Leitsatz (amtlich)
Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten von abnutzbaren Anlagegütern, die sich in den Vorjahren noch nicht als Betriebsausgaben ausgewirkt haben, bei der Veräußerung des Wirtschaftsgutes auch dann vom Veräußerungspreis als Betriebsausgabe abzuziehen, wenn die Absetzung für Abnutzung in den Vorjahren zu Unrecht unterlassen wurde, es sei denn, daß diese Unterlassung willkürlich war und gegen Treu und Glauben verstieß.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, 3, § 7
Tatbestand
Streitig war bei der Einkommensteuerveranlagung 1963, ob und wie die in den Vorjahren unterlassenen AfA die Höhe des Veräußerungsgewinns eines PKW-Verkaufs beeinflußten.
Der Steuerpflichtige war Rechtsanwalt. Er ermittelte seinen Gewinn durch Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG. Für seine Praxis kaufte er 1957 für 7 000 DM einen PKW, den er 1963 für 1 930 DM verkaufte. In den Jahren 1957 bis einschließlich 1960 machte er für den PKW jährlich 1 400 DM, insgesamt also 5 600 DM, AfA geltend; für die Jahre 1961 und 1962 nahm er keine AfA vor. Die Veranlagungen für diese Jahre sind rechtskräftig. Bei der Einkommensteuererklärung für 1963 ging der Steuerpflichtige davon aus, daß zum 1. Januar 1963 noch ein nicht abgesetzter Restwert des PKW von 1 400 DM vorhanden sei, der Veräußerungsgewinn deshalb 530 DM (1 930 DM ./. 1 400 DM) betrage.
Das FA hingegen vertrat die Auffassung, zum 1. Januar 1963 hätte der PKW voll abgeschrieben sein müssen, der Veräußerungsgewinn betrage deshalb 1 930 DM.
In der nach erfolglosem Einspruch eingelegten Berufung trug der Steuerpflichtige u. a. vor, er habe 1961 und 1962 deshalb keine AfA geltend gemacht, weil er erkannt habe, daß die auf fünf Jahre geschätzte Nutzungsdauer zu niedrig gewesen sei.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das FG sah in der Berücksichtigung eines Restbuchwertes von 1 400 DM eine unzulässige Nachholung der 1961 unterlassenen AfA und meinte, es bestehe zur Vornahme der AfA ein Zwang, und zwar auch, wenn die bisherigen AfA überhöht gewesen seien.
Das FG ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zu (§ 115 Abs. 2 Ziff. 1 FGO).
Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige die Verletzung materiellen Rechts. Er führt aus, es liege keine echte Nachholung unterlassener AfA vor, sondern eine nachträgliche Anpassung der Absetzungen an die tatsächlichen Verhältnisse. Es sei zwar richtig, daß sich die AfA grundsätzlich nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer bestimme. Stelle sich aber trotz ursprünglich richtiger Schätzung diese Schätzung nachträglich als unrichtig heraus, so sei eine nachträgliche Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse zulässig und gerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Die Vorinstanz ging mit dem FA in Anlehnung an das Urteil des BFH IV 171/58 U vom 13. Mai 1959 (BFH 69, 25, BStBl III 1959, 270) davon aus, daß der zum 1. Januar 1963 noch nicht abgesetzte Restwert des PKW von 1 400 DM bei der Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG nur dann zu einer entsprechenden Verminderung des durch den Veräußerungspreis von 1 930 DM erzielten Gewinns führe, wenn die 1961 unterlassene AfA als Betriebausgabe nachgeholt werden dürfe. Das ist aber nach den Grundsätzen der Gewinnermittlung nicht richtig. Denn um eine Nachholung unterlassener AfA handelt es sich bei der Veräußerung von abnutzbaren Anlagegütern, bei denen infolge unterlassener AfA in den Vorjahren ein nicht abgesetzter Restwert vorhanden ist, bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ebensowenig wie beim Vermögensvergleich.
Bei der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich fordert der sich aus § 4 Abs. 1 EStG ergebende Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs, daß der Restbuchwert des Wirtschaftsgutes, der infolge unterlassener AfA in einem vorausgegangenen Jahr noch vorhanden ist, aus der Schlußbilanz des Vorjahres übernommen wird. Durch ihn wird der Veräußerungsgewinn entsprechend gemindert und damit der Fehler eines Vorjahres ausgeglichen. Ob die AfA im vorausgegangenen Jahr unzulässigerweise, versehentlich oder absichtlich unterlassen wurde, ist dabei zunächst ohne Bedeutung. Der Ausgleich einer unterlassenen AfA im Jahr der Veräußerung, und zwar dadurch, daß der Veräußerungsgewinn durch den noch vorhandenen Buchwert gemindert wird, entspricht den Grundsätzen des Bilanzsteuerrechts (vgl. BFH-Urteil I 344/55 U vom 3. Juli 1956, BFH 63, 137, BStBl III 1956, 250).
