Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die schlüssige Darlegung einer Zulassungsrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO sowie einer Sachaufklärungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können Räumlichkeiten, die ‐ wie im Streitfall das im Einfamilienhaus der Beschwerdeführer gelegene Büro und der als Lager genutzte Kellerraum ‐ einen Teil der Wohnung oder des Wohnhauses bilden, nicht als "Betriebsstätte" i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG qualifiziert werden. Demgegenüber sind Art und Umfang der im häuslichen Bereich ausgeübten (betrieblichen) Tätigkeit keine für die Bestimmung des Betriebsstättenbegriffs i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG maßgebenden Kriterien.
2. Eine schlüssige Divergenzrüge setzt voraus, dass der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeitetet und gegenüber stellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen.
3. Macht der Beschwerdeführer mit seiner auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gestützten Rüge geltend, die angefochtene Vorentscheidung sei (objektiv) willkürlich und deshalb geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, so muss er substantiiert darlegen, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei.
4. Die schlüssige Rüge, das FG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, erfordert u.a. substantiierte Ausführungen darüber, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer weiteren Beweiserhebung auch ohne besonderen Antrag hätte aufdrängen müssen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 08.03.2004; Aktenzeichen 12 K 93/01) |
Gründe
Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist unbegründet, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat (unten 1.) noch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts erfordert (unten 2.). Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund, die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gebiete eine Entscheidung des BFH, wurde nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügend dargelegt (unten 3.). Ebenso unzulässig ist die von den Klägern erhobene Verfahrensrüge, weil sie nicht den gesetzlichen Erfordernissen entspricht (unten 4.).
1. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zu, weil die von ihnen aufgeworfene Rechtsfrage bereits durch die ständige Rechtsprechung des BFH geklärt ist.
a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1994 dürfen Aufwendungen des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden, soweit sie die sich in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergebenden Beträge übersteigen. Unter diese Abzugsbeschränkung fallen dagegen nicht Aufwendungen eines Unternehmers für Fahrten von einer Betriebsstätte zur einer anderen Betriebsstätte.
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG verfolgt den Zweck, hinsichtlich der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte des Steuerpflichtigen, Unternehmer und Arbeitnehmer gleich zu behandeln. Diese Zielsetzung verlangt für die Beantwortung der im vorliegenden Fall zwischen den Beteiligten umstrittenen und von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam erachteten Frage, ob der im häuslichen Bereich angesiedelte Arbeitsplatz eines Gewerbetreibenden (oder anderen Selbständigen) eine Betriebsstätte i.S. der genannten Regelung ist, eine deutliche Grenzziehung zwischen dem privaten Bereich des Wohnens und dem der beruflichen oder betrieblichen Betätigung. Infolgedessen können nach ständiger Rechtsprechung Räumlichkeiten, die --wie im Streitfall das im Einfamilienhaus der Kläger gelegene, ehemals als Kinderzimmer dienende Büro und der als Lager genutzte Kellerraum-- einen Teil der Wohnung oder des Wohnhauses bilden, also in den Wohnbereich und damit in die private Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden bleiben, nicht als "Betriebsstätte" i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG qualifiziert werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. November 1999 IV R 44/99, BFH/NV 2000, 699; vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41; vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279; vom 16. Februar 1994 XI R 52/91, BFHE 174, 65, BStBl II 1994, 468; Senatsurteil vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421). Demgegenüber sind Art und Umfang der im häuslichen Bereich ausgeübten (betrieblichen) Tätigkeit entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht keine für die Bestimmung des Betriebsstättenbegriffs i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG maßgebenden Kriterien (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 41, und in BFH/NV 2000, 699). Insoweit ist auch --worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu Recht hingewiesen hat-- ohne Belang, dass der Arbeitsbereich des Klägers in dem Einfamilienhaus in N eine Betriebsstätte i.S. von § 12 der Abgabenordnung (AO 1977) bildete.
b) Hiergegen wenden die Kläger ein, mit der streng formalen Auslegung des Betriebsstättenbegriffs i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG verstoße die Rechtsprechung gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Der Gleichheitssatz gebiete es, bei dieser Auslegung "die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls und die Besonderheiten des jeweiligen Berufsbildes … zu berücksichtigen. Der Wandel in der Rechtsprechung des BFH zur Thematik der häuslichen Arbeitszimmer (mache) deutlich, dass eine bloß formale Bewertung der Begriffe des Arbeitszimmers bzw. der Betriebsstätte nicht mit den modernen Berufsbildern zu vereinbaren (sei) und daher eine funktionale Betrachtung bzw. eine quantitative und qualitative Bewertung der Arbeit der Steuerpflichtigen zu erfolgen (habe)". Der Kläger benötige zur Ausübung seiner gewerblichen Betätigung --anders als etwa ein Handwerker-- lediglich ein Büro und einen Lagerraum. Dass sich diese Räume im Gegensatz zur Werkstatt eines Handwerkers in das Wohnhaus integrieren ließen, rechtfertige nicht eine unterschiedliche Behandlung beider Berufsgruppen.
