Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung und Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (NV)
1. Die Aufrechnung des FA mit einer Steuer- oder Haftungsforderung gegen einen Kostenerstattungsanspruch des Steuer- oder Haftungsschuldners aus einem Kostenfestsetzungsbeschluß, dessen Vollstreckung beim FG beantragt worden ist, ist im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen (ständige Rechtsprechung).
2. Mit einer Haftungsforderung aus einem in der Vollziehung ausgesetzten Haftungsbescheid kann nicht wirksam aufgerechnet werden. Hatte das FA allerdings bereits wirksam aufgerechnet, so hat eine spätere Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids, sofern diese nicht als "Aufhebung der Vollziehung" ausgelegt werden kann, keine Auswirkungen auf die zuvor erfolgte Aufrechnung.
Normenkette
AO 1977 § 226 Abs. 1, § 258; BGB §§ 389, 406; FGO § 69 Abs. 2-3, § 151 Abs. 1, 2 Nr. 3, § 152 Abs. 1; ZPO §§ 767, 769
Tatbestand
Mit Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 29. Juni 1995 sind die dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner) vom Antragsteller und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) zu erstattenden Kosten aus den zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Verfahren auf ... DM festgesetzt worden.
Am 7. Juli 1995 ging beim FA eine Abtretungsanzeige ein, mit der der damalige Prozeßbevollmächtigte des Antragsgegners dem FA anzeigte, daß ihm der Antragsgegner die beiden Kostenerstattungsansprüche am 25. Mai 1995 abgetreten hatte. Der gleichzeitigen Zahlungsaufforderung kam das FA jedoch nicht nach, sondern erklärte dem Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 21. August 1995 die Aufrechnung mit einer am 24. Mai 1995 fälligen Forderung in Höhe von ... DM aus einem Haftungsbescheid vom 17. Mai 1995, mit dem das FA den Antragsgegner wegen Umsatzsteuern als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hatte.
Nachdem der Antragsgegner gemäß § 152 Abs. 1 i. V. m. § 151 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Finanzgericht (FG) beantragt hatte, aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen die Vollstreckung zu verfügen, erhob das FA seinerseits Vollstreckungsabwehrklage (§ 151 Abs. 1 FGO i. V. m. § 767 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß für unzulässig erklären zu lassen. Gleichzeitig hat das FA den Antrag gestellt, bis zur Entscheidung über die Klage die Zwangsvollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen einstweilen einzustellen (§ 151 FGO i. V. m. § 769 ZPO). Zur Begründung führte es aus, die Ansprüche des Antragsgegners aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen seien durch Aufrechnung erloschen.
Das FG hielt den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) für zulässig und auch für begründet. Es führte im wesentlichen aus, die Vollstreckungsgegenklage des FA sei aussichtsreich, weil die Ansprüche des Antragsgegners aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen durch Aufrechnung erloschen seien. Das FA habe gemäß § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit seiner Haftungsforderung auch dem neuen Gläubiger (Prozeßbevollmächtigter) gegenüber aufrechnen können, weil es beim Erwerb der Haftungsforderung keine Kenntnis von der Abtretung gehabt haben könne und die Haftungsforderung auch bereits vor Kenntnis der Abtretung und früher als die abgetretene Forderung fällig gewesen sei.
Die dem Antragsgegner mit Beschluß vom 22. Dezember 1995 von einem anderen Senat des FG gewährte Aussetzung der Vollziehung der Haftungsforderung stehe der Wirksamkeit der Aufrechnung nicht entgegen, weil die Vollziehung der Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnung (August 1995) nicht ausgesetzt gewesen sei. Der dem Antragsgegner zu diesem Zeitpunkt gewährte bloße Vollstreckungsaufschub gegen monatliche Ratenzahlung habe die Fälligkeit der Haftungsforderung und ihre Durchsetzung im Wege der Aufrechnung nicht berührt.
