jahren 1995 und 1996 gegenüber der GmbH im Rahmen seines Unternehmens erbracht. Er sei kein Arbeitnehmer der GmbH gewesen. Eine Rechnungsberichtigung komme deshalb nicht in Betracht. Für die Beurteilung, ob jemand selbständig oder unselbständig i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) sei, sei die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung der Tätigkeit nicht bindend.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg; die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO liegen nicht vor oder sind nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat; das bedeutet, die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebende Rechtsfrage muss das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berühren. Das ist in der Regel nicht der Fall, wenn die Rechtsfrage schon durch den Bundesfinanzhof (BFH) geklärt ist und von einer erneuten Entscheidung eine weitere Klärung nicht zu erwarten ist oder aber auch, wenn es lediglich um die Anwendung fester Rechtsgrundsätze auf einen bestimmten Sachverhalt geht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. September 1974 VII B 112/73, BFHE 113, 409, BStBl II 1975, 196; vom 14. Februar 2002 I B 29/01, BFH/NV 2002, 1033).
Im Streitfall ist eine weitere Klärung des Begriffs der Selbständigkeit durch den BFH nicht zu erwarten; vielmehr geht es um die Anwendung fester Rechtsgrundsätze auf den Streitfall.
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind. Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend. Dies bedeutet, dass die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, gegeneinander abzuwägen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Juni 2000 V R 28/99, BFHE 191, 468, BStBl II 2000, 597). Dies gilt grundsätzlich gleichermaßen für die Umsatzsteuern und die Ertragsteuern (vgl. BFH-Urteile vom 30. Mai 1996 V R 2/95, BFHE 180, 213, BStBl II 1996, 493, und vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534). Nicht ausschlaggebend für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ist die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung der Tätigkeit als selbständig oder unselbständig (BFH in BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534, und Beschluss vom 29. Juli 2003 V B 22/03, V S 3/03 (PKH), BFH/NV 2003, 1615, jeweils m.w.N.). Es besteht keine Bindung zwischen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht einerseits und Steuerrecht andererseits, weshalb die Rechtsprechung zur sog. Scheinselbständigkeit nach § 7 Abs. 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch a.F. für die steuerrechtliche Beurteilung nichts beizutragen vermag (BFH in BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534). Insoweit hat sich auch durch die Neufassung dieser Vorschrift durch Art. 2 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I 2002, 4621) keine entscheidende Änderung für die steuerrechtliche Beurteilung der Selbständigkeit ergeben (Senatsbeschluss vom 29. Juli 2003 V B 22/03, V S 3/03 (PKH)). Ein weiterer Klärungsbedarf besteht nicht.
2. Auch die Voraussetzungen für eine Zulassung zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegen nicht vor.
a) Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 41). Ungeklärte Rechtsfragen im allgemeinen Interesse liegen, wie zuvor ausgeführt, nicht vor.
b) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO scheidet schon deswegen aus, weil die Begründung der Beschwerde insoweit nicht den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht. Zur schlüssigen Rüge einer Divergenz (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften oder des BFH andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen. Voraussetzung ist außerdem, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass im Urteil des FG dieselbe Rechtsfrage wie in der Divergenzentscheidung entschieden wurde.
Ganz abgesehen davon, dass der Kläger nicht die seiner Meinung nach einander widersprechenden Rechtssätze gegeneinander gestellt hat, fehlt es auch an der für eine Divergenzrüge erforderlichen Identität der Rechtsfrage, da zur Frage der Einordnung einer Tätigkeit als selbständig oder unselbständig keine Bindung zwischen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht einerseits und Steuerrecht andererseits besteht und deshalb unterschiedliche Entscheidungen nicht dieselbe Rechtsfrage betreffen.
3. Im Übrigen ergeht die Entscheidung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne Begründung.
Fundstellen