Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis von Beweisantrag und Fristsetzung für die Vorlage einer Urkunde
Leitsatz (NV)
1. Hat der BFH in dem die Revision zulassenden Beschluß das Vorliegen eines Verfahrensmangels bejaht, kann die Bezugnahme auf die NZB den Anforderungen an eine Revisionsbegründung genügen.
2. Die Zurückweisungsmöglichkeit nach Art. 3 §3 Abs. 2 VGFGEntlG erfaßt nur die von dem Beteiligten nach Abs. 1 angeforderten Tatsachenerklärungen und Beweismittel, die dieser nach Fristablauf bei Gericht einreicht, nicht auch dessen übriges Ver halten.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 120 Abs. 2 S. 2; VGFGEntlG Art. 3 § 3 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind. Da die Kläger zunächst keine Steuererklärung für das Streitjahr abgegeben hatten, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Einkommensteuer nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch, den die Kläger nicht begründeten, blieb ohne Erfolg.
In ihrer im Klageverfahren eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger u. a. Zuwendungen an den behinderten, in einem Heim untergebrachten Bruder der Klägerin, A, als außergewöhnliche Belastung geltend. Das FA bat um den Nachweis der Unterstützungsleistungen und um die Angabe, von wem A sonst noch finanziell unterstützt wurde, wie stark er behindert ist und ob er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Die Kläger sagten anläßlich eines Erörterungstermins vor dem Finanzgericht (FG) am 14. Oktober 1991 zu, eine Bescheinigung des Vormunds des A, des Vaters der Klägerin, B, darüber einzureichen, daß außer der Klägerin niemand ihren Bruder unterstützt habe. B sei hierzu aus eigenen Mitteln nicht in der Lage.
Nach einer vergeblichen Erinnerung hieran forderte die Berichterstatterin des zuständigen Senats des FG mit Verfügung vom ... , zugestellt am ... , die Kläger nach Art. 1 §3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) mit entsprechender Belehrung dazu auf, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Verfügung die "Bestätigung des B, daß außer der Klägerin sonst niemand A unterstützt hat", vorzulegen. Mit dem am ... eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage teilten die Kläger mit, eine Bestätigung des B sei angefordert worden, aber noch nicht eingegangen. Es müsse berücksichtigt werden, daß B nicht bei bester Gesundheit sei. Sollte die Bescheinigung zum Termin nicht vorliegen, müsse dazu, daß sonst niemand zum Unterhalt beigetragen habe, Beweis angetreten werden durch Vernehmung des anderen Bruders der Klägerin, C. Dieser könne als Zeuge bestätigen, daß niemand außer ihr zum Unterhalt beigetragen habe. C selbst seien Unterstützungsleistungen nicht möglich gewesen. Ihm sei bekannt, daß die Klägerin zur Unterstützung beigetragen habe.
Nach Schluß der mündlichen Verhandlung, in der für die Kläger niemand erschien, und Verkündung des Urteils ging ein Schreiben der Kläger mit Bescheinigungen des B u. a. dazu ein, daß außer der Klägerin niemand zum Unterhalt des A beigetragen hat.
Das FG erkannte die geltend gemachten Unterstützungsleistungen mit der Begründung nicht an, sie seien bis zum Schluß der münd lichen Verhandlung und Verkündung des Urteils nicht nachgewiesen worden. Die nachgereichten Bestätigungen könnten nicht berücksichtigt werden. Das hilfsweise Beweisanerbieten werde als verspätet zurückgewiesen, da die Zeugenvernehmung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Der Senat habe keine Veranlassung gesehen, den Zeugen C zur mündlichen Verhandlung zu laden, da in erster Linie die noch mit Schreiben vom 9. November 1992 in Aussicht gestellten Urkunden (Bestätigungen des Vormunds) als Beweismittel hätten dienen sollen.
