Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Rechtsmittelfrist bei Zustellung an mehrere Bevollmächtigte - Deren Informationspflichten
Leitsatz (NV)
1. Wird das Urteil des FG mehreren Prozeßbevollmächtigten zu verschiedenen Zeitpunkten zugestellt, so ist für den Beginn der Rechtsmittelfrist die erste Zustellung maßgebend.
2. Wird in einem solchen Fall die Rechtsmittelfrist versäumt, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen, wenn offen ist, ob der Prozeßbevollmächtigte, dem das Urteil zuerst zugestellt wird, seiner Verpflichtung, den anderen Bevollmächtigten unverzüglich von der Zustellung und den zu beachtenden Fristen zu unterrichten, genügt hat.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 3, § 155; ZPO § 85 Abs. 2, § 87 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist nicht fristgemäß eingelegt worden und mithin unzulässig.
1. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Beschwerde beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Dies ist nicht geschehen. Das angefochtene Urteil ist einem der Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Steuerberater X, am 13. Januar 1990 wirksam zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift ist dagegen erst am 15. Februar 1990, also verspätet, beim FG eingegangen.
Die Rechtsmittelfrist wurde mit Zustellung des FG-Urteils an Steuerberater X am 13. Januar 1990 in Lauf gesetzt. Dem steht nicht entgegen, daß das Urteil neben Steuerberater X auch dem weiteren Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt Y, zugestellt worden ist. Wird nämlich die anzufechtende Entscheidung mehreren Prozeßbevollmächtigten zugestellt, so ist die erste Zustellung maßgebend. Die spätere Zustellung setzt keine neue Rechtsmittelfrist in Lauf (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juli 1983 VI R 46/80, nicht veröffentlicht; Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 21. Dezember 1983 1 B 152/83, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 2115, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1985, 45, und vom 29. Januar 1980 2 B 76/79, NJW 1980, 2269, HFR 1981, 387; offengelassen in BFH-Urteil vom 20. Januar 1989 III R 91/85, BFH/NV 1989, 646; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 62 Anm. 96; Thomas / Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 16. Aufl., § 84 ZPO Anm. 2d).
Steuerberater X war im Zeitpunkt der Urteilszustellung auch noch Prozeßbevollmächtigter des Klägers. Sein Mandat ist nicht durch die Anzeige der Bestellung von Rechtsanwalt Y als Prozeßbevollmächtiger erloschen. Rechtsanwalt Y ist nicht anstelle, sondern neben Steuerberater X für den Kläger aufgetreten, wobei offen bleiben kann, ob Steuerberater X nicht lediglich eine Untervollmacht auf Rechtsanwalt Y erteilt hat. Eine Kündigung des Geschäftsbesorgungsvertrags mit Steuerberater X ist weder ausdrücklich vorgetragen, noch aus den Akten ersichtlich. Der Inhalt der von Rechtsanwalt Y vorgelegten Vollmacht spricht sogar dagegen. Im übrigen würde die Kündigung des Mandatsverhältnisses nach § 155 FGO i. V. m. § 87 Abs. 1, 1. Halbsatz der Zivilprozeßordnung (ZPO) mit Anzeige beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) rechtswirksam werden. Entsprechendes gilt auch für die Wirkung gegenüber dem Gericht (Hartmann in Baumbach / Lauterbach /Albers, Zivilprozeßordnung, 48. Aufl., § 87 Anm. 2).
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) konnte nicht gewährt werden. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, daß er ohne Verschulden gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten. Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten ist ihm dabei als eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Von einem solchen Verschulden im Verantwortungsbereich der Prozeßbevollmächtigten muß hier ausgegangen werden.
Es ist bereits nicht vorgetragen, daß Steuerberater X seine Sorgfaltspflichten als erstinstanzlicher Prozeßvertreter ausreichend erfüllt habe. Dieser wäre den ihm obliegenden Pflichten nur dann nachgekommen, wenn er Rechtsanwalt Y unverzüglich von der Zustellung der FG-Entscheidung am 13. Januar 1990 unterrichtet und ihn über die zu beachtenden Fristen seinerseits in Kenntnis gesetzt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1986 IV R 72/85, BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547, 550, zu den Sorgfaltspflichten des Steuerberaters im Verwaltungsverfahren bei gesonderter Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren; Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Anm. 32 a.E.).
Rechtsanwalt Y durfte und konnte nicht annehmen, den Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren allein zu vertreten. Er ging selbst davon aus, daß das Auftragsverhältnis mit Steuerberater X weiterbestehen werde. Sein Schreiben vom 15. Juli 1987, mit dem er die Vertretung des Klägers dem Gericht gegenüber anzeigte, läßt den Schluß zu, daß er den Kläger - entgegen der umfassenden Vollmacht - nur in der mündlichen Verhandlung vertrete. Zudem weist er selbst darauf hin, daß der Schriftverkehr nun auch an ihm gerichtet werden möge. Unter diesen Umständen hätte auch er für eine Absprache zur gegenseitigen Information über den Beginn der Rechtsmittelfrist sorgen müssen. Daß dies geschehen sei, ist nicht geltend gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 417579 |
BFH/NV 1991, 612 |