Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung bei Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (NV)
1. Eine eingehende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer aufgeworfenen Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung ist grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn die Rechtsfrage die Anwendung von Gemeinschaftsrecht betrifft. Mit dem Hinweis auf Auswirkungen der aufgeworfenen Rechtsfrage auf den Haushalt der Gemeinschaft wird die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt.
2. Hat der Käufer, der Musterkollektionen im Rahmen eines Werklieferungsvertrags einführt, nicht nur den reinen Warenwert der Musterkollektionen zu bezahlen, sondern zusätzlich auch alle Aufwendungen des Lieferanten, welche für die Erstellung dieser Kollektionen angefallen sind (sog. Entwicklungskosten), zu tragen, bilden beide Bestandteile zusammen die vollständige Zahlung für die eingeführte Ware i. S. des Art. 3 Abs. 3 Buchst. a ZWVO 1980. Hiernach sind auch die Kosten von Fehlentwicklungen -- nicht eingeführte oder nach der Einfuhr wieder ausgesonderte Muster und Modelle -- als vom Käufer in Auftrag gegebene Entwicklungsleistungen mit den schließlich eingeführten und vom Käufer akzeptierten Mustern und Modellen untrennbar verbunden und werden notwendig in deren Preis mitbezahlt; eine Aussonderung dieser Kosten aus dem Zollwert kommt nicht in Betracht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; ZWVO 1980 Art. 3 Abs. 1, 3 Buchst. a
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ließ Ober- und Unterbekleidungs- sowie Taschen- und Schuhmodelle aus Hongkong bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt -- HZA --) zum zollrechtlich freien Verkehr abfertigen. In den Zollanmeldungen wurden diese Sendungen als kosten lose Mustersendungen angemeldet. Der Zoll wurde auf der Grundlage von Proformarechnungen des Lieferanten in Hongkong festgesetzt, die den Mustersendungen jeweils beigefügt waren.
Bei einer Außenprüfung wurde festgestellt, daß die Klägerin von ihrem Lieferanten Belastungsanzeigen über gefertigte Musterteile und Vormaterialien und Leistungen für Mustererstellung in Höhe von ... DM erhalten hatte. Nach den Feststellungen des HZA hat die Klägerin die gesamten Entwicklungsleistungen der Musterkollektionen in Hongkong erstellen lassen. Mit Steueränderungsbescheid setzte das HZA den Zoll für die Mustersendungen unter Einbeziehung der Belastungsanzeigen neu fest und forderte insgesamt ... DM Zoll nach. Der Einspruch der Klägerin führte zu einer Herabsetzung des Nachforderungsbetrags, blieb aber im übrigen erfolglos.
Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin, die die Einbeziehung von lediglich 25 % der Entwicklungskosten für gerechtfertigt hielt, wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG führte aus, die Mustersendungen seien entgegen den Angaben in der Zollanmeldung keine kostenlosen Mustersendungen gewesen, sondern entgeltliche Leistungen im Rahmen eines Werklieferungsvertrags. Die Klägerin habe unabhängig davon, ob die Muster (sog. Vor- Order-Kollektionen) danach in Serie gegangen seien, die in den Proformarechnungen aufgeführten Preise und die gesondert in Rechnung gestellten Entwicklungskosten für die Kollektionen aufwenden müssen. Die Werte der in den Proformarechnungen nicht enthaltenen Kosten stellten zusätzliche Aufwendungen dar, die die Klägerin ihrem Lieferanten in Hongkong habe erbringen müssen. Sie gehörten als aufgespaltene Teile des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises i. S. des Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. a i. V. m. Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 über den Zollwert der Waren (ZWVO 1980) zur vollständigen Zahlung, die für die eingeführten Waren von der Klägerin an ihren Lieferanten in Hongkong zu entrichten gewesen seien. Zollwertrechtlich unbeachtlich sei, daß ein Teil der Zahlungen (von der Klägerin mit 75 % der Gesamtentwicklungskosten angegeben) letztlich für Fehlentwicklungen geleistet worden sei.
Mit ihrer auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) gestützten Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis i. S. des Art. 3 ZWVO 1980 für eingeführte Muster auch solche Zahlungen umfasse, die für Fehlentwicklungen geleistet würden, die nicht zur Herstellung einer eingeführten Handelsware geführt hätten. Entgegen der Auffassung des FG sei die Rechtslage nicht so eindeutig, daß sich die aufgeworfene Rechtsfrage ohne weiteres aus der ZWVO 1980 beantworten lasse. Gegenstand der Bewertung seien nur eingeführte Waren; nur solche Waren unterlägen auch der Verzollung. Für eingeführte Musterkollektionen sei der Zollwert folglich lediglich anhand der notwendigen, anteilig auf die Entwicklung dieser eingeführten Waren entfallenden Kosten zu bestimmen. Kosten für Fehlentwicklungen seien zollwertrechtlich nicht relevant, weil sie nicht in eingeführten Waren ihren Niederschlag fänden.
