Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswidrige Ablehnung eines Antrages, Säumniszuschläge zu erlassen
Leitsatz (NV)
1. Können vom FA dem BFH im Revisionsverfahren Steuerakten nicht mehr vorgelegt werden, die dem FG vorgelegen haben, so ist die Vorentscheidung gleichwohl nicht wegen eines Mangels des Urteilstatbestandes aufzuheben, wenn das FG in der Vorentscheidung weder ausdrücklich noch sinngemäß auf den Inhalt der Akten Bezug genommen hat und ferner kein Anhalt für die Annahme besteht, daß das FG Bestandteile der Akten verwertet hat.
2. Zu den Voraussetzungen einer fehlerfreien Ermessensentscheidung, insbesondere bei der Ablehnung eines Antrages, Säumniszuschläge zu erlassen.
Normenkette
AO 1977 § 3 Abs. 3, § 37 Abs. 1, §§ 38, 227 Abs. 1, § 240 Abs. 1 S. 1; FGO §§ 102, 105 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, § 118 Abs. 1-2; ZPO § 543 Abs. 2
Tatbestand
Der Kl., der mit dem FA wegen der Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Antrages auf Erlaß von Säumniszuschlägen streitet, war bis zum . . . 1974 Inhaber eines Einzelunternehmens. Sodann wurde die Einzelfirma in eine GmbH & Co. KG umgewandelt, die ab . . . 1977 liquidiert wurde. Die gewerbliche Tätigkeit dieser Gesellschaft führte eine am . . . 1976 gegründete GmbH fort, an welcher der Kl. und dessen Ehefrau beteiligt sind.
Bis Anfang 1975 liefen bei der Einzelfirma Steuerrückstände in Höhe von . . . DM auf. Unter dem . . . 1975 beantragte der Kl. beim FA, die Rückstände in monatlichen Raten von . . . DM, beginnend mit . . . 1975, tilgen zu dürfen. Zur Begründung führte er an, daß ein Kunde eine im . . . 1974 fällige Zahlung von . . . DM nicht geleistet habe, so daß er, der Kl., in Zahlungsschwierigkeiten geraten sei. Das FA lehnte den Stundungsantrag mit dem Hinweis ab, es handle sich bei den geschuldeten Steuern um Beträge, die der Kl. von den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmern einbehalten habe, um sie abzuführen. Verwende ein Unternehmer solche Beträge zweckentfremdet, verletze er seine ihm der Allgemeinheit gegenüber obliegenden Verpflichtungen.
Nachdem der Kl. auf seine Steuerschuld am . . . 1975 einen Betrag von . . . DM und am . . . 1975 weitere . . . DM gezahlt habe, leistete er aufgrund einer im Jahre 1979 getroffenen Tilgungsvereinbarung bis Dezember dieses Jahres monatliche Teilzahlungen von . . . DM. Die danach verbliebenen Rückstände wurden mit Steuerguthaben ausgeglichen.
In den Jahren 1975 und 1976 hatte der Kl. keine positiven Einkünfte. Seine Ehefrau erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In den folgenden Jahren bezog der Kl. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Ende 1976 erwarb der Kl. . . . Miteigentumsanteile eines für . . . DM erworbenen Grundstücks in X. Nachdem der Kl. seinen Anteil im Jahre 1977 seiner Ehefrau übertragen hatte, veräußerte die Eigentümergemeinschaft das Grundstück mit Vertrag vom . . . 1978 für . . . DM. Schließlich erwarb die Ehefrau des Kl. im . . . 1980 für . . . DM ein Grundstück in Y. In all diesen Jahren zahlten der Kl. und dessen Ehefrau Versicherungsbeiträge zwischen . . . DM und . . . DM jährlich.
