Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage des Rechtsmißbrauchs bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, wenn ein Unternehmer kurz vor dem Bewertungsstichtag Geld für die Zahlung privater Steuerschulden dem Betriebsvermögen entnimmt, diese Zahlungen dann aber aus dem Betriebsvermögen leistet und den entnommenen Betrag wieder einlegt.
2. Streitwert bei Anfechtung eines Einheitswerts des Betriebsvermögens mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheides (Anschluß an BFH-Beschluß vom 22.März 1982 III R 59/81, BFHE 135, 404, BStBl II 1982, 512).
Orientierungssatz
1. Wenn kein wirtschaftlich vernünftiger Grund dafür vorgetragen oder ersichtlich ist, warum Geld für die Steuerzahlung kurz vor dem Stichtag dem Betriebsvermögen entnommen, die Zahlung dann aber aus dem Betriebsvermögen geleistet wurde, erscheint die Gestaltung nicht angemessen. Vielmehr weist der objektive Sachverhalt auf die Mißbrauchsabsicht hin.
2. Mit der pauschalen Bemessung des Streitwerts (30 v.T. des streitigen Wertunterschieds bei dreijähriger Geltungsdauer des Feststellungsbescheids) ist der Geltungsbereich für die einzelnen Steuern abgegolten. Eine Einzelberechnung der steuerlichen Auswirkungen der Einheitswertfeststellung ist weder möglich noch zulässig (vgl. BFH-Beschluß vom 14.3.1975 III B 4/74).
3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt nicht, daß das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.1983 VIII R 184/83).
4. Die Rüge, die Entscheidung des FG sei nicht mit Gründen versehen, ist nicht schlüssig begründet, wenn sie nur ein einzelnes Tatbestandselement einer Rechtsnorm berührt, aber nicht erkennen läßt, weshalb die "Entscheidung" nicht begründet sein soll. Auch bei dem Vorbringen, das FG habe bei der rechtlichen Würdigung des den Gegenstand der Entscheidung bildenden Sachverhalts einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt übergangen, handelt es sich nicht um eine Verfahrensrüge, sondern um die Rüge unrichtiger Anwendung sachlichen Rechts (vgl. BFH-Beschluß vom 9.2.1977 I R 136/76).
Normenkette
BewG 1965 § 95; AO 1977 § 42; FGO § 155; ZPO §§ 3-9; FGO § 96 Abs. 2, § 119 Nrn. 3, 6
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleininhaber der Firma X. Er unterhält bei der Kreissparkasse ein betriebliches Girokonto. Am 27.Dezember 1977 hat er bei dem gleichen Geldinstitut ein privates Girokonto eröffnet und darauf am 28.Dezember 1977 100 000 DM vom betrieblichen Girokonto überwiesen. Den Vorgang hat er als Entnahme gebucht. Am 20.Februar 1978 ist Rückbuchung auf das betriebliche Girokonto in gleicher Höhe erfolgt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte nach einer Betriebsprüfung den Einheitswert des gewerblichen Betriebs durch Wertfortschreibung zum 1.Januar 1978 auf 869 000 DM fest. Er sah in der Umbuchung der 100 000 DM einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) und erkannte sie nicht als Entnahme an.
Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hielt die vom Kläger gewählte Gestaltung für unangemessen, weil für die kurzfristige Verlagerung der 100 000 DM von einem betrieblichen Konto auf ein privates Konto vier Tage vor dem für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens maßgeblichen Stichtag außer dem Zweck der Steuerersparnis kein einleuchtender Grund vorliege. Die Darstellung des Klägers, mit der Umbuchung hätte die Zahlung anfangs des Jahres 1978 zu erwartender und fällig werdender persönlicher Steuern vorbereitet werden sollen, sei durch den tatsächlichen Zahlungsablauf widerlegt. Der Kläger habe die fraglichen Steuern am 10.Februar und 10.März 1978 über ein betriebliches Konto beglichen, obwohl das private Konto zu diesem Zeitpunkt noch 100 000 DM aufwies. Dem behaupteten Zweck widerspreche auch der Umstand, daß das private Konto am 20.Februar 1978 --also vor der restlosen Zahlung der Steuern-- wieder auf null DM gestellt worden sei. Hinzu komme, daß auf das private Konto bis zum 27.Oktober 1980 keine weitere Buchung mehr erfolgt sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das FG habe seine Entscheidung nur mit fadenscheinigen Gründen versehen. Es sei auf durchschlagende Argumente des Klägers nicht eingegangen und habe dadurch das rechtliche Gehör verletzt. Die Auslegung des Mißbrauchstatbestands des § 42 AO 1977 mache einen Verstoß gegen die Denkgesetze und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung deutlich.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Einheitswertbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist entgegen der Ansicht des FA zulässig, da der Wert des Streitgegenstandes des Revisionsverfahrens 1 000 DM übersteigt (§ 115 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. Art.1 Nr.5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beträgt der Streitwert für die Anfechtung eines Einheitswerts des Betriebsvermögens ab dem 1.Januar 1974 pauschal 30 v.T. des streitigen Wertunterschieds. Im Streitfall hat der Feststellungsbescheid eine Geltungsdauer von einem Jahr. Der Streitwert ist daher entsprechend dem Antrag des Klägers mit 10 v.T. des streitigen Wertunterschieds zu berechnen (vgl. BFH-Beschluß vom 22.März 1982 III R 59/81, BFHE 135, 404, BStBl II 1982, 512). Der Antrag des Klägers zielt auf Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 5.Oktober 1981 und des Bescheids des FA vom 4.Juli 1980. Hätte er damit Erfolg, erlangte der Einheitswert vom Hauptfeststellungszeitpunkt 1.Januar 1977 wieder steuerliche Wirksamkeit, da dann die maßgebliche Wertfortschreibungsgrenze zum 1.Januar 1978 nicht überschritten wäre (§ 22 Abs.1 Nr.2 des Bewertungsgesetzes --BewG--). Danach errechnet sich folgender Streitwert:
Einheitswert 1. Januar 1978 bisher 869 000 DM
Einheitswert 1. Januar 1977 759 000 DM
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(angestrebtes Entscheidungsziel)
Differenz 110 000 DM
10 v.T. = 1 100 DM.
Mit der pauschalen Bemessung des Streitwerts ist entgegen der Auffassung des FA der Geltungsbereich für die einzelnen Steuern abgegolten. Eine Einzelberechnung der steuerlichen Auswirkung der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens des Klägers ist weder möglich noch zulässig (vgl. insoweit BFH-Beschluß vom 14.März 1975 III B 4/74, BFHE 115, 304, BStBl II 1975, 548).
Die Revision ist jedoch unbegründet.
Das FG hat dem Kläger in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt (§ 119 Nr.3 FGO, Art.103 Abs.1 des Grundgesetzes --GG--).
Nach § 96 Abs.2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den ein Beteiligter für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Diese Grundsätze sind im Streitfall nicht verletzt worden. Der Kläger hatte vor dem FG ausreichend Gelegenheit, seine Auffassung vorzubringen. Neue rechtliche Gesichtspunkte hat das FG bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des Klägers verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, daß das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert (vgl. BFH-Urteil vom 29.November 1983 VIII R 184/83, BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371 m.w.N.).
Der Kläger rügt zu Unrecht, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen, weil das FG seine Entscheidungsgründe hinsichtlich der Definition, was angemessen i.S. des § 42 AO 1977 sei, auf fadenscheinige, nicht einleuchtende Argumente stütze (§ 119 Nr.6 FGO). Damit ist jedoch diese Rüge nicht schlüssig begründet, da sie nur ein einzelnes Tatbestandselement einer Rechtsnorm berührt. Sie läßt nicht erkennen, weshalb die "Entscheidung" nicht begründet sein soll. Das gleiche gilt für das Vorbringen, die Vorinstanz habe bei der rechtlichen Würdigung des den Gegenstand der Entscheidung bildenden Sachverhalts einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt übergangen. In diesem Falle handelt es sich in Wahrheit nicht um eine Verfahrensrüge, sondern um die Rüge unrichtiger Anwendung sachlichen Rechts (vgl. BFH-Beschluß vom 9.Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351).
