Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine AdV eines VSt-Bescheids wegen geltendgemachter Verletzung des "Halbteilungsgrundsatzes"
Leitsatz (NV)
Es erscheint ausgeschlossen, daß das BVerfG aufgrund einer Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage das VStG wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bezüglich der weiteren Anwendbarkeit des VStG nach dem 31. Dezember 1996 und der Verletzung des "Halbteilungsgrundsatzes" noch mit Wirkung für die Jahre 1995 und 1996 für nichtig oder unanwendbar erklärt. Entsprechende verfassungsrechtliche Bedenken rechtfertigen daher keine Aussetzung der Vollziehung eines VSt-Bescheids.
Normenkette
VStG § 1 ff.; FGO § 69
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hatte gegen Frau S aufgrund der von ihr im April 1996 eingereichten Vermögensteuererklärung mit Hauptveranlagungsbescheid auf den 1. Januar 1995 vom 10. Januar 1997 Vermögensteuer in Höhe von 41 070 DM festgesetzt. Hiergegen legte Frau S Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung, da im Streitfall der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluß vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655) aufgestellte "Halbteilungsgrundsatz" verletzt sei; außerdem sei nach diesem Beschluß nach dem 31. Dezember 1996 das Vermögensteuergesetz (VStG) nicht mehr anwendbar, so daß Vermögensteuer nicht mehr festgesetzt werden dürfe. Nachdem das FA diesen Antrag abgelehnt hatte, verfolgte Frau S ihr Begehren, den Vermögensteuerbescheid auszusetzen, beim Finanzgericht (FG) weiter. Während des Verfahrens verstarb Frau S (Erblasserin) und wurde von A, B und C beerbt, die als Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) das Verfahren weiterführten. Auch dieser Antrag blieb erfolglos. Das FG verneinte ernstliche Zweifel i. S. des §69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheids; der Beschluß des BVerfG in BStBl II 1995, 655, stünde der Vermögensteuerfestsetzung im Streitfall nicht entgegen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller. Sie machen -- wie schon im bisherigen Verfahren -- geltend, daß die Gesamtsteuerbelastung der Erblasserin im Jahre 1995 die vom BVerfG aufgezeigte Obergrenze von 50 v. H. überschritten habe und damit eine Übermaßbesteuerung erfolgt sei. Bei Einkünften aus Kapitalvermögen im Jahre 1995 von 239 545 DM betrage die maximal zulässige Steuerbelastung von 50 v. H. 119 772 DM. Bei einer Einkommensteuerschuld 1995 von 94 776 DM verbleiben daher für die Vermögensteuer nur 24 996 DM. Folglich sei es geboten, von der auf den 1. Januar 1995 festgesetzten Vermögensteuer von 41 070 DM einen Betrag in Höhe von 16 074 DM (= 41 070 DM abzüglich 24 996 DM) auszusetzen. Damit habe sich das FG nicht auseinandergesetzt. Im übrigen bestünden im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtsprechung der FG ernstliche Zweifel daran, ob es nach dem Beschluß des BVerfG in BStBl II 1995, 655, zulässig sei, noch nach dem 31. Dezember 1996 Vermögensteuerveranlagungen für vor diesem Zeitpunkt liegende Veranlagungszeiträume durchzuführen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Zu Recht hat das FG die beantragte Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Vermögensteuerbescheids vom 10. Januar 1997 abgelehnt.
Nach §69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des Bescheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheids, die die Antragsteller daraus ableiten, daß die Vermögensteuerfestsetzung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach nach dem Beschluß des BVerfG in BStBl II 1995, 655, verfassungsrechtlich nicht (mehr) zulässig gewesen wäre, bestehen jedoch im Streitfall nicht.
1. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist es auch nach Ablauf des Jahres 1996 zulässig, Vermögensteuer auf davor liegende Stichtage festzusetzen. Die im Tenor des Beschlusses des BVerfG angeordnete Weiteranwendung des bisherigen VStG bis (längstens) zum 31. Dezember 1996 ist dahin zu verstehen, daß das VStG trotz seiner vom BVerfG erklärten Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG) auf alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Tatbestände -- mithin auf bis zum Stichtag 1. Januar 1996 entstandene Vermögensteuer -- weiterhin anzuwenden ist. An dieser Auffassung, die bereits dem Beschluß des Senats vom 18. Juni 1997 II B 33/97 (BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515) und seinem Urteil vom 30. Juli 1997 II R 9/95 (BStBl II 1997, 635) zugrunde liegt und auf die der Senat zur näheren Begründung verweist, hält der Senat fest.
Aus dem Wortlaut der Entscheidungsformel des BVerfG ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung, die nach §69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Vermögensteuerbescheids rechtfertigen könnten. Die vom BVerfG getroffene Anordnung der weiteren Anwendbarkeit des VStG bezieht sich auf zurückliegende (d. h. vor der Entscheidung liegende) Kalenderjahre, auf das zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits laufende Kalenderjahr 1995 sowie auf das Kalenderjahr 1996. Als Rechtsfolge des Beschlusses des BVerfG für den Ausgangsfall hat das BVerfG angeordnet, das vor legende FG könne für die Veranlagungszeiträume 1983 bis 1986 das bisherige Vermögensteuerrecht zugrundelegen. Daraus folgt, daß das BVerfG für zurückliegende Zeiträume von einer Weitergeltung des bisherigen VStG -- und zwar ohne Rücksicht auf das künftige Verhalten des Gesetzgebers -- ausgegangen ist. Für die von der Anordnung der weiteren Anwendung ebenfalls erfaßten Kalenderjahre 1995 und 1996 kann nichts anderes gelten. Hätte das BVerfG für das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung laufende Kalenderjahr und das künftige Kalenderjahr materiell eine andere Regelung treffen wollen als für die zurückliegenden Jahre, so hätte es dies klar zum Ausdruck gebracht. Tenor und Gründe der Entscheidung des BVerfG sind insgesamt dahin zu verstehen, daß das VStG trotz der festgestellten (teilweisen) Unvereinbarkeit mit dem GG für alle bis zum Ablauf des Jahres 1996 verwirklichten Sachverhalte Geltung behält.
2. Soweit die Antragsteller geltend machen, daß im Streitfall die Gesamtsteuer belastung die vom BVerfG in seinem Beschluß aufgezeigte Belastungsgrenze um 16 074 DM übersteige, bestehen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheids.
Zwar hat das BVerfG in seinem Beschluß in BStBl II 1995, 655, 661, ausgeführt, daß die Vermögensteuer zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten dürfe, "soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt und dabei insgesamt auch Belastungsergebnisse vermeidet, die einer vom Gleichheitssatz gebotenen Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit zuwiderlaufen"; doch können hieraus für den Streitfall keine Folgerungen gezogen werden.
Der Senat hat im Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten, daß er keine weitergehende Entscheidung trifft, als vom BVerfG zu erwarten wäre (vgl. Senatsbeschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782, 785). Das BVerfG hat die Anwendbarkeit des VStG trotz des von ihm festgestellten Grundrechtsverstoßes für das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung laufende und für das folgende Kalenderjahr bestehen lassen und dies mit der Gewährleistung einer stetigen Veranlagung der Vermögensteuer gerechtfertigt. Es erscheint danach ausgeschlossen, daß das BVerfG nunmehr auf eine Verfassungsbeschwerde oder eine Vorlage nach Art. 100 GG hin das VStG aus den von den Antragstellern geltend gemachten verfassungsrechtlichen Erwägungen noch mit Wirkung für die Jahre 1995 und 1996 für nichtig oder unanwendbar erklären würde. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller rechtfertigen demnach nicht die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Vermögensteuerbescheides (vgl. Senatsbeschluß vom 11. September 1996 II B 32/96, BFH/NV 1997, 270).
Fundstellen
Haufe-Index 66895 |
BFH/NV 1998, 361 |
BFH/NV 1998, 362 |
DStRE 1998, 142 |