Anläßlich einer Besprechung an Amts Stelle am . . . 1979 beantragte der Kl. beim FA, die an diesem Tage unstreitig . . . DM betragenden Säumniszuschläge insoweit zu erlassen, als sie für betriebliche Steuerschulden der Einzelfirma nach dem Zeitpunkt entstanden seien, zu dem sein Unternehmen zahlungsunfähig geworden sei. Als diesbezüglichen Zeitpunkt nannte der Kl. den . . . 1975 und gab hierfür an, daß er nach seinen Feststellungen danach keine Steuern mehr gezahlt habe. Auf den Hinweis des FA, daß am . . . 1975 noch . . . DM eingegangen seien, erwiderte der Kl., seit diesem Tage seien jedenfalls keine Zahlungen mehr in geregelter Weise geleistet worden. Deshalb sei eine Erhebung von Säumniszuschlägen von diesem Zeitpunkt an nicht gerechtfertigt. Die weitere Zahlung im . . . 1975 sei nur noch aus irgendwie frei gewordenen privaten Geldern vorgenommen worden. Seit 1975 habe er keine Bezüge mehr gehabt, die nennenswert über dem Existenzminimum gelegen hätten.
Das FA lehnte den Erlaßantrag mit Verfügung vom . . . 1980 unter Hinweis auf ein Fehlverhalten des Kl. ab und führte aus, die Säumniszuschläge seien nur deshalb entstanden, weil der Kl. die für die Abführung bestimmten Beträge anderweitig verwendet habe. Der Kl. sei für die maßgebliche Zeit auch nicht als zahlungsunfähig anzusehen; dies bewiesen die geleisteten Zahlungen und die Arbeitnehmertätigkeit des Kl.
Die Beschwerde des Kl. wurde von der OFD zurückgewiesen. Zur Begründung führte die OFD im wesentlichen aus, die Einziehung der verwirkten Säumniszuschläge sei nicht sachlich unbillig, da der Kl. dafür hätte sorgen können und müssen, daß Mittel für die voraussehbare Steuerzahlung bereitgestanden hätten. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze, nach denen Säumniszuschläge als Druckmittel eigener Art den bezweckten Erfolg nicht erreichen könnten, wenn der Stpfl. zahlungsunfähig sei, ließen sich dann nicht ohne weiteres anwenden, wenn - wie hier - die Steuerschulden voraussehbar gewesen seien, da die Erhebung der Säumniszuschläge auch ein Sanktionsmittel mit Präventivcharakter darstelle. Jedenfalls sei der Kl. nicht dauernd zahlungsunfähig gewesen, denn er habe in der maßgeblichen Zeit Abgabenrückstände tilgen und andere Gläubiger befriedigen können. Im übrigen habe der Kl. ab 1977 über ein regelmäßiges Einkommen verfügt. Außerdem hätten der Kl. und dessen Ehefrau in der fraglichen Zeit erhebliche Versicherungsbeiträge aufgebracht und Grundstücksgeschäfte getätigt. Schließlich lägen keine persönlichen Billigkeitsgründe vor, da weder dargetan noch sonst ersichtlich sei, daß durch die Ablehnung des begehrten Erlasses - bzw. nunmehr der Erstattung - die wirtschaftliche Existenz oder die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts des Kl. dauernd gefährdet würden.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Hierzu führte es aus, das FA und die OFD hätten den vom Kl. begehrten Erlaß zu Recht abgelehnt. Nach § 227 Abs. 1 AO 1977 könnten Säumniszuschläge (§ 3 Abs. 3, § 37 Abs. 1 AO 1977) ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Wie der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes im Beschluß vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) entschieden habe, handle es sich bei dem schon in der Vorgängervorschrift des § 227 AO 1977 (§ 131 AO) verwendeten Begriff ,,unbillig" nicht um einen von den Gerichten voll nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Die Rechtmäßigkeit einer auf § 227 AO 1977 gestützten Entscheidung der Verwaltungsbehörde könne daher von den Gerichten nur nach den für die Kontrolle behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen geprüft werden. Dies bedeute, daß das Gericht im einzelnen zu beurteilen habe, ob die Verwaltung mit der angefochtenen Entscheidung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens tätig geworden sei, Billigkeit und Zweckmäßigkeit beachtet und von ihrem Ermessen in rechtlich vertretbarer Weise Gebrauch gemacht habe (Hinweis auf § 102 FGO und auf das Urteil des BFH vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466). Die Entscheidungen des FA und der OFD ließen keinen Ermessensfehler erkennen. Persönliche (wirtschaftliche) Gründe für eine Billigkeitsmaßnahme seien vom Kl. nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich. Der Kl. nehme zu Unrecht an, daß die Verweigerung des Erlasses der Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen rechtswidrig sei. Ein solcher Erlaß komme nur in Betracht, wenn die Einziehung eines infolge Tatbestandserfüllung entstandenen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar sei, d. h., wenn ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertung des Gesetzgebers vorliege (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727).
