Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Revisionsbegründung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
1. Ein Revisionsschriftsatz, der außer der Angabe der Beteiligten, der Steuerart, des Streitjahrs und des angefochtenen Urteils nur den Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuer und den Hinweis enthält, daß die Revisionsbegründung folge, genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung.
2. Wird die Revision erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist begründet, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumnis nicht gewährt werden, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung verspätet gestellt und begründet wurde. Die zweiwöchige Frist für den Wiedereinsetzungsantrag beginnt an dem Tag, an dem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist erkannte oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können.
3. Bei Nachholung der Revisionsbegründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist kann Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht gewährt werden, wenn die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung nicht gerichtsbekannt sind.
Normenkette
FGO §§ 54, 56 Abs. 1-2, § 120 Abs. 1 S. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) durch einen Grundstücksverkauf ein Spekulationsgeschäft getätigt hat und ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Jahre 1982 den Einkommensteuerbescheid 1972 zur Erfassung des Spekulationsgewinns ändern durfte.
Das die Klage teilweise abweisende Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 16. Oktober 1984 zugestellt worden. Dagegen hat er am 13. November 1984 Revision eingelegt. Am 21. Dezember 1984 ging beim Bundesfinanzhof (BFH) ein Schriftsatz vom 19. Dezember 1984 ein, in dem ,,in Ergänzung unserer am 12. 11. 1984 eingelegten Revisionsbegründung" Ausführungen gemacht werden. Auf den Hinweis des Vorsitzenden des Senats, daß die Revisionsbegründung verspätet beim BFH eingegangen sei, hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am 11. Februar 1985 vorgetragen, seine Revision vom 12. November 1984 enthalte bereits eine Revisionsbegründung, die den Mindestvoraussetzungen des § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspreche. Hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er sei ohne Verschulden gehindert gewesen, eine ausführliche Revisionsbegründung vor dem 17. Dezember 1984 einzureichen, da die mit der Fristüberwachung beauftragte Sekretärin offenbar mit der Absendung des Schriftsatzes vom 12. November 1984 nicht nur die Eintragung vom 6. November 1984, sondern auch die vom 10. Dezember 1984 gestrichen habe.
Der Kläger beantragt, die Einkommensteuer 1972 von 43 097 DM auf 24 666 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet wurde.
Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Revision oder Revisionsbegründung müssen einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Die Revisionsschrift vom 12. November 1984 erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Sie enthält außer der Angabe der Beteiligten, der Steuerart, des Streitjahres und des angefochtenen Urteils nur den Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuer und den Hinweis, daß die Revisionsbegründung folgt. Die verletzte Rechtsnorm ist nicht bezeichnet, wobei hierzu nicht die Angabe eines Paragraphen ausgereicht hätte; vielmehr muß sich der Revisionskläger zumindest kurz und unter Prüfung seines eigenen Standpunkts mit der Begründung des angefochtenen Urteils auseinandersetzen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Senats vom 28. April 1987 IX R 7/83, BFHE 150, 406, BStBl II 1987, 814, mit weiteren Hinweisen).
Den vorstehenden Anforderungen genügt zwar der Schriftsatz vom 19. Dezember 1984. Dieser ist jedoch erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beim BFH eingegangen. Die Frist für die Einlegung der Revision gegen das am 16. Oktober 1984 zugestellte Urteil lief am 16. November 1984 und die für die Begründung der Revision am 17. Dezember 1984 - der 16. Dezember 1984 war ein Sonntag - ab (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 56 FGO) kann dem Kläger schon deshalb nicht gewährt werden, weil sein Prozeßbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen muß (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO), nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und die Tatsachen zur Begründung des Antrags vorgetragen hat (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO). Das Hindernis ist an dem Tag weggefallen, an dem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist erkannte oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können (BFH-Beschluß vom 30. Juni 1967 VI R 248/66, BfHE 89, 330, BStBl III 1967, 613; Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 20. November 1986 VII ZB 5/86, Versicherungsrecht 1987, 560, zu dem § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO entsprechenden § 234 Abs. 1 und 2 ZPO). Dies war hier der Tag, an dem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Schriftsatz vom 19. Dezember 1984 konzipierte, also spätestens dieser Tag; denn zur Fertigung des Schriftsatzes mußte der Prozeßbevollmächtigte seine Handakten einsehen. Aus diesen ergab sich aber, daß er bis dahin nur die Revision mit dem abschließenden Satz ,,die Revisionsbegründung folgt" eingelegt hatte.
Die Revisionsbegründung ist zwar innerhalb der am 19. Dezember 1984 beginnenden Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt worden. Wiedereinsetzung von Amts wegen (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO) kann jedoch nicht gewährt werden, weil die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung nicht gerichtsbekannt waren (vgl. BFH- Urteil vom 26. November 1976 III R 125/74, BFHE 121, 15, BStBl II 1977, 246).
Da der am 11. Februar 1985 eingegangene Antrag auf Wiedereinsetzung verspätet ist, bedarf es keiner Prüfung mehr, ob sich aus den darin vorgetragenen Gründen ein mangelndes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ergibt (vgl. § 56 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 416062 |
BFH/NV 1989, 512 |