Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung und bei Stundung wegen Verfassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß der vorläufige Rechtsschutz nach § 69 FGO ein Verfahren betr. Verfassungsbeschwerde nicht mitumfaßt.
2. Wird nach erfolgloser Revision Verfassungsbeschwerde eingelegt, so entsteht der Zinsanspruch hinsichtlich der Beträge, derentwegen die Vollziehung ausgesetzt worden ist, gleichwohl mit dem Abschluß des erfolglosen finanzgerichtlichen Verfahrens.
3. Wird vom FA im Hinblick auf die Anhängigkeit der Verfassungsbeschwerde die Vollziehung ausgesetzt, so kann der hierin liegende Fälligkeitsaufschub Stundungscharakter haben und der betreffende Verwaltungsakt in eine Stundungsverfügung umzudeuten sein.
Normenkette
GG Art. 93; AO § 242 Abs. 1-2; AO 1977 §§ 47, 128, 234 Abs. 1, § 237 Abs. 1, § 238 S. 2, § 239 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1, 4, § 361 Abs. 1-2; BVerfGG §§ 32, 90 ff.; FGO § 69 Abs. 1, 2 S. 2, Abs. 3; VwZG § 4
Tatbestand
Unter Ablehnung eines vom Kl. gestellten Befreiungsantrags setzte das FA gegen ihn mit Bescheid vom 3. Oktober 1972 GrESt in Höhe von . . . DM fest und bestimmte als Fälligkeitstag den 10. November 1972. Das Rechtsbehelfsverfahren blieb auch vor dem BFH ohne Erfolg. Dieser hat die Revision des Kl. durch Beschluß vom 30. Juli 1980 (mit eingeschriebenem Brief zur Post gegeben am 28. August 1980) als unbegründet zurückgewiesen. Die anschließend am 18. September 1980 erhobene Verfassungsbeschwerde ist durch Beschluß des BVerfG vom 16. März 1983 nicht zur Entscheidung angenommen worden.
Auf entsprechende Anträge des Kl. hin hat das FA die Vollziehung des angefochtenen GrESt-Bescheids für die Dauer des finanzgerichtlichen Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahrens ausgesetzt, und zwar zuletzt durch Verfügung vom 29. Juli 1976 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Revision. Nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde hat das FA in Abhilfe einer vom Kl. eingelegten Beschwerde mit Verfügung vom 13. Februar 1981 die Vollziehung des GrESt-Bescheids vom Fälligkeitstag ab bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt.
Nach Ergehen des Nichtannahmebeschlusses des BVerfG hat das FA durch Bescheid vom 15. Juli 1983 gegen den Kl. für den Zeitraum vom 10. November 1972 bis 8. April 1983 Zinsbeträge im Gesamtbetrag von . . . DM festgesetzt.
Die Klage, mit der der Kl. die ersatzlose Aufhebung der Zinsfestsetzung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist begehrt, hat das FG mit der in EFG 1985, 10 veröffentlichten Entscheidung abgewiesen. Hiergegen hat der Kl. Revision eingelegt, die beim BFH anhängig ist.
Einen beim FG gestellten Antrag des Kl., die Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides bis einen Monat nach Bekanntgabe der Revision auszusetzen, hat dieses nach § 70 Abs. 1 FGO an den BFH verwiesen. Der Kl. macht geltend, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides sei ernstlich zweifelhaft, weil bei seinem Ergehen die Frist für die Festsetzung der Zinsen bereits verstrichen gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Der Antrag des Kl. ist zum Teil begründet.
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides, die nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, sind insoweit zu bejahen, als der Zinsanspruch auf der Vollziehungsaussetzung während des außergerichtlichen und finanzgerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens beruht, das ausweislich des Beschlusses des BFH vom 30. Juli 1980 endgültig keinen Erfolg hat.