Mit der vom Senat auf die Beschwerde der Kläger zugelassenen Revision rügen die Kläger Verfahrensmängel. Sie beziehen sich im wesentlichen auf ihre Nichtzulassungsbeschwerde und tragen weiter vor: A sei schwerstbehindert und stehe unter der Vormundschaft des B. Außer der Klägerin sei niemand in der Lage, zum Unterhalt beizutragen. Dies sei im Verfahren unbestritten. Die Nachfrage des FA im Klageverfahren, von wem A noch unterstützt werde, wie stark er behindert sei, ob er außerstande sei, sich selbst zu unterhalten und wie sich die Unterstützungsleistungen zusammensetzten, zeuge von einer zu sorglosen Bearbeitung der Sache durch die Rechtsbehelfsstelle. Der Sachbearbeiter des FA habe sich offenbar nicht sachkundig gemacht.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer unter Anerkennung von Unterhaltsleistungen in Höhe von ... DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Es kann dahinstehen, ob die Darlegungen der Kläger in ihrer Revisionsbegründung für sich allein den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung entsprechend §120 Abs. 2 Satz 2 FGO genügen. Insoweit bestehen Zweifel, da die Kläger keine Ausführungen zu dem voraussichtlichen Ergebnis der beantragten Beweisaufnahme und auch nicht dazu gemacht haben, inwieweit das Urteil des FG auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann (s. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §120 Anm. 40).
Die Kläger haben sich indes auf ihre -- erfolgreiche -- Nichtzulassungsbeschwerde bezogen. Eine solche Bezugnahme reicht bei der Geltendmachung formeller Mängel der Vorentscheidung aus, sofern die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision genügt und der Bundesfinanzhof (BFH) aufgrund der Beschwerdebegründung in seinem die Revision zulassenden Beschluß das Vorliegen des Verfahrensmangels bejaht hat (BFH-Urteil vom 18. März 1981 I R 102/77, BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578; Gräber/Ruban, a. a. O., §120 Anm. 35). In der in bezug genommenen Beschwerdeschrift haben die Kläger die Tatsachen bezeichnet, die den Mangel des finanzgerichtlichen Urteils ergeben. Sie haben geltend gemacht, das FG hätte den von ihnen benannten Zeugen C zu der vom FG als entscheidungserheblich angesehenen Frage vernehmen müssen, ob neben der Klägerin noch andere Personen zum Unterhalt des A beigetragen haben. Der Zulassungsbeschluß des Senats ist zwar gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) ohne Begründung ergangen. Der von den Klägern in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Verfahrensmangel war jedoch einer der Gründe, aus denen die Revision zugelassen werden mußte. Damit reicht die Bezugnahme für eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung aus (BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §120 FGO Tz. 55 e).
2. Die Revision ist auch begründet. Das FG hat zu Unrecht das Beweisanerbieten der Kläger zurückgewiesen, C als Zeugen dazu zu vernehmen, daß niemand außer der Klägerin A im Streitjahr finanziell unterstützt hat.
a) Nach Art. 3 §3 Abs. 1 Nr. 3 VGFGEntlG -- die Vorschrift ist, da das FG-Urteil 1992 ergangen ist, im Streitfall anwendbar (Gräber/von Groll, a. a. O., §79 b Anm. 7, Vor §1 Anm. 8 ff.) -- kann u. a. eine Frist zur Vorlage von Urkunden oder anderen zur Niederlegung bei Gericht geeigneten Gegenständen, zu deren Vorlage der Beteiligte verpflichtet ist, gesetzt werden; erst nach Fristablauf vorgebrachte Beweismittel können nach Art. 3 §3 Abs. 2 VGFGEntlG unter den dort angegebenen näheren Voraussetzungen vom FG zurückgewiesen werden.
Im Streitfall ist bereits zweifelhaft, ob hinsichtlich der vom FG bei den Klägern angeforderten Bestätigung des B die Voraussetzungen für eine Fristsetzung nach Art. 3 §3 VGFGEntlG gegeben sind. Denn eine Vorlage nach Abs. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift kann sich nur auf solche Gegenstände beziehen, die sich im Herrschaftsbereich des aufgeforderten Beteiligten befinden oder für die er eine Beschaffungspflicht hat (Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 12323/8; s. auch Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §79 b FGO Rz. 43, zu §79 b Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die angeforderte Bestätigung eines Dritten ist aber keine Urkunde, zu deren Vorlage der Beteiligte verpflichtet ist (Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a. a. O., Rdnr. 12323/6; Stöcker, a. a. O.). Bedenken bestehen ferner gegen die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung und damit gegen die Wirksamkeit der richterlichen Verfügung. Die den Klägern mit Postzustellungsurkunde zugestellte beglaubigte Abschrift der Verfügung weist kein Datum aus, während auf der dazugehörenden Postzustellungsurkunde neben der zutreffenden Geschäftsnummer als Datum der Verfügung der ... angegeben ist (vgl. auch Tipke/Kruse, a. a. O., §3 VwZG Tz. 1).
b) Die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Fristsetzung kann indes offenbleiben. Auch bei einer rechtmäßig gesetzten Vorlagefrist war das FG nicht befugt, die beantragte Zeugeneinvernahme zurückzuweisen.
