Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufigkeitsvermerk und Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO in Bezug auf nachgelagerte Fragen
Leitsatz (NV)
Erklärt das FA die Steuerfestsetzung für vorläufig, weil es die Einkünfteerzielungsabsicht noch nicht abschließend beurteilen kann, so kann es bei der endgültigen Steuerfestsetzung auch die von der tatsächlichen Ungewissheit nicht betroffenen, aber zunächst hingenommenen rechtlichen Fehlbeurteilungen zur Abziehbarkeit von Werbungskosten ändern.
Normenkette
AO § 165
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarben im Jahr 2004 ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück für 140 000 €. Die Anschaffungskosten für das Gebäude betrugen 119 035 €. Die Antragsteller sanierten das Objekt, indem sie Bäder, Fußböden und Elektroinstallationen erneuerten und vermieten es vom 1. März 2006 an. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2005) machten sie negative Einkünfte in Höhe von 40 838 € geltend. Darunter befand sich Aufwand für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen von 33 733 €, der im Streitjahr nach den Angaben der Antragsteller zwar in Höhe von 67 466 € angefallen war, den sie aber (nach § 82b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV--) auf zwei Jahre aufteilten. Der Bearbeiter des Antrags- und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) vermerkte hierzu "Erhaltungsaufwand (keine originären HK) geprüft". Im Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2006 setzte das FA die Einkommensteuer im Wesentlichen antragsgemäß fest. Der Bescheid erging "nach § 165 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO" teilweise vorläufig. In den Erläuterungen heißt es: "Die Festsetzung der Einkommensteuer ist vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, weil zurzeit die Überschusserzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden kann."
Mit ihrer Steuererklärung für das Jahr 2006 machten die Antragsteller den zweiten Teil des im Streitjahr entstandenen Aufwands für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen geltend. Dies lehnte das FA allerdings im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) ab. Da die Aufwendungen 15 % der Anschaffungskosten überstiegen, seien sie als anschaffungsnahe Herstellungskosten nicht sofort abziehbar. Dementsprechend änderte das FA auch den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.
Hiergegen richtete sich der Einspruch, mit dem die Antragsteller zugleich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des geänderten Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr beantragten. Das FA wies den Einspruch zurück und lehnte den Antrag auf AdV ab. Die Klage der Antragsteller gegen den (geänderten) Einkommensteuerbescheid ist bei dem Finanzgericht (FG) unter dem Az. 1 K 1069/08 anhängig. Ihren vor dem FG gestellten Antrag auf AdV lehnte das FG in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 7 veröffentlichten Beschluss ab. Nach Auffassung des FG bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheides i.S. von § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG lägen ganz unzweifelhaft anschaffungsnahe Herstellungskosten vor. Das FA sei auch berechtigt gewesen, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid nach § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern. Die Entscheidung laute nämlich, dass die Festsetzung vorläufig hinsichtlich der Vermietungs- und Verpachtungseinkünfte sei und zwar mangels Einschränkung zur Gänze. Dies sei der Umfang i.S. von § 165 Abs. 1 Satz 3 AO. Zur Begründung dafür ergebe sich aus dem als "Grund" i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 3 AO angegebenen Umstand, dass die Überschusserzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller. Der Regelungsgehalt des Vorläufigkeitsvermerks betreffe ausschließlich die Prüfung der Überschusserzielungsabsicht und dürfe nur deshalb und nicht zur nochmaligen Prüfung der Erhaltungsaufwendungen geändert werden. Wollte man wie das FG entscheiden, würde der Vorläufigkeitsvermerk die gesamte Einkunftsart umfassen.
Die Antragsteller beantragen,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Änderungsbescheids in Höhe von 7 871,72 € auszusetzen.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. Februar 2006 I B 145/05, BFHE 213, 29, BStBl II 2006, 546, m.w.N.).
Zutreffend hat das FG bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Feststellungsbescheide gesehen. Es hat die Änderungsbefugnis des FA nach § 165 Abs. 2 AO zu Recht bejaht. Danach kann das FA den Einkommensteuerbescheid ändern, soweit es die Einkommensteuer vorläufig festgesetzt hat. Dies kann gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO geschehen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung eingetreten sind. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO). Vorläufig festgesetzt werden kann auch ein Teil einer Steuerfestsetzung. Dabei wird regelmäßig Grund und Umfang der Vorläufigkeit des Bescheids dadurch angegeben, dass eine einzelne Besteuerungsgrundlage als ungewiss gekennzeichnet wird. Die (materielle) Bestandskraft des Steuerbescheides bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2004 IX R 14/02, BFH/NV 2005, 2, m.w.N.).
Dem FG ist allerdings nur im Ergebnis darin zu folgen, das FA sei im Streitfall auch zur Korrektur der Werbungskosten berechtigt gewesen. Der Beschwerde ist insoweit beizupflichten, dass bei der Fassung des Vorläufigkeitsvermerks die Einkommensteuer hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht uneingeschränkt vorläufig festgesetzt worden ist. Entgegen der im angefochtenen Beschluss aufscheinenden Auffassung des FG zeigen beide in § 165 Abs. 1 Satz 3 AO genannten Umstände, also Grund und Umfang, die Grenze für die endgültige Festsetzung auf (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 2007 X R 22/05, BFHE 218, 26, BStBl II 2008, 2, m.w.N.). Indessen kann offen bleiben, inwieweit man im Einzelfall die Entscheidung von der Begründung des Vorläufigkeitsvermerks differenzieren kann. Denn es handelt sich bei der Qualifizierung des Aufwandes, um den es im Streitfall geht, als Erhaltungsaufwand oder als anschaffungsnahe Herstellungskosten i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG um eine gegenüber der hier als ungewiss herausgestellten Einkünfteerzielungsabsicht nachgelagerte Frage. Erklärt das FA die Steuerfestsetzung für vorläufig, weil es die Einkünfteerzielungsabsicht noch nicht abschließend beurteilen kann, so kann es bei der endgültigen Steuerfestsetzung auch die von der tatsächlichen Ungewissheit nicht betroffenen, aber zunächst hingenommenen rechtlichen Fehlbeurteilungen zur Abziehbarkeit von Werbungskosten ändern (grundlegend BFH-Beschluss vom 22. Dezember 1987 IV B 174/86, BFHE 152, 43, BStBl II 1988, 234; aus dem Schrifttum vgl. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 165 Rz 102, m.w.N.). Dementsprechend durfte das FA im angefochtenen Änderungsbescheid seine wegen § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG fehlerhafte Entscheidung zur Einordnung des angefallenen Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwands korrigieren.
Fundstellen
Haufe-Index 2148855 |
BFH/NV 2009, 889 |