c) Diesen Erwägungen vermag der angerufene Senat schon deswegen nicht beizupflichten, weil es im Rahmen der Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG einen wesentlichen und damit auch im Sinne des steuerlichen Gleichbehandlungsgebots relevanten Unterschied bildet, ob eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit innerhalb des häuslichen Wohnbereichs ausgeübt wird oder ob diese Betätigung in Büro- und/oder Werkstatträumen außerhalb dieses privaten Sektors stattfindet (vgl. auch Urteil des Hessischen Finanzgerichts --FG-- vom 8. Oktober 2003 11 K 665/01, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 968, 970).
Im Übrigen hat der BFH schon in seiner bisherigen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (und dessen Auslegung durch die ständige Rechtsprechung des BFH) nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. "Vielmehr verbietet gerade die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Gewerbetreibenden bzw. Freiberuflern, mit dem Begriff der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG auch Räume zu erfassen, die im räumlichen Zusammenhang mit der Wohnung des Steuerpflichtigen stehen" (Senatsurteil vom 19. September 1990 X R 44/89, BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97; vgl. ferner BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 699). Das FG weist in seiner Entscheidung zutreffend darauf hin, dass auch Arbeitnehmer, die --wie der Kläger-- einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitsleistung zu Hause verbringen --man denke nur an Heimarbeiter oder an Telearbeitsplätzen tätige Personen--, die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur eingeschränkt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geltend machen können.
Des Weiteren hat das FG (unter 1.a, letzter Absatz der Gründe des angefochtenen Urteils) zutreffend ausgeführt, dass die in ständiger Rechtsprechung des BFH befürworteten Grundsätze zur Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG durch die neuere Rechtsprechung des BFH zum Arbeitszimmerbegriff i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG n.F. nicht tangiert wird. So hat der VI. Senat des BFH in seinem Urteil vom 13. November 2002 VI R 164/00 (BFHE 201, 86, BStBl II 2003, 350, unter II.2.c bb der Gründe) ausdrücklich betont, dass "sich die Grundlagen der Rechtsprechung zu den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte ausgehend vom Sinn und Zweck der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen nicht auf die Problematik des häuslichen Arbeitszimmers übertragen (ließen)". Umgekehrt gilt dasselbe.
2. Aus denselben Erwägungen kann auch die Rüge der Kläger keinen Erfolg haben, dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH erfordere (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO; zur Einordnung dieses Zulassungsgrundes als Spezialfall der "Grundsatzrevision" i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 38).
3. Unschlüssig ist die Rüge der Kläger, dass eine Entscheidung des BFH im Hinblick auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
a) Sollten die Kläger mit dieser Rüge (konkludent) zum Ausdruck bringen wollen, dass das FG mit dem angefochtenen Urteil von einer Entscheidung des BFH und/oder eines anderen Gerichts abgewichen sei, hätten sie --woran es fehlt-- tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüber stellen müssen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. Juli 2002 XI B 152/01, BFH/NV 2002, 1484; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 42).
b) Sofern die Kläger mit ihrer auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gestützten Rüge der Sache nach geltend machen wollen, die angefochtene Vorentscheidung sei (objektiv) willkürlich und deshalb geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, hätten sie --was nicht geschehen ist-- substantiiert darlegen müssen, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2002 X B 99/02, BFH/NV 2003, 496; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 45).
4. Ebenso unschlüssig ist auch die von den Klägern erhobene Verfahrensrüge.
a) Die Kläger haben in diesem Zusammenhang geltend gemacht, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es ihre Fahrtenbücher "nicht richtig bewertet" habe. Statt der vom FG lediglich anerkannten 140 Fahrten von N nach H gingen aus den Fahrtenbüchern insgesamt 153 Fahrten hervor.
Das FA hat hiergegen eingewendet, dass die "Anzahl der durchgeführten Fahrten im finanzgerichtlichen Verfahren … nicht streitbefangen" gewesen sei und die Kläger insoweit im Beschwerdeverfahren "eine neue Tatsache" vorgetragen hätten.
b) Diese Rüge genügt schon deshalb nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, weil die Kläger nicht --wie geboten (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 70, m.w.N.)-- vorgetragen haben, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer weiteren Beweiserhebung auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen.
Fundstellen