Die Zurückweisungsmöglichkeit nach Art. 3 §3 Abs. 2 VGFGEntlG erfaßt nur die nach Abs. 1 von dem Beteiligten angeforderten Tatsachenerklärungen und Beweismittel, die dieser nach Fristablauf bei Gericht einreicht (Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a. a. O., Rdnr. 12331). Nicht davon betroffen ist das übrige Vorbringen eines Beteiligten, und zwar unabhängig davon, ob es dem FG vor oder nach Ablauf der -- für andere Tatsachenerklärungen oder Beweismittel gesetzten -- richterlichen Vorlagefrist vorgetragen wird. Wird in einem Fall der hier vorliegenden Art dem Beteiligten zum Beweis eines bestimmten Vorgangs eine Frist zur Vorlage einer Urkunde gesetzt, ist deshalb dem FG die Zurückweisung eines Beweisantrags zur Vernehmung eines Zeugen für dieselbe Tatsache mit der Begründung der Präklusion nach Art. 3 §3 Abs. 2 VGFGEntlG verwehrt. Eine Fristsetzung zur Angabe bestimmter Tatsachen oder Beweismittel bzw. zur Vorlage von Urkunden oder anderen Gegenständen hat nicht zur Folge, daß sich die Sachaufklärungspflicht des FG (§76 Abs. 1 FGO) auf die fristgerecht benannten Umstände reduziert. Das erfolglose Setzen einer Präklusionsfrist wegen eines bestimmten Beweismittels ändert an dem übrigen Prozeßstoff nichts (vgl. auch Stöcker, a. a. O., §79 b FGO Rz. 173, zu §79 b Abs. 3 FGO).
Das FG hat dadurch, daß es den Antrag der Kläger auf Vernehmung des B nicht berücksichtigt hat, die ihm gemäß §76 Abs. 1 FGO obliegende Ermittlungspflicht verletzt. Beweisanträge dürfen nach den auch im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwendenden allgemeinen prozeßrechtlichen Regeln grundsätzlich nur abgelehnt werden, wenn das angebotene Beweismittel schlechthin untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache -- nach Auffassung des FG -- nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt werden kann (BFH- Urteil vom 19. Juli 1994 VIII R 60/93, BFH/NV 1995, 717, m. w. N.).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Im finanzgerichtlichen Verfahren war hinsichtlich der von den Klägern geltend gemachten Unterstützungsleistungen lediglich noch strittig, ob außer der Klägerin noch andere Personen entsprechende Leistungen erbracht haben. Diesen Umstand sah das FG im Hinblick auf §33 a Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes zu Recht als entscheidungserheblich an. Mit dem Hinweis, daß eine Zeugenvernehmung nur dann erforderlich werden würde, wenn die angeforderte Bescheinigung des B nicht in der mündlichen Verhandlung vorgelegt werden könne, stellten die Kläger ihren Beweisantrag auch nicht unter eine unzulässige Bedingung. Damit machten sie lediglich darauf aufmerksam, daß der von ihnen in der damaligen Prozeßsituation für erforderlich gehaltene Zeugenbeweis möglicherweise später wegen Verfügbarkeit anderer Beweismittel nicht mehr notwendig sein würde.
Das FG hat die entsprechenden Feststellungen, die sich möglicherweise schon aufgrund der von den Klägern -- nach Fristablauf -- eingereichten Bescheinigungen des B treffen lassen, nachzuholen. Im übrigen verweist der Senat zu der Frage, ob A im Streitjahr weitere anrechenbare Bezüge hatte, auf die Urteile des BFH vom 2. August 1974 VI R 148/71 (BFHE 114, 37, BStBl II 1975, 139) und vom 22. Juli 1988 III R 175/86 (BFHE 154, 115, BStBl II 1988, 939).
Fundstellen
Haufe-Index 66477 |
BFH/NV 1998, 203 |
HFR 1998, 114 |