Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Neben dem Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 Ziff. 1 EStG kann eine Steuerermäßigung nach §§ 33 und 33 a EStG nur gewährt werden, soweit die Eltern für das Kind außergewöhnliche, über die normalen Kosten des Unterhalts und der Erziehung hinausgehende Aufwendungen machen müssen.
Nachdem § 27 EStG betreffend die Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist, ist ein dem Kind nach § 65 EStDV in Verbindung mit Abschn. 194 EStR 1958 zustehender Pauschbetrag wegen Körperschadens bei der Veranlagung der Eltern nicht mehr zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 2 Ziff. 1, §§ 33, 33a; EStDV § 65; EStR Abschn. 194
Tatbestand
Die im Jahre 1949 geborene Tochter der Bf. befindet sich seit 1953 wegen Geisteskrankheit in einer Anstalt; sie ist zu 100 v. H. erwerbsunfähig und für dauernd pflegebedürftig. An Anstaltskosten zahlten die Bf. im Streitjahr 19.520 DM, ferner für orthopädisches Schuhwerk 180 DM und für monatliche Besuche bei dem Kind 120 DM. Sie beantragten, diese Beträge nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Das Finanzamt lehnte eine Ermäßigung ab, weil die zumutbare Eigenbelastung nicht überschritten sei.
Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht führte aus: In den 2020 DM seien neben den eigentlichen Arzt- und Pflegekosten auch solche Kosten enthalten, die für jedes Kind entstünden. Neben dem für das Kind gewährten Kinderfreibetrag kämen deshalb für eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG nur die "außergewöhnlichen" Aufwendungen in Frage. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Bf. schätzte das Finanzgericht die durch den gewährten Kinderfreibetrag abgegoltenen normalen Unterhaltskosten für das Kind auf monatlich 100 DM, so daß als außergewöhnliche Belastung nur noch (2020 ./. 1200 =) 820 DM verblieben. Diesen Betrag nebst den weiter beantragten (180 + 120 DM =) 300 DM, insgesamt also (820 + 300 =) 1120 DM ließ das Finanzgericht nach § 33 EStG unter Beachtung der zumutbaren Eigenbelastung zum Abzug zu.
Die Bf. rügen mit der Rb. unrichtige Rechtsanwendung und machen vor allem geltend: In den Vorjahren habe das Finanzamt die vollen Anstaltskosten abgezogen, wie das auch der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 175/56 U vom 25. Oktober 1957 (BStBl 1957 III S. 444, Slg. Bd. 65 S. 546) entspreche. Zudem hätten sie - die Bf. - auch für die Zukunftssicherung der Tochter Ausgaben gehabt; diese bestünden in den Bauaufwendungen, Zinsen und Tilgungen für ein im Jahre 1954 errichtetes Wohnhaus, dessen Ertrag später dem Unterhalt des Kindes dienen solle. Es sei auch zu beachten, daß meist der Staat die Kosten der Unterbringung von geisteskranken Kindern ganz oder zum Teil tragen müsse, während ihr eigener Aufwand nicht einmal voll nach § 33 EStG berücksichtigt werde. Schließlich rügen sie noch, daß das Finanzgericht ihnen nicht für die Tochter den Freibetrag des § 65 EStDV für Körperbehinderte zugebilligt habe, obwohl die Tochter dauernd erwerbsunfähig sowie hilfs- und wartungsbedürftig sei.
Der Senat hat den Bundesminister der Finanzen gebeten, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache gemäß § 287 Ziff. 2 AO dem Rechtsbeschwerdeverfahren beizutreten und besonders dazu Stellung zu nehmen, ob neben dem Kinderfreibetrag des § 32 Abs. 2 Ziff. 1 EStG und einer Steuerermäßigung wegen der Ausgaben für das Kind nach § 33 EStG den Bf. auch noch der Pauschbetrag von 2.880 DM nach Abschn. 194 Abs. 1 und 2 EStR 1958 in Verbindung mit § 65 Gruppe 9 EStDV 1958 zustehe. Der Bundesminister der Finanzen erklärte, daß nach seiner Auffassung die übernahme der 2.880 DM in die Veranlagung der Bf. die Zusammenveranlagung mit der Tochter voraussetze; nachdem aber das Bundesverfassungsgericht den § 27 EStG für nichtig erklärt habe, sei die übernahme des Betrags in die Veranlagung der Eltern nicht mehr möglich.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Außergewöhnliche Belastungen sind nach § 33 Abs. 1 EStG Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen zwangsläufig in größerer Höhe entstehen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher wirtschaftlicher und familiärer Verhältnisse. Ausgaben, die normalerweise jedem Steuerpflichtigen erwachsen, z. B. für den Unterhalt seiner Kinder, sind keine außergewöhnlichen Belastungen. Die normalen Kosten für ein Kind werden durch den Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 Ziff. 1 EStG abgegolten. Aus der Entscheidung des Senats VI 175/56 U (a. a. O.), auf die sich die Bf. berufen, ergibt sich nichts anderes. Im zweitletzten Absatz wird vielmehr gesagt: "Grundsätzlich sind ...., wenn ein Steuerpflichtiger Kinderermäßigung für ein Kind erhält, damit alle normalen Aufwendungen für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes abgegolten." Im gleichen Sinne hat sich der Senat im Urteil VI 144/55 U vom 9. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 407, Slg. Bd. 67 S. 346) ausgesprochen. § 33 EStG kann also nur eingreifen, soweit einem Steuerpflichtigen durch das Kind außergewöhnliche Kosten entstehen.