Das Urteil des FG verletzt auch nicht materielles Recht. Der Senat ist mit der Vorentscheidung der Rechtsauffassung, daß die vom Kläger vorgenommenen Buchungen als Rechtsmißbrauch (§ 42 AO 1977) zu werten sind.
Ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten liegt dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen, also ungewöhnlich, ist (BFH-Beschluß vom 29.November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272). Liegt ein Rechtsmißbrauch vor, sind die Steuern so zu erheben, wie sie bei angemessener Gestaltung zu erheben gewesen wären (§ 42 Satz 2 AO 1977).
Der im äußeren Geschehen eindeutige Sachverhalt stellt eine durch die Einheitsbewertung nicht anzuerkennende Umgehung des Bewertungsrechts mit dem ihm immanenten Stichtagsprinzip dar. Die fragliche Entnahme vom 28.Dezember 1977 und Wiedereinlage nach dem Bewertungsstichtag dienten allein dem Zweck, den Stand des Betriebsvermögens des Klägers auf den Stichtag zur Herabsetzung der Gewerbekapitalsteuer zu mindern.
Zwar steht es den Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, bei der Gestaltung ihrer geschäftlichen Verhältnisse Formen zu wählen, die ihnen die Zahlung von Steuern ersparen. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung eines solchen Vorganges ist indessen, daß für diesen Geschehensablauf wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe gegeben sind (vgl. BFH-Urteil vom 28.Januar 1972 VIII R 4/66, BFHE 104, 300, BStBl II 1972, 322).
Nicht zu beanstanden ist deshalb das vom FG unter Anwendung dieser Grundsätze gewonnene Ergebnis, daß im Streitfall in der buchungstechnischen Behandlung von Entnahme und Wiedereinlage der 100 000 DM eine den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen unangemessene Gestaltung zu erblicken ist.
Aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens konnte das FG zu dieser Überzeugung gelangen (§ 96 Abs.1 Satz 1 FGO). Seine Beurteilung läßt weder einen Verstoß gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Auslegungs- und Erfahrungssätze erkennen. Zu Recht legt das FG in diesem Zusammenhang den tatsächlichen unbestrittenen Zahlungsablauf seiner Entscheidung zugrunde. Wenn es daraus den Schluß zieht, dieser widerspreche dem vom Kläger behaupteten Zweck der ursprünglichen Umbuchung von betrieblichen Geldmitteln auf das private Konto --nämlich die Zahlung Anfang des Jahres 1978 zu erwartender und fällig werdender persönlicher Steuern vorzubereiten--, so ist dies aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Es ist kein wirtschaftlich vernünftiger Grund dafür vorgetragen oder ersichtlich, warum der Kläger kurz vor dem für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens maßgeblichen Stichtag Geld für die Zahlung privater Steuerschulden dem Betriebsvermögen entnimmt, diese Zahlungen dann aber aus dem Betriebsvermögen leistet. Das Vorbringen des Klägers, dies sollte die Erfassung in der Buchhaltung sicherstellen, ist nach Auffassung des Senats kein zu berücksichtigender wirtschaftlicher Grund, sondern eine organisatorische Maßnahme, die die vom Kläger gewählte Gestaltung nicht als angemessen erscheinen läßt. Vielmehr weist der objektive Sachverhalt auf die Mißbrauchsabsicht hin. Den Entscheidungen des BFH vom 18.Dezember 1968 III R 71/68 (BFHE 94, 546, BStBl II 1969, 232), vom 9.Mai 1974 VI R 161/72 (BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547), die andere Sachverhalte betrafen, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.
Das bedeutet im vorliegenden Fall die Erhöhung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1.Januar 1978 um die sog. Entnahme vom 28.Dezember 1977.
Fundstellen
Haufe-Index 60951 |
BStBl II 1985, 494 |
BFHE 143, 393 |
BFHE 1985, 393 |
BB 1985, 1320-1321 (ST) |
DB 1985, 2130-2130 (ST) |
DStR 1985, 546-546 (ST) |
HFR 1986, 558-559 (ST) |