Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rückstellung für künftige Leistungen nach dem MuSchG
Leitsatz (amtlich)
Für die künftige Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von Leistungen nach dem MuSchG kann eine Rückstellung wegen drohender Verluste oder für ungewisse Verbindlichkeiten selbst dann nicht gebildet werden, wenn eine Mitteilung über den Eintritt der Schwangerschaft vorliegt.
Orientierungssatz
Im Streitfall bleibt offen, ob der Arbeitgeber ausnahmsweise eine Rückstellung bilden darf, wenn am Bilanzstichtag bereits feststeht, daß die schwangere Arbeitnehmerin nach Ablauf der Schutzfrist ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen wird (vgl. Rechtsprechungshinweise zum sog. Verpflichtungsüberhang als Voraussetzung einer Drohverlustrückstellung, zu schwebenden Geschäften sowie zur Zulässigkeit von Rückstellungen aufgrund arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Leistungsverpflichtungen des Arbeitgebers).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1; HGB § 249 Abs. 1 S. 1; MuSchG § 14 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. In den Streitjahren 1989 und 1990 zeigten 9 bzw. 7 Arbeitnehmerinnen durch Vorlage einer Bescheinigung nach § 5 des Mutterschutzgesetzes - -MuSchG-- (jetzt geltend in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Januar 1997, BGBl I 1997, 22 und 293) ihre Schwangerschaft an. Für die im Folgejahr zu erwartende Verpflichtung, nach § 14 MuSchG einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld leisten zu müssen, bildete die Klägerin in ihren Bilanzen auf den 31. Dezember 1989 und 1990 Rückstellungen in Höhe von 23 400 DM bzw. 25 854 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hielt die Rückstellungen für unzulässig und erließ Gewinnfeststellungsbescheide über dementsprechend erhöhte Gewinne. An seiner Auffassung hielt das FA auch nach einer Außenprüfung fest, aufgrund deren nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Bescheide ergingen.
Einspruch und Klage gegen diese Änderungsbescheide hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1996, 1204) im wesentlichen aus, eine Rückstellung wegen drohender Verluste könne nicht gebildet werden, weil nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei Arbeitsverhältnissen von einer Gleichgewichtigkeit der Rechte und Pflichten auszugehen sei. Dies gelte auch im Hinblick auf arbeits- und sozialrechtliche Folgelasten eines Arbeitsverhältnisses, zu denen der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld gehöre. Die Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten scheide aus, da die Zuschußleistungen erst nach dem Bilanzstichtag zu erbringen seien und ein Erfüllungsrückstand der Arbeitnehmerinnen bis dahin nicht vorliege.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, daß Rückstellungen für die künftige Verpflichtung zur Zahlung eines Zuschusses nach § 14 MuSchG nicht gebildet werden durften.
1. Nach § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung sind Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (§ 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches --HGB--) zu bilden. Dauerschuldverhältnisse wie das Arbeitsverhältnis sind zwar schwebende Geschäfte (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1987 I R 68/87, BFHE 152, 250, BStBl II 1988, 338; vom 3. Februar 1993 I R 37/91, BFHE 170, 247, BStBl II 1993, 441, jeweils m.w.N.). Im Streitfall drohen aus den Arbeitsverhältnissen der schwangeren Arbeitnehmerinnen jedoch keine Verluste. Drohende Verluste können sich bei schwebenden gegenseitigen Verträgen nur ergeben, wenn das Gleichgewicht der synallagmatisch miteinander verknüpften Leistungen gestört ist und die den Steuerpflichtigen treffende Leistungsverpflichtung einen höheren Wert als die ihm zustehende Gegenleistung hat (sog. Verpflichtungsüberhang, BFH-Urteil vom 13. November 1991 I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl II 1992, 336, 441). In die Prüfung, ob sich die Leistungen aus dem gegenseitigen Vertrag ausgeglichen gegenüberstehen, sind nicht nur die Hauptleistungen aus diesem Vertragsverhältnis, sondern auch alle Nebenleistungen und sonstigen wirtschaftlichen Vorteile, die nach den Vorstellungen der Vertragsbeteiligten eine Gegenleistung für die Hauptleistung darstellen (wirtschaftliches Synallagma), mit einzubeziehen (BFH-Beschluß vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199). Für Arbeitsverhältnisse gilt nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Vermutung, daß Leistung und Gegenleistung ausgeglichen sind und ein Verpflichtungsüberhang des Arbeitgebers auch nicht durch Sozialleistungen entsteht, zu denen der Arbeitgeber aufgrund arbeits- oder sozialrechtlicher Vorschriften verpflichtet ist (BFH-Urteile vom 25. September 1956 I 122/56 U, BFHE 63, 354, BStBl III 1956, 333; vom 25. Februar 1986 VIII R 377/83, BFHE 146, 146, BStBl II 1986, 465; in BFHE 152, 250, BStBl II 1988, 338; vom 7. Juni 1988 VIII R 296/82, BFHE 153, 407, BStBl II 1988, 886; vgl. auch FG Köln, Urteil vom 23. September 1996 13 K 962/96, EFG 1997, 10, rkr.). Daran ist weiterhin festzuhalten.
Zu den arbeits- und sozialrechtlichen Leistungsverpflichtungen des Arbeitgebers, die die Ausgeglichenheitsvermutung nicht erschüttern, gehören auch die Leistungen nach § 14 MuSchG. Aufgrund dieser Vorschrift ist ein Arbeitgeber verpflichtet, das Mutterschaftsgeld auf den vor Eintritt des Mutterschutzes gezahlten durchschnittlichen Nettolohn aufzustocken. Eine Arbeitsleistung erbringt die Arbeitnehmerin während der Zeit dieser Zahlungsverpflichtung nicht (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG). Es ist auch unsicher, ob nach Ablauf der Schutzfrist die Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit wieder aufnimmt, Erziehungsurlaub antritt oder das Arbeitsverhältnis beendet. Von einem Verpflichtungsüberhang des Arbeitgebers kann gleichwohl nicht gesprochen werden. Dem Arbeitgeber, der eine Frau im gebärfähigen Alter beschäftigt, sind die Folgelasten bekannt, die aus den gesetzlichen Regelungen zum Mutterschutz erwachsen können. Wenn er gleichwohl ein Arbeitsverhältnis eingeht, schließt er diese Lasten in seine Kalkulation mit ein. Offensichtlich verspricht er sich Vorteile aus der Beschäftigung dieser Arbeitnehmerin, so daß er bereit ist, ggf. auch die sozialrechtlichen Leistungen zusätzlich zum vereinbarten Arbeitslohn zu erbringen, selbst auf die Gefahr hin, daß das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Mutterschutzfrist von der Arbeitnehmerin nicht fortgesetzt wird. Demgemäß kommt eine Rückstellung wegen drohender Verluste im Hinblick auf mögliche Schwangerschaften nicht in Betracht. Gleiches gilt aber entgegen der Ansicht der Klägerin auch dann, wenn sich das Schwangerschaftsrisiko konkretisiert und dem Arbeitgeber der Eintritt einer Schwangerschaft gemäß § 5 Abs. 1 MuSchG mitgeteilt wird, denn es erhöht sich dadurch nur die Wahrscheinlichkeit, daß der Arbeitgeber Leistungen erbringen muß, deren Umfang er bei Abschluß des Arbeitsvertrags einkalkuliert hat (gl. A. im Ergebnis auch Blümich/ Schreiber, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 5 EStG Rz. 920 "Arbeitsverhältnis"; Fumi, Steuerrechtliche Rückstellungen für Dauerschuldverhältnisse, Köln u.a. 1991, S. 118 f.; Hoffmann in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, §§ 4, 5 EStG Rn. 949 "Mutterschutz"; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, S. 151; Kessler in Küting/ Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 4. Aufl. 1995, § 249 HGB Rn. 222; Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 Rdnr. D 273; Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 1997, § 5 Rz. 550 "Soziallasten"; Sünner, Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen, 1984, 173, 175 f.; a.A. Brezing, Steuerberater-Jahrbuch 1977/1978, 367, 374 f.; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 3. Aufl. 1995, § 249 HGB Anm. 100 "Mutterschutz"; Glade, Praxishandbuch der Rechnungslegung und Prüfung, 2. Aufl. 1995, § 253 HGB Rdnr. 766; Hartung, Verpflichtungen im Personalbereich in Handels- und Steuerbilanz sowie in der Vermögensaufstellung, Heidelberg 1987, S. 359 ff.; Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 5 EStG Anm. 940 "Mutterschutz"; Hütz, Finanz-Rundschau 1983, 139; Meilicke, Der Betrieb 1978, 2481, 2482; Wendland, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1990, 340).
Nicht zu entscheiden hat der Senat im Streitfall, ob ausnahmsweise ein Verpflichtungsüberhang des Arbeitgebers angenommen werden kann, wenn am Bilanzstichtag bereits feststeht, daß die Arbeitnehmerin nach Ablauf der Schutzfrist ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen wird (vgl. Fumi, a.a.O.), denn solche Umstände hat das FG nicht festgestellt. Sie liegen im übrigen auch nach den insoweit revisionsrechtlich vom Senat nicht verwertbaren Äußerungen der Klägerin in der Revisionsschrift nicht vor. Aus diesem Grunde konnte die Klägerin die Aufwendungen für den Mutterschutz auch nicht als Verbindlichkeiten aufgrund bereits erbrachter Leistungen der Arbeitnehmerinnen zurückstellen.
Fundstellen
Haufe-Index 66291 |
BFH/NV 1998, 385-386 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 205 |
BFHE 184, 422 |
BFHE 1998, 422 |
BB 1998, 155 |
BB 1998, 155-156 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1998, 39 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1998, 23 |
DStRE 1998, 7 |
DStRE 1998, 7 (Leitsatz) |
DStZ 1998, 292-293 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 176 |
StE 1998, 19 |