Die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 AO 1977 bzw. § 242 Abs. 2 AO und § 69 Abs. 2 und 3 FGO) ist der Ausgleich dafür, daß den abgabenrechtlichen bzw. finanzgerichtlichen Rechtsbehelfen kein Suspensiveffekt zukommt (§ 361 Abs. 1 AO 1977 bzw. § 242 Abs. 1 AO und § 69 Abs. 1 FGO). Die Aussetzung der Vollziehung als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes ist in dieser Weise eng mit der Durchführung des außergerichtlichen bzw. gerichtlichen auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens verknüpft. Wenn § 237 Abs. 1 AO 1977 die Zinspflicht mit der endgültigen Erfolglosigkeit eines förmlichen außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder einer Anfechtungsklage bei gewährter Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes verknüpft, so spricht die Vorschrift lediglich die genannten Rechtsbehelfe an. Nicht erfaßt könnte damit aber die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GG, §§ 90 ff. BVerfGG) sein, die als Rechtsschutzmittel besonderer Art zur Durchsetzung der Grundrechte anzusehen ist (so schon Beschluß des BVerfG vom 27. September 1951 1 BvR 61/51, BVerfGE 1, 4) und nicht als zusätzlicher Rechtsbehelf für das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten bzw. vor den allgemeinen oder besonderen Verwaltungsgerichten. Dazu kommt noch, daß das BVerfGG in § 32 eine eigene Regelung über vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen enthält.
Aus der gebotenen Zusammenschau hält es der Senat entgegen der Auffassung des FG sowie entgegen Ziemer/Haarmann/Lohse (Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 4094/1) nicht für unzweifelhaft, ob bei Erhebung einer Verfassungsbeschwerde vorläufiger Rechtsschutz nach § 69 FGO gewährt werden kann. Wenn aber die Reichweite des vorläufigen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Vollziehung nicht ein Verfassungsbeschwerdeverfahren mitumfaßt, so muß der Zinsanspruch mit dem erfolglosen Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens entstehen mit der Folge, daß die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem dieses Verfahren seinen Abschluß findet. Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheides, soweit Zinsen für die Zeit bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung des BFH-Beschlusses angefordert werden, beruhen darauf, daß der Zinsanspruch insoweit im Zeitpunkt seiner Festsetzung bereits erloschen gewesen sein könnte (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 47 AO 1977) und deshalb nicht mehr festgesetzt werden konnte (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).
Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides insoweit spricht weder, daß das FA ausdrücklich auch für den weiteren Zeitraum Aussetzung der Vollziehung gewährt hat, noch daß der Kl. diese begehrt hatte. Denn die ausdrückliche Gewährung von Aussetzung der Vollziehung kann nicht die Regelungen der AO 1977 durchbrechen. Ebensowenig ist derjenige, der zwar durch seine Antragstellung das FA zur Gewährung von Aussetzung der Vollziehung angeregt hat, gehindert, die Unzulässigkeit der Festsetzung von davor entstandenen Zinsen wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist geltend zu machen.
2. Keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides bestehen jedoch insoweit, als der Zeitraum betroffen ist, für den das FA wegen der Anhängigkeit der Verfassungsbeschwerde Aufschub der Fälligkeit gewährt hat. Der Senat geht dabei davon aus, daß dieser Aufschub der Fälligkeit Stundungscharakter hat, d. h. er wertet die Verfügung vom 13. Februar 1981 als Stundung bis zum Ablauf eines Monats nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsbeschwerde. Dem steht nicht die ausdrückliche Bezeichnung als Aussetzung der Vollziehung entgegen, weil - bezogen auf die Fälligkeit der durch den angegriffenen Steuerbescheid festgesetzten Steuer - beiden Instituten insoweit gleichartige Wirkungen zukommen, als die Fälligkeit hinausgeschoben wird und die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen entfallen (vgl. dazu auch § 251 Abs. 1 AO 1977). Damit aber sind die Voraussetzungen für die Umdeutung des Verwaltungsakts vom 13. Februar 1981 gegeben (§ 128 AO 1977).
Die Festsetzungsfrist für die aufgrund Stundung entstandenen Zinsen (§ 234 Abs. 1 AO 1977) begann nach § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 erst nach deren Festsetzung, nämlich mit Ablauf des Kalenderjahres 1983.
3. Der Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehungsaussetzung zu versagen ist, berechnet sich wie folgt:
Ende der im Hinblick auf die Revision gewährten Aussetzung der Vollziehung = ein Monat nach Bekanntgabe des BFH-Beschlusses vom 30. Juli 1980, also ein Monat nach dem 1. September 1980 (§ 4 VwZG) = 1. Oktober 1980.
Beginn des Zinslaufes für die Stundung ist damit der 2. Oktober 1980, dessen Ende der 2. April 1983 (§ 238 Satz 2 AO 1977). Diese Zeitspanne beträgt dreißig Monate.
Von den insgesamt angeforderten Zinsen entfallen hierauf 30 x 0,5 v. H. von . . . DM = . . . DM. Hinsichtlich des übersteigenden Betrages von . . . DM war die Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides auszusetzen.
Fundstellen