Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwertberechnung und Kostenfestsetzung bei Unzulässigkeit statt Unbegründetheit einer Klage im Revisionsverfahren
Leitsatz (NV)
Der für die Kostenfestsetzung maßgebliche Streitwert nach § 3 Abs. 1 GKG berechnet sich gemäß § 47 Abs. 1 GKG nach der Höhe des gestellten Antrags. Der Umstand, dass eine Klage vom BFH im Revisionsverfahren abweichend vom FG im Klageverfahren als unzulässig und nicht als unbegründet angesehen worden ist, ändert daran nichts. Dieser Umstand rechtfertigt es regelmäßig auch nicht, gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG wegen unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse von der Kostenerhebung abzusehen.
Normenkette
GKG § 3 Abs. 1, §§ 19, 21, 39 Abs. 2, § 47 Abs. 1; AO 1977 § 347 Abs. 1 S. 2; FGO § 46
Tatbestand
I. Das Hessische Finanzgericht (FG) hatte die nach Einlegung von Untätigkeitseinsprüchen erhobenen Untätigkeitsklagen der Kostenschuldnerinnen und Erinnerungsführerinnen (Erinnerungsführerinnen) gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und sie sodann durch Urteil vom 2. März 2005 4 K 2223/02, 4 K 3171/02, 4 K 3173/02 bis 4 K 3177/02 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1587) als unbegründet abgewiesen. Die dagegen gerichteten, am 28. April 2005 erhobenen Revisionen blieben erfolglos; der Senat wies sie durch (nicht veröffentlichten) Beschluss vom 11. Januar 2006 gemäß § 126a FGO und unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 3. August 2005 I R 74/02 (BFH/NV 2006, 19) mit der Maßgabe als unbegründet zurück, dass die Klagen wegen fehlender Vorverfahren als unzulässig abzuweisen sind. Die Verfahrenskosten wurden den Erinnerungsführerinnen auferlegt.
Die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) hat die von den Erinnerungsführerinnen als Kostenschuldnerinnen zu entrichtenden Gerichtskosten für das Revisionsverfahren gemäß § 19 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) vom 5. Mai 2004 (BGBl I 2004, 718), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl I 2005, 2802) --unter Zugrundelegung eines Gesamtstreitwerts aufgrund der gestellten Anträge von mehr als 100 000 000 € und eines Gesamthöchststreitwerts gemäß § 39 Abs. 2 GKG von 30 Mio. €-- auf 457 005 € angesetzt.
Die Erinnerungsführerinnen haben gegen diese Kostenrechnung Erinnerung eingelegt. Zwar sei der Streitwert grundsätzlich nach den gestellten Sachanträgen zu bestimmen. Im Streitfall habe der Senat in der Sache jedoch gar nicht entschieden. Er sei vielmehr davon ausgegangen, die auf einen unerledigten Untätigkeitseinspruch erhobene Untätigkeitsklage sei nicht zur Verurteilung zu einer bestimmten Veranlagung geeignet, sondern ausschließlich und allein auf eine wie auch immer inhaltlich lautende Veranlagung gerichtet und erschöpfe sich in der bloßen Verbescheidung. Die Orientierung an den Sachanträgen sei in dieser Verfahrenssituation verfassungsrechtlich bedenklich. Richtigerweise könne allenfalls ein Gesamtstreitwert von 70 000 € zugrunde gelegt werden. Davon abgesehen sei von einer Kostenerhebung abzusehen: Die Kostenerhebung scheitere an § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG, weil bei richtiger Sachbehandlung durch das FG bzw. durch sie, die Erinnerungsführerinnen, es überhaupt nicht zur Anrufung des BFH gekommen wäre. Schließlich beruhten die Klageanträge auf einer unverschuldeten Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse. Das Senatsurteil in BFH/NV 2006, 19 sei ihnen bei Klageerhebung und Revisionseinlegung --unverschuldet-- unbekannt gewesen.
Die Vertreterin der Staatskasse ist dem entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Erinnerung ist unbegründet.