Säumniszuschläge entständen (§ 38 AO 1977), wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet worden sei (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sie seien ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern (BFH-Beschluß vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262) und dienten dazu, den Stpfl. zur rechtzeitigen Zahlung anzuhalten. Die Einziehung von Säumniszuschlägen würde insbesondere dann Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufen und demgemäß sachlich unbillig sein, wenn die Ausübung eines Druckes auf den Stpfl. offensichtlich keinen Erfolg mehr verspreche, weil dem Stpfl. die rechtzeitige Zahlung wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung unmöglich sei (Urteil in BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727). Dies treffe hier jedoch nicht zu.
Mit der Revision beantragt der Kl., unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das FA zu verpflichten, Säumniszuschläge in Höhe von . . . DM zu erlassen. Der Kl. rügt unrichtige Anwendung des § 227 AO 1977 sowie, daß das FG vom BFH-Urteil in BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727 abgewichen sei und den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt habe.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FA, von dem die übrigen Steuerakten dem BFH vorgelegt worden sind, hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1987 dem BFH mitgeteilt, daß der Verbleib der USt-Akte, die dem FG ebenfalls vorgelegen hatte, trotz intensiver Nachforschung bisher nicht habe geklärt werden können. USt-Akten sind vom FA auch seither nicht vorgelegt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Kl. ist begründet. Unter Aufhebung der Vorentscheidung werden die Beschwerdeentscheidung der OFD und die ablehnende Verfügung des FA aufgehoben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Entgegen der Auffassung des FG ist die Ablehnung des Erlaßantrages des Kl. nicht frei von Ermessensfehlern.
1. Die Vorentscheidung ist nicht etwa im Hinblick darauf (unter Zurückverweisung der Sache an das FG) aufzuheben, daß das FA im Laufe des Revisionsverfahrens erklärt hat, die USt-Akte nicht mehr vorlegen zu können. Denn es fehlt an den Voraussetzungen, unter denen eine Aufhebung der Vorentscheidung wegen Tatbestandsmangels im Hinblick auf fehlende Akten in Betracht kommen kann.
Nach § 105 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 FGO enthält ein finanzgerichtliches Urteil u. a. den Tatbestand, in dem der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen ist, wobei wegen der Einzelheiten auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden soll, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Im Hinblick auf die entsprechende Vorschrift des § 543 Abs. 2 ZPO hat der BGH im Urteil vom 13. Februar 1981 I ZR 67/79 (BGHZ 80, 64) ausgesprochen: Würden entscheidungserhebliche Unterlagen, die in einem der Revision unterliegenden Berufungsurteil lediglich in Bezug genommen sind, nach Abschluß der Instanz an die Partei, die sie eingereicht hat, zurückgegeben, so führe das zu einem Mangel im Tatbestand, der die Revision begründet und die Zurückweisung der Sache in die Berufungsinstanz erforderlich mache. Hiervon ist grundsätzlich auch das BGH-Urteil vom 8. März 1983 II ZR 10/81 (VersR 1982, 645) für einen Fall ausgegangen, in dem offenbar in der Vorentscheidung zwar auf zurückgegebene Unterlagen keine Bezugnahme vorlag, die Unterlagen aber von der Vorinstanz verwertet worden waren. (,,Richtig ist ferner, daß das Berufungsgericht einzelne dieser Anlagen für entscheidungserheblich angesehen hat.") Der Senat braucht hierauf im einzelnen nicht einzugehen. Denn eine Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückweisung der Sache kommt schon dann nicht in Betracht, wenn - wie hier - die einem Beteiligten zurückgegebenen Unterlagen von der Vorinstanz weder in Bezug genommen noch sonstwie verwertet (für entscheidungserheblich gehalten) worden sind.
Im Streitfall haben dem FG zwar u. a. die USt-Akten vorgelegen, wie in der Vorentscheidung festgehalten ist. Die Vorentscheidung nimmt jedoch auf den Inhalt dieser Akten nicht Bezug, weder ausdrücklich noch sinngemäß. In ihr findet sich ferner kein Anhalt für die Annahme, daß das FG Bestandteile dieser Akten verwertet, d. h., als entscheidungserheblich behandelt habe. Angesichts dessen läßt sich ausschließen, daß ein die Begründetheit der Revision herbeiführender Verstoß gegen Verfahrensvorschriften mit Rücksicht darauf vorliegen könnte, daß das Revisionsgericht infolge von Lücken oder von sonstigen Unklarheiten der tatsächlichen Grundlagen für die zu überprüfende Vorentscheidung nicht festzustellen vermochte, inwieweit seine Bindung in tatsächlicher Hinsicht reicht (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), und mithin zu der ihm obliegenden rechtlichen Nachprüfung (siehe § 118 Abs. 1 FGO) außerstande sein könnte (vgl. Urteil in BGHZ 80, 64).
2. Die Vorentscheidung ist jedoch im Hinblick darauf aufzuheben, daß das FG zu Unrecht angenommen hat, die finanzbehördliche Erlaßablehnung sei ermessensfehlerfrei.
Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. Mai 1985 V R 124/79 (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489) entschieden hat, setzt eine - gemäß § 102 FGO zu überprüfende - finanzbehördliche Ermessensausübung, um fehlerfrei zu sein, voraus, daß die Finanzbehörden ihre Entscheidung aufgrund eines unter Beachtung ihrer Ermittlungspflichten festgestellten Sachverhalts getroffen und sämtliche Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt haben, die nach Sinn und Zweck der das Ermessen einräumenden Norm maßgeblich sind. Soweit es um die Ermessensausübung bei der Entscheidung über einen Antrag geht, Säumniszuschläge zu erlassen, ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der Erlaß nicht in jedem Falle das Vorhandensein von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung voraussetzt (zur Bedeutung des Begriffes der Zahlungsunfähigkeit vgl. BFH-Urteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415). Auch ohne ein Vorliegen der beiden genannten Umstände vermag die - eingehend zu ermittelnde und zu würdigende - wirtschaftliche Situation des Stpfl. zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungspflicht ergeben, daß hinsichtlich der Steueransprüche, derentwegen Säumniszuschläge entstanden sind, eine Erlaß- oder Stundungssituation vorgelegen hat, die den Erlaß von Säumniszuschlägen angezeigt erscheinen lassen kann. Ergibt die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Stpfl. für den Zeitpunkt der Fälligkeit der entsprechenden Steuerforderungen für diese eine Erlaßsituation, so entfällt für die Erhebung der Säumniszuschläge der Sinn (Druckmittel zur Bewirkung der Zahlung) gleichermaßen wie in den Fällen von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Führt die Prüfung zur Annahme einer Stundungssituation in Beziehung auf die Steuerforderungen, so kann, insbesondere wenn bei Stundungsgewährung vereinbarte Raten auf die äußerste Grenze der Zahlungsfähigkeit des Stpfl. abgestellt sind, ebenfalls davon auszugehen sein, daß Säumniszuschläge als Druckmittel hinsichtlich der Zahlung der gesamten Steuerschuld den gesetzlich vorgesehenen Zweck nicht zu erfüllen vermögen.