Die aufgeworfene Rechtsfrage, die sich in gleicher Weise auch unter dem seit 1. Januar 1994 geltenden Zollkodexrecht stelle, habe eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung für eine unbestimmte Anzahl bestehender und künftiger Fälle; außerdem wirke sie sich unmittelbar auf den Haushalt der Gemeinschaft aus, so daß die Gemeinschaft ein berechtigtes Interesse an der korrekten Anwendung der Zollwertbestimmungen habe. Bei Zweifeln über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht sei allein der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Entscheidung befugt. Nach Zulassung der Revision könne die gebotene einheitliche Rechtsanwendung in der Gemeinschaft durch Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art. 177 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) gewährleistet werden.
Das HZA ist dem Begehren der Klägerin entgegengetreten. Die von der Klägerin gezahlten Entwicklungskosten seien Teil der vollständigen Zahlung für die eingeführten Musterkollektionen. Eine Aufteilung der Beträge in verwertbare Entwicklungen und Fehlentwicklungen brauche nicht zu erfolgen, weil die Entwicklung als Gesamtheit anzusehen sei, die naturgemäß auch Fehlentwicklungen beinhalte. Nach den Zollwertvorschriften sei nicht der übliche Preis, der für solche Muster gelten könne, anzusetzen, sondern die vollständige Zahlung des Auftraggebers. Eine Aussonderung von Kosten für Fehlentwicklungen bei der Zollwertfeststellung sei mithin nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin kann keinen Erfolg haben.
1. Der Senat hat bereits Zweifel daran, ob die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kommt einer aufgeworfenen Rechtsfrage nämlich nicht schon dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist (BFH-Beschlüsse vom 20. April 1977 I B 65/76, BFHE 122, 119, BStBl II 1977, 608; vom 2. Februar 1993 VII B 204/92, BFH/NV 1993, 507). Das gilt auch, soweit die Klägerin Auswirkungen der aufgeworfenen Rechtsfrage auf den Haushalt der Gemeinschaft sieht, denn dann wäre jede zollrechtliche Fragestellung von grundsätzlicher Bedeutung, weil sich die Erhebung oder Nichterhebung von Zoll stets auf den Gemeinschaftshaushalt auswirkt. Grundsätzliche Bedeutung kann eine Rechtsfrage nur dann haben, wenn ihre Klärung im Interesse der Allgemeinheit liegt. Dies muß in der Beschwerdeschrift näher dargelegt werden. Handelt es sich um eine Rechtsfrage des Gemeinschaftsrechts, so kann es zur Darlegung des Interesses der Allgemeinheit allerdings genügen, daß der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift aufzeigt, daß sich in einem künftigen Revisionsverfahren voraussichtlich die Notwendigkeit ergeben wird, die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen (Senatsbeschluß vom 9. Januar 1995 VII B 169/95, NV).
Diese Darlegung entbindet den Beschwerdeführer aber nicht davon, auch Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage zu machen. Hat der BFH über einen Sachverhalt der streitigen Art bisher noch nicht ausdrücklich entschieden -- so über die im Streitfall aufgeworfene Frage der Einbeziehung von Entwicklungskosten in den Zollwert --, so muß der Beschwerdeführer aufzeigen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten, also überhaupt klärungsbedürftig ist. Hierzu ist im allgemeinen erforderlich, daß der Beschwerdeführer einschlägige Entscheidungen der FG und/oder einschlägige Stellen aus dem Schrifttum einander gegenüberstellt (vgl. BFH- Beschluß vom 26. Juni 1992 III B 72/91, BFH/NV 1992, 722). Eine eingehende Darlegung in diesem Sinne, die grundsätzlich auch bei Rechtsfragen, die die Anwendung von Gemeinschaftsrecht betreffen, erforderlich ist, läßt die Nichtzulassungsbeschwerde indessen vermissen. Ob sich daraus bereits die Unzulässigkeit der Beschwerde ergibt, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
2. Läßt der Senat nämlich die Zweifel an der Zulässigkeit auf sich beruhen, erweist sich die Beschwerde jedenfalls als unbegründet. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist nach Auffassung des Senats nicht klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung im Sinne des vorinstanzlichen Urteils klar und eindeutig aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt (BFH/NV 1993, 507).
Gemäß Art. 3 Abs. 3 Buchst. a ZWVO 1980 ist der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis i. S. des Art. 3 Abs. 1 ZWVO 1980 die vollständige Zahlung, die der Käufer an den Verkäufer für die eingeführten Waren entrichtet oder zu entrichten hat, und schließt alle Zahlungen ein, die als Bedingung für das Kaufgeschäft über die eingeführten Waren vom Käufer an den Verkäufer tatsächlich entrichtet werden oder zu entrichten sind. Ein Werklieferungsvertrag steht zollwertrechtlich einem Kaufgeschäft gleich, weil es sich auch dabei um eine grenzüberschreitende Transaktion zwischen dem Hersteller oder Lieferanten der Ware einerseits und dem Einführer andererseits handelt, bei der ein Preis i. S. des Art. 3 Abs. 1 ZWVO 1980 zu zahlen ist (zum Begriff der Transaktion i. S. des Art. 3 ZWVO 1980 vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juni 1991 Rs. C-299/90 -- Hepp --, EuGHE 1991, I-4301, Leitsatz 2 und Abs. 14).
