Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Testamentsauslegung vor Vorliegen eines Erbscheins
Leitsatz (NV)
FA und die Finanzgerichte sind berechtigt und verpflichtet, eine andere Auslegung des Testaments vorzunehmen, soweit gewichtige Gründe erkennbar sind, die gegen die Richtigkeit des Erbscheins sprechen. Gewichtige Gründe können nicht nur Tatsachen, sondern auch rechtliche Gesichtspunkte sein.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 3 S. 3; ErbStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; BGB §§ 2087, 2365
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Ausführungen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) in ihrer Beschwerdebegründung ergeben keinen Zulassungsgrund. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht schlüssig dargelegt.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin weicht das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) nicht von der BFH-Entscheidung vom 22. November 1995 II R 89/93 (BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242) ab. Zuzugeben ist zwar der Klägerin, dass das FG-Urteil mit dem Bemerken, die vom Erbschein ausgehende Vermutung der Richtigkeit könne nicht bloß durch eine abweichende Auslegung des die Erbfolge bestimmenden Testaments entkräftet werden, einen Rechtssatz enthält, der in gewisser Hinsicht die o.g. BFH-Entscheidung in BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242 einschränkt. Dort ist nämlich ausgeführt, dass das Finanzamt und die FG berechtigt und verpflichtet sind, eine andere Auslegung des Testaments vorzunehmen, soweit gewichtige Gründe erkennbar sind, die gegen die Richtigkeit des Erbscheins sprechen. Gewichtige Gründe können, wie der letzte Satz des Abschn. II. 1. dieses Urteils zeigt, wonach "insbesondere auch eine andere Auslegung des Testaments in Betracht kommt", nicht nur Tatsachen, sondern auch rechtliche Gesichtspunkte sein.
Dieser Umstand ist jedoch für die Entscheidung des FG nicht rechtserheblich geworden, sodass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist. Das FG hat nämlich --wie vom BFH in der o.g. Entscheidung in BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242 gefordert-- das Testament der Erblasserin seinem Inhalt nach selbständig ausgelegt und ist dabei zu der eigenen Überzeugung gelangt, dass die Klägerin nicht Alleinerbin, sondern (neben Frau A) nur zu 1/2 Miterbin ist. Die --mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmende-- Auffassung des FG, das Testament sei --trotz Vorliegens eines Erbscheins-- ohne Einschränkung "entsprechend dem wahren Willen der Erblasserin" auszulegen, wird auch deutlich durch die ausdrückliche Bezugnahme auf seine frühere Entscheidung vom 16. August 2000 4 K 1340/97 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 146).
2. Die Ausführungen der Klägerin unter Ziffer 2. der Beschwerdebegründung, mit denen sie sich gegen die Anwendung des § 2087 des Bürgerlichen Gesetzbuches durch das FG wendet, ergeben keinen Zulassungsrund. Denn mit der Behauptung, "diese Aussage sei denknotwendig falsch", kann eine Zulassung der Revision nicht erreicht werden. Die Auffassung der Klägerin, "auf eine nähere Verifizierung der Divergenz zu Urteilen oberster Gerichte oder anderer FG könne (deshalb) verzichtet" werden, trifft nicht zu. Allein aus der Behauptung, die Auslegung des Testaments durch das FG sei falsch, ergibt sich noch keine über den konkreten Streitfall hinausreichende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
3. Die Verfahrensmängel sind nicht ausreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) Der von der Klägerin unter Hinweis auf einen vom FG übergangenen Beweisantrag gerügte Aufklärungsmangel (§ 76 Abs. 1 FGO) ist deshalb nicht schlüssig dargelegt, weil die Klägerin keine Ausführungen dazu macht, warum es einer Beweisaufnahme bedurft hätte, obwohl das FG für seine Entscheidung die von der Klägerin unter Beweis gestellte Tatsache als richtig unterstellt hat. Soweit die Klägerin "eine weitere Überprüfung dieser entgegenstehenden Tatsachen" für erforderlich hält, fehlt es bereits an der Darlegung, welches Ergebnis eine solche weitere Sachverhaltsaufklärung gehabt hätte.
b) Inwiefern die Nichteinvernahme der von der Klägerin benannten Zeugin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, wird in der Beschwerdebegründung nicht ausgeführt. Die Klägerin hätte substantiiert darlegen müssen, zu welchen Sach- und Rechtsfragen sie sich vor dem FG nicht äußern konnte oder welches Vorbringen das FG bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1310333 |
BFH/NV 2005, 557 |