Daß es für die Bescheidung des vom Kl. gestellten Erlaßantrages nicht nur auf Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ankommen darf, ist weder in der ablehnenden Verfügung des FA hinreichend berücksichtigt worden noch in der Beschwerdeentscheidung der OFD, obwohl beiden Finanzbehörden bewußt war, daß dem Kl. 1979 möglicherweise schon vor dem Erlaßantrag vom . . . 1979 bei monatlicher Ratenzahlung von . . . DM ein Stillhalten der Vollstreckungsstelle (so das FA) bzw. ein Vollstreckungsaufschub (so die OFD) eingeräumt worden war (vgl. auch die entsprechenden Feststellungen des FG im Tatbestand des angefochtenen Urteils). Dementsprechend hätten nicht nur die beim Kl. zur fraglichen Zeit gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse und deren Elemente (insbesondere: Höhe des Einkommens des Kl. und seiner - ebenfalls zum Beitrag für den Familienunterhalt verpflichteten - Ehefrau und sonstiger dem Kl. zur Verfügung stehender finanzieller Mittel; Summe der vom Kl. auf Abgabenrückstände, sonstige Verbindlichkeiten und zu Vorsorgezwecken geleisteten Zahlungen) unter dem Aspekt der Zahlungsunfähigkeit gewürdigt werden sollen. Es hätte, vor allem im Hinblick auf die dem Kl. eingeräumte Ratenzahlung, auch geprüft werden müssen, ob der Kl. mit der Tilgung von Abgabenrückständen nicht die äußerste Grenze der Zahlungsfähigkeit erreicht hatte, so daß die Säumniszuschläge ihren Zweck als zur Zahlung anhaltendes Druckmittel gar nicht haben erreichen können.
Ein Ermessensfehler liegt ferner insoweit vor, als das FA in seiner den Erlaß ablehnenden Verfügung bezüglich der auf die USt entfallenden Säumniszuschläge sich u. a. auf die Erwägung gestützt hat, insoweit seien Abgabenträger die jeweiligen Leistungsempfänger und dem Kl. sei ein Fehlverhalten anzulasten, wenn er die für die Abführung bestimmten Beträge anderweitig verwendet habe. Hierzu wird darauf verwiesen, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats USt-Rückstände gegenüber anderen Verbindlichkeiten keinen Vorrang genießen (vgl. Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, und vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, unter 3 c).
Die Vorentscheidung war mithin aufzuheben, weil das FG verkannt hat, daß die Erlaßablehnung nicht ermessensfehlerfrei ist.
3. Der Senat kann durcherkennen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Bei einer am Wortlaut des Klageantrages haftenden Deutung begehrt der Kl. zwar die Verurteilung des FA zum Erlaß der Säumniszuschläge bzw. den Ausspruch eines solchen Erlasses selbst. Bei verständiger Würdigung ist das Klagebegehren jedoch dahin zu deuten, daß der Kl. eine ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Erlaßantrages erreichen will, wovon er allerdings erhofft, daß sie den beantragten Erlaß zum Inhalt haben wird. Dies rechtfertigt eine Deutung des Klageantrages dahin, daß unter vollständiger Klagestattgabe die Beschwerdeentscheidung der OFD und die ablehnende Verfügung des FA aufgehoben werden können. Dadurch erhalten das FA und ggf. die OFD Gelegenheit, über den Erlaßantrag ermessensfehlerfrei zu befinden und ggf. Säumniszuschläge ganz oder teilweise (vgl. BFH-Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489) zu erlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 416252 |
BFH/NV 1990, 11 |