1. Betrifft der Antrag des Rechtsmittelführers --wie im Streitfall die Anträge der Erinnerungsführerinnen-- eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, berechnet sich der nach § 3 Abs. 1 GKG für die Kostenfestsetzung maßgebliche Streitwert gemäß § 47 Abs. 1 GKG nach der Höhe des Antrags, also nach dem Unterschied zwischen der festgesetzten Steuer und der angestrebten Festsetzung der Steuer, nach § 39 Abs. 2 GKG aber höchstens mit 30 Mio. €, wobei im Falle einer Verfahrensverbindung gemäß § 73 Abs. 1 FGO ein Gesamtstreitwert festzusetzen ist. Vorliegend beläuft sich der betreffende Unterschiedsbetrag auf mehr als 100 000 000 €, so dass die Wertgrenze des § 39 Abs. 2 GKG einschlägig ist. Die Gerichtskosten wurden hiernach gemäß Nr. 6120 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) richtig berechnet. Insoweit besteht unter den Beteiligten auch Einvernehmen.
2. Für die von den Erinnerungsführerinnen begehrte Minderung des Streitwerts auf 70 000 € fehlt die Rechtsgrundlage. Der Umstand, dass die erhobenen Klagen vom erkennenden Senat abweichend vom FG nicht als unbegründet, sondern mangels erforderlicher Vorverfahren als unzulässig angesehen worden sind, ändert daran nichts. Denn ungeachtet dessen entsprach das Revisionsbegehren der Erinnerungsführerinnen der Herabsetzung der festgesetzten und festgestellten Steuern und damit den gestellten Sachanträgen. Der Senat teilt die insoweit geltend gemachten Verfassungsbedenken nicht.
3. Es ist auch nicht gemäß § 21 Abs. 1 GKG von einer Kostenerhebung abzusehen.
a) Eine dafür --nach Satz 1 der Vorschrift-- erforderliche unrichtige Sachbehandlung durch den Senat ist nicht ersichtlich. Soweit es die Kosten des Klageverfahrens betrifft, entscheidet hierüber ohnehin das FG, nicht aber der Senat (vgl. § 21 Abs. 2 GKG).
b) Im Ergebnis Gleiches gilt für die von den Erinnerungsführerinnen angeführte unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG. Den Erinnerungsführerinnen bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten, einer Steuerberatungsgesellschaft, möge die im Senatsurteil in BFH/NV 2006, 19 zum Ausdruck gekommene Problematik und die dazu getroffene Entscheidung bei Einlegung der Revision unbekannt gewesen sein. Eine solche Rechtsunkenntnis wäre indes nicht unverschuldet. Die Problematik der sog. doppelten Untätigkeit bei Erhebung eines sog. Untätigkeitseinspruchs (§ 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung) und einer sog. Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) wurde im Schrifttum seit langem diskutiert (vgl. die Nachweise im Senatsurteil in BFH/NV 2006, 19). Sie war unabhängig davon, dass das FG die in Rede stehende Prozessrechtsfrage anders als der Senat beantwortet hat, auch ausdrücklich Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils. Indem die Erinnerungsführerinnen sich entschlossen haben, unbeschadet dessen Revision beim BFH einzulegen, mussten sie damit rechnen, dass die Antwort, die der BFH auf jene Frage gibt, von derjenigen des FG abweichen konnte; prozessuale Zulässigkeitsfragen sind von Gerichts wegen zu prüfen. Die Verschonungsregelung des § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG dient aber nicht dazu, einem Rechtsmittelführer das Prozessrisiko zu nehmen (vgl. im Einzelnen Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 135 FGO Tz. 38).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Erinnerungsführerinnen ihre Revisionen aufrechterhalten haben, nachdem der Senat ihnen gegenüber im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs unter Hinweis auf sein Urteil in BFH/NV 2006, 19 (gegen das unter dem Az. 1 BvR 2412/05 zwischenzeitlich Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt worden ist) die Absicht bekundet hat, im Beschlusswege gemäß § 126a FGO zu entscheiden. Die Gerichtskosten hätten sich im Falle der Revisionsrücknahme aber um zwei Sätze der Gebühr nach § 34 GKG vermindert (vgl. Nr. 6122 gegenüber Nr. 6120, jeweils des Kostenverzeichnisses).
4. Die Entscheidung ergeht gemäß § 66 Abs. 8 GKG gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Fundstellen
Haufe-Index 1552084 |
BFH/NV 2006, 1674 |