Das Finanzgericht hat, weil den Bf. ein Kinderfreibetrag gewährt wurde, zu Recht die aufgewandten Anstaltskosten von 2020 DM unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Bf. um 100 DM je Monat gekürzt. Diese Schätzung war nach dem Akteninhalt rechtlich möglich und ist deshalb für den Bundesfinanzhof verbindlich (§§ 288, 296 Abs. 1 AO). Daß das Finanzamt bei früheren Veranlagungen zu Unrecht die vollen Anstaltskosten nach § 33 EStG berücksichtigt hat, gibt den Bf. keinen Anspruch auf Wiederholung des Irrtums in späteren Jahren. Daß die Bf. zur Zukunftssicherung der Tochter Vermögensdispositionen getroffen haben, ist für die Anwendung des § 33 EStG unerheblich; denn hier geht es nur um Vorgänge innerhalb des Vermögens der Bf., die das Einkommen nicht belasten.
Nach §§ 1601, 1602 BGB sind die Bf. rechtlich verpflichtet, ihrem kranken Kind den notwendigen Unterhalt zu gewähren, d. h. hier die Unterbringung in einer Anstalt. Wenn der Staat bei Vermögenslosigkeit der Eltern seinerseits die Kosten trägt, so können die Bf. daraus kein Recht herleiten, daß ihnen ohne weiteres und in vollem Umfang über die gesetzlichen Grenzen des § 33 EStG eine Steuerermäßigung bei der Einkommensteuer gewährt wird, weil sie in Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht die Anstaltskosten für das Kind selbst tragen.
Der beantragte Pauschbetrag wegen Körperbeschädigung der Tochter steht den Bf. nicht zu. Im § 65 EStDV 1958 waren auf Grund der Ermächtigung des § 33 a Abs. 6 EStG 1958 für Personen, denen gesetzlich Beschädigtenversorgung zusteht, wegen außergewöhnlicher Belastung Pauschbeträge vorgesehen; darüber hinaus sollten nach Abschn. 194 Abs. 1 und 2 EStR 1958 auch andere körperbeschädigte Personen die Pauschbeträge des § 65 EStDV 1958 beanspruchen können. War die körperbeschädigte Person ein Kind unter 18 Jahren, kam der Pauschbetrag als Folge der Zusammenveranlagung nach § 27 EStG 1958 allen zusammenveranlagten Personen, insbesondere also den Eltern, steuermindernd zugute. Nach der Entscheidung des Senats VI 72/56 U vom 22. November 1967 (BStBl 1958 III S. 44, Slg. Bd. 66 S. 111) konnte die Bundesregierung die ihr in § 33 a Abs. 6 in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Ziff. 3 EStG (Fassung ab 1955) erteilte Ermächtigung nicht in einer Verwaltungsanweisung ausüben. Dieser Mangel wurde durch § 65 EStDV 1960 behoben. Für die Jahre vor 1960 kann man aber, wie es das Finanzgericht auch getan hat, in Abschn. 194 EStR 1958 eine auch die Steuergerichte bindende übergangs- und Anpassungsregelung der obersten Finanzverwaltungsbehörden sehen (vgl. z. B. die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 39/57 U vom 14. August 1958, BStBl 1958 III S. 409, Slg. Bd. 67 S. 354; VI 134/58 U vom 1. April 1960, BStBl 1960 III S. 231, Slg. Bd. 70 S. 621; VI 50/60 U vom 2. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 73, Slg. Bd. 72 S. 197).
Die Rechtslage hat sich hinsichtlich der Auswirkung von Pauschbeträgen, die einem Kind zustehen, jedoch dadurch grundlegend geändert, daß das Bundesverfassungsgericht inzwischen durch den Beschluß 1 BvL 16 - 25/62 vom 30. Juni 1964 (BStBl 1964 I S. 488) den § 27 EStG 1958 für nichtig erklärt hat. Damit ist der Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern die gesetzliche Grundlage entzogen; die Einkünfte der Kinder und Eltern sind nunmehr getrennt zu erfassen. Bei dieser Rechtslage ist es auch nach dem Steueränderungsgesetz 1964 vom 16. November 1964 (BGBl. 1964 I S. 885, BStBl 1964 I S. 553) geblieben. Das Gesetz berührt die Zusammenveranlagung nur in seinem Art. 1 Ziff. 20, durch den ein mit "Schlußvorschriften für die bisherige Zusammenveranlagung mit Kindern" überschriebener § 52 a in das EStG eingefügt worden ist. Für Erstveranlagungen, wie hier, hat die Vorschrift keine Bedeutung; insbesondere gibt es auch keine Zusammenveranlagung mit Kindern auf Antrag. Unter diesen Umständen kann auch ein in der Person des Kindes bestehender Anspruch auf einen Pauschbetrag nicht mehr auf die Eltern übertragen werden.
Ob die obersten Finanzverwaltungsbehörden, weil inzwischen viele andere Steuerpflichtige für die vergangenen Jahre noch in den Genuß des Pauschbetrags für ihre körperbeschädigten Kinder gekommen sind, zur Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen im Billigkeitswege gemäß § 131 AO eine übergangsregelung treffen will, müssen sie nach ihrem pflichtmäßigen Ermessen entscheiden. Die Steuergerichte sind zu einer solchen Maßnahme nicht berufen.
Fundstellen
Haufe-Index 424139 |
BStBl III 1965, 169 |
BFHE 1965, 467 |
BFHE 81, 467 |