Es sei auch interessengerecht, die Einstellung der Vollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen ohne Sicherheits leistung anzuordnen, da im Falle eines Scheiterns der Vollstreckungsabwehrklage an einer späteren Befriedigung der Kostenerstattungsansprüche des Antragsgegners durch das FA keine Zweifel beständen.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückweisung des Antrags des FA auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen. Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen, wonach das Vorgehen des FA nach § 151 FGO i. V. m. §§ 767, 769 ZPO unzulässig und die vom FA erklärte Aufrechnung unwirksam sei, weil mit einer in der Vollziehung ausgesetzten Forderung nicht aufgerechnet werden könne.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 128 Abs. 1 zulässige, insbesondere nicht gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO ausgeschlossene Beschwerde ist nicht begründet.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Aufrechnung des FA mit einem Steuer- oder Haftungsanspruch gegen einen Kostenerstattungsanspruch des Steuer- oder Haftungsschuldners zulässig und im Wege der Vollstreckungsabwehrklage in sinngemäßer Anwendung der §§ 151 Abs. 1 FGO, 767 ZPO bzw. 769 ZPO (bei Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes) geltend zu machen (Senatsbeschlüsse vom 20. Dezember 1983 VII B 73/83, BFHE 139, 494, BStBl II 1984, 205; vom 11. Mai 1993 VII B 191/92, BFH/NV 1994, 218; vom 22. August 1995 VII B 107/95, BFHE 178, 532, BStBl II 1995, 916; vom 30. Juli 1996 VII B 7/96, BFH/NV 1997, 93).
2. Die vom FG nach seinem pflichtgemäßen Ermessen nach § 769 ZPO getroffene Entscheidung, die Zwangsvollstreckung aus den beiden Kostenfestsetzungsbeschlüssen ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das FG konnte bei seiner Entscheidung davon ausgehen, daß die vom FA erhobene Vollstreckungsabwehrklage (Hauptsache) Aussicht auf Erfolg hat, weil die vom FA erklärte und von dem Antragsgegner nicht bestrittene Aufrechnung mit dem Umsatzsteuerhaftungsanspruch in der Hauptsache wahrscheinlich zu dem Ergebnis führen wird, daß die Erstattungsansprüche des Antragsgegners aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen erloschen sind (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- i. V. m. § 389 BGB).
a) Die am 21. August 1995 vom FA dem Neugläubiger (Prozeßbevollmächtigter) gegenüber erklärte Aufrechnung mit einer dem FA gegen den Antragsgegner (Altgläubiger) zustehenden Haftungsforderung ist nach § 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 406 BGB wirksam; insoweit wird auf die Ausführungen der Vorinstanz Bezug genommen, da der Antragsgegner hiergegen keine Einwendungen erhoben hat.
b) Der Einwand des Antragsgegners, mit einer in der Vollziehung ausgesetzten Forderung könne wirksam nicht aufgerechnet werden, ist als solcher zwar richtig, führt aber im Streitfall nicht zum Erfolg der Beschwerde.
Mit Urteil vom 31. August 1995 VII R 58/94 (BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55) hat der Senat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, daß die Aufrechnung des FA mit einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis eine Vollziehung des zugrundeliegenden Bescheids darstellt und daher das FA während der Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids an der Aufrechnung mit dem durch ihn festgesetzten Steueranspruch gehindert ist. Dies gilt entsprechend für die Aufrechnung mit Haftungsansprüchen, da es sich auch bei diesen um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis handelt (§ 37 Abs. 1 AO 1977). Mithin kann auch mit einer Haftungsforderung aus einem in der Vollziehung ausgesetzten Haftungsbescheid nicht wirksam aufgerechnet werden.
aa) Im Streitfall war im Zeitpunkt der Aufrechnung (August 1995) die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 17. Mai 1995 nicht ausgesetzt. Insbesondere ergibt sich keine stillschweigende Aussetzung der Vollziehung durch das FA infolge der Gewährung von Vollstreckungsaufschub gegen monatliche Ratenzahlung. Der bloße Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO 1977 beschränkt sich auf die Vollstreckung i. S. des § 249 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, berührt aber nicht die der Vollstreckung zugrundeliegende Forderung oder deren Fälligkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1990 III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864; s. auch Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 258 AO 1977, Rz. 21; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 258 AO 1977 Rz. 5).
bb) Die spätere Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids durch das FG (22. Dezember 1995) hat keine Auswirkungen auf die Aufrechnung des FA vom August 1995.
Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 FGO; § 361 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) bedeutet, daß der materielle Regelungsinhalt des nach wie vor wirksamen Verwaltungsakts bis auf weiteres nicht mehr verwirklicht werden kann, so daß rechtliche (und tatsächliche) Folgerungen aus dem Verwaltungsakt nicht gezogen werden dürfen (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730). Der Behörde ist jegliches Gebrauchmachen von den Wirkungen des Verwaltungsakts, die auf die Verwirklichung seines Regelungsinhalts, d. h. der in ihm ausgesprochenen Rechtsfolgen sowie der sich daraus ergebenden Nebenfolgen abzielt, einstweilen untersagt. Die Aussetzung der Vollziehung verbietet damit künftiges Gebrauchmachen von den Wirkungen des Verwaltungsakts. Daher ist auch eine Aufrechnung nach dem Zeitpunkt der Aussetzung der Vollziehung, d. h. mit der in ihrer Vollziehung ausgesetzten Forderung, unzulässig (BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55).
Seit der Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730 steht allerdings auch fest, daß alle Folgen rechtlicher oder tatsächlicher Art, die von der Behörde in der Vergangenheit zur Verwirklichung des Regelungsinhalts des Verwaltungsakts bereits gezogen worden sind, aufgrund einer nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO möglichen Aufhebung der Vollziehung des Verwaltungsakts vorläufig rückgängig zu machen sind. So wie bereits geleistete Vorauszahlungen auf einen Einkommensteuerbescheid nach Aufhebung der Vollziehung dieses Bescheids ganz oder teilweise (vorläufig) zu erstatten sind (für Einkommensteuer Vorauszahlungsbeträge s. BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730; BFH- Beschluß vom 18. September 1995 X B 134/91, BFH/NV 1996, 232; für einbehaltene Kapitalertragsteuer und anzurechnende Körperschaftsteuer s. BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1995 VIII B 79/95, BFH/NV 1996, 340), so hält es der Senat auch für möglich, daß eine bereits vollzogene Aufrechnung der Finanzbehörde mit einer Haftungsforderung (vorläufig) rückgängig zu machen ist, wenn die Vollziehung des betreffenden Haftungsbescheids in der Folge aufgehoben wird.
Im Streitfall braucht der Senat diese Frage indessen nicht (summarisch) zu entscheiden, denn im Verfahren, auf das sich der Antragsgegner bezieht, ist eine gerichtliche Aufhebung der Vollziehung des Haftungsbescheids vom 17. Mai 1995 weder vom Antragsgegner beantragt noch durch das FG angeordnet worden. Das FG hat in dem betreffenden Beschluß vom 22. Dezember 1995 lediglich eine Vollziehung des Haftungsbescheids bis einen Monat nach Ergehen der Einspruchsentscheidung ausgesetzt und in den Gründen dieses Beschlusses ausdrücklich von einer Aufhebung bereits ergriffener Vollstreckungsmaßnahmen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO) angesichts der Besonderheiten des Falles (die von der Behörde im Haftungsbescheid unterlassene Ausübung des Auswahlermessens könne im Rechtsbehelfsverfahren nachgeholt werden) abgesehen.
Dem Senat ist es im vorliegenden Beschwerdeverfahren verwehrt, den vor genannten, in einem anderen Verfahren ergangenen Beschluß des FG auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen. Maßgeblich ist hier allein, daß in diesem Beschluß eine Aufhebung der Vollziehung des Haftungsbescheids vom 17. Mai 1995 nicht erfolgt ist und auch die vom FG gewährte, in die Zukunft gerichtete Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids angesichts der klaren und eindeutigen Begründung durch das FG nicht als Aufhebung der Vollziehung des Bescheids ausgelegt oder ange sehen werden kann. Für die Frage der Wirksamkeit der im August 1995 vom FA erklärten Aufrechnung läßt sich mithin aus diesem Beschluß des FG nichts herleiten.
c) Da auch sonst keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Aufrechnung durch das FA und gegen die von der Vorinstanz verfügte einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen ohne Sicherheitsleistung bestehen, war die Beschwerde des Antragsgegners als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen