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BFH Urteil vom 06.03.1974 - I R 203/72

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Leitsatz (amtlich)

Betriebseinnahmen im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG sind sowohl nach der einkommensteuerrechtlichen Definition dieses Begriffs als auch nach dem Zweck dieser Vorschrift die Roh- oder Bruttoeinnahmen. Zu ihnen zählen indes nicht auch Darlehnstilgungsbeträge (teilweise Aufgabe der Rechtsprechung).

 

Normenkette

GewStG § 29 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob zu den "in den Betriebstätten der einzelnen Gemeinden erzielten Betriebseinnahmen" nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG auch Darlehenstilgungsbeträge gehören.

Die Steuerpflichtige, die das Lebensversicherungsgeschäft betreibt, hat im streitigen Erhebungszeitraum 1969 unter anderen Betriebseinnahmen auch Tilgungszahlungen auf Hypotheken-, Schuldschein-, Versicherungsschein- und Mitarbeiterdarlehen zu verzeichnen gehabt. Da diese Darlehen sämtlich von M aus vergeben und alle mit ihrer Verwaltung zusammenhängenden Arbeiten von M aus wahrgenommen worden waren, hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Zerlegungsanteil der (beigeladenen) Stadt M unter entsprechender Veränderung der Anteile der anderen (beigeladenen) Betriebstättengemeinden erhöht.

Mit ihrer gemäß § 45 FGO unmittelbar zum FG erhobenen Klage begehrte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Aufhebung des Zerlegungsbescheides 1969 vom 30. April 1971. Sie ist der Meinung, daß die Darlehnstilgungsbeträge nicht Betriebseinnahmen im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG seien.

Das FG, dessen Entscheidung in den EFG 1972, 555, veröffentlicht ist, wies die Klage ab. Gegen diese seine Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung und des Zerlegungsbescheides vom 30. April 1971 die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbeterags 1969 neu vorzunehmen "und dabei die den Gesamtbetriebseinnahmen und den Betriebseinnahmen der Stadt M zugerechneten Darlehnstilgungsbeträge außer Ansatz zu lassen". Zur Begründung läßt die Klägerin vortragen:

Das FG habe den Begriff der Betriebseinnahmen in § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG unrichtig ausgelegt. Es stütze sich zwar für seine Auffassung auf das Urteil des BFH vom 24. Januar 1968 I B 125/64 (BFHE 91, 310, BStBl II 1968, 313); dieses Urteil begegne indes insoweit erheblichen Bedenken. Betriebseinnahmen im Sinne der hier anzuwendenden Vorschrift seien seit je die Roheinnahmen (Bruttoeinnahmen); die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags (früher: Steuergrundbetrags) sei seit je nach dem Verhältnis der in den einzelnen Gemeinden erzielten Roheinnahmen erfolgt. Roheinnahmen seien aber nur "wirkliche Einnahmen", wirtschaftlich als Vermögensmehrung verstanden, nicht aber z. B. Sparund Depositeneinlagen, die zwar in Ausübung des Gewerbebetriebs vereinnahmt würden, gleichwohl aber nicht aus dem Gewerbebetrieb erzielte Einnahmen seien. Folge man dem BFH im Urteil I B 125/64 darin, daß der Begriff der Betriebseinnahmen im Gewerbesteuerrecht nicht anders als bei der Einkommensteuer verstanden werden könne, so könnten bei folgerichtiger Anwendung dieses Grundsatzes weder die Sparbeiträge noch die Darlehnstilgungsbeträge unter die Betriebseinnahmen fallen.

Der Beklagte, der zunächst beantragt hatte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hat seinen Antrag fallen gelassen und keine Anträge zur Sachentscheidung gestellt.

Von den übrigen Verfahrensbeteiligten sind die Stadt M und die Stadt P der Auffassung der Klägerin beigetreten; die Stadt F teilt die Auffassung des FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Zerlegungsbescheids.

1. Wie das FG zutreffend dargelegt hat und auch bereits im BFH-Urteil I B 125/64 ausgeführt worden ist, baut das Gewerbesteuergesetz für die Ermittlung des Gewerbeertrags auf den Vorschriften über die Gewinnermittlung für die Einkommensteuer auf (§ 7 GewStG). Es liegt deshalb nahe, diese Vorschriften zur Auslegung auch der Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG heranzuziehen und von ihnen nur insoweit abzuweichen, als sich dies unmittelbar aus dem Gewerbesteuergesetz oder aus dem besonderen Charakter des Gewerbesteuergesetzes ergibt (BFH-Urteil vom 29. November 1960 I 73/59 U, BFHE 72, 135, BStBl III 1961, 51). Soweit im Urteil I B 125/64 Darlehnstilgungsbeträge als Betriebseinnahmen im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG angesehen wurden, hält der Senat an dieser seiner Rechtsauffassung nicht mehr fest.

