Leitsatz (amtlich)
Werden festverzinsliche Wertpapiere schenkungsweise übertragen, so sind neben den Wertpapieren mit dem niedrigsten Kurswert auch die bis zum Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung beim Schenker angefallenen, aber noch nicht fälligen Zinsen (sog. Stückzinsen) mit dem Nennwert als schenkungsteuerbarer Erwerb anzusetzen.
Normenkette
ErbStG 1959 § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1 S. 1; ErbStG 1974 § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; BewG 1965 § 11 Abs. 1, § 12 Abs. 1; BGB § 101 Nr. 2, §§ 271, 608, 1922 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I.
Der Stiefvater der Klägerin übertrug dieser am 23. Dezember 1970 Wertpapiere mit einer festen Verzinsung von 6 v. H. im Börsenkurswert von 62 775 DM. Die Zinstermine für diese Papiere waren teils Januar/Juni und teils April/Oktober eines Jahres. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte bei der Festsetzung der Schenkungsteuer neben dem Kurswert der Papiere auch die Stückzinsen in Höhe von insgesamt 1 437 DM, die auf die Zeit vom letzten Zinszahlungstermin bis zum Tag der Ausführung der Schenkung entfielen.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte wandte sich gegen den Ansatz der Stückzinsen. Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt.
Mit der durch Beschluß des Senats vom 16. September 1982 II B 36/82 zugelassenen Revision begehrt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA vom 2. März 1977 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Besteuerungsgrund ist eine Schenkung im Sinne des bürgerlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes - ErbStG - i. d. F. vom 1. April 1959, BGBl I, 187, §§ 518, 516 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Als Erwerb gilt der durch Schenkung erzeugte Vermögensanfall an die Klägerin (§ 24 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1959). Dessen Gegenstand richtet sich nach bürgerlichem Recht, denn dieses, nicht das Steuerrecht verfügt über den Inhalt eines sich nach bürgerlichem Recht vollziehenden Erwerbs (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1972 II R 87-89/70 unter Abschnitt B I 1, BFHE 108, 393, 396, BStBl II 1973, 329 ; BFH-Urteil vom 7. April 1976 II R 87-89/70, BFHE 119, 300, BStBl II 1976, 632 ). Im Streitfall ist daher nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, welche Vermögensgegenstände, nämlich Forderungen und Verbindlichkeiten, dem Grunde nach bei der Bewertung des Vermögensanfalls zu berücksichtigen sind. Der Vorschrift des § 23 Abs. 1 ErbStG 1959 kann hierfür nichts entnommen werden. Insbesondere kann, wovon die Vorinstanz aber offenbar ausgeht, aus § 23 ErbStG kein Schluß für die Auslegung des § 24 ErbStG 1959 gezogen werden. Denn die in jener Vorschrift geregelte "Bewertung" ist ein Werturteil über einen der Bewertung vorgegebenen Gegenstand; weder dessen Existenz noch dessen Inhalt ist von diesem Werturteil abhängig (BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1972 II R 87-89/70 unter Abschn. B III 3 c, BFHE 108, 393, 408, BStBl II 1973, 329 ).
2. Zinsen i. S. des bürgerlichen Rechts sind nach der Laufzeit bemessene gewinn- und umsatzunabhängige Vergütungen für die Überlassung von Kapital (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 16. November 1978 III ZR 47/77, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 540; Canaris, Der Zinsbegriff und seine rechtliche Bedeutung, NJW 1978, 1891). Hierunter sind auch die bei sogenannten festverzinslichen Wertpapieren (mittel- oder langfristige Schuldverschreibungen, § 793 BGB, s. Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 11. Aufl., § 27) anfallenden Zinsen zu verstehen, denn diese sind auf die Laufzeit der Wertpapiere vereinbart. Sie entstehen laufend für die Zeit der Nutzung des überlassenen Kapitals, unabhängig von ihrer Fälligkeit (vgl. § 271, § 608 BGB).
Die Zinsschuld, d. h. die auf Zinsleistung zielende Verbindlichkeit ist zwar insoweit von der Hauptverbindlichkeit abhängig (akzessorisch), als sie den Bestand der verzinslichen Kapitalschuld voraussetzt, sie stellt aber im übrigen eine selbständige Verbindlichkeit neben der Hauptverbindlichkeit dar (Nebenschuld); dementsprechend ist die Zinsforderung selbständig einklagbar, abtretbar sowie pfänd- und verpfändbar (hierzu ausführlich Karsten Schmidt in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 246 Rz. 11, 33 ff.). Nur im Sinn der oben bezeichneten Akzessorietät ist demnach den Ausführungen der Vorinstanz zu folgen, daß das Wertpapier den Anspruch auf Zahlung eines bestimmten Betrages und den Anspruch auf wiederkehrende Zinszahlungen zusammenfasse. Aus dem Charakter der Zinsschuld als Nebenschuld kann indes nicht gefolgert werden, daß Haupt- und Nebenschuld bzw. Kapital- und Zinsforderung nur einheitlich, zusammengefaßt zu bewerten seien. Vielmehr stellt der in der Person des Erblassers laufend entstandene, wenn auch im Zeitpunkt seines Todes noch nicht fällige Anspruch auf die Zinsen einen selbständig zu bewertenden Vermögensgegenstand dar.
3. Demzufolge ist der Auffassung des FG, eine getrennte und gesonderte Bewertung sei durch § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) ausgeschlossen, nicht zu folgen, denn es handelt sich um selbständig zu bewertende Ansprüche. Vielmehr sind die Wertpapiere, d. h. die Hauptforderung, gemäß § 11 Abs. 1 BewG mit dem niedrigsten Kurswert, der nach § 24 ErbStG als Vermögensgegenstand anzusetzende (selbständige) Zinsanspruch gemäß § 12 Abs. 1 BewG mit dem Nennwert zu bewerten. Dieser gleicht nach dem Rechtsgedanken des § 101 Nr. 22. Halbsatz BGB dem Betrag des Zinsanspruches, der auf die Zeit fällt, während der der Schenker als Inhaber der Wertpapiere berechtigt war, die Zinsen zu beziehen (so bereits Kipp, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, Berlin 1927, § 23 Anm. 14 zum Ansatz des Zinsanspruchs im Erbfall; siehe auch BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 II R 118/69, BFHE 122, 540, BStBl II 1977, 732 ). Dies entspricht auch der banküblichen Handhabung bei Verkäufen, nach der Zinserträge aus festverzinslichen Wertpapieren, die während des Zinszahlungszeitraums veräußert werden, dem Veräußerer für den Zeitraum vom letzten Zinszahlungstermin bis zum Veräußerungstag vergütet werden (Seidenzahl/Weissenfeld, Bank- und Börsenlexikon, 4. Aufl., S. 395; BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184 ). Dieses Verhalten im Geschäftsverkehr widerlegt überdies die Auffassung des FG, daß eine einheitliche Bewertung von Wertpapierund Zinsforderung nach § 11 Abs. 1 BewG vorzunehmen sei, denn einerseits wird der Kurswert der festverzinslichen Wertpapiere durch den Anfall der sogenannten Stückzinsen nicht beeinflußt (Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 11 BewG Rdnr. 230), andererseits zeigt die Abrechnung der sogenannten Stückzinsen, daß insoweit ein im Verkehr anerkannter Vermögensgegenstand vorliegt. Unberücksichtigt bleiben muß, ob der Kurswert der Wertpapiere durch die Höhe des Nominalzinssatzes beeinflußt wird (vgl. Seidenzahl/Weissenfeld, a. a. O., S. 374), denn insoweit drückt sich im Kurswert der Wertpapiere nicht die Forderung auf Zinsen aus, sondern nur die Tatsache der Verzinsung.
4. Die Klägerin hat im finanzgerichtlichen Verfahren bestritten, daß sie Stückzinsen in der vom FA angesetzten Höhe erhalten habe. Das FG brauchte, von seiner Rechtsauffassung ausgehend, darüber keine Feststellungen zu treffen. Diese Feststellungen müssen aufgrund der vom erkennenden Senat vertretenen Rechtsauffassung im zweiten Rechtsgang nachgeholt werden.
Wegen der Belastung der Stückzinsen mit Einkommensteuer verweist der Senat auf die BFH-Urteile vom 22. Dezember 1976 II R 58/67 (BFHE 121, 487, 493, BStBl II 1977, 420 , 423) und vom 16. März 1984 III R 140/83 (BFHE 140, 500, BStBl II 1984, 539 ).
Fundstellen
Haufe-Index 426051 |
BStBl II 1985, 73 |
BFHE 1985, 166 |