Nach den Feststellungen des FG sind die Musterkollektionen, um deren Bewertung es geht, nicht kostenlos, sondern entgeltlich im Rahmen eines Werklieferungsvertrags zwischen der Klägerin und ihrem Lieferanten in Hongkong in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt worden. Der dafür von der Klägerin zu zahlende Preis umfaßte nicht nur den reinen Warenwert der Musterkollektionen, sondern zusätzlich auch alle Aufwendungen des Lieferanten, welche für die Erstellung der Kollektionen anfielen (sog. Entwicklungskosten). Beide Bestandteile zusammen bilden die vollständige Zahlung i. S. des Art. 3 Abs. 3 Buchst. a ZWVO 1980, die die Klägerin nach den Bedingungen des Kaufgeschäftes über die eingeführten Waren an ihren Lieferanten in Hongkong zu zahlen hatte. Unerheblich ist dabei, daß die Entwicklungskosten der Klägerin separat in Rechnung gestellt worden sind. Als aufgespaltene Teile des zu zahlenden Entgelts sind sie Bestandteil des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises und damit auch des Transaktionswerts für die eingeführten Waren.
Die Entwicklungskosten sind entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht etwa teilweise für Waren bezahlt worden, die gar nicht in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt worden sind. Nach den Bedingungen des zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrags, wonach die Klägerin die gesamten Entwicklungsleistungen der Musterkollektionen in Hongkong hat erstellen lassen, war die Klägerin erkennbar verpflichtet, ihrem Lieferanten alle Aufwendungen für die Erstellung der Musterkollektionen zu vergüten; denn sonst wäre die Begleichung der Belastungsanzeigen des Lieferanten in Hongkong über gefertigte Musterteile und Vormaterialien und Leistungen für Mustererstellung durch die Klägerin nicht zu erklären. Anknüpfungspunkt für die Zahlung der Entwicklungskosten waren die eingeführten Musterkollektionen. In deren Preis sind alle Kosten und Aufwendungen eingeflossen, welche in Hongkong für die Erarbeitung der Muster entstanden sind. Dazu gehören nicht nur die für die schließlich eingeführten Kollektionen benötigten Vormaterialien und erbrachten geistigen Leistungen, sondern auch die Vormaterialien und geistigen Leistungen, die sich am Ende als vergebliche Aufwendungen darstellten, weil die entsprechenden Entwürfe, Muster und Modelle von der Klägerin nicht gebilligt und daher entweder erst gar nicht eingeführt oder nach der Einfuhr wieder ausgesondert worden sind. Diese von der Klägerin als Fehlentwicklungen bezeichneten Muster sind gleichwohl notwendige Bestandteile oder notwendige Durchgangsstadien der von der Klägerin in Auftrag gegebenen Entwicklungsleistungen und mit den schließlich eingeführten Mustern und Modellen untrennbar verbunden. In der Modebranche ist es, wie die Klägerin selbst ausgeführt hat, üblich, daß aus einer Vielzahl von entworfenen oder gefertigten Mustern nur verhältnismäßig wenige den Anforderungen der aktuellen Modesaison und ihren jeweiligen Trends entsprechen. In diesen schließlich ausgewählten und eingeführten Mustern kristallisieren sich die gesamten Entwicklungsleistungen, die im Drittland für die Herstellung dieser Waren erforderlich waren. Da die Entwicklungsleistungen aus der Sicht der Auftraggeber notwendig Fehlentwicklungen enthalten, müssen diese von der Bestellerseite notwendig im Preis der schließlich eingeführten Musterkollektionen mitbezahlt werden. Je weniger der gefertigten Muster der Einführer für gut befindet, desto teurer werden demgemäß die gebilligten und eingeführten Muster. Letztlich werden dabei die Entwicklungskosten, sofern überhaupt Muster in die Gemeinschaft eingeführt werden, immer nur für diese eingeführte Ware bezahlt.
Ob die eingeführten Vor-Order-Kollektionen später in Serie gegangen sind und zur Herstellung eingeführter Handelswaren geführt haben oder nicht, ist für die Zollwertermittlung der Musterkollektionen ohne Bedeutung. Nach den Feststellungen des FG mußte die Klägerin nämlich unabhängig von der späteren Auftragsentwicklung die Entwicklungskosten für die eingeführten Musterkollektionen bezahlen. Die Frage einer Aufteilung dieser Kosten auf spätere Lieferungen stellt sich mithin nicht.
Da die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Streitfall offenkundig ist und keinem vernünftigen Zweifel begegnet, hatte der Senat keine Veranlassung, die Zulassung der Revision etwa deshalb in Betracht zu ziehen, um sich im Revisionsverfahren zur Einhaltung des Gebots des gesetzlichen Richters die Möglichkeit einer Vorlage der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage an den EuGH offen zu halten (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 -- C. I. L. F. I. T --, EuGHE 1982, 3415; Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 22. Dezember 1992 2 BvR 557/88, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1993, 883).
Fundstellen
Haufe-Index 421460 |
BFH/NV 1996, 862 |