Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
1. Das Verschulden eines Angestellten ist dem Prozeßbevollmächtigten nicht anzulasten, wenn er im Rahmen der äußersten den Umständen nach angemessenen und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt Maßnahmen getroffen hat, daß ein fristwahrender Schriftsatz das Gericht rechtzeitig erreicht. Er darf auch kurz vor Ablauf der Frist einen zuverlässigen Angestellten mit der Beförderung des fristwahrenden Schriftsatzes betrauen, wenn dieser über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet ist.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf einer eingehenden Darstellung des Geschehensablaufs, der zur Fristversäumnis geführt hat.
3. Glaubhaft gemacht wird eine Tatsache durch die Vorlage präsenter Beweismittel, aufgrund deren Vorlage der Beweis sofort und unmittelbar erbracht werden kann. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für sie spricht.
Normenkette
FGO § 56; ZPO § 85 Abs. 2, § 294 Abs. 2
Tatbestand
. . .
Mit Schreiben vom 24. Juli 1987 beantragen die Kläger für die Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ihr Prozeßbevollmächtigter habe einen Angestellten unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit der Sendung beauftragt, die Revisionsschrift noch am gleichen Tag beim FG einzuwerfen. Der Angestellte habe den Auftrag vergessen, das Schreiben erst am nächsten Morgen im Büro abgeholt und gegen 7.20 Uhr beim FG eingeliefert. Das Verschulden des Angestellten sei ihnen nicht zuzurechnen, da der Angestellte stets zuverlässig gewesen sei. Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten sei nicht gegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Diese Frist ist nicht eingehalten worden, denn die Monatsfrist nach Zustellung des FG-Urteils war am 20. Juli 1987 abgelaufen. Die Revision ist weder vom FG noch vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen worden. Der Senat hat mit Beschluß vom heutigen Tag die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision in dem Verfahren VIII B 97/87 als unzulässig verworfen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BFH-Urteil vom 25. Februar 1988 IV R 198/85, BFH/NV 1988, 549). Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht dem Verschulden des am FG-Verfahren Beteiligten gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO).
Innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen sind die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1983 II R 211/81, BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681; vom 26. November 1986 IX R 64/86, BFH/NV 1988, 33; vom 25. August 1987 IV R 41/87, BFH/NV 1988, 377; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 22. August 1984 9 B 10609/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1986, 149). Nach Ablauf der Zweiwochenfrist können lediglich unvollständige Angaben im Rahmen des bisherigen Vortrags erläutert und ergänzt werden (BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586, m. w. N.; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. März 1987 IVb ZB 39/87, HFR 1988, 539). Der Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf einer eingehenden Darstellung des Geschehensablaufs, der zur Fristversäumnis geführt hat (BFH-Beschluß vom 28. Januar 1986 VIII R 9/84, BFH/NV 1986, 417).
Das Wiedereinsetzungsbegehren der Kläger scheitert bereits an den vorstehenden formellen Voraussetzungen. Die Kläger haben nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist dargelegt, daß ihr Prozeßbevollmächtigter die Revisionsfrist unverschuldet versäumte. Außerdem haben sie ihren Vortrag nicht glaubhaft gemacht.
Die Kläger gehen zwar zu Recht davon aus, daß das Verschulden eines Angestellten dem Prozeßbevollmächtigten nicht anzulasten ist, wenn er im Rahmen der äußersten den Umständen nach angemessenen und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt Maßnahmen getroffen hat, daß ein fristwahrender Schriftsatz das Gericht rechtzeitig erreicht. Er darf auch kurz vor Ablauf der Frist einen zuverlässigen Angestellten mit der Beförderung des fristwahrenden Schriftsatzes betrauen, wenn dieser über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet ist (vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; BGH-Beschlüsse vom 13. Februar 1985 IVa ZB 15/84, HFR 1986, 206; vom 15. Mai 1985 IVb ZB 27/85, HFR 1986, 319).
Der Antrag der Kläger ergibt nicht, daß der Prozeßbevollmächtigte diese Sorgfaltspflichten gewahrt hat. Dem Antrag kann nicht entnommen werden, daß der Prozeßbevollmächtigte den Auftrag zur Beförderung innerhalb der Revisionsfrist erteilt hat. In dem Antrag ist nicht das Datum des Tages genannt, an dem der Prozeßbevollmächtigte dem Angestellten den Auftrag zur Beförderung des Schreibens an das FG gegeben haben soll.
Wenn den Ausführungen: ,,Am folgenden Dienstag, dem 21. Juli 1987, . . ." zu entnehmen sein sollte, daß der Auftrag am 20. Juli 1987 erteilt worden ist, so tauchen Zeifel auf, ob die Angabe in dem Antrag zutrifft, daß der Angestellte den liegengebliebenen Umschlag am 21. Juli 1987 gegen 7.20 Uhr beim FG eingeliefert hat. Nach dem Eingangsstempel des FG ist die Revisionsschrift erst am 22. Juli 1987 dem Nachtbriefkasten / Einwurfschacht vor 24 Uhr entnommen worden. Dies legt nahe oder schließt zumindest die Möglichkeit nicht aus, daß der Brief erst am 21. Juli 1987 nach Dienstschluß in den Briefkasten des FG eingeworfen wurde, so daß der Sachvortrag im Antrag nicht als zutreffend angesehen werden könnte.
Dem Wiedereinsetzungsantrag kann auch deshalb nicht entsprochen werden, weil die Tatsachen zur Begründung des Antrags nicht glaubhaft gemacht worden sind, denn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur dann ordnungsgemäß gestellt, wenn die zu seiner Begründung angeführten Tatsachen bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Beschlüsse vom 6. Mai 1987 II B 3/87, BFH/NV 1988, 573, bestätigt durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1987 1 BvR 748/87; vom 25. Februar 1988 VI R 142/86, BFH/NV 1988, 653).
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für sie spricht (BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 549). Glaubhaft gemacht wird eine Tatsache durch die Vorlage präsenter Beweismittel, aufgrund deren Vorlage der Beweis sofort und unmittelbar erbracht werden kann (§ 294 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Rz. 52, m. w. N.). Hierzu hätten sich eidesstattliche Versicherungen des mit der Beförderung betrauten Steuerfachgehilfen und der Sekretärin des Unterzeichners angeboten. Auf die Vorlage präsenter Beweismittel konnte im Streitfall schon im Hinblick auf die Unvollständigkeiten und Widersprüche im Wiedereinsetzungsantrag nicht verzichtet werden.
Unter diesen Umständen kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Revision nicht auch deshalb unzulässig ist, weil die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision i. S. des § 116 FGO nicht schlüssig dargelegt worden sind (vgl. BVerwG-Beschluß vom 23. Februar 1977 VII CB 74/75, HFR 1977, 512; Gräber/Ruban, a. a. O., § 116 Rz. 3, § 119 Rz. 20).
Fundstellen
Haufe-Index 416855 |
BFH/NV 1990, 714 |