2. a) Der Begriff der Betriebseinnahme wird im EStG nicht definiert. Der Senat läßt dahinstehen, ob er aus § 8 Abs. 1 EStG erklärt werden kann, demzufolge "Einnahmen" alle Güter sind, die in Geld oder Geldeswert bestehen "und dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 Ziff. 4 bis 7 zufließen". "Betriebseinnahmen" setzen jedenfalls einen ursächlichen Zusammenhang der Einnahmen mit der Unterhaltung eines Betriebes voraus, mit dem Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus gewerblicher Tätigkeit oder selbständiger Arbeit erzielt werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 21. November 1963 IV 345/61 S, BFHE 78, 475, BStBl III 1964, 183).

b) Dem Begriff der Betriebseinnahme ist eine durch den Vorgang der Vereinnahmung bewirkte Vermögensmehrung immanent. Obwohl durchlaufende Posten als in Einnahme und Ausgabe korrespondierende Vorgänge wirtschaftlich auf die Dauer gesehen keine Vermögensmehrung bewirken, sind sie doch nach § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG Betriebseinnahmen (und Betriebsausgaben) im hier verstandenen Sinne.

Die Behandlung von Darlehnsaufnahme und -tilgung in Fällen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zeigt hier Besonderheiten. Im Hinblick auf die Gewinnermittlung stellen weder der Zufluß der Darlehnsvaluta beim Darlehnsnehmer und der Rückfluß der Darlehnsvaluta beim Darlehnsgeber eine Betriebseinnahme noch die Hingabe der Darlehnsvaluta durch den Darlehnsgeber und die Rückzahlung des Darlehens durch den Darlehnsnehmer eine Betriebsausgabe dar; hier wird das Vermögen weder vermehrt noch vermindert (vgl. BFH-Urteile vom 8. Oktober 1969 I R 94/67, BFHE 97, 76, BStBl II 1970, 44, und vom 2. September 1971 IV 342/65, BFHE 104, 311, BStBl II 1972, 334).

Wertänderungen im Betriebsvermögen begründen trotz der durch sie bewirkten Vermögensmehrung oder -minderung weder eine Betriebseinnahme noch eine Betriebsausgabe, weil es an einer tatsächlichen Vereinnahmung oder Verausgabung fehlt (so für den Fall der Abschreibung eines Wirtschaftsgutes auf den niedrigeren Teilwert das BFH-Urteil vom 17. September 1969 I 189/65, BFHE 97, 251, BStBl II 1970, 107, 109). Es kann deshalb schon aus diesem Grunde mit Recht gesagt werden, das reine Vermögensumschichtungen, wie die Rückzahlung einer Darlehnsschuld, hinsichtlich der Gewinnermittlung beim Darlehnsnehmer keine Betriebsausgabe, beim Darlehnsgeber keine Betriebseinnahme darstellen (für viele: Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG, Anm. 46 c).

3. Für die Zerlegung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG kann insofern nichts anderes gelten. Darlehnsrückflüsse gehören nicht zu den Betriebseinnahmen im Sinne dieser Vorschrift. Wollte man auch Darlehnstilgungsbeträge als Betriebseinnahmen verstehen, so würde dies, wie die Klägerin an Hand von Beispielen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt hat, zu einem verzerrten Bild vom tatsächlichen Gewicht der Zentrale führen. Bei der Ermittlung des Schwerpunkts der von Zentrale und Außenstellen entfalteten Tätigkeiten ist aber dem Gesamtbild beachtliche Bedeutung beizumessen (vgl. BFH-Urteil I B 125/64). Daß dabei der zentralen Kontenführung (Computer) keine entscheidende Bedeutung zukommt, ist bereits - dem Grundsatz nach - im Urteil des Reichsfinanzhofs vom 11. Juli 1939 I 150/39 (RStBl 1940, 331) ausgeführt worden.

Diese Auslegung erscheint dem Senat schließlich auch deshalb geboten, weil es nicht der Sinn der Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 1 wie Nr. 3 GewStG sein kann, angesichts des bei anderer Auslegung eintretenden, offenbar unbilligen Ergebnisses für den Regelfall ein Ausweichen auf die Regelung der Vorschrift des § 33 GewStG herbeizuführen. Die zutreffende Auslegung der Vorschrift des § 29 GewStG war deshalb im Rahmen dieser Vorschrift selbst zu suchen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70839

BStBl II 1974, 341

BFHE 1974, 529

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