Allerdings kann in der bewußten Unterlassung der gebotenen AfA in den Vorjahren und der dadurch erwirkten Minderung des Veräußerungsgewinns in einem späteren Jahr ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegen, der es rechtfertigt, den Bilanzenzusammenhang zu durchbrechen und den Steuerpflichtigen so zu behandeln, als habe er in der Vergangenheit das abnutzbare Anlagevermögen in voller Höhe richtig abgesetzt. Das gilt aber nur für die Fälle der willkürlichen Unterlassung. Willkür liegt vor, wenn der Steuerpflichtige eine zu niedrige AfA vorgenommen hat, um später in den Genuß steuerlicher Vorteile zu gelangen.
Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG mindert der Teil der Anschaffungskosten, der sich durch AfA noch nicht als Betriebsausgabe ausgewirkt hat, in voller Höhe als Betriebsausgabe den Veräußerungsgewinn (vgl. BFH-Urteile IV 460/56 U vom 4. April 1957, BFH 64, 521, BStBl III 1957, 195; IV 335/58 U vom 22. September 1960, BFH 73, 640, BStBl III 1961, 499). Dieser Grundsatz führt dazu, daß auch bei der Überschußrechnung der Veräußerungserlös mit den noch nicht abgesetzten Anschaffungskosten saldiert wird. Darin liegt die gebotene Angleichung an die Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich, die auch begründet ist, weil der Erlös aus der Veräußerung eines solchen Gegenstandes nur dann in voller Höhe als Betriebseinnahme angesetzt werden kann, wenn vorher die Kosten der Anschaffung des Gegenstandes in voller Höhe Betriebsausgaben waren; das eine bedingt das andere. Es kommt also grundsätzlich nicht darauf an, ob die Anschaffungskosten schon in den Jahren vor der Veräußerung durch AfA als Betriebsausgaben abgezogen wurden oder ob dies erst aufgrund der Veräußerung geschieht. Fehler in den AfA in den Vorjahren gleichen sich auch bei der Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG im Augenblick der Veräußerung aus. Auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ist eine Durchbrechung des dargelegten Grundsatzes der gegenseitigen Bedingtheit des Abzugs der Anschaffungskosten als Betriebsausgabe einerseits und der Behandlung des Veräußerungspreises als Betriebseinnahme andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn in den Vorjahren die gebotene AfA willkürlich unterlassen und damit gegen Treu und Glauben verstoßen wurde. Die im Urteil IV 171/58 U für einen ähnlich gelagerten Fall vertretene gegenteilige Auffassung, bei der allerdings die Streitfrage nur unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Nachholung von AfA bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gesehen wurde, hat der erkennende Senat aufgegeben. Im Urteil VI R 295/66 vom 21. Februar 1967 (BFH 88, 316, BStBl III 1967, 386) ist der VI. Senat auch von der unterschiedlichen Behandlung der vom Ergebnis her ähnlichen Frage der Nachholung unterlassener AfA bei der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich einerseits und der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG andererseits grundsätzlich abgerückt. Er weist in dem Urteil darauf hin, daß seine Auffassung mit dem Urteil IV 171/58 U nicht vereinbar sei und der IV. Senat auf Anfrage mitgeteilt habe, daß er die frühere Auffassung nicht aufrechterhalte.
Der Steuerpflichtige hat zwar bewußt die restliche AfA für den PKW in den Jahren 1960 und 1961 nicht vorgenommen. Er hat es aber in der Meinung getan, er müsse die Schätzung der voraussichtlichen Nutzungsdauer eines PKW's berichtigen, da sie sich als zu niedrig erwiesen habe. Für diesen Rechtsirrtum und gegen die Absicht, dadurch ungerechtfertigte steuerliche Vorteile zu erlangen, spricht der Umstand, daß der Steuerpflichtige nicht damit rechnen konnte, durch die Nachholung der unterlassenen AfA eine Steuerersparnis zu erzielen. Tatsächlich ist die steuerliche Auswirkung der AfA im Jahre 1963 wegen des niedrigeren Einkommens gegenüber 1961 geringer. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben kann daher nicht angenommen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 413000 |
BStBl II 1972, 271 |
BFHE 1972, 564 |